Erfolge feiern können, am Beispiel der Corona-Warn-App

DP3T Proximity Tracng Process - ZeichnungDie Corona-Warn-App so, wie sie jetzt ist, ist das Ergebnis einer sehr harten politischen Auseinandersetzung über offene vs. geschlossene Technologie.

Die Bundesregierung wollte anfangs etwas ganz anderes. Jetzt erklärt sie begeistert, wie super das alles sei:

Dezentral, freiwillig, open source, transparenter Entwicklungsprozess.

Aber das ist nicht, was das Gesundheitsministerium (BMG) anfangs wollte. Es war ein Streit über Wochen, und währenddessen wurden alle, die was anderes wollten, als Datenschutz-Spinner dargestellt (Frauen kamen in den deutschen Debatten eh nicht vor).

Wir haben diesen Streit gewonnen und das ist gut so, hoffentlich auch für zukünftige IT-Projekte der Bundesregierung, aber so zu tun, als hätte sich die Bundesregierung das mit SAP/Telekom und irgendwelchen Start-Ups allein ausgedacht, ist Quatsch.

Mit ‚wir‘ meine ich keine spezielle Gruppe, Organisation, Fraktion – im Gegenteil gab es wohl überall reichlich Skepsis und Kritik, oft auch zurecht, oft aber auch pauschale Ablehnung einer technischen Lösung, ohne genauer hinzugucken -, sondern viele verschiedene Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund. Teile der „Netz-Community“, IT-Expert*innen, politisch aktive Menschen, aus vielen Ländern und auch Kontinenten.

Sicher auch einige innerhalb der Ministerien, sonst hätte es die Entscheidung so nicht gegeben.

Auch Apple und Google, und sicher haben wir nicht dieselben Interessen, deswegen muss weiter sehr genau geguckt werden, wie diese Public-Private Partnership weitergeht. Dazu gibt es gerade einen sehr guten Artikel von Michael Veale, selber Teil von DP3T, den ich sehr empfehle. Da geht es auch um die Frage, warum die Unternehmen mal wieder nicht durch Gesetze eingeschränkt werden, am Beispiel von Apple/Google und den Corona-Apps:

It is possible to be strongly in favour of a decentralised approach, as I am (as a co-developer of the open-source DP-3T system that Apple and Google adapted), while being seriously concerned about the centralised control of computing infrastructure these firms have amassed.

 

Wem wir nicht genug danken können: dem großen DP3T-Team rund um Carmela Troncoso, das, über viele Länder verteilt, das Problem früh erkannt und Tag und Nacht an einer technisch soliden Alternative gearbeitet hat, die zudem das Potential hatte, auch international genutzt zu werden, ohne Diktatoren Überwachungsinstrumente in die Hand zu geben. Und die dann 24/7 erklärt haben, was sie tun und wie ihr Vorschlag funktioniert: Ohne diese gut begründete dezentrale und vor allem vorzeigbare Lösung hätten sich die (deutschen) Unternehmen durchgesetzt, die von Anfang an am BMG klebten und alle anderen weggebissen haben.

Und es gibt immer noch genug zu kritisieren: keine gesetzliche Grundlage, die festschreibt, dass die App nicht morgen zu anderen Zwecken eingesetzt wird, dass niemand von Arbeitgeber*innen genötigt werden darf, sie zu benutzen, und dass nicht zusätzliche Funktionen auftauchen, die die Daten auswerten für irgendeinen Zweck. Wie so ein Gesetz aussehen könnte, hat eine sehr verschieden zusammengesetzte Gruppe im Mai aufgeschrieben, an der auch ich beteiligt war (pdf).

