Innenansichten einer Überwachung

Seit den Leaks von Edward Snowden ist das Thema Überwachung wieder sehr präsent. Weil es nicht viele Menschen gibt, die darüber reden, dass sie überwacht wurden und was das für sie bedeutet, werde ich viel danach gefragt. Ich habe dieses Blog vor sechs Jahren begonnen, um unseren Alltag mit Überwachung aufzuschreiben und werde immer mal wieder danach gefragt, wo diese Geschichte eigentlich zu finden ist, die viele gar nicht und manche nur ungefähr kennen. Ich habe deswegen hier die wichtigsten Blogposts nochmal zusammengestellt. Mehr über die Hintergründe des Verfahrens steht hier. Vieles habe ich auch kürzlich in diesem längeren Podcast nochmal ausführlich erzählt.

Für uns begann die Geschichte am 31. Juli 2007 am frühen Morgen, als ein Sondereinsatzkommando der Berliner Polizei in Vertretung des BKA in unsere Wohnung einbrach, Andrej festnahm und 16 Stunden unsere Wohnung durchsuchte. Der Vorwurf war, er sei Terrorist. Die Durchsuchung habe ich in ‚Offline-Durchsuchung‚ beschrieben:

Vor ein paar Tagen haben wir allerhand vom BKA zurückgekriegt, was bei den Durchsuchungen am 31.7. mitgenommen worden war. „Asservate“ sind unsere Sachen geworden, und sie haben alle ein eigenes Tütchen samt Aufkleber bekommen. Mitsamt Tütchen sind sie jetzt wieder da, und einiges stimmt mich bedenklich. Andere klären einige Rätsel auf….

(28. April 2008)

Über das, was folgte, habe ich erst zwei Monate später angefangen zu schreiben. Der erste Blogpost, beschäftigte sich mit etwas, was dann noch öfter Thema war: Telefonüberwachung und dem Wissen davon, und wie sich das auf mein Verhalten auswirkte.

Sicherheitsknoten

Ich telefoniere ab und zu mit dem BKA. Bzw. eigentlich telefoniere ich immer mit dem BKA, weil immer, wenn ich telefoniere, das BKA zuhört. Damit das niemand falsch versteht, weil ja in dieser Frage anscheinend alle immer alles falsch verstehen: ich rede nicht mit dem BKA. Es lässt sich bloss nicht vermeiden, dass sie zuhören. Und damit das jetzt das BKA nicht falsch versteht: ich versuche das nicht aktiv zu vermeiden. Laut Akten ist ja jeder Versuch, das zu vermeiden, ‘konspiratives Verhalten’ …

(3. Oktober 2007)

Auch um überwachte Telefone, aber eher technisch ging in

Telefonterror

Und wieder. Ich rufe Andrejs Handy an und werde aufgefordert, meine eigene Mailbox-PIN einzugeben. Ich versuche es mit dem Festnetztelefon nochmal und höre meine eigene Ansage.
Dann ruft mich jemand anders auf dem Handy an, es klingelt zweimal.. und stürzt ab.
Ich schicke Andrej eine SMS in der Erwartung, dass die dann auch bei mir landet, aber die kommt nicht wieder. …

(5. Oktober 2007)

und

Telefonterror II

Gestern gab es ein wirklich wunderschönes Beispiel fehlgeleiteter Überwachungstechnik. Wobei weiterhin nicht auszuschließen ist, dass diese ‘Fehlschaltungen’ gar kein Versehen, sondern Bestandteil des latent soziopathischen Spieltriebs derjenigen Menschen sind, die wahrscheinlich einen Großteil ihrer Zeit damit zubringen, unseren Alltag in all seinen Facetten zu verfolgen. Wenn ich ständig privaten Telefonaten anderer Leute zuhören müsste, würde ich wahrscheinlich auch irgendwann seltsam. …

(17. Oktober 2007)

