Schön, dass das auch mal wieder jemand sagt. Köhler (Bundespräsident) findet den Stand der Dinge offenbar ausreichend alarmierend, um darauf hinzuweisen.
Bundespräsidenten haben ja anscheinend die Eigenart, mit dem Job nach und nach zu einer Art harmlosem Weihnachtsmann zu mutieren, wie auch sonst PolitikerInnen, wenn sie sich aus der Frontline zurückziehen. Geißler oder Blüm fand ich da sehr bemerkenswert. Plötzlich werden sie Gutmenschen, die stetig darauf hinweisen, dass wir die armen schwarzen Kinder in der Wüste nicht vergessen dürfen. Was grundsätzlich ja sogar stimmt, aber schöner wäre, wenn sie die Erkenntnis gehabt hätten, als sie noch die Macht hatten, etwas zu ändern. Ob der Fehler im System steckt? Genauso, wie sich aktuell viele fassungslos fragen, was wohl in den Leuten vorgeht, die Andrej so akribisch zum Terroristen machen wollen, frage ich mich, was genau in PolitikerInnenn vorgeht, die diese Häutungen erleben.
Anyway: Köhler sprach seiner Funktion angemessen mit der FAZ und hofft auf Läuterung der Koalition, denn:
Ich habe großen Respekt vor der Arbeit von Wolfgang Schäuble, der in
Zeiten des Terrorismus für die innere Sicherheit zuständig ist. Die
Bedrohungslage hat sich zweifelsohne verschärft. Und der technische
Fortschritt verschafft den Feinden unserer Gesellschaftsordnung neue
Kommunikationsmittel. Terroristen kennen keine Regeln. Ihnen ist jedes
Mittel recht. Heißt das, der demokratische Staat muss sich auf die
Ebene der Terroristen begeben, um sie wirksam bekämpfen zu können?
Schauen Sie: Amerika ist und bleibt für mich der Hort der Freiheit in
der Welt, und doch scheint mir, unseren amerikanischen Freunden ist im
Kampf gegen den Terrorismus etwas Wichtiges von sich selbst verloren
gegangen. Da brauchen sie unsere Unterstützung und unser Verständnis
dafür, wie tief sie der 11. September getroffen hat, und wir sollten
beides einbringen; nicht nur, weil wir in der westlichen
Wertegemeinschaft aneinander gebunden sind, sondern auch aus
Freundschaft. Gerade die Ursprünge dieser Freundschaft und unsere
vorangegangene schlimme Geschichte und ihre Aufarbeitung sind es doch,
die uns sensibel machen gegen Willkür und Regellosigkeit.In
den siebziger und achtziger Jahren ist die Debatte über das
Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit schärfer geführt worden
als heute.Damals ging es vor allem um den RAF-Terrorismus,
und ich erinnere mich an den einen oder anderen Vorschlag, der weit
über das Ziel hinausging. Der Rechtsstaat hat diese Bewährungsprobe
bestanden. Daran sollten wir uns erinnern.Aus Ihren
Äußerungen spricht die Sorge, dass es beim Kampf gegen den Terrorismus
zu Grenzüberschreitungen kommen könnte. An wem ist es, sie zu
verhindern?An uns allen. Und eine große Koalition aus beiden
Volksparteien hat die große Chance, beim Thema „Innere Sicherheit“ mit
einer Stimme zu sprechen. Gerade in diesem Bereich muss es um die Sache
gehen. Die Grenze dessen, was wir einsetzen wollen, zieht unumstößlich
Artikel 1 des Grundgesetzes, der auch auf Terroristen angewendet werden
muss: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Auch die FAZ hat mittlerweile eine Kommentarfunktion, übrigens!
Passend dazu ein Bericht in der taz, das sich auch mit dem Thema Würde beschäftigt. Viele Menschen sind und waren entsetzt, wenn ich etwa davon erzähle, wie wenig Rücksicht seitens des BKA zum Beispiel auf unsere Kinder genommen wird. Ich glaube, dass es unseren Kindern noch vergleichsweise gut gegangen ist angesichts der wenigen Berichte darüber, wie Kinder von Flüchtlingen hierzulande behandelt werden:
"Schrecklich entwürdigend"Madina H. weiß nicht mehr weiter. In den letzten
Tagen ist sie nervös, gereizt, depressiv. Nachts muss sie weinen.
