Wer ist Journalistin*?

presse-medium_6413917193Wir haben eine neue Journalismus-Debatte. Glenn Greenwald sprach per Skype die Keynote des 30C3 und sagte dabei ‚wir‘ und nicht ‚ihr‘, als er über die Folgen der Snowden-Leaks und die politischen Aufgaben sprach, die sich daraus ergeben. Kai Biermann und Patrick Beuth (Zeit Online) finden, dass er damit den heiligen Gral des Journalismus verlassen hat und zum Aktivist geworden ist. In der Folge gab es die obligatorische Twitter-Debatte und weitere Artikel.

Nach der ‚Blogger sind keine Journalisten‘- haben wir jetzt also eine ‚Was sind eigentlich Journalisten‘-Debatte. Gut so. Dessen Definition ist nämlich nicht so einfach, bei allem Respekt für den journalistischen Ethos und Ubervater Hajo Friedrichs.

Bei Zeit Online wird also gefragt:

Kann jemand gleichzeitig Journalist und Aktivist sein?

Ich fragte mich gestern (twitternd): was ist denn ein Journalist, oder eine Journalistin? Ist das ein Beruf, eine Identität, ein zeitweiliger Zustand? Eine Selbstzuschreibung von mehreren?

Es waren einige kürzlich unglücklich, weil sie in meiner Twitter-Liste ‚Alte Medien‚ gelandet sind. Es ist ein Synonym für ‚journalistische Medien‘, hier also: ‚alt‘ als Kontrast zu ’neu‘. ‚Journalistisch‘ klingt natürlich schöner. Beides hat viel mit der Selbstzuschreibung zu tun. Und solange das Selbstverständnis (samt entsprechender Praxis) existiert, Journalismus sein ‚anders‘, gibt’s eben die eigene Kategorie.

Eine schwammige Trennung, das ist mir nicht erst beim Listen-Sortieren aufgefallen. Ich überlegte eben kurz, diese Fragen in eine angefragte Kolumne (einer Zeitung) zu schreiben. Wären sie dann Journalismus? Sind sie hier keiner?

Ich werde häufig als Journalistin vorgestellt, obwohl ich mich selbst nirgends so beschreibe. Ich habe zwar jahrelang als Online-Redakteurin gearbeitet; das hat gereicht, um mir einen Presseausweis zu verschaffen. Ich finde allerdings, dass ich als Bloggerin viel journalistischer schreibe als als Redakteurin, als ich eigentlich gar nicht ‚wirklich‘ schrieb, sondern nur anderer Leute Texte in Form brachte. (Den Presseausweis habe ich jetzt nicht mehr, obwohl ich dank der aktuellen Berufsbezeichnung ‚Editor‘ vielleicht wieder einen bekäme. Aber wozu auch.)

Da in meinen Kurz-Bio-Texten gar nicht steht, dass ich mal Redakteurin war, kann die Zuschreibung ‚Journalistin‘ nur aus uralten, irgendwo abgeschriebenen Beschreibungen stammen, oder aber benutzt werden, weil sie mehr hermacht als ‚Bloggerin‘, oder mir einfach zugeschrieben werden, weil ich mich in der Regel bemühe, meine Behauptungen zu belegen usw usf, also durchaus ein Mindestmaß des bewussten journalistischen Ethos auch beim Bloggen für sinnvoll halte. Leitsatz ist dabei, dass die Realität meist erschreckend genug ist, da ist Übertreibung gar nicht nötig. Ich beschreibe mich nicht als Journalistin, obwohl ich auch gern eine geworden wäre, wäre mein Leben anders verlaufen. (Hier der kleine Exkurs zu den Absagen, die ich bekam, weil ich als Mutter nur Teilzeit arbeiten will).

Natürlich ist sinnvoll, dass es eine Definition für Journalismus gibt. Der Schutz der Pressefreiheit ist wichtig, und seine Funktion als Kontrolle auch. Deswegen ist aber auch nötig, sie der Entwicklung von Technik und Medien anzupassen. Das ist mit den alten Kategorien schwierig.

