Hani Yousuf ist eine pakistanische Journalistin, die ein paar Jahre in Berlin gelebt hat und dann nach Pakistan zurückgekehrt ist. Sie hat verschiedene Artikel über ihre Beobachtungen in Deutschland geschrieben und die empfehle ich hiermit wärmstens.
Seit vielen Jahren begegnet mir in Gesprächen in Deutschland immer wieder die mehr oder weniger explizite Annahme, dass es bei uns mit der Gleichberechtigung von bzw. Sexismus gegen Frauen doch vergleichsweise gut aussähe. Also, im Vergleich mit weniger privilegierten, nicht-westlichen Ländern, gerade denen mit vor allem muslimischer Bevölkerung. Ich kann es nicht wirklich beurteilen, aber ich kenne ebenfalls seit Jahren Beschreibungen von z.B. arabischen Frauen, die das heftig bestreiten. Nicht, dass es irgendwo besonders gut aussähe, was das angeht, aber auf jeden Fall anders, und das heißt nicht schlechter.
In Deutschland haben wir uns ja an vieles notgedrungen gewöhnt, was weit entfernt von akzeptabel ist. Der #aufschrei hat Anfang des Jahres für eine Woche kurz gezeigt, wie der ganz normale sexistische Alltag in Deutschland aussieht. Und das ist damit eben nicht auch überall sonst die Regel. Nackte Frauen in unterwürfigen Posen an jeder Bushaltestelle? Kritik daran wird mit einem Argument kaltgestellt, dass schon die 68er gut drauf hatten: Prüde, oder was? Oder eben der Frage, ob Taliban und Burka etwa besser wären. Eine Gesellschaft, in der Frauen nicht als photogeshopte Objekte Werbung für irgendwelche Gegenstände aufhübschen, ist für mich erstrebenswerter als diese. Und das soll es außerhalb der ‚westlichen‘ Welt durchaus geben.
Jedenfalls habe ich mich über Hani Yousufs Artikel sehr gefreut, weil ihre Außen- und gleichzeitig Innensicht so gut zeigt, dass sich hier Sexismus, Rassismus und Eurozentrismus hervorragend ergänzen.
Aus „Mein Patriarchat ist besser als deins“, Tagesspiegel:
Anderthalb Jahre steckte ich in Berlin knietief in Sexismus und Rassismus – dann bin ich im August letzten Jahres in meine Heimatstadt Karachi zurückgezogen. Ja, ich nenne die Dinge beim Namen: Auch wenn das nicht zur populären Meinung passt, fühle ich mich als Journalistin in Pakistan sehr viel wohler als in Berlin.
Ein Grund, warum wir den sexistischen Alltag jeden Tag schlucken? Weil wir uns nicht vorstellen können, dass es auch anders ginge.
Aber immer, wenn ich anderen Freunden von meinen Erfahrungen erzählte, sagten sie – und auch ich bildete mir das ein –, dass so was ja immer und überall passiere. Nicht nur hier in Berlin. Aber es war nirgends auf der Welt so wie in Berlin.
In einem älteren Artikel, veröffentlich in der „Welt“, beschrieb Hani Yousuf, wie sie journalistischen Alltag in Berlin erlebte.
„Newsline“, Karachi, Pakistan:
In den monatlichen Redaktionssitzungen tranken wir würzigen Chai und verrissen das Konkurrenzblatt „Herald“. Den Vorsitz führten die Chefredakteurin und ihre drei Ressortleiterinnen, die das Magazin mitgegründet hatten. … Die Redaktionssitzungen fanden in dem Raum statt, den sich die Chefredakteurin mit ihren Ressortleiterinnen teilte.
„Die Welt“, Berlin:
Im ganzen Raum leuchten Computerbildschirme, während ein Mann nach dem anderen den Raum betritt, im Anzug ohne Schlips oder in einer Tweedjacke mit Ellbogenschonern, in der Hand die Kaffeetasse. Der auffälligste Unterschied ist der Mangel an Frauen. Das hat mich überrascht. Ich komme ja aus Talibanland, doch so stark wie hier in Deutschland ist es mir noch nie bewusst geworden, dass ich eine Frau bin.
Und:
Meine Patentante Susy aus Dreieich, wo meine Mutter aufgewachsen ist, war ein wenig pikiert, als ich über Sexismus in Deutschland sprach. „Immerhin sind unsere Kanzlerin und einige Kabinettsmitglieder Frauen“, sagte sie. „Ihr seid spät dran“, sagte ich. „Indien hatte Indira Gandhi schon in den 60er-Jahren, Pakistan Benazir Bhutto in den 80ern, Bangladesh Khaleda Zia in den 90ern. Will ich damit sagen, dass wir keine unterdrückten Frauen hätten, keine ernsten Probleme mit der Ungleichheit der Geschlechter? Natürlich nicht.
Alles aus „Wo sind denn hier die Frauen?„, Die Welt, 2011
Wie gesagt, es geht gar nicht darum so zu tun, als sei in Pakistan alles prima. Das schreibt Hani Yousuf auch selbst. Frappierend finde ich bloß den Spiegel, den wir vorgehalten bekommen, der sehr deutlich macht, wie dick die Propaganda-Schicht ist, die uns das klare Denken verkleistert.
Während sie in Deutschland war, war sie übrigens auch Mitglied von Pro Quote.
Bevor ich auf diese Frauen traf, war ich oft verärgert, dass deutsche Frauen nichts unternahmen gegen die Tatsache, dass sie in Medienunternehmen unterrepräsentiert waren, besonders am oberen Ende der Karriereleiter, und dass sie weiterlebten, in Selbstverleugnung, in dem Glauben, dass sie alles (erreicht) hätten.