Auch um Telefone geht es in

Telefonrätsel

Das Mysterium ‘Handy-Rechnung’ ist eins, dem ich normalerweise weiträumig ausweiche und hinnehme, dass sicher alles korrekt aufgezeichnet und abgerechnet wird, und wenn nicht, eh nichts dagegen zu machen sei. Solange sich die Summen im Rahmen halten, ist das allemal entspannender.
Jetzt habe ich allerdings eine O2-Rechnung bekommen, die diesen Rahmen deutlich sprengte und ich bin ein paar Tage um sie herumgeschlichen. In der Erwartung, dass jeder Protest bei der Hotline zu noch höheren Rechnungen, Konfrontation mit Inkompetenz und Machtlosigkeit seitens des Call-Centers führen würde. Weit gefehlt! …

(5. Mai 2008)

Telefonfehlschaltungen, Robbenbabies und ein Scheinwiderspruch

So ein schönes Exemplar von Telefonfehlschaltung:
Ich rief heute abend den Kinderarzt an, um mir vom Anrufbeantworter die Öffnungszeiten ansagen zu lassen, mehrere Freizeichen, “Sie rufen außerhalb der Öffnungszeiten der Praxis von Dr. xx an, die Öffnungszeiten sind Montags von…”. Direkt im Anschluss rufe ich Andrejs (nicht mehr ganz) neue Büronummer an.
Mehrere Freizeichen, “Sie rufen außerhalb der Öffnungszeichen der Praxis…”. Ich denke, dass ich mich vertippt habe, gucke auf’s Telefondisplay und da steht: “Andrej Büro”. Zu hören ist weiterhin die Kinderarztpraxis.

(10. Juni 2008)

Prozessbeginn und eine technische Panne

…. Passend zum Anlass habe ich heute seit langem zum ersten Mal wieder ein schönes Beispiel einer Telefonüberwachungs-Fehlschaltung erlebt: ich wollte Andrej in seinem Frankfurter Büro anrufen, der Display des Telefons zeigt auch genau das an, aber stattdessen habe ich den Vater einer Freundin meines Sohnes am Apparat, der das lapidar so kommentiert: „Naja, wir wissen ja, wer alles zuhört“.
Meine folgenden Versuche, Andrej sowohl per Festnetz als auch Handy zu erreichen, führen bei mir zu Freizeichen, bei Andrej, der die ganze Zeit neben den bewussten Telefonen sass, zu gar nichts. 20 Minuten später ging’s wieder. …

(25. September 2008)

Und das Telefon macht .. klick

„Merkt Ihr eigentlich immer noch, dass die Überwachung weitergeht?“ Eine beliebte Frage, meistens beantworten wir sie mit „Naja, hmm, eher nein“. Wie bemerkt man Überwachung? Schlapphüte auf der Straße teilen ja auch keine Visitenkarten aus, sind eh eher selten: es ist schwierig. Von diesem §129-Verfahren (vorher §129a) gegen Andrej wissen wir seit 16 Monaten. Ob sie den ganzen Aufwand immer noch genauso intensiv betreiben? Keine Ahnung. Es fällt nicht mehr so auf. Es gibt für alles eine normale Erklärung.

(2. Dezember 2008)

Eine der bekanntesten Geschichten beschreibt, wie es sich auswirken kann, wenn die abhörenden Behörden Telefongespräche völlig falsch verstehen. Die Geschichte der zweiten Hausdurchsuchung.

Der schwarze Beutel

… Dann fiel der historische Satz. Andrejs Mutter, im Überwacht-werden noch ungeübt, sagte: “Und dann würde ich auch gern mal über den Inhalt des schwarzen Beutels sprechen.” Also darüber, was Andrej bis dahin über die Ermittlungsakten wusste. Das Resultat: am Sonntag nachmittag klingelt es an der Tür, das BKA steht davor und will “Beweismaterial sicherstellen”: den schwarzen Beutel.

Auch diesmal war nicht möglich, noch fünf Minuten die Luft anzuhalten, bis etwa unsere beiden Kinder aus der Wohnung gebracht sind, es war alles wieder wahnsinnig dringend. Gut, wenn man davon ausgeht, dass die Eltern KomplizInnen sind, die hochbrisantes Beweismaterial bei sich horten und nichts Besseres zu tun haben, als das am Telefon zu verbreiten und dann mit ihn die Wohnung von Terroristen zu schleppen, dann ist es natürlich sehr dringend, dem endlich habhaft zu werden. …

(3. Oktober 2007)

