Der Begriff "Extremismus" ist dabei, in der deutschen Öffentlichkeit dem Begriff "Terrorismus" den Rang abzulaufen – ein Blick in die Google News reicht, um das zu erkennen. Das ist u.a. das Verdienst einer Frau, die sich sittsam und brav gerade den Namen von Köhler in Schröder hat wechseln lassen und unsere Familienministerin ist (auch Frauen-, Senioren- und Jugendministerin). Ehemals war sie Extremismus-Expertin der CDU. Über sie werden wir uns sicher alle noch viel freuen.
Drei frische Artikel, die sich auch mit den politischen Implikationen dieses Schwenks beschäftigen:
Zeit online: Applaus von rechts für Kristina Köhler
Darin wird nicht nur beschrieben, dass es von rechtsextremer Seite Zustimmung für ihre politische Linie gibt, sondern im Detail, dass sie sich mehrfach nach rechtsaußen nicht abgrenzt.
Womit hat Köhler das verdient? Unter anderem damit, dass sie als
Extremismus-Beauftragte der Unionsfraktion im Bundestag seit 2002
konsequent über Bedrohungen durch Linke, Islamisten und angebliche
Deutschenhasser sprach. Über Rechtsextremismus verlor sie selbst dann
kaum ein Wort, als in ihrer Heimat Hessen Neonazis ein Mädchen fast
totschlugen wie 2008 im Schwalm-Eder-Kreis oder in Scharen durch die
Straßen zogen wie 2007 in Frankfurt. Wenn doch, betonte sie, die meisten
rechten Straftaten seien bloß "Hakenkreuzschmierereien".
Seit 1993 starben aufgrund rechter Gewalt nach offizieller Zählung mehr
als 140 Menschen – Todesopfer linker oder islamistischer Gewalt sind in
Deutschland bislang nicht bekannt. Köhler aber glaubt, das sagte sie zum
Beispiel Anfang 2009 der Jerusalem Post, deutsche
Wissenschaftler überschätzten die Bedrohung durch Rechtsextreme: Die
Kurzform "rechts" hält sie für linke Propaganda.
Und Pfarrer Hans Christoph Stoodt von der Anti-Nazi-Koordination
Frankfurt erinnert sich an einen Auftritt Köhlers im Hessen-Fernsehen,
als es um den Neubau einer Moschee in Wiesbaden ging. Köhler und ein
junger Mann im Publikum hätten sich "argumentativ die Bälle zugespielt",
erzählt Stoodt. Der junge Mann, Mario Matthes, war schon damals eine
zentrale Figur der regionalen Neonazi-Szene, Köhler laut Stoodt aber
"offenbar unbekannt". Heute ist er Vizechef der NPD Hessen und wegen
schwerer Körperverletzung gegen einen Andersdenkenden zu einer
Bewährungsstrafe verurteilt.
Wenn schon DIE ZEIT – insgesamt politisch sehr mittig angesiedelt – so deutlich suggeriert, Kristina Schröder hätte gefährliche Nähe zu Rechtsextremen, ist es wohl ernst.
Der Freitag, deutlich weiter links, guckt sich in Politisches Nullsummenspiel an, was sie genau im Kampf gegen Linksextremismus und Islamismus vor hat:
„Es ist doch selbstverständlich, dass wir gegen alle Feinde unserer
freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorgehen“, sagte sie anlässlich
der Beratungen für den Etat ihres Hauses im Bundestag, „es gibt keine
guten Extremisten.“
Dieses Jahr sollen die Gelder für Programme gegen Rechtsextremismus noch nicht gekürzt werden, aber 2011 sieht das dann wohl schon anders aus. Das Innenministerium geht in dieselbe Richtung. Das Programm zur „Förderung von Projekten gegen Rechtsextremismus in den neuen
Bundesländern“ wird im Haushalt 2011 „Förderung von Projekten für demokratische Teilhabe und gegen
Extremismus in Ostdeutschland“ heißen.
Außerdem analysieren im Freitag Alex Demirovic,
Politik-Professor, und Paulina Bader, Politik-Studentin, den
Extremismus-Diskurs: Das
Fürchten gelehrt. Das Extremismus-Schema, das die Demokratie schützen
soll,
erweist sich als demokratiegefährdend
In Deutschland wird die Konstruktion der politischen Normalverteilung
uneinsichtig immer wieder verwendet. Die Mitte inszeniert sich als
demokratisch und politisch korrekt, die Bedrohung der Demokratie gehe
von den Seiten zur linken und zur rechten aus, gleichsam gerecht müssten
beide abweichenden Strömungen bekämpft werden.Allerdings gibt es
historisch allen Grund, es anders zu betrachten.
Im Oktober, als sie noch nicht ganz Ministerin geworden war, war Kristina Köhler bei Hart aber Fair in einer insgesamt ziemlich unsäglichen Sendung zu den rassistischen Äußerungen von Sarrazin eingeladen (hier online zum Angucken). Frau Köhler/Schröder macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Ich würde sagen, sie war ungefähr so diplomatisch wie Herr Westerwelle gerade gegenüber Hartz IV-EmpfängerInnen: es weht ein rauher Wind.
Die Artikel sind mir auch positiv aufgefallen. Demirović (ein Vertreter der Kritischen Theorie) scheibt auch sonst sehr lesenswerte Sachen.
Es ist aber erschreckend, dass derart krude Ansichten wie die Extremismustheorie jetzt auch in einer Bundesregierung Platz finden.
Es gibt inzwischen auch einen Aufruf „Gemeinsam gegen jeden Extremismus? Nicht mit uns!“, in dem dazu aufgefordert wird, sich endgültig vom Extremismusansatz zu verabschieden: http://inex.blogsport.de
Aufgrund des ersten Ansatz kam mir grade folgendes in den Kopf:
Wir müssen echt aufpassen, bzw. Angst haben, dass es nicht wirklich passiert, dass Extremismus mit Terrorismus gleichgesetzt wird…
erinnert mich in ton und bewusster ausblendung schon sehr an die ära strauß. traurig.
Pingback: asynchron
Nur lose dem Thema, über die Hauptperson, verbunden: Dissertationsschwindel? http://www.forschungsmafia.de/…ndankbaren-ossis/
Dieses Mantra „wir müssen sowohl gegen rechts-, als auch gegen links- …“ hat mich auch eine Zeit gut geblufft. Man meint es gäbe da eine Symetrie, und aus Gründen der Gerechtigkeit müsse hier wie dort gleichermaßen vorgegangen werden.
Aber das ist natürlich Unfug. Es muß gegen Gefahren vorgegangen werden, d.h. man muß sich an der Schwere und Häufigkeit von Vergehen orientieren, wenn man neutral sein will.
Sonst ist es ein Deal – die weniger extremen Rechten fordern die Verfolgung der extremen Linken, und die weniger extremen Linken die Verfolgung der extremen Rechten.
Was völlig vergessen wird ist der Extremismus der Mitte, die fundamentalistischen Marktliberalen, aber bei unmittelbaren Gewalttaten lassen sich diese Zerstörer auch nicht erwischen, deren Anschläge äußern sich als Sachzwang, als ökonomische Lage, als Gesetz.