In der Zeitschrift Surveillance & Society, Sonderausgabe zu Surveillance, Performance and New Media Art, 2/2010 erschien (englisch) Ein Trialog über Interventionen im Überwachungsraum: Seda Gürses im Gespräch mit Michelle Teran und Manu Luksch.
Seda Gürses ist Informatikerin, Michelle Teran und Manu Luksch sind Künstlerinnen. Sie unterhalten sich über ihre jeweilige Auseinandersetzung mit Überwachung, und ich möchte das ganz UNBEDINGT allen zum Lesen empfehlen, die sich auch nur im weitesten für das Thema interessieren. Es gibt viel mehr dazu als den trockenen aktivistischen deutschen Lobby-Politikansatz.
Sowohl Michelle Teran als auch Manu Luksch haben die Möglichkeit, Signale von Überwachungskameras aufzufangen, in verschiedenen Kunstprojekten umgesetzt – laange bevor das in Deutschland (in den Medien) bekannt und letztes Jahr ein paar Tage ein Skandal wurde.
Michelle Teran hat bspw. mit den Bildern einer Überwachungskamera in einer Autowaschanlage in Oslo ein Freiluftkinoevent an der Außenwand eben dieser Autowaschanlage organisiert, Popcorn inklusive (der Besitzer war nicht begeistert).
Sie hat letztes Jahr den Transmediale Award für ihr Projekt Buscando Al Sr. Goodbar gewonnen. Dabei hat sie eine Bustour zu den Orten der Aufnahme von YouTube-Clips in Murcia, Spanien organisiert und so die Leute, die die Clips gemacht haben mit denen in Kontakt gebracht, die die Clips sehen. Die Bewegung des Busses war über eine Google Earth Karte zu verfolgen.
Von Manu Luksch ist der Film Faceless (Gesichtslos), gedreht nach den Regeln des „Manifestos für Überwachungskamera-FilmemacherInnen„. Der ganze Film besteht ausschließlich aus Filmmaterial von Überwachungskameras. Die Idee basiert auf dem britischen Datenschutzgesetz von 1998, nachdem alle Menschen das Recht auf ihre Daten in jeglichen rechnergestützten Datensammlungen haben, inklusive Aufnahmen von Überwachungskameras. Die dürfen dann auch weiterverwendet werden, allerdings muss die Privatsphäre von Dritten geschützt werden: sie sind im Film ‚gesichtslos‘.
Im Trialog reden beide über ihre Arbeit, die Gedanken dahinter und ihre jeweilige Motivation, sich so mit Überwachung auseinanderzusetzen. Michelle Terans Interesse hat weniger mit Privatsphäre zu tun als etwa mit der Entfremdung der Menschen von ihren Daten, sobald es diese gibt: Die Aufnahme von mir in einer Überwachungskamera, etwa in der U-Bahn: bin das ich? Ist das etwas anderes? Wie ist mein Verhältnis dazu? Habe ich Daten-Doppelgänger? Vielleicht gibt es auch mehrere, manche von mir absichtlich geschaffen, andere außerhalb meiner Kontrolle.
Manu Luksch hat für ihren Film zwar keine Bilder selbst gedreht, aber sehr viel Zeit damit zugebracht, Aufnahmen von sich durch Überwachungskameras zu erhalten. Daraus ergibt sich z.B. die Frage: werden wir in Zukunft viel mehr Zeit mit dem Management unserer Daten verbringen?
Ein anderer Aspekt berührt die Macht über Daten. In dem Moment, in dem meine Daten anfangen zu existieren, jenseits meiner Person, habe ich nicht mehr allein die Kontrolle darüber, wie sie definiert werden – etwa die Interpretation eines Bildes. „Für mich war der Prozess des Einsammelns meiner Daten eine Begegnung mit der Macht der Sprache. Wer die Macht hat, definiert die Bedeutung (notion).“ (Manu Luksch)
Ein weiteres Thema ist unser Verhältnis zu unseren neuen digitalen Identitäten. Es stellt sich die Frage, ob es möglich ist, synchron mit unseren Daten-Alter-Egos zu sein, sowohl was die selbstgeschaffenen angeht als auch die, die in irgendwelchen Datenbanken entstehen.
Schließlich reden sie über das Verhältnis zwischen Kunst und Aktivismus und die Gefahr, dass ihre Arbeit so interpretiert werden könnte, dass Überwachung dafür auch nützlich ist.
Als Aktivistin finde ich Kunst nicht immer bequem, aber sie wirft wunderbar intelligente Fragen auf.
Und das ist ja auch eine sehr schöne Überleitung dazu, dass übernächste Woche in Berlin die Transmediale beginnt, die in der deutschen Netzpolitik mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte, denn sie hat viel mehr zu bieten als die zig Barcamps und Social-Media-Schnickschnacks.
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Cool. Hat man hier in D auch ein Recht auf die „eigenen“ Űberwachungskameradaten?
Wer nix Bőses tut hat ja auch nix zu verbergen :-), http://www.vdsetal.Wordpress.com
es gab doch mal eine kunstaktion, bei der eine stadtführung gemacht wurde, bei der über monitore auf einem mitgeführten beiwagen bilder der überwachungskameras zu sehen waren, die analog per funk übertragen haben. ich habe leider keinen link dazu und kann mich an keine namen mehr erinnern. könnte österreich gewesen sein.
ich suche auch schon länger nach einer verständlichen zusammenfassung der rechtlichen situation in deutschland.
.~.
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