Update: Die Koalition hat sich geeinigt: Weg frei für bundesweite heimliche Online-Durchsuchungen. Die Übersicht zu den Maßnahmen bei tagesschau.de und ravenhorst: Der unabhängige Datenschutzbeauftragte des BKAs prüft, ob der Kernbereich privater Lebensgestaltung verletzt wurde, nach dem Einsatz. Nicht zu fassen. Was ist das denn? Wer immer noch glaubt, dass sowas nur für wirklich gefährliche Terroristen benutzt wird, kann gern nochmal bei uns nachfragen.
Es ist unwahrscheinlich, dass das Wunder geschieht und das BKA-Gesetz nächsten Mittwoch gegen 16:30 nicht verabschiedet wird. Ich kann nicht sagen, dass ich die Aufregung um die Nacktscanner an Flughäfen letzte Woche schlecht gefunden hätte, aber was ich nicht verstehe ist: Warum ist das so viel dramatischer als die sog. ‚Visuelle Wohnraumüberwachung‘, also Kameras, die das BKA ab nächster Woche legal heimlich in Wohnungen einsetzen darf?
Am Flughafen kann ich ihnen dabei wenigstens in die Augen gucken. Und es ist nur ein Moment.
Für’s Kleingedruckte: Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (pdf) oder auch die Anhörung des Innenausschusses Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt. Ja, das ist dieses Gesetz mit folgenden Kleinigkeiten: Online-Durchsuchung, heimliches Eindringen in Wohnungen, Zentralisierung weg von Länder- hin zu Bundespolizei, noch weniger Kontrolle durch RichterInnen, mehr Zusammenarbeit mit Geheimdiensten usw.
Letzten Samstag war ich eingeladen, an einer Veranstaltung zum Thema BKA-Gesetz in Frankfurt/Main teilzunehmen, die im wesentlichen von Heiner Busch bestritten wurde, der unglaublich viel über das BKA, Polizei und Innere Sicherheit im Allgemeinen und Besonderen weiß und noch viel öfter eingeladen werden sollte. Leider ist die Veranstaltung nicht aufgezeichnet worden, aber ich kann nur dringend empfehlen, sowas öfters zu wiederholen. Organisiert wurde sie von der Humanistischen Union, die sich auch viel damit beschäftigt.
Bei dieser Veranstaltung wurde auch diskutiert, ob noch irgendwas gegen das Gesetz hilft. Jemand schlug vor, den Abgeordneten zu schreiben. Heiner Busch, der schon sehr viel Zeit mit Anhörungen und Gutachten von und für Parlament(n) verbracht hat, hält das für pure Zeitverschwendung. Ich glaube auch nicht dran. Ich wäre allerdings auch nicht besonders traurig, wenn
die zuständigen Damen und Herren anlässlich der Abstimmung merken
würden, dass das Thema trotz Finanzkrise, Obama und Hessen immer noch
interessiert beobachtet wird. Eine einfache Methode dazu ist abgeordnetenwatch.de, wo etwa die InnenpolitikerInnen oder auch alle anderen mal direkt nach diesem und jenem gefragt werden können (Vorsicht, es muss tatsächlich gefragt werden – reine Statements werden rausmoderiert).
Schöner
wären natürlich riesige Proteste, ein Erdbeben, das alle Spuren des
Gesetzentwurfs verschluckt oder ein Mittel, das wirksam bei
InnenpolitikerInnen gegen Kontrollsuchthilft.
Foto 1: practicalowl,
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Foto 2: fraencko,
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Die Aufregung um die Nacktscanner habe ich auch nicht verstanden, zumal sich ja eben auch Mitbürger 😉 darüber aufgeregt haben, die sonst vehement für Vorratsdatenspeicherung, visuelle Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchung eintreten.
Also um Missverständnisse zu vermeiden: Ich will keine Nacktscanner auf Flughäfen. Aber ehrlich gesagt finde ich die eben weniger unangenehm als die anderen Maßnahmen.
Wahrscheinlich können sich manche ältere Menschen (Innenminister) einfach nicht vorstellen, wie „nackt“ einen die Vorratsdatenspeicherung macht. Aber visuelle Wohnraumüberwachung sollte eigentlich selbst denen einleuchten. – Wahrscheinlich glauben die wirklich daran, dass dies auf immer und ewig nur gegen tatsächliche Terroristen eingesetzt wird?!
Der Grund, warum diese Scanner auf größeren Widerstand gestoßen sind, ist doch klar: jeder ist schonmal geflogen — aber zu Hause überwacht werden doch nur die Bösen! Deshalb fühlt sich der durchschnittliche BILD-Leser von Nacktscannern auf Flughäfen auch mehr gestört als von der Vorstellung, was die Sicherheitsbehörden jetzt alles dürfen.
