Moe Hierlmeier ist tot. Er ist letzten Freitag an einem Herzinfarkt gestorben. Es macht mich traurig. Persönlich und auch, weil uns politisch jemand verloren gegangen ist, der wichtig war. Ich habe Moe im Rahmen des Buko (jetzt: der Buko) kennengelernt, als unglaublich witzigen, lebenslustigen und klugen Menschen. Menschen wie ihn brauchen wir so dringend, um nicht zu vergessen, dass es eine Alternative gibt zwischen dem Aufgeben vor den scheinbar nicht zu ändernden Verhältnissen und dem Sich-Verlieren in vor allem mit sich selbst beschäftigten politischen Blasen. Moe hat mir mal erzählt, dass er Hauptschullehrer war, gern und aus Überzeugung. Damit allein hat er wahrscheinlich mehr geändert als viele andere. In Erinnerung bleiben wird mir sein lautes, unüberhörbares Gelächter.
Ein Nachruf seiner politischen WegbegleiterInnen:
Radikaler Internationalismus
Moe Hierlmeier ist tot
Dass Moe nicht mehr da sein soll, ist für uns noch nicht zu begreifen. In seiner typisch ironischen Art schrieb er noch im Frühling, nachdem wir uns länger nicht gesehen hatten: „Sollen wir uns in diesem Leben noch mal treffen?“ Kürzlich in Nürnberg erzählte er von den Entwicklungen in der Interventionistischen Linken, wir sprachen über die BUKO und er skizzierte sein Projekt, angeregt durch die Lektüre von Rancière, Badiou und Zizek sowie durch das Kommunismus-Buch seines engen politischen Freundes Thomas Seibert mittelfristig und ohne Zeitdruck ein Buch zum Thema politisches Ereignis zu verfassen. Seine späte und nicht bereute Entscheidung, Hauptschullehrer in Nürnberg zu werden, hat ihm für solche Projekte weniger Zeit gelassen, was ihn nicht daran hinderte, sie mit Nachdruck zu verfolgen.
Gerade hatten Franziska und Moe Renovierung und Ausbau ihrer Wohnung abgeschlossen. Beim kürzlichen Treffen zeigte er froh den Sessel, auf dem er zum Lesen, Denken und Schreiben kommt. Den enorm dichten Rhythmus früherer Tage ? fast jedes Wochenende in politischen Dingen unterwegs, mehrere Tageszeitungen lesend, die radikal-linke Literatur sowieso, sich nie um organisatorische Aufgaben drückend – wollte er so nicht mehr halten. Und dennoch war er dort, wo er sich engagierte, menschlich, organisatorisch und inhaltlich-strategisch immer ein Aktivposten.
1959 geboren und in Schierling aufgewachsen, wollte Moe zuerst Priester werden, trat dann mangels Alternativen auf dem Land der Jungen Union bei und wurde in den 1970er Jahren zum Linken. Nach seinem Umzug nach Nürnberg engagierte er sich in der Anti-AKW- Bewegung, in der Mobilisierung gegen die Massenverhaftungen im KOMM 1981 sowie in der Anti-Kriegsbewegung. In diesen Zusammenhängen stieß er auf die Aktiven des Kommunistischen Bundes (KB) Nürnberg. Anfang der 1980er Jahre integrierte er sich in der für diese Organisation häufigen „fließenden“ Art und Weise in der KB-Ortsgruppe und schied in den späten 1980er Jahren in ähnlicher Art und Weise wieder aus. Will sagen, man arbeitete vorher und nachher in sozialen Bewegungen zusammen und zog häufig an einem Strang. Es veränderten sich Akzente, Einschätzungen und Vorgehensweisen, die Zielvorstellungen wirkten ebenso einend wie vielfältige und enge persönliche Beziehungen.
Moe verfügte über ein enormes Wissen, er äußerte sich über die deutsche Romantik ebenso qualifiziert wie über den französischen Poststrukturalismus. Ein BUKO-Genosse sagte vor Jahren bei einer gemeinsamen Wanderung, Moe sei der erste Universalgelehrte seit Leibniz. Alle lachten schallend, am lautesten lachte Moe selbst.
