Von Düsseldorf hatten wir nie geträumt

Es gibt einen Räumungstermin für den Schokoladen. Ein Club, ein Theater, Ateliers, Studio, Wohnungen in einem der letzten unsanierten Häuser in Alt-Mitte, Ostberlin. Seit Jahren bedroht. Jetzt endgültig gekündigt. Der Gerichtsvollzieher kommt am 22. Februar, 9 Uhr. Am 21. 2. um 17:30 wird demonstriert.

Der Schokoladen ist ein gutes Beispiel dafür, warum in Mitte und Prenzlauer Berg nicht Schwaben und Latte-Macchiato-Muttis das Problem sind, auch wenn die das gern glauben.

Es geht um was ganz anderes. Um ein Lebensgefühl, um Atmosphäre, Gerüche. Menschen. Auch um ein Land, dass es nicht mehr gibt. Gehässige Weihnachtsplakate gab es nicht aus Hass auf irgendwen, sondern weil die einen für ein paar Tage in ihre Vergangenheit zurückfahren konnten. Und an den restlichen Tagen daran beteiligt waren, die Vergangenheit der anderen zu schreddern. Nicht aktiv, nicht bewusst, aber eben Teil davon. Und die anderen konnten das nicht – weil es ihre Vergangenheit nicht mehr gibt.

Wer ein bisschen von dieser Vergangenheit verstehen will, könnte dieses Buch lesen: Ulrike Steglich: Universum Ackerstraße.

Ulrike Steglich: Universum AckerstraßeEine wundervolle Sammlung von Geschichten, viele davon zuerst im Scheinschlag (bzw. der Beilage stadt.plan.mitte) erschienen, einer Zeitung, die es auch nicht mehr gibt.

Sie gingen zusammen zu dem alten Haus in der Ackerstraße, in dem Ulrike wohnte. Die Wohnung war im fünften Stock, es gab kein Telefon und kein Bad, dafür anderthalb Zimmer mit Kachelofen und zwei alten Fenstern, in denen im Winter die Eisblumen blühten und die einen wunderbaren Blick über die Dächer der Ackerstraße boten. Es gab alte Dielen, einen kaputten Stuhl, der einmal direkt unter der Baustadträtin von Mitte zusammengebrochen war; es gab eine Küche mit einer Duschkabine und ein Klo eine halbe Treppe tiefer, das Ulrike mit ihren Nachbarn teilte, wie das eben in den alten Häusern so war. (Pauls Besuch in der Ackerstraße)

 

Es war eine seltsame Zeit. Voller Verluste – und voller Geschenke, wie Martin von Halems Bar »Odessa« in der schmalen Steinstraße. Im Winter saßen wir oft in diesem ganz besonderen kleinen Raum im Souterrain und redeten, an Sommerabenden saßen wir mit Freunden im kleinen Gärtchen gegenüber, das Martin auf einer Brache improvisiert hatte. Dort, wo Martin seinen Garten hatte, wächst nun ein Rohbau in die Höhe. Ein Schild verheißt Eigentumswohnungen, flexible Grundrisse, prima für Familien.

Das Viertel, in dem ich einmal zu Hause war, ist fremd geworden. Es gehört nun anderen. Und spätestens, als ich zum ersten Mal die frisch renovierten Rosenhöfe sah, dort, wo es noch nie irgendwelche Rosenhöfe gegeben hatte, sondern nur Altbauten mit unspektakulärer Fassade  – als ich diesen verschnörkelten, goldverzierten Albtraum in Altrosa und Türkis sah, fand ich die Sache nur noch albern und habe mich innerlich verabschiedet. Kurz zuvor war ich in Düsseldorf, und das hier sah verdammt danach aus.

Von Düsseldorf hatten wir nie geträumt. (Zwischenland)

Es gibt auch ein Kapitel über den Club der polnischen Versager. Und eins über die Geschichte der Ampel über die Invalidenstraße, und eins über das verschwundene Karpfenbecken in der Ackerhalle.

Wenn der Schokoladen verschwindet, werden wieder welche sagen, das sei ganz normal, so sei das eben mit den Clubs. Sie sind nicht für die Ewigkeit. Das stimmt. Aber wenn der Schokoladen verschwindet, verschwindet viel mehr als ein Club: ein Stück Geschichte, das die Stadt braucht, ein Refugium für die, die noch da sind und ein Ort für Kreativität, die auch 50 Jette-Joop-Läden nicht wettmachen können.

Auch dazu: Liebig 14, Schokoladen und die Neuordnung der Innenstadt

Noch schöner ist ja der Hausverteidigungsroboter.

Und schließlich noch ein bisschen ernsthafter: Abendschau über Schokoladen

3 Gedanken zu „Von Düsseldorf hatten wir nie geträumt

  1. tolle literaturempfehlung! ich hab das buch gerade gelesen und kann es nur und uneingeschränkt empfehlen…

  2. Danke…

    Das Buch hab ich mir bestellt. Den Schokoladen hab ich gemocht – wie die z.bar und das Klub der Republik und und und…
    🙁

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