Dann die ganze Frage, warum überhaupt so ein Heilsversprechen an einer App hängt, statt die Pflegekräfte und alle anderen Leute in systemrelevanten Jobs besser zu bezahlen, viel mehr Personal einzustellen und die offensichtlichen Problem des Gesundheitssystem zu lösen, das ungebrochen weiterhin profitabel sein soll, bessere Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu schaffen, in denen sich weniger Leute anstecken und bessere Bedingungen für Eltern und Kinder und Schule und Online-Unterricht. Unterstützung für Lehrer*innen, die die alles  auffangen sollten, was in der Politik im Bereich Digitalisierung von Schule seit Jahren verschlafen wird: gleichzeitig technische Lösungen für Online-Unterricht finden, sich selbst Methoden dazu aneignen, Kindern ausgedruckte Materialien vorbereiten, in der Schule parallel mehreren kleinere Gruppen in verschiedenen Räumen unterrichten, mit verzweifelten und wütenden Eltern fertig werden. Ok, ich schweife ab, aber dass all diese Dinge bis jetzt kaum angegangen wurden, sagt natürlich viel über politische Prioritäten der Bundesregierung.

Zurück zur App: Ein weiteres Problem ist die Veränderung der Gesellschaft, die sich daran gewöhnt, dass Technik Probleme wie so eine Pandemie lösen (sollen). Dass digitale Kontakt-Verfolgung ein selbstverständlicher Teil unseres Lebens wird, ohne das Zeit war, darüber zu diskutieren, ob wir das wollen und was die Nebenwirkungen und Weitenentwicklungn sein werden.

Jeanette Hofmann hat gerade sehr gut für die WZB-Mitteilungen (pdf) aufgeschrieben:

Infrastrukturen neigen zur Verstetigung und zur Expansion. Ein wichtiger Grund hierfür liegt in den kollektiven Handlungsmöglichkeiten, die sie eröffnen, und den praktischen Erfahrungen, die sich mit diesen verbinden. Infrastrukturen dehnen den Raum des gesellschaftlich Plan- und Regelbaren aus. Sie nähren die Erwartung einer grundsätzlichen Kontrollierbarkeit auch von Ereignissen oder Prozessen, die zuvor als unverfügbare Zufälle akzeptiert wurden. Die Schlüsselerfahrung technischer Kontrolle, die sich wahrscheinlich nicht wieder aus der Welt schaffen lässt, liegt im Konzept der Distanzvermessung: Die Erfassung des räumlichen Abstands zwischen allen Menschen weltweit, die mit einem Smartphone ausgerüstet sind, birgt das Potenzial einer neuen Metrik. Die digitale Distanzvermessung lässt sich als im Entstehen begriffenes Kontrollinstrument verstehen, das noch auf der Suche nach seiner Nützlichkeit ist.
(S.35, Hervorhebung von mir)

Das scheint mir aktuell das größere Problem und nicht mögliche Gefahren von Überwachung, IT-Sicherheit, Falschmeldungen etc., die häufig als Vorbehalte geäußert werden, aber mit der App, die wir haben, sehr weitgehend minimiert wurden. Es hätte sehr viel schlimmer kommen können.

Und darum geht es mir hier: Hier hat sich was Gutes durchgesetzt und nicht von allein, sondern weil sich viele großartige Leute dafür eingesetzt haben. Im Rahmen dessen, was möglich war, ist sehr viel erreicht worden, denn die Option ‚Keine App‘ wäre in den gegebenen Bedingungen zu Anfang der Pandemie nicht drin gewesen.

Den Erfolg sollten wir Spahn und seinem Ministerium nicht schenken, und SAP/Telekom auch nicht, denn wenn es nach denen gegangen wäre, hätten wir keine transparent, open source und kollaborativ entwickelte App.

 

PS: Es gibt natürlich zur App noch unendlich viel mehr zu sagen. Kann die durch Wände tracen? Was passiert nach dem Test? Was ist mit den Leuten mit alten Smartphones oder keinen Smartphones oder in oder aus anderen Ländern? Und die Geheimdienste? Da lässt sich problemlos ein halbes Buch drüber schreiben und das alles steht ja auch schon in zig Texten. Ich rede auch gern drüber, wenn noch Bedarf ist.

(Ein kürzere Version dieses Textes habe ich vor ein paar Tagen als Thread bei Twitter aufgeschrieben.)

 

Grafiken: CC-BY-SA 4.0 by DP-3T