Offener Brief von Wolf-Dieter Narr an den Richter im mg-Verfahren

JustitiaÜber den gegenwärtig in Berlin stattfindenden mg-Prozess ist ja bei weitem noch nicht genug geschrieben worden. Einiges schon. Überhaupt noch nicht herumgesprochen hat sich, dass Wolf-Dieter Narr, 71, emeritierter Professor der Politikwissenschaft und unermüdlicher Aktivist für Grundrechte, vor zwei Wochen daran gehindert wurde, den Prozess zu beobachten. Wolf-Dieter Narr ist nicht mehr jung. In einem offenen Brief an den Richter schreibt er, dass er vermutet, dass er wegen seines schwankenden Ganges für betrunken gehalten wurde.

Er wollte den Prozess für das Komitee für Grundrechte und Demokratie beobachten. Hier sein Brief vom 9.1.09:

An
Vorsitzender Richter 1. Strafsenat des Kammergerichts
Herrn Josef Hoch
Turmstraße 91
10559 Berlin

Sehr geehrter Herr Hoch,

im Auftrag des Komitees für Grundrechte und Demokratie beobachte ich
gegenwärtig, soweit es meine Zeit erlaubt, das Strafverfahren gegen
Florian L., Oliver R. und Axel H., das von Ihnen geleitet wird.

Als ich heute etwa eine Viertelstunde vor 9 Uhr über die übliche
Kontrollstelle zur Linken des Hauptportals in den Raum 700 steigen
wollte, wurde mir vom Kontrollbeamten vor meiner kontrollierenden
Untersuchung bedeutet, heute fände das Verfahren in einem anderen Raum
statt. Ich hatte freilich fälschlicherweise aus Versehen die Raumnummer
101 angegeben. Wieder nach draußen gelangt, klärte mich ein mir
bekannter Journalist, Herr Niels Seibert, über meinen Irrtum auf. Ich
klingelte also erneut an der linksseitigen Tür. Derselbe Beamte, etwa
meine Größe 1,85 cm, mittelblond, kurz geschorene Haare ging nun daran,
die üblichen Kontrollmaßnahmen zu ergreifen. In deren Vollzug fragte er
mich unter anderem, ob ich betrunken sei. Mutmaßlich hatte er meine
Behinderung, die mich nur schwankend gehen lässt, so ausgelegt.

Weil er mich insgesamt kurz angebunden autoritär behandelte,
beschwerte ich mich sehr zurückhaltend. Der Beamte – oder welchen
berufichen Status er immer einnehmen mag – erklärte mir darauf brüsk,
ich könne, nein ich müsse gehen. Wenigstens drei Mal fragte ich nach
seinem Namen. Ihn zu nennen, weigerte er sich. Da sich vor dem
Hauptportal – es war zwischenzeitlich 9 Uhr geworden – viele Leute
drängten, habe ich darauf verzichtet, mich sofort nach einer
Beschwerdestelle zu erkundigen. Darum schreibe ich Ihnen. Es handelt
sich ohnehin um ein Geschehnis, das unmittelbar mit dem von Ihnen
geleiteten Verfahren zu tun hat.

Vier Beschwernisse habe ich vorzutragen:
1. Ich beschwere mich über den rüden Umgangsstil einer Kontrollperson.
2. Ich beschwere mich darüber, dass diese Person mich ohne irgend
zureichende Gründe davon abhielt – nur weil sie mutmaßlich ein wenig
verärgert war, dass da eine Person nicht still alle autoritären Faxen
hinnahm –, als ein Teil der Öffentlichkeit, die ein Strafverfahren
auszeichnet, an dem von Ihnen geleiteten Prozess teilzunehmen. Faktisch
wurde damit gegen mich unzulässige – und dazuhin kropfunnötige – Zensur
ausgeübt. Die Öffentlichkeit des Verfahrens wurde willkürlich
eingeschränkt.
3. Ich rüge, dass der Beamte, Angestellte oder sonstwie Bedienstete,
mich grundlos und ohne Möglichkeit, mich unmittelbar dagegen zu wehren,
wenigstens heute vom Verfahren ausschließen und mein Bürgerrecht
suspendieren konnte.
4. Ich kritisiere, dass die genannte Kontrollperson, offenkundig nicht
darüber informiert ist, ihren Namen nennen zu müssen, wenn sie sich mit
dazuhin angemaßter Hoheit gegen einen Bürger wendet.

Obwohl es sich angesichts ungleich gewichtigerer Probleme um
»lässliche« Verfehlungen handelt, ersuche ich Sie um ein Dreifaches.

Zum Ersten sollte die oben bezeichnete Person entsprechend
instruiert werden, sich gegenüber Bürgerinnen und Bürgern
entgegenkommend zu verhalten.

Zum Zweiten sollte diese Person dazu verpfichtet werden, sich mir
gegenüber auf schriftlichem oder mündlichem Wege (dann wenigstens mit
einem Zeugen) zu entschuldigen. Zum einen, dass sie meine Behinderung
sogleich in ein Vorurteil umgewandelt hat. Zum anderen, dass sie mich
nicht nur autoritär behandelte, vielmehr mir die Teilnahme am heutigen
Verfahrenstag verbaute und außerdem unterließ, mir ihren Namen
mitzuteilen.

Zum Dritten: Dieser Vorfall sollte allgemein dazu benutzt werden,
alle Kontrollpersonen an ihre Sorgfaltspfichten zu erinnern. Zu diesen
gehören an erster Stelle der sorgfältig entgegenkommende Umgang mit
Bürgerin und Bürger.

Ich bitte, mich möglichst bald darüber zu informieren, welche
Schritte Sie unternommen haben. Selbstredend bin ich zu weiteren
Informationen und jedem klärenden Gespräch jederzeit bereit.

Mit den besten Grüßen und Wünschen
Ihr Wolf-Dieter Narr

 

Ein Gedanke zu „Offener Brief von Wolf-Dieter Narr an den Richter im mg-Verfahren

  1. Behältst Du das im Auge, oder wo kann man sich informieren, ob und welche Reaktion es gab?

    Ein ganz und gar unmögliches und inakzeptables Gebahren der „Sicherheits“leute. Wundert mich allerdings nicht wirklich, bei dem Lohn- und von mir wahrgenommenen Qualifikationsniveau in der Branche.

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