Wer erinnert sich noch an die Einführung des Schengener Abkommens? Gegen Ende meines Studiums habe ich mir die ‚Freude‘ gegönnt, es mal zu lesen. (Beschlossen wurde es ’85, dazu kam ’90 das sog. Durchführungsübereinkommen, und ’95 wurde das Schengener Abkommen in Kraft gesetzt).
Im Grunde ist es banal: Ziel des Schengener Abkommens war (und ist), die innereuropäischen Grenzkontrollen abzubauen (Europa hier = EU). Feine Sache, an sich.
Aaaaaaber.. dann können sich ja die gefährlichen Ausländer (je Land andere) völlig frei bewegen, das geht ja nicht. Der Kriminalität wären Tür und Tor geöffnet. Deswegen mussten die Ausgleichsmaßnahmen her, im Durchführungsübereinkommen beschrieben.
Der Teil des Schengener Abkommens, der den Abbau der Kontrollen und mehr Freizügigkeit beschreibt, ist weniger als eine Seite lang. Die Ausgleichsmaßnahmen brauchten, wenn ich mich richtig erinnere, in der damaligen Fassung ca. 30 Seiten.
Die EU-Website fasst es ganz übersichtlich zusammen:
Zu den wesentlichen Maßnahmen, die im Rahmen von Schengen beschlossen wurden, gehören:
- die Abschaffung von Personenkontrollen an den Binnengrenzen;
- ein gemeinsames Regelwerk für Personen, die die Außengrenzen der EU-Mitgliedstaaten überschreiten;
- die Angleichung der Einreisebedingungen und der Visa-Bestimmungen für Kurzaufenthalte;
- die Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit (einschließlich eines grenzüberschreitenden Beschattungs- und Verfolgungsrechts);
- die Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit durch eine Regelung für eine raschere Auslieferung und durch die Übertragung der Vollstreckung von Strafurteilen;
- die Einrichtung und Entwicklung des Schengener Informationssystems (SIS).
Allgemeinverständlich bedeutet das, dass zum Ausgleich die Polizeikooperation, Überwachung und Kontrolle massiv ausgebaut wurden, außerdem wurden die Außengrenzen enorm verstärkt. Frontex ist ein Ergebnis davon, genauso wie die zu hunderten im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlinge, für die wir die Verantwortung gern anderen überlassen. Und ganz reale Mauern.
Ende letzter Woche kroch eine kleine Meldung durch die Nachrichten:
Innenminister der EU einigen sich auf Notfall-Grenzkontrollen Das gab es bisher immer mal an bestimmten Grenzen, etwa wenn große Gipfelproteste zu erwarten waren oder auch bei Sportereignissen. Aber nicht dauerhaft. Jetzt
soll ein „Notfallmechanismus“ eingeführt werden, wonach einzelne Mitgliedstaaten als „letzten Ausweg“ ihre Grenzen dichtmachen können, falls ein anderer EU-Staat seine Außengrenzen nicht verlässlich kontrolliert. Diese Maßnahme sollen Mitgliedsstaaten maximal zwei Jahren anwenden können. (Süddeutsche)
Entweder wird der Grund für mehr Kontrolle und Überwachung – der Abbau der Grenzkontrollen – nicht mehr gebraucht, weil die Innenminister meinen, das Ausmaß an Überwachung wäre ausreichend – unwahrscheinlich. Oder aber sie denken, dass sich an den ursprünglich vorgeschobenen Grund inzwischen eh niemand mehr erinnert und sie deswegen die polizeilich ausgesprochen nützlichen Kontrollen an jeder Grenze jetzt deswegen wieder einführen können.
Anlass sind übrigens die vielen Flüchtlinge aus Nordafrika während des Arabischen Frühlings. Demokratie gern, aber bitte nicht hier!
