„Absolut miese Ermittlungsarbeit“

Staatsanwaltschaften in den USA und in Deutschland haben heute in zwei ganz unterschiedlichen Verfahren ziemlich schlecht ausgesehen.

Das Verfahren gegen die beiden Männer, denen vorgeworfen worden war, beim G20-Gipfel im Sommer in Pittsburgh durch Twittern die Proteste gesteuert zu haben, ist eingestellt worden. Das vermeldet fröhlich das Soli-Blog Friends of Tortuga.

Pennsylvania Drops All Charges Against Madison & Wallschlager for Twittering

Tortuga ist das Wohnprojekt, in dem die beiden wohnen und das einige Wochen nach der ersten Festnahme gründlich durchsucht worden war.

On October 1st, 2009, at 6:00am, the Joint Terrorism Task Force (a
union of local police departments and the FBI), kicked out the front
door to our home—an anarchist collective house in Queens, NY,
affectionately known as Tortuga.

The FBI spent 16 hours ransacking our house before carting off boxes
of our personal belongings, everything from computers, passports and
even stuffed animals.

The apparent reason for this predawn raid was the arrest of two
members of our household a week earlier in Pennsylvania. Our two
friends were arrested and charged with several felonies for sending
twitter messages during protests against the G20 in Pittsburgh.

Damit können dann alle rot-schwarzen Einfärbungen von Twitter-Icons rückgängig gemacht werden, zu denen über die eigens eingerichtete Website twitterrevolution.us aufgerufen worden war. Im Raum stehen allerdings immer noch nicht genauer bekannte ‚ongoing investigations‘, also weiterhin laufende Ermittlungen.

Mich hat durchaus die öffentliche Liste der beschlagnahmten staatsgefährdenden Dinge (4,6mb) beeindruckt – auch hier wieder The Anarchist Cookbook, das ja bei Steve Kurtz auch schon von Bedeutung war.

Zum Phänomen Twitter-Verfolgung in den USA, im Kontrast zur Bewunderung für Protest-Twittern im Iran: Jack Bratich in Counterpunch: The Twitterest Pill

Mehr Details bei Wired.

"Absolut miese Ermittlungsarbeit"

Fall Nr. 2 hat kaum Parallelen, abgesehen davon, dass in beiden Fällen mit Kanonen auf linke Spatzen geschossen wurde. Das Ende ist aber noch spektakulärer:

Das Amtsgericht Tiergarten hat heute eine Frau freigesprochen, die mit dem Vorwurf, in Berlin ein Auto angezündet zu haben, fünf Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte.

Es gebe "erhebliche Zweifel", ob die Frau die Täterin sei, argumentierte Richter Andreas Lach das Ergebnis des Strafverfahrens. (SPON)

Offenbar war sie in einigem Abstand vom bewussten Auto festgenommen worden, primär ihrer Kleidung und Gangart wegen. In ihrer Wohnung gefunden wurden Sprühdosenköpfe, Grillanzünder, Handschuhe und Zeitungsausschnitte über in Brand gesetzte Autos. 

Die gefundenen Sprühdosen seien leer und nicht benutzt worden. Die
Anzünder aus der Wohnung seien ein Massenprodukt, das für einen
Tatnachweis nicht ausreiche. In der Sammlung der Zeitungsartikel sah
das Gericht eine mögliche Sympathie zu den Taten, die aber keinen
Schluss auf eine Beteiligung an konkret dieser Tat zulasse.

Der Tagesspiegel berichtet: "Von „absolut mieser Ermittlungsarbeit“ ist in Polizei- und Justizkreisen die Rede."

Disclaimer: Bevor hier irgendwer interpretiert, ich hielte die in Berlin beständig brennenden Autos für Kleinkram, vulgo ‚Spatzen‘: Das bezieht sich ausschliesslich auf diesen speziellen Fall.