Vor allem war Moe ein außerordentlich belesener Ideengeschichtler des Internationalismus. Dabei kam es ihm immer darauf an, Ideen nicht zu musealisieren, sondern sie in den Zusammenhang von früheren und aktuellen Kämpfen zu stellen. Moe interessierte sich für das radikale Denken, das früher oder heute an den Rändern der Gesellschaft entsteht und auf emanzipatorische Veränderung zielt. Das zeigen seine vielen Buchbesprechungen, etwa der neuaufgelegten Bücher von Lefort oder Castoriadis. Er kritisierte das dichotome Weltbild des „alten Internationalismus“ und analysierte das bisweilen katastrophale Scheitern von emanzipatorischen Ideen und Projekten, um daraus für aktuelle Auseinandersetzungen zu lernen. Diese kritische Reflexivität übertrug er auf seine eigenen Arbeiten. So leitete er sein Internationalismus-Buch mit der Bemerkung ein, es sei aus der „Perspektive eines linken Aktivisten“ geschrieben, „der seit 25 Jahren in sozialen Bewegungen ständig seine nächsten Irrtümer vorbereitet. (…) Es sind zum Teil meine eigenen Irrtümer, die im Folgenden kritisiert werden.“ Allerdings resultierte seine Einsicht in die Vorläufigkeit der eigenen Einschätzung niemals in Relativismus, politischer Enthaltsamkeit oder gar Resignation, vielmehr war sie für ihn geradezu die Voraussetzung für eine klare emanzipatorische Positionierung. Dem entsprach, dass man mit Moe immer auch politisch quer liegen konnte, dass man wirklich mit ihm streiten konnte ? ohne dass es jemals zu einer Situation des definitiven persönlichen Bruchs gekommen wäre. Es war dies nicht nur Ausdruck seiner intellektuellen Kapazität, sondern eine besondere subjektive Qualität, die en der Linken leider selten ist.
Seine Bedeutung für die BUKO (Bundeskoordination Internationalismus), in der wir viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet haben, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Spätestens seit 1990, als er den Kongress des damals noch Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen genannten Zusammenhangs in Nürnberg mitorganisierte, spielte er in unterschiedlichen BUKO-Zusammenhängen eine tragende Rolle. In einer Zeit, als durch den Epochenbruch 1989 die NGOisierung der Internationalismusbewegung drohte, verkörperte er gleichsam die Erinnerung an die basisdemokratische Geschichte der BUKO, die er zu fortzuführen half. Lange abendliche Diskussionen beim Jahreskongress oder bei unzähligen BUKO-Seminaren mit ihm waren politische, intellektuelle und menschliche Highlights. Sich die und den BUKO ohne Moe vorzustellen, fällt uns schwer.
Aus seiner umfassenden Kenntnis der Internationalismusbewegung entwickelte Moe ein Gespür für das Mögliche und Notwendige. Dazu gehörte etwa, dass er Ende der 1990er Jahre – also in einer Zeit, als radikale Kritik zumindest in Deutschland noch im Global-Governance-Geraune unterging bzw. von einer rot-grünen Modernisierungseuphorie marginalisiert wurde – den Anstoß für die Gründung des BUKO-Arbeitsschwerpunktes Weltwirtschaft gab, dessen Arbeit er selbst wesentlich prägte. 2002 war er – im Rahmen seines Engagements bei der Zeitung analyse & kritik (ak), zu deren regelmäßigen Autoren er zählte – an der Gründung des Zeitschriftenprojekts Fantômas beteiligt. Die dreizehn Ausgaben, die bis zum Sommer 2008 erschienen, sind ohne ihn gar nicht denkbar, ohne seine Artikel, seine Beiträge zu den Planungsdebatten jeder einzelnen Nummer, ohne seine Mitwirkung bei der Fertigstellung der Hefte, zu der sich die Redaktion stets für drei lange Tage und Nächte in Hamburg traf, in den Souterrainräumen der ak. Auch hier bleiben besonders sein Witz und sein Lachen unvergessen, während der langen Stunden vor den Computern ebenso wie im Morgengrauen, wenn die Redaktion, müde, doch zufrieden mit dem Geschriebenen, noch einmal zum Hafen aufbrach, um dann, nach kurzer Pause, ein letztes Mal die Folge der Beiträge zu diskutieren.
