Freunde und Helfer, unzufrieden

Bekanntermaßen bin ich keine übertriebene Freundin der Polizei. Nun haben Hamburger Polizisten einen „Brandbrief“ geschrieben, der finde ich lesenswert. Nicht zuletzt, weil er nur aus vier Sätzen besteht, von denen einer definitiv der längste ist, den ich kenne. Auch inhaltlich, auch wenn ich mich schwer tue mit der Idee, Polizeiarbeit effizienter zu gestalten.

In Sorge um die Polizei Hamburg

Wir äußern uns auf der Grundlage von mehrhundertjähriger Berufserfahrung in allen polizeilichen Funktionsbereichen, Dienstgraden und Laufbahnen der Polizei Hamburg.

Wir sind beschämt und bedauern, dass die derzeitigen Verhältnisse in der Polizei Hamburg es unzumutbar machen, unser Anliegen mit unserem Namen zu verbinden, weil Kritiker in dieser Polizei ihre Verwendung verlieren, ausgegrenzt und persönlich diffamiert werden.

Wenn es weder zu Nachdenklichkeit, zu Einsicht noch zu Selbstkritik – geschweige denn zu Änderungsbereitschaft – führt, wenn oberste Gerichte Entscheidungen und Handlungen der Behördenleitung und Polizeiführung mehrfach als verfassungswidrig bezeichnen (Videoüberwachung, Online-Durchsuchung, Kennzeichenlesegerät, Laufbahnverlaufsmodell) in Fortsetzung Schillscher Tradition mit einer Gewerkschaft und einem Berufsverband ein Kartell des Schweigens über Probleme der inneren Sicherheit und die Verfasstheit der Polizei besteht, in panischer Angst vor kritischer Berichterstattung der Medien kein Problem und kein Missstand intern mehr diskutiert wird und z.B. schwierige Großeinsätze aus dieser Angst heraus nicht mehr selbstkritisch nachbearbeitet werden, von Schill über Nagel bis Ahlhaus fragwürdige Machtkonzentration betrieben wird, die jede Form der kooperativen Führung zwar noch lehren lässt, sich aber nicht schämt, sie in der Polizei mit Füßen zu treten und Mitarbeiter und mittlere Vorgesetzte als widerspruchslose Befehlempfänger herabzuwürdigen, Amts- und Behördenleitung sich mehr Gedanken über die Beschaffung von Pferden, als über die Zukunftsfähigkeit der Polizei machen und nicht davor zurückschrecken, die Öffentlichkeit über die Kosten und die tatsächliche Nutzungsmöglichkeiten der Reiterstaffel zu täuschen, zu Zwecken der persönlichen Denkmalpflege ein Kriminalmuseum eingerichtet und ausgestattet werden soll, dass haushaltsrechtlich fraglich ist und mit den Sparzwängen im Haushalt nicht vereinbar ist, die Koalition die im Koalitionsvertrag vorgesehene Überprüfung der Schillschen/Nagelschen Organisationstrukturen dem parteipolitischen Machtgeschacher opfert, eine Regierungspartei die Polizei als ihr Eigentum betrachtet und behandelt und die andere Partei zwar über aber nicht mit der Polizei redet und im Übrigen keinen Anspruch auf Mitgestaltung erhebt, dann besteht Anlass zur Sorge um die Zukunftsfähigkeit der Polizei Hamburg, die Qualität der polizeilichen Arbeit und vor allem um die demokratische Werthaltung der Polizisten.

Wenn sich Bürger und Parlament nicht um diese Polizei kümmern, wird sie nicht so arbeiten, wie das von den Bürgern gewünscht wird und vom Gesetzgeber geboten ist. Wir warnen vor einem Rückfall in die Zustände der Zeit vor den siebziger Jahren und appellieren, die innerpolizeiliche demokratische Entwicklung der Folgejahre bis 2001 nicht weiter zu verspielen.

Veröffentlicht am 11. August in der Hamburger Morgenpost. Die Hervorhebungen sind von mir.