Es ist auch schwer, Otto Normalverbraucher das Ausmaß und die Möglichkeiten moderner Überwachungsmaßnahmen klar zu machen. Dabei hilft aber durchaus ihr Fall, Frau Roth — falls Sie das tröstet…
Von unserer CDU-regierten Kleinstadt gesponsort, habe ich mir am 3. Oktober d.J. den Film „Das Leben der Anderen“ noch einmal angesehen (Der Film zeigt die Umtriebe der bösen Stasi und wie nett doch auch ein Stasi-Offizier sein kann). Meine spontane Reaktion: Das Alles will doch unser Innenminister auch, nur moderner. Auf dem Dachboden hockt heute kein Spitzel mehr herum. Zugegeben, die Definition des potentiellen Staatsfeindes ging in der DDR weiter, als in der Bundesrepublik. Aber der Begriff inflationiert sich auch hier. Ich bin ja heute schon ein beinahe alter Mann, aber meine Akten in Köln aus den 60er und frühen 70er Jahren würde ich auch gerne mal lesen. Obwohl der Inhalt solcher Akten immer recht fragwürdig ist. Eine Freundin von uns, die aus der DDR kam, hat ihre Stasi-Akten gelesen: viel Alltagskram, mehr oder weniger richtig, in einem Fall aber frei erfunden und ziemlich gefährlich. In diesem Fall hat sie sich den Klarnamen des IM geben lassen: sie kannte ihn nicht und hatte keine Ahnung, wer das sein sollte.
Der Grund, warum Nacktscanner plötzlich in aller Munde sind liegt nicht an der Überwachung sondern der physischen Nacktheit.
Menschen das Gehirn zu durchleuchten ist weitaus politisch korrekter als jemanden auszuziehen. Nicht die Privatsphäre trägt hier den Sieg davon, sondern sexuelle Verklemmung.
Warum sich plötzlich, bei der Frage der Flughafenscanner, Widerspruch regt, ist mir völlig verständlich.
Alles andere – Bespitzelung, Bundestrojaner, Hausdurchsuchung, Verwanzung – betrifft ja, so Frau Harms letztens im Interview mit der Leipziger Volkszeitung, keinen einzigen Bürger, sondern nur böse böse – tja – Unmenschen eben.
Ref. http://www.heise.de/…massnahmen–/meldung/118181
Aber am Scanner müssen die Herren und Damen Parlamentarier jeden zweiten Tag selber vorbei – als EU-Parlamentarier sind die meisten von ihnen ja Vielflieger.
1984 is now, aber niemand regt sich auf.
Personen die heimlich egal zu welchem Zwecke in Wohnungen eindringen fallen nach meinem Begriff unter Einbrecher.
Für diese Klientel sind dann geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die diesen Personen das Geschäft vermiesen, wobei natürlich stufenweise vorgegangen wird, damit z.B. die Feuerwehr oder der Hausmeister (der wegen Wasserrohrbruch in die Wohnung muß) ungeschoren davon kommt. Bei anderen Personen nehme ich es dann auch in Kauf, das diese dann die Wohnung etwas lädiert verlassen…..
So könnte z.B. der Wohnraum mit Kamerabewegungsmelder (die per Web/Handy Bilder senden) abgesichert sein (1. Stufe), der Computer, Schränke (worin auch ein Hausmeister oder Feuerwehr nichts verloren hat) mit einer nichtpyrotechnischen (wegen SprengG und WaffG) Farbbombe ähnlich den Teilen die Banken verwenden (2. etwas heftigere Stufe).
3. Stufe wären dann taserähnliche Vorrichtungen z.B. geeignet aufgebaute Kondensatorbank….
Es gibt genügend andere Möglichkeiten Einbrechern das Leben und damit den Einbruch schwer zu machen und wenn Staatsbüttel Einbrecher spielen wollen, spiele ich gerne mit, schließlich bricht es sich mit gelockerter Muskulatur leichter ein (siehe http://www.sueddeutsche.de/…d/artikel/83/186494/)
bombjack
Ich schließe mich den VorschreiberInnen an und ergänze noch um ein klassisches Zitat von Marx:
„Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse.“
Liebe Anna Roth,
ich habe auch die Veranstaltung in Frankfurt besucht und fand besonders die Mischung aus Heiner Busch und Deiner Person besonders spannend. So wurden auf der einen Seite viele Hintergründe um das BKA vorgestellt als auch die konkreten Erfahrungen. In dieser Kombination erhält das Thema ein enormes Potential, weil oft erst über eine direkte Erfahrung wirklich gesellschaftlich relevante Bedeutung hergestellt wird.
Ihr habt das sehr gut gemacht, danke dafür.
MsG
Ich bin davon überzeugt, dass der Wirbel um die Nacktscanner ein willkommener Anlass für eine groß angelegte Alibi-Aktion der herrschenden Politik war. Man konnte auf einem Gebiet, dass der hinter den aktuellen steckenden Innenpolitik relativ schnurz war, Punkte sammeln und sich öffentlich als Privatsphärenschützer_innen präsentieren, genau als die Verabschiedung des BKA-Gesetzes bevor stand. Zurecht wurde hier bereits der Zusammenhang zur Äußerung der Frau Harms verwiesen. Die Bundesregierung konnte sich also gleichzeitig als unerbittlich gegenüber den Bösen und schützende Hand der Unbescholtenen darstellen.