Für’s Leben lernen: die Berliner Schüler-Datei

Zwei Meldungen zum gleichen Thema, schön getwittert von Spreeblick:

Schneeballschlacht gegen Minderjährige verloren. Polizei geholt: Terrorverdacht. #werzuletztlacht

Schüler IDBerlin hat tatsächlich am Donnerstag die Schülerdatei beschlossen. Und parallel dazu gibt es lauter gehässige Meldungen darüber, wie unglaublich es ist, dass der Verfassungsschutz jetzt auch Kinder überwachen soll, wenn’s nach der CDU geht. Das schönste Zitat dazu kommt aus der FDP:

"Ich habe das Gefühl, für die Sicherheitsbehörden ist die Verfassung etwas, das man überwinden muss, statt sie zu schützen."

Gegen die Berliner Schülerdatei gab es vorher soviel Protest, dass ich eigentlich angenommen hatte, dass das mit einer rot-roten Regierung vielleicht doch auch anders hätte ausgehen können. Naja. 

Sehr pampig die erste Reaktion von Frank Rieger (CCC):

Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat heute überraschend die Einführung der Schülerdatei für Berlin beschlossen. Eigentlich sah es in der Ausschussanhörung ganz anders aus, der Thema schien soweit vom Tisch. Offenbar war aber mal wieder Verlass auf das Umfallen von SPD und Linken. Angesichts der Datenverbrechenskandale der letzten Monate ist es ganz klar nur eine Frage der Zeit, bis Datenbestände aus der Schülerdatei verloren gehen und mißbraucht werden.

Worum geht’s? Laut Safer-Privacy sieht der Gesetzentwurf vor

zu Verwaltungszwecken berlinweit eine Reihe von personenbezogenen Daten
in einem automatisierten System zu erfassen und zu speichern. Das
betrifft nicht nur Namen von Schülern, Geburtsdatum und -ort,
Geschlecht und Anschrift, sondern auch Namen, Adressen und
Telefonnummern der Erziehungsberechtigten. Auch Name, Anschrift und
Nummer der Schule sollen in das Dossier, dazu Klasse, Lerngruppe und
Jahrgangsstufe. Nicht zu vergessen, in welcher Weise der Delinquent der
Schulpflicht nachkommt, Aufnahme- und Abgangsdatum, Bildungsgang
einschließlich Abschluss. Hinzu kommen die Teilnahme an der ärztlichen
Schuleingangsuntersuchung, Art und Umfang außerunterrichtlicher
Förderung und Betreuung, nichtdeutsche Herkunftssprache, inwieweit der
Schüler zur Zahlung von Lernmitteln verpflichtet ist, Details zum
sonderpädagogischen Förderbedarf, Angaben zum beruflichen Bildungsweg.

Ich muss sagen, mir reicht eigentlich das Ausmaß an Überwachung, das
wir derzeit abkriegen. Dass jetzt noch diese spezifische ‚Kleinigkeit‘
für unsere Kinder dazu kommt, wäre ja nicht wirklich nötig gewesen.Der CCC ruft zum Boykott auf (Safer Privacy auch):

Detaillierte personenbezogene Informationen über alle Kinder im
schulpflichtigen Alter sollen erhoben, zentral verarbeitet und
abfragbar gemacht werden – natürlich mit umfangreichem Zugriff für
Polizei und andere "Sicherheits"-Behörden. Die Datenskandale der
letzten Monate haben deutlich gezeigt, dass es nur eine Frage der Zeit
ist, bis sensible Informationen aus der Schülerdatei verlorengehen und
von Kriminellen missbraucht werden. Der Chaos Computer Club (CCC) ruft
daher alle Eltern zum Boykott der Erfassung ihrer Kinder auf, um sie
vor Datenverbrechern zu schützen.

Sie sollten den Direktoren bzw. Schulträgern der Schulen ihrer Kinder
umgehend die Weitergabe der Daten untersagen. Dazu genügt ein formloses
Schreiben.

Schüler IDVon der Humanistischen Union gibt es auch eine sehr differenzierte Stellungnahme (pdf). Der entnehme ich, dass alle SchülerInnen eine Nummer bekommen. Ganz wunderbare Idee. Die Kritikpunkte der HU:

  • Der Gesetzentwurf vermischt schulorganisatorische und polizeiliche Zielsetzungen. Dies erschwert einen konsistenten Datenschutz für die Schülerdatei, widerspricht dem Prinzip der Datensparsamkeit und birgt so die Gefahr einer späteren (gesetzlichen) Umwidmung der Schülerdaten.
  • Das an den Berliner Schulen vorhandene Niveau des Systemdatenschutzes reicht nicht aus, um den besonderen Missbrauchsgefahren einer so sensiblen Datensammlung wie der Schülerdatei vorzubeugen. Vor der Einführung der Schülerdatei sollte der Gesetzgeber deshalb die organisatorischen und technischen Voraussetzungen für einen hinreichenden Schutz der Schülerdaten schaffen.
  • Die vorgeschlagene Evaluation des Gesetzes ist nicht geeignet, um möglichen datenschutzrechtlichen oder anderen Problemen in der Anwendung der Schülerdatei wirksam zu begegnen.
  • Bei einigen in der Schülerdatei zu erfassenden Daten bestehen Zweifel daran, ob diese geeignet sind, die gewünschte Verbesserung der Schulorganisation zu erzielen. Eine grundsätzliche Befristung des Gesetzes erscheint sinnvoll. 

