Zum ersten Mal erschien ein Preisträger zur Verleihung der Big Brother Awards

Am Freitag wurden die Big Brother Awards verliehen. „Seit dem Jahr 2000 werden in Deutschland die BigBrotherAwards an Firmen, Organisationen und Personen verliehen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen“ (FoeBuD). Eine gute Gelegenheit, sich einen Überblick über den Stand der Dinge zu verschaffen. Dieses Mal gab es eine Premiere: im 11. Jahr der Awards ist zum ersten Mal einer der Preisträger persönlich erschienen.

(Update: alles falsch, 2008 war schon mal wer von der Telekom da, und gerüchtehalber auch mal wer von Microsoft. Danke, Lars! Und sorry wegen des irreführenden Titels.)

Was mir deswegen besonders gut gefällt, weil es der Vorsitzende der Zensuskommission ist. Wo ich doch gerade kürzlich darüber geschrieben habe, mit tatkräftiger Unterstützung von Daniel Leisegang.

Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ geht an den Vorsitzenden der Zensuskommission Herrn Prof. Dr. Gert G. Wagner für die als „Zensus2011“ bezeichnete Vollerfassung der Bevölkerung Deutschlands.

Neben reichlich unappetitlichen Details der bereits stattfindenden Volkszählung (die ihre Daten vor allem aus schon existenden Datenbanken bezieht und zusammenführt), gib es einen kleinen Aufreger: die Frage nach der Religionszugehörigkeit. Die ist nun in Deutschland allerdings besonders pikant – schließlich sind in Ländern mit ordentlich geführten Registern deutlich mehr Jüdinnen und Juden deportiert worden als in denen, wo es das nicht gab. Ohne einen direkten Vergleich zur aktuellen Volkszählung herstellen zu wollen – sowas wird ja schnell als Relativierung interpretiert – finde ich immerhin bemerkenswert, dass es dazu zwei Fragen in den Volkszählungsfragebögen gibt. Eine freiwillig, eine nicht.

Immerhin, die Frage, zu welcher der im Fragebogen genannten Religionen, Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen Sie sich bekennen, ist freiwillig. Beim Islam können Sie sogar zwischen sunnitischem, schiitischem und alevitischem Islam unterscheiden. Bei anderen Religionen haben Sie keine so große Auswahl, so können Sie beim Buddhismus nicht angeben, ob Sie sich zum Theravada, Mahayana oder Vajrayana bekennen. Die Antwort auf die Frage, ob Sie einer öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft angehören, ist dagegen Pflicht. Und dies, obwohl die Frage nach einem Religionsbekenntnis in der EU-Richtlinie zur Volkszählung nicht enthalten ist. (Aus der Laudatio von Werner Hülsmann)

Oliver Knapp („Unicorn“) hatte in seinem Vortrag zum Zensus beim 27C3 berichtet, dass ein Mitarbeiter des Statistischen Bundesamtes ihm gegenüber erwähnt habe, dass die Frage nach dem Glaubensbekenntnis nicht auf Wunsch der Statistiker eingefügt worden, sondern dem Interesse nicht näher definierter Behörden geschuldet sei, die den Mangel an Information insbesondere über Islamisten beklagt hätten.

Danach gefragt, sagte Prof. Wagner am Freitag zu Detlef Borchers, dass es keinen Kontakt zu Polizeistellen gegeben habe. Die Frage nach der Religion sei stattdessen „von der Politik“ gewünscht worden – ein Vertreter des Innenministeriums habe das damit begründet, dass es die Bürger stolz mache, ihren Glauben anzukreuzen, und so die plurale Vielfalt zu dokumentieren.

Da hätte ich ja noch ein paar Zweifel.

Auch sonst gab es interessante PreisträgerInnen:

Kategorie Arbeitswelt: der Deutsche Zoll:

Der Deutsche Zoll erhält den BigBrotherAward 2011 dafür, dass er sich vom russischen Staat für seinen „Sicherheitswahn“ instrumentalisieren lässt. Der Hintergrund: Die Zollverwaltung räumt deutschen Unternehmen, die ihre Beschäftigten mit russischen Antiterrorlisten abgleichen, Erleichterungen im Export- und Importverkehr ein.

Kategorie Technik: die Modemarke Peuterey, vertreten durch die Düsseldorfer Modeagentur :

Er erhält diese Negativ-Auszeichnung, weil seine Agentur die Kleidung der italienischen Modemarke Peuterey mit einem verdeckt integrierten RFID-Funkchip in Verkehr bringt, der berührungslos auslesbar ist, ohne dass die Kunden das bemerken können.

Kategorie Verbraucherschutz: Verlag für Wissen und Information in Starnberg

für das Abschöpfen von Adressdaten von Schülern und Eltern als Gegenleistung für Büchergutscheine.

Kategorie Arbeitswelt: Daimler AG

Die Daimler AG erhält den Preis stellvertretend für alle Unternehmen, die von allen Bewerberinnen und Bewerbern bei Einstellungsuntersuchungen Blutproben verlangen.

Kategorie Kommunikation 1: Facebook Deutschland (auch Publikumspreis)

Facebook, das nette „soziale“ Netzwerk, lässt George Orwells „Big Brother“ blass vor Neid werden. Hier wächst eine „Gated Community“ globalen Ausmaßes heran. Eine abgeschlossene Gesellschaft, in der ein Konzern die Regeln macht. Eine Datenkrake mit unendlichem Appetit – und die Leute begeben sich freiwillig in ihre Fangarme und füttern sie.

Kategorie Kommunikation 2: Apple

für die Geiselnahme ihrer Kunden mittels teurer Hardware und darauf folgende Erpressung, den firmeneigenen zweifelhaften Datenschutzbedingungen zuzustimmen. Ein iPhone ist ein schickes Teil und kostet einige Hundert Euro. Natürlich möchte man das iPhone auch für alles Mögliche nutzen. Dafür hat man es gekauft.

Kategorie Politik: der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann

für den ersten nachgewiesenen polizeilichen Einsatz einer Mini-Überwachungsdrohne zur heimlichen Ausspähung der Demonstrationen und Protestaktionen gegen den Castortransport im Wendland. Betroffen waren unzählige Demonstrationsteilnehmer, die im November 2010 zu Abertausenden gegen den radioaktiven Atommüll und die unverantwortliche Atompolitik der Bundesregierung protestierten.

Es lohnt sich, die Laudatii (der korrekte Plural von Laudatio..?) zu lesen (jeweils hinter dem Link zum Preisträger), die sind eindeutig mit Liebe für die Sache geschrieben.