Dazu kommt das an sich nicht neue Problem, wo die Grenze verläuft, wenn sich Journalist_innen für die Sache der Journalist_innen einsetzen. Ich behaupte, es gibt sie an dieser Stelle nicht. Hier müsste neu gedacht werden, ob Journalismus eine Textform oder eine demokratische Funktion ist, die sich für den Schutz der Pressefreiheit einsetzt, und wie definiert wird, wenn beides zusammenkommt. Das wurde von Patrick Beuth und Kai Biermann versucht, entlang der alten Kategorien. Die greifen aber nicht mehr und so interpretiere ich auch Glenn Greenwald. Die Zeiten sind anders – politisch und technisch -, und wir überlegen besser, was und wie Journalismus sein kann, bevor er von der medialen Evolution überrollt wird.

Update: Ein paar Gedanken zur Zukunft des Journalismus vom Nieman Journalism Lab, die die Fragen auch nicht beantworten, aber Anstöße für den Weg aus der Mottenkiste geben. (Die Mottenkiste ist nicht persönlich gemeint, sondern gilt für das gesamte Genre).

 

*Der besseren Lesbarkeit halber sind Journalisten mitgemeint.

Foto: The PIX-JOCKEY via photopin CC-BY-NC-Lizenz

8 Gedanken zu „Wer ist Journalistin*?

  1. Die Unterscheidung zwischen Journalismus und Aktivismus ist mehr als dubios, wie ich finde, denn es kann keinen objektiv neutralen Journalismus geben. Journalismus ist immer auch Urteil, das fängt allein schon dort an, wo die Frage nach der Relevanz gestellt ist, also danach, was berichtenswert ist und was nicht. Deshalb ist Journalismus auch kein geschützter Beruf – gerade wegen der Pressefreiheit, die eben bedeutet, dass staatlicherseits nicht festgelegt werden darf, wer als Journalistin gilt und wer nicht.

    Ich habe letztlich in einem Post mal vorgeschlagen, den Unterschied dort zu ziehen, dass Journalistinnen ihre Aufgabe darin sehen, bisher nicht verfügbare Informationen zu recherchieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, während nicht-journalistische Aktivistinnen oder Bloggerinnen über das schreiben, was sie ohnehin schon wissen. http://antjeschrupp.com/2013/10/19/brauchen-wir-noch-journalismus/

    Nicht jede Aktivistin ist auch Journalistin in diesem Sinn (es gibt ja auch andere Formen des Aktivismus als die mediale Bereitstellung von Informationen), aber jede Journalistin ist in gewisser Weise auch Aktivistin, nämlich immer dann, wenn sie sich für die Themen, über die sie schreibt, wirklich interessiert und sie ihr ein Anliegen sind. Es gibt natürlich auch Journalistinnen, die sich nur dafür interessieren, wie sie Geld verdienen oder in die Wichtig-Wichtig-Medien kommen können und dabei die Frage, welche Informationen für die öffentliche Debatte relevant sein könnten, völlig hinten runterfallen lassen und stattdessen über die Hutfarbe von Königinnen schreiben, weil sich das besser verkauft. Die sind vermutlich weit ab von jedem Verdacht, ihren Journalismus mit Aktivismus zu verwechseln, aber ich finde, da könnte man wirklich fragen, ob das, was sie machen, mit Journalismus noch etwas zu tun hat.

    Die Qualitätskriterien, die ansonsten für guten Journalismus herangezogen werden, nämlich die Verifizierung von Informationen, die Ausgewogenheit, das Zuwortkommenlassen der Gegenseite usw. ist meiner Ansicht nach kein Abgrenzungsmerkmal gegen Aktivismus. Als politische Aktivistin sollte ich mir nämlich auch schon Mühe geben, keine falschen Fakten zu verbreiten und sollte – gerade weil mir das Thema am Herzen liegt – mich bemühen, ein qualifiziertes Urteil zu fällen und nicht nur den eigenen Vorurteilen frönen.

    • Kann ich alles unterschreiben. Vielleicht müsste die Frage doch auch sein, warum nötig ist, Journalismus zu definieren. Wir könnten ihn ja auch abschaffen und stattdessen neu definieren, was schutzwürdig sein sollte. Die Königinnen-Hut-Beschreiber_innen könnten zu „Medien-Produzent_innen“ werden. Die Agenturmeldungs-Umschreiber_innen verdienen auf jeden Fall auch eine eigene Kategorie, würde ich sagen. Und beides gibt es in Blogs ja auch reichlich.

