BGH: Überwachung im ersten mg-Verfahren war von Anfang an illegal

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt eine weitere Entscheidung zu den Ermittlungen gegen angebliche Mitglieder der ‚militanten gruppe‘ (mg) bekannt gemacht. Bei den drei Berlinern, die als erste beschuldigt
wurden (siehe gestern), führten nicht nur die Ermittlungen seit 2001 zu nichts und wurden dann 2008 eingestellt. Jetzt wurde höchstrichterlich festgestellt, dass die gesamte Überwachung illegal war.

Unten Updates – die Presseschau

Aus der Pressemitteilung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV):

Nach Ansicht der Richter bestand bereits bei Eröffnung des Verfahrens kein ausreichender „einfacher Tatverdacht“. Das Verfahren gründete auf Verdächtigungen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), welches nach drei Jahren eigener Überwachungstätigkeit allerdings nur „allgemeine Erkenntnisse über politische Orientierungen“ der Beschuldigten erlangt hatte, wie der BGH jetzt feststellen musste.

Außerdem stellte der Bundesgerichtshof fest, dass der Generalbundesanwalt in seinen Anträgen an den Ermittlungsrichter entlastende Informationen zurückgehalten hatte.

Der BGH-Beschluss vom 11. März, zum Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von
Ermittlungsmaßnahmen.

Ich würde mich freuen, wenn sich möglichst viele auch diesen Fall erinnern, wenn die Medien mal wieder spektakuläre ‚harte Schläge‘ gegen die linksterroristische /-extremistische etc. Szene präsentieren. In diesem Fall hat es fast zehn Jahre gedauert und viel harte (un- und unterbezahlte) Arbeit gekostet, um zu diesem Ergebnis zu kommen. In aller Regel fallen die Berichte darüber, dass die Terroristen eher auf der Behördenseite zu finden sind, nämlich unauffälliger aus.

Die taz beschäftigt sich in der Samstagsausgabe mit dem Beschluss: Überwachung war rechtswidrig. Linke illegal ausgeforscht.

Jahrelang hat das Bundeskriminalamt (BKA) drei Berliner aus der linksradikalen Szene illegal überwacht. Die Beamten hörten Telefone und Handys ab, überwachten Kontodaten, filmten Hauseingänge, forschten E-Mails aus und brachten GPS-Peilsender an Autos an. Sie dachten, sie hätten ganz dicke Fische an der Angel: ..

Das Fazit des Bundesgerichtshofs fällt vernichtend aus. „Zu keinem Zeitpunkt“ habe ein ausreichender Tatverdacht bestanden. Anders ausgedrückt: Die Terroristenjäger aus Wiesbaden und Karlsruhe sind weit übers Ziel hinausgeschossen.

Interessant finde ich das Detail, dass der BGH u.a. einigermaßen angefasst moniert, dass dem Ermittlungsrichter zwar der Verdacht vorgelegt wurde, die drei könnten Verfasser von mg-Texten sein, nicht aber das eigens erstellte linguistische Gutachten, dass das nicht bestätigt. Das gleiche gibt es nämlich im weiterhin laufenden Ermittlungsverfahren gegen Andrej.

Auch der heute erschienene ak (analyse & kritik. zeitung für linke debatte und praxis) berichtet, allerdings nur in der Printausgabe:

Da es nichts mehr kostete, ging der BGH mit BKA und VS hart ins Gericht: Auch „bei Berücksichtigung des den anordnenden Stellen zustehenden Beurteilungsspielraums“ hätten die Überwachungsmaßnahmen „nicht gestattet werden dürfen“. Trotz „operativer Maßnahmen“ gegen die Libertad!-Aktivisten habe der VS nichts geliefert, „was wesentlich über allgemeine Erkenntnisse über deren politische Orientierung hinausgeht“. „Konkrete Anhaltspunkte“ für seine „Erkenntnisse“, die drei seien Mitglieder der mg, habe er nicht liefern können, ebenso wenig plausible Erklärungen für diese Einschätzung.

In Richtung BKA heißt es, es deute viel darauf hin, „dass Grund für die strafrechtliche Verfolgung … nicht die Verdichtung eines … bestehenden Verdachts gewesen sein könnte, konkrete Straftaten begangen zu haben, sondern die Annahme von Polizei- und/oder Verfassungsschutzbehörden, die Gefahrenlage habe sich erhöht“. Dabei sei, schrieb der BGH dem BKA ins Stammbuch, „die präventive Gefahrenabwehr“ nicht seine Aufgabe und dürfe schon gar nicht durch Ermittlungen auf Grundlage der Strafprozessordnung durchgeführt werden.

Die Frankfurter Rundschau, die einen der Beschuldigten ausführlich vorstellt, denkt positiv:

Die Rundum-Bespitzelung hatte für U., F. und H. aber auch ihr Gutes: Für etliche mg-Brandanschläge in den Jahren 2001 bis 2007 scheiden sie als Täter zweifelsfrei aus. Ihre Überwacher waren in all diesen Fällen Zeugen dafür, dass sie zur Tatzeit woanders waren. So schnell aber gaben die Ermittler nicht klein bei.

(Der gleiche Artikel erschien in der Berliner Zeitung)

Der Berg kreißte und gebar eine weitere Maus.

Updates – die Presseschau:

Pressemitteilungen

19.6.

20.6.

21.6.

  • Spiegel (nur Print): Richter rügen Bundesanwaltschaft

 

6 Gedanken zu „BGH: Überwachung im ersten mg-Verfahren war von Anfang an illegal

  1. Das erstaunlichste ist doch an diesem Urteil, dass das BGH seine eigene Praxis als rechtswidrig beurteilt. Immerhin war der Ermittlungsrichter, der die Überwachung immer wieder genehmigt hat, doch auch vom BGH! Gabs so was je schon mal?

  2. Auch Mainstream Medien wie der SWR3 (großer öffentlich-rechtlicher Radiosender in BaWü) berichten über diese Entscheidung. Kam gerade in den 21-Uhr-Nachrichten.

  3. Jetzt wird auch klar warum man die Vorratsdatenspeicherung haben will. Da kann man solange suchen bis was gefunden wird.
    Die Leute von Libertad! müssen doch Rechtsschafende Bürger sein. Nach so vielen Jahren Beobachtung nichts gefunden, alle Achtung. Was man von den Ermittlern nicht sagen kann.

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