In „Wie ich in Deutschland Feministin wurde“ beschreibt sie typische, eklige Situationen mit ‚aufgeklärten‘ westlichen Frauen und deren rassistischen Klischees:
„Denkst du wirklich, du bist progressiver als wir?“, hat meine österreichische Freundin mich gefragt. Ihre Ansichten empfand ich als beleidigend und sie machten mich traurig. Mit dieser Frage hat sie mich sofort zur „Anderen“ gemacht. Dazu hat sie den Fehler begangen, den viele Frauen aus entwickelten Ländern begehen: Sie übersehen, dass Gender noch immer ein großes Thema ist – auch in ihren eigenen, „entwickelten“ Gesellschaften.
Ich bin keine Pakistan-Kennerin und gebe gern zu, dass ich vieles von dem, was in den Artikeln steht, nicht beurteilen kann. Mich interessierte vor allem die Beschreibung ihrer Erlebnisse in Deutschland. Ich fand sie gut beobachtet und überzeugend aufgeschrieben. Not more, not less.
Macht Euch selbst ein Bild, lest die Artikel ganz und folgt ihr: twitter.com/haniyousuf
Mich wundert nicht, dass sie das Bild der Frau in der deutschen Gesellschaft als nicht emanzipiert wahrnimmt: diesen Eindruck habe ich auch in weiten Teilen. Mich wundert, dass sie die eigene Gesellschaft anders wahrnimmt.
Ich kenne jetzt die pakistanische Gesellschaft nicht, vielleicht ist sie eine Ausnahme. Würde mich aber sehr wundern. Ich kenne Iraner, Türken, war in Marocco. Was ich beobachte, sind Frauen dort sicher nicht mehr emanzipiert als in Deutschland, und zwar ganz sicher nicht.
Wer’s nicht glaubt, soll mir seinen Eindruck mitteilen, wo Femen gefährderter sind: in islamischen Ländern oder auf dem Land in der Türkei, oder aber in Deutschland. Ja, auch in Deutschland wäre ein Auftritt der Femen ggf. Erregung öffentlichen Ärgernisses, und den Vergleich hätte ich dann gerne nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch im Süden auf dem Land. Allerdings wäre ein Aufruf, solche Frauen dafür zu töten wie z.B. in Tunesien geschehen, selbst eine Straftat.
Falls man so einfach ein “mehr” oder “weniger” emanzipiert objektiv hinkriegen kann, was das verbreitete Bild der Frau in der Gesellschaft betrifft. Da ist es einfacher, sich an die gesellschaftlichen Normen zu halten, die sind leichter objektiv zu bewerten: Wahlrecht, Geschäftsfähigkeit, rechtliche Stellung in der Familie.
Einen Verdacht habe ich: jeder sieht sein eigenes Bild ein wenig als Norm und hält Dinge in anderen Gesellschaften dagegen – was nicht passt, wird als abwertend, was passt als selbstverständlich empfunden und gar nicht mehr wahrgenommen.
Objektiv muss ich allerdings hinzufügen: islamisches Recht ist eine Katastrophe, was Frauenrechte angeht (zur Erinnerung, die Türkei hat säkulare, keine islamische Gesellschaftsnormen, gehört also nicht in die Reihe). Das galt für unser römisch-christlich geprägtes Recht auch. Bis vor kurzem. Erst vor wenigen Jahrzehnten haben wir das geändert.
Säkularisierung als notwendiger Schritt der Aufklärung wäre jetzt auch für befreite islamische Gesellschaften wie z.B. Tunesien einer der nächsten sinnvollen Schritte. Die Türkei könnte in diesem Punkt eine Vorbildrolle übernehmen. Sie hat bewiesen, dass Islam und säkulares Recht in derselben Gesellschaft koexistieren können, mit (leider) genau denselben Problemen wie beim Christentum und säkularem Recht.
Wie schlimm der Sexismus in anderen Ländern ist, kann ich auch nicht beurteilen. Sicherlich entwickelt jede Kultur ihre eigenen Unterdrückungspraktiken. Deshalb fällt es auch so schwer, sie zu reflektieren, weil sie sich organisch in die jeweilige Kultur einfügen.
Dass aber Deutschland zumindest in Europa nicht so glorrreich dasteht, zeigen ja schon die EU-Statistiken, z B zu Gender Paygap oder Erwerbstätigkeit von Frauen, etc. Das steht im krassen Widerspruch zu dem Alles-ist-gut-Gefühl, das anscheinend viele Frauen in De haben.
Ich glaube es ist eine Frage der Sichtweise. Der Sexismus ist im Westen als patriarchale Norm präsent, wie wir wissen. Es ist aber IMHO in der Gesellschaft angekommen, das Gender Gap, Glass Ceiling & Co ein Problem sind, welches es zu beseitigen gilt. Währenddessen hilt in Pakistan die Sharia als Gesetz. Völlig inakzeptabel. Durch die strenge Gender Segregation zum Nachteil der Frau haben Frauen aber dort auch gewisse Freiräume, wenn sie unter sich sind. Wie das Beispiel mit der Redaktion. In Deutschland sind 98 % aller Chefredakteurinnen männlich. Wenn die Macht wieder in Weiblicher Hand liegt, wie ich es mir wünsche, kann keine monotheistische Ideologie aus dem Mittelalter Staatsreligion sein und auch dieser Alltags-Sexismus kann und darf nicht mehr in dieser Form existieren.