Zur Rehabilitierung radikaler Kritik und ihrer wieder stärker wahrnehmbaren Artikulierung in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre hat er einen zentralen Beitrag geleistet. Immer wieder war er an den Initiativen beteiligt, plurale linke Diskussions- und Handlungsräume zu schaffen: bei den erwähnten Publikationen, als Mitherausgeber des BUKO-Buches „radikal global“ 2003, lange Jahre neben der BUKO auch im Nürnberger Lateinamerikakomitee, später beim Nürnberger Sozialforum. Er war Mitinitiator und Mitveranstalter der „Beratungstreffen“, zu denen sich ab 1999, nach den schwachen Mobilisierungen gegen den G8-Gipfel in Köln, eine stetig wachsende Schar radikaler Linker verschiedener Herkunft traf, zunächst zur Aufarbeitung der zurückliegenden Jahre und zur Verständigung über Perspektiven des Weitermachens, schließlich zur Debatte, dann zur konkreten Vorbereitung des neuerlichen Versuchs einer bundesweiten Organisierung. Ab 2004 wurde daraus die Interventionistische Linke (IL), und auch hier war Moe in prägender Weise „mittendrin“. Er half, Auseinandersetzungen zu einem guten Ende zu führen, nicht zuletzt durch sein Vermögen, dann moderierend einzugreifen, wenn es hoch her ging ? oder andersherum eine Diskussion erst „auf Touren“ zu bringen, die nicht so recht vom Fleck wollte. Noch im Mai hat er ein Treffen mit 80 GenossInnen in Nürnberg mitorganisiert. Als der Fortgang der Versammlung am Ärger des Hausmeisters zu scheitern drohte, war es Moe, der für das notwendige Verständnis für „Vorkommnisse“ sorgte, die nicht so ganz der Hausordnung entsprachen.
Radikale Kritik bedeutete für Moe nicht eine abstrakte Infragestellung von Herrschaft, sondern Kritik im Handgemenge. Moe wusste seine grundsätzliche Kritik an den bestehenden Verhältnissen praktisch werden zu lassen und mit konkretem politischem Engagement zu verbinden. Besonders bemerkenswert ist das alles, wenn man bedenkt, dass Moe – von einer kurzen Zeit in der BUKO-Geschäftsstelle abgesehen – niemals Vollzeit-Aktivist war, sondern seinen politischen Aktivitäten neben seiner Arbeit bei Quelle, seinem Studium und seiner Tätigkeit als Hauptschullehrer nachging. Er stellte somit in seiner eigenen Arbeit das her, was den globalisierungskritischen Initiativen in Deutschland zumindest in der Anfangzeit fehlte – die alltagspraktische Verankerung der Kritik an der neoliberalen Globalisierung.
Es waren nicht nur sein großes Wissen und sein politisches Gespür, von dem die BUKO und die radikale Linke profitierten, sondern seine ganze Persönlichkeit. Moe konnte in seinen Texten enorm scharf formulieren, er hatte einen bissigen, im positiven Sinne herausfordernden Humor. Gleichzeitig strahlte er gerade in einer Situation der Krise sozialer Bewegungen, wie sie für die BRD der 1990er Jahre kennzeichnend war, eine informierte Gelassenheit aus, die keinen Zweifel daran ließ, dass für emanzipatorische Projekte auch wieder bessere Zeiten anbrechen würden.
Moe Hierlmeier ist am 17. Juni an einem Herzinfarkt gestorben. Wir haben mit ihm einen Freund und einen unserer wichtigsten politischen Mitstreiter verloren.
Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen aus der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) und aus der Interventionistischen Linken (IL), die Redaktionen analyse & kritik und Fantômas.
Es gibt zwei weitere Nachrufe, von Radio Z und Assoziation A.
Letztlich sind alle Sozialisten und Kommunisten Freunde der stalinistischen Vernichtungslager. Deshalb war Moe kein guter, sondern ein schlechter Mensch.
letztlich outen sich leute wie immer selbst als vollidioten.
*leute wie du
Ich habe ihn zwar nicht persönlich kennengelernt, aber in fantomas und ak immer wieder Texte von ihm gelesen, die wirklich gut waren, analytisch und auch im Ausdruck. Ein Artikel über Brecht, Bataille und Benjamin im Kontext des historischen Antifaschismus zeigt auch seinen immensen kulturtheoretischen Backgound: http://arranca.org/ausgabe/43/das-ganze-leben-haltung-und-rausch-teil-ii
Sehr sympathisch, wie er auch über eigene Irrtümer schrieb oder Kritik übte, ohne unsolidarisch zu werden. Seine erfahrungsgesättigten (und -hungrigen) Texte werden uns felhen. (Und man hat das Gefühl: besonders schade, wo doch die Armleuchter und Sarrazyniker scheinbar immer mehr werden.)