Die Serie Kommissar Beck, erfunden von dem legendären AutorInnen-Paar Maj Sjöwall und Per Wahlöö, ist unter Krimi-Guckenden sehr beliebt. Dass sich Geschichte wiederholt, wenn wir nichts aus ihr lernen, wissen wir schon. In „Verschlossen und verriegelt„, geschrieben 1972, gibt es eine Beschreibung der Bedeutung der Polizeilichen Kriminalstatistik, die auch knapp 40 Jahre später hätte geschrieben worden sein können:
Vor einigen Jahren hatte jemand im Polizeitapparat die Möglichkeit entdeckt, mit einfachen, aber nicht sofort durchschaubaren Methoden die Kriminalstatistik so zu steuern, dass sie gänzlich irreführend wurde, ohne deshalb direkt falsch zu sein. Das Ganze fing damit an, dass man eine militante und einheitlichere Polizei, eine größere technische Ausstattung und vor allem eine umfassendere Bewaffnung haben wollte. Um das alles bekommen zu können, galt es, die Gefahren des Berufs zu übertreiben. Da allgemeines Geschwafel als politisches Druckmittel nicht ausreichte, fand man einen anderen Ausweg: die Manipulation der Statistik.
Hierzu boten die politischen Demonstrationen in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre grandiose Möglichkeiten. Die Demonstranten plädierten für Frieden und wurden mit Gewalt auseinandergetrieben, sie waren so gut wie nie mit etwas anderem als Plakaten und ihren Überzeugungen bewaffnet und wurden mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummiknüppeln in Empfang genommen. Fast jede Aktion gegen Gewalt endete in Chaos und Tumulten. Menschen, die sich zu wehren versuchten, wurden misshandelt und eingesperrt. Dann wurden sie wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ oder „gewaltsamem Widerstand“ angeklagt, und unabhängig davon, on die Leute vor Gericht gestellt wurden oder nicht, flossen die Anklagepunkte in die Statistik ein. Die Methode funktionierte ausgezeichnet. Sobald man einige hundert Polizisten losschickte, um einen Demonstrationszug niederzuknüppeln, schoss die Zahl angeblicher Fälle von misshandelten Polizisten in die Höhe.
Die Schutzpolizei wurde ermuntert, mit eiserner Faust vorzugehen, wie es hieß, und viele Beamte taten dies denn auch mit Vergnügen und bei allen möglichen Gelegenheiten. Brät man einem Penner eins mit dem Schlagstock über, ist die Chance relativ groß, dass er zurückschlägt. Das war eine einfache Lektion, jeder konnte sie lernen.
Die Taktik ging auf. Die Polizei wurde bis an die Grenze des Vorstellbaren aufgerüstet. Situationen, die früher ein einziger Mann, mit seinem Bleistift und einem Funken gesunden Menschenverstand bewaffnet, entschärft hatte, riefen plötzlich eine Busladung von Polizisten mit Maschinenpistolen und schusssicheren Westen auf den Plan.
Auf längere Sicht sah das Ergebnis allerdings nicht ganz so aus, wie man es sich vorgestellt hatte. Gewalt gebiert nicht und Antipathie und Hass, sondern auch Unsicherheit und Angst. (Verschlossen und verriegelt, rororo, Ausgabe Oktober 2008, S. 71/72)
Belletristik aus dem Jahr 1972, wie gesagt.
Angesichts der aktuellen Debatte darüber, ob und inwiefern Gewalt gegen die Polizei zunimmt, was viel behauptet aber nicht belegt wird, sind so quasi historische Betrachtungen ja manchmal ganz hilfreich, die richtige Perspektive auf die Dinge zu bekommen. Geredet wird über Gewalt, bebildert mit fiesen Demo-Krawall-Szenen, aber gemeint ist gerade die Verschärfung des §113 StGB. Dabei geht es nicht um Gewalt, sondern um Widerstand. Die Gewalt, die in Bildern und Interviews auftaucht, wäre juristisch kein Widerstand, sondern mindestens versuchte Körperverletzung. Da sind die Strafen sowieso viel höher. Da selbst schlichte JournalistInnen, PolitikerInnen und PolizistInnen das gut verstehen können, gibt es für das ‚Missverständnis‘ nur eine Erklärung. Es handelt sich um Propaganda. Siehe oben.