"Durch diese Abschiebung habe ich den Krieg vergessen", lautet das
ernüchternde Urteil der 36-jährigen Tschetschenin.Seit sechs Wochen wohnt sie mit ihrem Mann und
ihren drei Kindern in einem Flüchtlingsheim nahe Warschau. Im selben
Zimmer ist ein Ehepaar mit drei Kindern untergebracht sowie eine
weitere Frau mit drei Kindern. Nur ein Vorhang trennt das Zimmer vom
Flur ab. Heißes Wasser gibt es nur für zwei Stunden am Tag, deswegen
kann sich Madina H. nur alle zwei, drei Tage waschen. Sohn Adam isst
kaum noch, hustet ständig und schlägt oft mit der Faust gegen die Wand.
Aus dem Zimmer traut er sich nur, wenn der Vater nach draußen zum
Rauchen geht. Der sieben Monate alte Säugling Aischat ist stark
erkältet. Weil für ihn keine Geburtsurkunde vorliegt, weigern sich die
Ärzte, ihn zu behandeln. (…)Am frühen Morgen, die Familie schläft noch,
dringen Polizisten in das Asylbewerberheim in der Spandauer
Motardstraße ein. Vor den Augen der Kinder legen die Polizisten dem
Vater Handschellen an. Solche Szenen kennen die Kinder aus
Tschetschenien. In blaue Müllbeutel packen die Beamten die Habe der
Familie. Sohn Adam schreit, läuft rot an und versteckt sich. Zuerst
will er nicht mitgehen, als er dann aber sieht, dass alle gehen, kommt
er doch mit. "Wenn ich das beschreibe, wird mir selber ganz elend",
sagt Valid D.Immer wieder halten die Eltern den Polizisten
ein Attest für die Kinder vor, das von einer Kinderärztin ausgestellt
worden ist – doch vergebens. Die sechsjährige Tochter Hava ist erkältet
und muss sich im Polizeiauto übergeben. Säugling Aischat und der
siebenjährige Adam sind ebenfalls erkältet. Beide nehmen Antibiotika.
Adam leidet außerdem an einer posttraumatischen Belastungsstörung und
wurde im Behandlungszentrum für Folteropfer in Berlin behandelt.Das Attest für Adam habe dem Bundesamt seit
Monaten vorgelegen, sagt Anwältin Behrens. Schuld am Trauma von Adam
seien die Erlebnisse in Tschetschenien: Mehrmals habe die Familie
Hausdurchsuchungen miterlebt. Wegen seiner Gegnerschaft zur
russlandtreuen Regierung Kadyrow in Tschetschenien sei der Vater
verfolgt worden. (…)Auf der Fahrt zur Grenze weinen und husten die
Kinder. Dort angekommen, müssen die fünf in eine kalte Zelle und werden
von Beamten verhört. In einem Schnellgerichtsverfahren werden sie ohne
Beisein eines Anwalts wegen illegaler Ausreise verurteilt. "Ich habe
nicht verstanden, dass das eine Gerichtsverhandlung war; das habe ich
erst verstanden, als man gesagt hat, dass wir zwei Jahre auf Bewährung
bekommen haben", so Valid D.Anschließend wird die Familie in einen Zug nach
Warschau gesetzt, ohne dass ihnen gesagt wird, wohin sie gehen sollen.
Mit den letzten 120 Euro kaufen sie die Fahrkarten. Am späten Abend
kommen sie in Warschau an – ohne den ganzen Tag etwas zu essen oder zu
trinken bekommen zu haben. Um Mitternacht stehen sie bargeldlos am
Bahnhof; wo sie übernachten können, wissen sie nicht, denn zum 60
Kilometer entfernten Flüchtlingsheim fährt kein Bus mehr.