Wer sich für Hintergründe und die weitere Entwicklung interessiert, finde bei den Kritischen Polizisten mehr.

12 Gedanken zu „Freunde und Helfer, unzufrieden

  1. Zum Thema längster Satz:

    Das letzte Kapitel von James Joyce´ Ulysses besteht aus einem einzigen Bewusstseinsstrom. Literaturwissenschaftler haben versucht die 40 Seiten in Sätze einzuteilen. Sie sind auf 8 gekommen 🙂

  2. @Martin
    Die beste Unterstützung, die man ihen derzeit geben kann, ist wohl diesen Brandbrief in Absätz und Einzelsätze einteilen 😉

  3. … wobei ich finde, dass man schon eher über den Inhalt als über die Formalia des Satzbaus diskutieren sollte. Der Begriff der „Effizienz, der an einer Stelle fällt, ist natürlich in diesem Zusammenhang problematisch, wichtiger erscheint mir allerdings, dass die Polizisten darauf hinweisen, dass die Polizeiarbeit in Hamburg immer stärker in eine autoritär strukturierte Befehls- und Gehorsamsarbeit überführt wird. Was auf lange Sicht eine Demokratisierung des Prinzips Polizei eher verunmöglicht als befördert. Und worauf die Polizisten ebenfalls hinweisen: dass diese Verunmöglichung ja anscheinend politisch gewollt ist.

  4. Zum einen finde ich in diesem Text den Begriff „Effizienz“ nicht, sondern nur den Begriff „Qualität“.

    Zum anderen: Warum sollen Polizist/inn/en nicht effizient arbeiten dürfen? Es gibt da in meinem Gedächtnissammelsurium genug Punkte, wo die Arbeit für Polizist/inn/en frustrierend ineffizient ist. Selbst miterleben durfte ich z.B. das Aufnehmen einer Diebstahlsanzeige: Da wurden noch an der Schwelle zum 21. Jahrhundert Durchschreibformulare in museale Schreibmaschinen gespannt. Anderes Beispiel: Polizist/inn/en bringen private Mobiltelefone zum Dienst mit, weil die polizeiliche Funktechnik den Anforderungen nicht gewachsen ist. (Und wenn wie in Duisburg bei der Love Parade das Mobilfunknetz zusammenbricht, geht gar nichts mehr.)

    Die Bedenken, die in dem zitierten Aufruf geäußert werden, haben zudem eine ganz andere Stoßrichtung als „Effizienz“. Es geht um die Rückbindung von Polizeiarbeit an die Regeln und Normen einer demokratischen, republikanischen Gesellschaft.

  5. Ist der Brandbrief der, der auf der Seite der kritischen PolizistInnen als PDF verlinkt ist? Leider kann man auf deren Seite nicht kommentieren – da steht, der wäre vom 11. August 2008, aber das ist dort vermutlich ein Fehler? Ansonsten: Respekt, begrüßenswert!

  6. Mann muss wissen das die Polizei schamlos ausgenutzt wird um das Volk zu disziplinieren.
    Zum Beispiel.
    Jemand mit PKW Führerschein schleppt jemand ab. Im abgeschleppten Fahrzeug braucht der das Fahrzeug lenkt kein Führerschein sollte aber nüchtern sein. Das abgeschleppte Fahrzeug muss defekt sein. Fahren die beiden an der ersten Werkstatt vorbei ist es kein abschleppen mehr sondern schleppen. Zum schleppen braucht man aber ein LKW Führerschein. Wer den nicht hat fährt ohne gültigen Führerschein.
    Jeder sollte sich darüber seine eigene Gedanken machen.

    Sven
    P.S. Wenn sich das mit den CAPCHA nicht ändert werde ich diesen Blog meiden

  7. Might be without any regards to content:
    am I totally stupid or did no one notice that there are not four but five sentences?

  8. Pingback: Wenn Polizisten kritisieren, - haftgrund

  9. Pingback: i heart digital life » Schillsche Tradition

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