Der schwarze Beutel – The Sequel

… Auf jeden Fall beschäftigt auch uns das Thema Überwachung weiter. Zuletzt in Form eines Schreibens der Bundesanwältin an Andrejs Eltern bzw. deren Anwältin. Die hatte sich nämlich darüber beschwert, dass die des schwarzen Beutels wegen eine ganze Woche observiert werden sollten und sogar eine Hausdurchsuchung erwogen worden war. Wegen des oben beschriebenen Telefonats! Aber die Antwort ist eigentlich noch schöner. Eigentlich hätte ich gedacht, dass die Reaktion vielleicht nicht direkt kleinlaut ausfällt, aber doch in irgendeiner Form etwas signalisiert, das schon in den Gesichtern der ausführenden Beamtinnen in unserer Wohnung zu erkennen war: dass die ganze Aktion vielleicht doch ein bisschen am Ziel vorbei geschossen ist, welches auch immer das ist. Über diese Geschichte haben sich inzwischen unübertrieben tausende Menschen totgelacht. Aber weit gefehlt: die BAW hat immer recht. …

(27. Februar 2008)

Überwachung gab es natürlich auch ganz klassisch, durch die sogenannten Observationen auf der Straße.

Beobachtungen

… Letzten Mittwoch, am Rande der Kundgebung zur Unterstützung derjenigen Menschen, die als ZeugInnen vorgeladen sind und Dienstag bis Donnerstag sehr seltsame Stunden beim BKA in Treptow verbracht haben, ging Andrej mit unserer Tochter ein paar Schritte von der Kundgebung weg, um ihr beim Bäcker was zu Essen zu holen. Im Eingangsbereich des Einkaufszentrums standen einige junge Männer, von denen er einen schonmal an der Kita gesehen hatte. Sie tuschelten und zeigten auf ihn. Da sie fast voreinander standen, nickte er ihnen zu. Sie nickten zurück….

(27. Oktober 2007)

Spatzen im Winter

Ach, es war so schön – nach der Entscheidung des BGH, dass ein Haftbefehl für Andrej definitiv nicht die richtige rechtstaatliche Maßnahme sei, wurde es ruhig. Kein Knacken im Telefon, kein Krisseln im Fernseher, keine Nichtstuer auf der Straße (nur ein paar kaputte Computer). Nun pfeifen alle Spatzen, die noch nicht erfroren sind, von den Dächern, dass die nächste BGH-Entscheidung ansteht, und zack – da sind sie wieder.

(27. November 2007)

Alltäglicher Wahnsinn

Ich war bekanntermaßen ein paar Tage in Frankreich. Als ich gestern wiederkam, ging unser Festnetztelefon nicht. Andrej benutzt das fast nie, deswegen war es ihm gar nicht aufgefallen. Ich habe eben mal nachgeschaut, ob irgendwo ein Stecker nicht richtig sitzt und was fand sich da? Das Telefonkabelstecker war komplett aus der TAE-Dose entfernt und hing lose auf den Boden. …

(20. Juni 2008)

Neben den Beschreibungen der Überwachung geht es auch immer wieder um das Verhalten der Ermittlungsbehörden, also BKA und Generalbundesanwalt, die Staatsanwaltschaft der Bundesrepublik.

So allein heut‘ abend?

Pscht. … Hallo  … Ja, Sie. Haben Sie heute noch was vor? Das kommt jetzt vielleicht etwas überraschend, aber.. was halten Sie davon: wollen wir nicht eine terroristische Vereinigung gründen? Sie und ich, und vielleicht noch Ihre Tischnachbarin? Zu dritt kriegen wir das hin.
Absurd? Ja, in verschiedener Hinsicht. Zum einen gibt ja wirklich angenehmere Arten, den Abend zu verbringen (oder die Welt zu verändern). Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, dass irgendwer sich vorstellen kann, dass terroristische Vereinigungen so eben holterdipolter aus dem Boden gestampft werden. Mit einer Ausnahme: die Frau Generalbundesanwältin, …

(17. Oktober 2007)

In den meisten dieser Blogposts stecken mehrere Geschichten. Ich habe sie geschrieben als Protest, als Bewältigung des Alltags mit Überwachung und auch als Dokumentation einer Anti-Terror-Überwachung. So wenig systematisch wie das stattfand, habe ich es aufgeschrieben.

2 Gedanken zu „Innenansichten einer Überwachung

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