Piraten-Prozess in Hamburg

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Im Gericht darf nur gezeichnet, nicht fotografiert werden

Zu Piraten gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Manche finden sie gruselig (meine Kinder), manche die einzige wählbare Alternative (pickelige Nerds), manche romantisch (Johnny-Depp-Fans). Und dann sind da noch die echten Piraten.

400 Jahre nach Störtebeker wird in Hamburg zehn Piraten der Prozess gemacht. Perspektive: nicht Köpfen, sondern 15 Jahre im deutschen Knast.

Diese Piraten sind aus Somalia, und das ist ja mal was GANZ anderes. Die kommen gleich hinter Terroristen. Was vielleicht damit zu tun hat, dass die desolate Lage in Somalia auch Resultat europäischer Interessenvertretung ist. Die Welt erlaubte sich dazu diesen zynischen Kommentar:

Und als Gedankenspiel sei die Frage erlaubt, ob es manchem der Piraten im Hamburger Gefängnis nicht besser geht als in einem Leben unter Warlords, die keinem Gesetz unterworfen sind, mit der Aussicht, von Überfall zu Überfall getrieben zu sein – was auch für die Piraten lebensbedrohlich ist. Vom Galgen bedroht wie einst Blackbeard und seine Freunde sind sie jedenfalls nicht.

Wahrscheinlich sollen sie sich am besten freuen, dass sich hier gelandet sind.

In Somalia ist Bürgerkrieg. Das Meer ist leergefischt – nicht von somalischen Fischern -, und von europäischem Sonder- und radioaktivem Müll verseucht. Es gibt nicht viele Alternativen zum Überleben.

»Wir haben die Piraterie zu einer Gemeindeangelegenheit gemacht«, so der ehemalige Pirat. »Ich warte auf meinen Anteil, ich habe für eine Operation eine Panzergranate zur Verfügung gestellt«, zitiert der Reuters-Reporter eine junge Frau, die vor der Piratenbörse wartet. »Mit Piratierie verbundene Geschäfte sind der wichtigste ökonomische Sektor hier«, zitiert der Bericht einen Sicherheitsbeamten der Stadt. »Die Gemeinde erhält einen Teil der Lösegelder, und das wird in die öffentliche Infrastruktur, etwa in unser Krankenhaus und öffentliche Schulen investiert«. (Jungle World)

Diese Piraten hatten das Pech, dass sie ein deutsches Containerschiff überfallen wollten, und deswegen vom niederländischen Militär nach Deutschland verfrachtet wurden. Ihre Leben passen nicht zum deutschen Strafrecht:

Einer der mutmaßlichen Piraten ist nach eigenen Angaben erst 13 Jahre alt und wäre damit nicht einmal strafmündig. Die Staatsanwaltschaft hält ihn für älter und stützt sich dabei auf Gutachten. (…) Schon der Abgleich der Namen der Angeklagten zu Prozessbeginn dauerte längere Zeit, weil es Unstimmigkeiten in der Schreibweise gab. Mehrere Angeklagte konnten ihren exakten Geburtstag nicht nennen, sondern gaben nur das Geburtsjahr an. Einer sagte: „Ich wurde unter einem Baum geboren.“ In dem Prozess übersetzen drei Dolmetscher vom Somalischen ins Deutsche. (ZEIT)

Es gibt jetzt ein Blog mit Berichten und Hintergrundinformation zu dem Prozess: Reclaim the Seas, außerdem den Prozessterminen bis Ende Januar. Ein Gegengewicht zur Presse, die a) nicht viel und b) notorisch aus Gerichtsperspektive berichtet.

Es finden die üblichen Schweinereien statt, die so gar nicht zum vorbildlichen deutschen Rechtsstaat passen:

The prosecution has failed to notify the defence of the medical examination performed on their client. They have also failed to explain to the accused why he was dragged out of prison and into hospital and what the medical examination was about. The accused was not informed of his rights, no interpreter was involved. His medical history was not recorded. The accused was ordered by means of gestures to open his mouth, to get undressed, to lie down underneath the x-ray machine, while he had no idea about the purpose of the machine. The defence had no possibility to object to any of this. (3. Prozesstag)

(Die Staatsanwaltschaft vergaß, die Verteidigung davon zu benachrichtigen, dass ihr Mandant zu einer Untersuchung ins Krankenhaus gebracht wurde. Ihm wurde nicht mitgeteilt, wo er hingebracht wurde und warum. Es gab keine Übersetzung. Er musste den Mund öffnen, sich ausziehen, sich unter ein Röntgengerät legen, ohne zu wissen, was das ist.)

Die Bundeswehr ist übrigens auch in der Gegend unterwegs; die Mission trägt den malerischen Namen ATALANTA.

Mir geht es nicht darum, irgendwas schönzureden, was sich auf Schiffen am Horn von Afrika abgespielt hat. Ich habe keine Ahnung, was passiert ist. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass Hamburg nicht der richtige Ort und deutsche Strafverfahren nicht die richtige Methode sind, um das rauszufinden.

Ich empfehle Reclaim the Seas jedem besseren Feedreader.

3 Gedanken zu „Piraten-Prozess in Hamburg

  1. Damit der gemeine zivilisierte Nicht-Somali besser die vor Ort stattfindenden Befriedungsmaßnahmen nachvollziehen kann, hat sich – wie in anderen weltweit erfolgreichen Stabilisierungprojekten – die Computerspiel-Branche erneut hervorgetan und bietet dem Heimsoldaten an der Consolenfront einen realistischen und objektiven Eindruck vom Kriegsgeschehen und liefert weiterhin fundiertes Hintergrundwissen über die Gründe und Ziele des dortigen Militäreinsatzes.
    Aber genug der langen Schachtelsätze – lassen wir einfach die Produktbeschreibung des hier angepriesenen Spiels für sich sprechen:

    Modern War-Somalian Pirates
    Die Piraten vor Somalia gehören zu den gefährlichsten und aggressivsten Piraten der Welt. Kein Frachtschiff, kein Tanker ist vor ihnen sicher und auch vor Passagierschiffen und Yachten machen sie keinen Halt. Beschützen Sie als Kommandant eines schwer bewaffneten Schnellboots Ihre Auftraggeber. Stellen Sie sich hinter das Maschinengewehr und nehmen Sie die Piraten unter Beschuss. Oder halten Sie als Bordschütze eines Helikopters die Piraten von der wertvollen Fracht eines sinkenden Frachters fern.
    SIE sind die letzte Barriere zwischen den Piraten und unschuldigen Zivilisten.
    Features:
    * Aktuelle Thematik mit realen somalischen Piraten
    * Realistische taktische und physische Eigenschaften eines jeden Schiffes
    * Einsätze per Schnellboot oder per Helikopter
    * State of the Art Grafikeffekte wie z.B. realistisches Wasser

    http://www.amazon.de/rondomedia-Modern-War-Somalian-Pirates/dp/B0046RE5OK/ref=sr_1_1/280-1398129-0259757?ie=UTF8&s=videogames&qid=1292920430&sr=1-1

  2. Pingback: Rechtsstaat in Rotation | Produktivkraft

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