      Vielleicht gibt es diese zwei Optionen: Journalismus völlig neu zu definieren oder, ausgehend von der medialen Realität, zu definieren, was eigentlich schützenswerte Medien sind. Das Kriterium etwa für den Presseausweis, dass Journalist_innen von ihren journalistischen Aktivitäten leben müssen, kommt mir antiquiert vor. Relevant hingegen sind Fragestellung und Methoden, behaupte ich. Und die Trennung ist ‚Journalistin‘ und ‚Aktivistin‘ entlang der eigenen Positionierung als ‚wir‘ oder ‚ihr‘ halte ich tatsächlich für Quatsch, wenn sie rein formal ist.

  2. Journalismus ist eine Leidenschaft und eine Kunst. Wider den Widerständen setzt Journalismus sich dafür ein, eine Öffentlichkeit herzustellen. Journalismus ist eine besondere Form des Aktivismus. Journalismus ist eine Ur-Form des Aktivismus. Neben dem Handwerkzeug gehört das brennende Interesse an den Dingen zu dem, was seine Qualität ausmacht.

    Kai Biermann und Patrick Beuth definieren nicht den Journalismus und liefern in ihrem Kommentar keine Beispiele, Vorbilder und Kriterien. Warum? Stattdessen sprechen sie ihrem Kollegen die Profession ab. Warum? Sie sprechen nicht alltäglich ihren Kolleg*innen die Profession ab, was sicher notwendig wäre. Sie wählen mit Glenn Greenwald einen Kollegen, der auf einer Fachkonferenz seine Kolleg*innen selbstverständlich mit “wir” anspricht.

    Die Leidenschaft, die Kai Biermann und Patrick Beuth zu dieser Vorgehensweise verleitet, erkenne ich. Ich finde aber keinen Grund für diese Leidenschaft. Das ist mir suspekt.

    Es ist schon eine Kunst, angesichts der Bedeutung der Themen ihrer Kolleg*innen auf der Fachkonferenz für den Journalismus nicht über den Journalismus in Zeiten der Überwachung und Repression gegen den Journalismus zu schreiben und zu kommentieren, sondern Journalismus in ein platonisches aber inhaltsleeres Phantom zu verwandeln. Journalismus wird hier zur Worthülse.

    Ich sehe das Interesse. Ich sehe aber keinen Journalismus. Ich sehe eine mediale Aktion.

    • Naja, der 30C3 ist allerdings keine Journalismus-Fachkonferenz, und das angesprochene Publikum war also deutlich breiter – das war sicher auch Glenn Greenwald bewusst. Er hat sich damit bewusst auch zum Aktivisten gemacht, würde ich sagen. Kai Biermann und Patrick Beuth ihrerseits schreiben tatsächlich sehr viel über genau dieses Thema, deswegen finde ich den Vorwurf nicht ganz richtig, dass sie das mehr tun sollten. Allerdings denke ich eben, dass die Aufteilung in Journalist_innen, die sich aktivistisch für Journalist_innen und den Journalismus einsetzen einerseits, und Journalist_innen, die sachlich und wertfrei über dieses Phänoman berichten, niemandem nützt.

  3. Interessante Fragen! Ich hatte auch mal einen Presseausweis, definiere mich aber nicht wirklich als Journalist. Derzeit nehme ich es so wahr, dass die Leute viel gespraechiger sind, wenn ein bekanntes Blatt der Arbeitgeber ist. Ohne diesen scheint man nicht als Journalist wahrgenommen zu werden. Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein, denn viele Gedanken zur Definition der Journalistin habe ich mir auch noch nicht gemacht.

  4. @Gan-Chan – Ja, andererseits reden die Leute mit expliziten Journalist_innen aber auch zurückhaltender, weil sie die Veröffentlichung gleich schon mitdenken.

    @Anne – Das stimmt, die Frage nach den schützens- und förderungswürdigen Aspekten des Journalismus müsste dringend mal gestellt werden. Das betrifft ja nicht nur Presseausweis und Zugangsberechtigungen, sondern auch sowas wie die Aufgaben von öffentlich-rechtlichen etc.

    • Genau. Der Presseausweis ist völlig nebensächlich, den hatte ich nur mit reingeschrieben um zu verdeutlichen, wie ungeeignet die geltenden Kriterien sind.

  5. Pingback: Von Journalisten und Aktivisten | JO/CA

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