Unmittelbares Bedürfnis. Markus Mohr erinnert an Fritz Teufel

Ganz ausnahmsweise hier mal die Kopie eines Artikels, der am 17.7. in der jungen Welt erschien, die nicht alle ihre Artikel frei zugänglich im Netz hat. Eine Erinnerung von Markus Mohr an eine in den Nachrufen unterbelichtete Seite von Fritz Teufel.

Unmittelbares Bedürfnis

Warum Fritz Teufel einmal einem Bundesanwalt einen Fausthieb verpaßte

Am Samstag, den 21. Mai 1977 wurden Ronald Fritzsch, Gerald Klöpper,
Till Meyer, Ralf Reinders, Andreas Vogel und Fritz Teufel morgens aus
der U-Haft in Berlin-Moabit ins Polizeipräsidium am Tempelhofer Damm
verbracht. Die »Sechserbande« aus der »Bewegung 2. Juni« wurde
beschuldigt, den CDU-Politiker Peter Lorenz entführt zu haben. Da die
Ermittler große Beweisnot litten, verfielen sie auf den Einfall, die
Beschuldigten sage und schreibe 140 Zeugen vorzuführen. Auf Beschluß von
Horst Kuhn, Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof, sollte das »auch
gegen den Willen der Beschuldigten, erforderlichenfalls unter Anwendung
unmittelbaren Zwanges« erfolgen. Bei Reinders, Vogel und Teufel sei »die
Haar- und Barttracht (…) zum Zwecke der Gegenüberstellung« so zu
ändern, »daß das Aussehen der Beschuldigten wieder dem zur Zeit ihrer
Festnahme entspricht«, verfügte Kuhn. Auf zwei lange Tage war die Sache
angesetzt, »die Fesselung der Beschuldigten« durchweg gestattet.
Gewieft, wie sich Ermittlungsrichter Kuhn vorkam, sah er von einer
»vorherigen Anhörung« zum Zwangsvorführungsprogramm ab, »weil dadurch
der Zweck der geplanten Maßnahmen gefährdet würde«.

Schließer und Polizeibeamte nutzten die Gelegenheit, ihr Mütchen an den
Genossen zu kühlen. Als die Gefangenen sich ihrer Überführung
widersetzten, erhielten sie Schläge in die Nieren. Haarbüschel wurden
ausgerissen. Bei der Vorführung auf dem Präsidium standen dann hinter
jedem Gefangenen mehrere Polizisten. Ein Beamter hielt den Kopf fest,
ein anderer hantierte mit einer am Handgelenk befestigten Knebelkette.
Versuchten die Gefangenen, den Kopf zu senken oder die Augen zu
schließen, wurden die Knebelketten in drastischer Weise zugeschnürt.
»Na, gib ihm doch!« riefen die Polizisten. »Dreh mal fester– guck mal,
wie schön meiner steht!« oder: »Zwei Umdrehungen sind noch drin,
Fritze!« Die Hände einiger Gefangener liefen blau an. Bei Reinders
platzte die Haut in Richtung Ellenbogen auf. Er blutete stark.

»Am Sonntag morgen hatten dann drei von uns das rechte Handgelenk
verbunden«, schrieb Teufel später. Er schnitt sich für den Sonntag mit
einer Rasierklinge »so gut es ging« eine Glatze und schminkte mit
Stempelkissen, Schuhwichse und Lippenstift sein Gesicht. Ein
Bundesanwalt versuchte ihm währenddessen »die ganze Zeit« weiszumachen,
daß ein zwangsweise durchgeführtes Gesichtwaschen »juristisch gedeckt«
sei. Wie es der Zufall wollte, lief dieser Anwalt dem Genossen einige
Tage später bei einem Haftprüfungstermin im Kriminalgericht Moabit über
den Weg. »Das ist er!« rief Teufel laut Bundesgerichtshof, und schlug
dem Staatsanwalt Herbert Dörfler »mit der Faust ins Gesicht. Dabei
zerbrach das Glas der Brille des Geschädigten.« Der erlitt »unter dem
linken Auge eine erheblich blutende offene Verletzung«.


Teufel wertete den gezielten Hieb zutreffend »als Vergeltung für die
Gegenüberstellungsmaßnahme
n
vom 21./22. Mai 1977«. Das bewahrte ihn leider nicht vor einer
vierwöchigen Arreststrafe, die ihn allen Ernstes »nachdrücklich zur
Einhaltung der Ordnung in der Haftanstalt« anhalten sollte, wie es
Ermittlungsrichter Kuhn formulierte. Johannes Agnoli fand Jahre später
die schöne Formulierung: »Befreiung ist ein unmittelbares Bedürfnis, das
sich zum Beispiel in dem stillen Wunsch eines jeden Untergebenen (…)
konkretisiert, dem jeweiligen Vorgesetzten einmal einen Fußtritt zu
verpassen.«

In vielen Nachrufen auf Fritz Teufel wurde dieser für seinen
böse-spitzbübischen Humor und seine feine Intellektualität gerühmt.
Völlig zu Recht, allerdings: Soviel Vereinnahmung des am Ende völlig
verarmten Genossen durch das Bürgertum war nie! Dabei gerät wohl nicht
ganz zufällig der immer wieder auch gegen die herrschende Ordnung und
ihre Schergen handfest konfrontationsbereite Fritz Teufel völlig aus dem
Blick. Deswegen mußte diese Geschichte hier erzählt werden.
 

Danke an Klaus Schönberger fürs Finden und an Markus Mohr fürs Schreiben und die großzügige Erlaubnis, dem Artikel einen Schritt aus den Zwängen des Copyrights zu verhelfen und mir die Wiedergabe zu erlauben. Die Rechte liegen hier natürlich weiter beim Autor und stehen, anders als der Rest dieses Blogs, nicht unter CC-Lizenz.

2 Gedanken zu „Unmittelbares Bedürfnis. Markus Mohr erinnert an Fritz Teufel

  1. Ja, die Genossinnen und Genossen der Stadtguerilla hatten ein klar antagonistisches Verhältnis zu den „Schweinen“, um einmal den Filmemacher Holger Meins zu zitieren.

    Während zahlreichen Prozessen – auch vor dem Berliner Kammergericht – haben Angeklagte den Bundesanwälten oder Richtern bei sich bietender Gelegenheit eine deftige Ohrfeige verpasst. Die in dem Artikel geschilderten Hintergründe zeigen, dass sich so ein Bundesanwalt den Faustschlag ins Gesicht regelrecht verdient hat. Was sind ein paar Tage Ordnungshaft für eine solch befreiende Tat?

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