Es gibt eine Arbeitsgruppe des AK Vorrat das Aktionsbündnis gegen die Schülerdatei dazu, mehr dazu unter http://www.schuelerdatei-berlin.de/, und beim AK Vorrat. (Danke für den Hinweis)

Zu meiner Überraschung habe ich festgestellt, dass das Berliner Abgeordnetenhaus über die hochmoderne Einrichtung eines "Life-Tickers"
zu den Sitzungen des Abgeordnetenhauses verfügt. Im Ticker zu
Donnerstag finden sich Links zu allen Dokumenten – dem verabschiedeten Gesetzentwurf (pdf) und sämtlichen Änderungsanträgen. Für alle, die’s gern genau haben.

108 Ja-Stimmen / 33 Nein-Stimmen / 1 Enthaltung

Halleluja.

(Bilder: AG Schüler ID des AK Vorrat)

7 Gedanken zu „Für’s Leben lernen: die Berliner Schüler-Datei

  1. Wer pflegt die ganzen Daten denn letztendlich ein? Können sich da die Lehrer nicht weigern, oder mit „Ups, eine Falscheingabe“ bei Name, Adresse, Modus Operandi,… das Ganze ad absurdum führen. Oder will man da seine Verbeamtung nicht gefährden?

  2. Bei der Diskussion über die Schüler_innen-Datei sollte die antirassistische Perspektive nicht zu kurz kommen. Illegalisierte Kinder und ihre Eltern werden durch die Datenerfassung vor die Wahl gestellt, entweder auf ihr Grundrecht auf Bildung zu verzichten oder die Gefahr einer „Entdeckung“ und Abschiebung in Kauf zu nehmen. In der Praxis wird so das Grundrecht auf Bildung von einem legalen Aufenthalt abhängig gemacht – ohne Aufenthaltstitel keine (Schul-)Bildung. Die Erfahrungen mit der Schüler_innen-Datei in Hamburg (http://www.gew.de/…_erfasst_auch_Statuslose.html) haben gezeigt, dass dies keineswegs leere Befürchtungen sind.
    Siehe auch die Stellungsnahme vom Berliner Flüchtlingsrat: http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/…hp?sid=424

  3. Bei der Diskussion über die Schüler_innen-Datei sollte die antirassistische Perspektive nicht zu kurz kommen. Illegalisierte Kinder und ihre Eltern werden durch die Datenerfassung vor die Wahl gestellt, entweder auf ihr Grundrecht auf Bildung zu verzichten oder die Gefahr einer „Entdeckung“ und Abschiebung in Kauf zu nehmen. In der Praxis wird so das Grundrecht auf Bildung von einem legalen Aufenthalt abhängig gemacht – ohne Aufenthaltstitel keine (Schul-)Bildung. Die Erfahrungen mit der Schüler_innen-Datei in Hamburg (http://www.gew.de/…_erfasst_auch_Statuslose.html) haben gezeigt, dass dies keineswegs leere Befürchtungen sind.
    Siehe auch die Stellungsnahme vom Berliner Flüchtlingsrat: http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/…hp?sid=424

  4. kleiner hinweis:
    der link zur AK Vorrat-AG ist zwar soweit korrekt, allerdings wurde sowohl diese wiki-seite vom Aktionsbündnis gegen die Schülerdatei genutzt, als auch die entsüprechende AG darin aufgegangen ist. Beteiligt waren außerdem u.a. JungdemokratINNen/Junge Linke, Junge Presse Berlin, LandesSchüler_innenVertretung Berlin, SchülerInnen-Initiative „Bildungslockaden einreißen!“, AK Vorrat OG Berlin usw. usf. siehe http://www.schuelerdatei-berlin.de

  5. Nicht zu vergessen: Das elterliche Einkommen wird auch abgefragt. Damit sind alle Daten vorhanden, damit weiterführende Schulen in Zukunft ihre Schüler wunderbar nach ethnischen, kulturellen, monetären etc. Kriterien aussuchen können. Nach der Trennung der Schüler in religiöse Gruppen („Pro-Reli“) kommt dann die totale Segregation. Ebenso können die „Sicherheitsbehörden“ dann maßgeschneiderte Repressionsmaßnahmen ganz nach sozialem Status anwenden. Traurig, das alles… aber die Schüler sollen wahrscheinlich früh auf die gesellschaftliche Realität gewöhnt werden: Manche sind eben gleicher als andere.

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