Bei EU-Themen wird gern vermittelt, dass sie irgendwie in einem undurchschaubaren Dschungel entstehen. In aller Regel, und auch diesmal, spielt Deutschland im EU-Dschungel die entscheidende Rolle: EU-Länder lassen Brüssel eiskalt abblitzen
Ein Meilenstein der europäischen Integration hat am Donnerstag leichte Risse bekommen. Unter dem Eindruck anschwellender Flüchtlingsströme brachten die EU-Innenminister in Luxemburg ihre umstrittene Neufassung des Schengen-Abkommens auf den Weg: Dem Entwurf nach dürften die Mitgliedstaaten weiter eigenmächtig über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen entscheiden und sich künftig auch bei löchrigen EU-Außengrenzen notfalls abschotten. Die EU-Kommission ist brüskiert, das Europäische Parlament empört – und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hochzufrieden.
„Wenn die Sicherheit in Europa insgesamt in Gefahr ist, sind wir handlungsfähig“, sagte der CSU-Politiker nach dem Treffen mit seinen Ressortkollegen.
Die Rhetorik kennen wir ja zur Genüge.
Grafik: Wikipedia
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Diese „Notfall“-Rhetorik schrammt nur ganz knapp an „Notstand“ vorbei. Au weia!
Mittelmeer mit Doppel-e und ohne h. 🙂
Davon allerdings ab: Warum sollten „wir“ die Verantwortung für im Mittelmeer Ertrinkende nicht „anderen“ überlassen? De facto tragen „wir“ nicht die Verantwortung für Ertrinkende im Mittelmeer, sondern derjenige selbst, der sich ohne Pistole auf der Brust in eine überfüllte, leckende Nußschale begibt. Oder sehe ich da etwas falsch?
Ja. Wenn jemand sich durch einen leichtsinnigen Fahrstil auf der Autobahn selbst in Gefahr begibt und in einen Unfall gerät hast du trotzdem die Pflicht zur Nothilfe. Du hast nicht das Recht am Unfall vorbeizufahren und laut „Idiot! Selbst schuld!“ zu rufen.
Wir tragen vielleicht nicht die Verantwortung für all die vielen Flüchtlinge, die in diesen Zeiten den Weg gen Europa suchen, ABER: Grosstönende Politiker lassen doch vollmundig die ganze Welt glauben das „Hier“ im „Wir“ alles besser ist, das alle sich ganz doll lieb haben und – wenn die bösen bösen Bankster nicht mal wieder quertreiben – eigentlich alles heile Welt ist…. da muss man sich wohl nicht wundern, wenn diese Worte in Zeiten des globalen gesellschaftlichen Umbruchs und der Hoffnungslosigkeit ob repressiver und undurchschaubarere Machtstrukturen allerorten wie feinster Dünger auf dem trockenen Boden der unbezwingbaren Ideale der Menschlichkeit wirken, Hoffnung und Wille zum Wandel der eigenen Lebenssituation. Politiker: Verschliesst nicht die Grenzen, öffnet Eure Herzen, und erntet gefälligst was Ihr säet….
das thema wird sich nie ändern, nicht in einem jahr und auch nicht in einem jahrhundert. solang es die menscheit gibt , haben wir damit zu tun. helfen kann nur ein einheitlicher wohlstand, und das ist ein ding der unmöglichkeit im kapitalismuß. gruß daniel
@Josh@_[°|°]_
Ich würde schon sagen, dass du das falsch siehst. Dazu müsste natürlich erstmal „Wir“ definiert werden: ich meine damit Deutschland, alle, die zu dieser Gesellschaft gehören, und damit auf irgendeine Weise mit Verantwortung für deutsche Politik tragen – auch wenn wir sie ablehnen.
Deutschland ist maßgeblich mit verantwortlich für das Elend, den Hunger, die Ausbeutung in Afrika, die zu den Gründen gehören, warum Menschen versuchen, nach Europa zu kommen. Natürlich haben die selber die Entscheidung getroffen, die Boote zu benutzen, aber was ist die Alternative? Den eigenen Kindern und Verwandten beim Verhungern zuzugucken?
Und selbst wenn es so dramatisch gerade nicht ist: es gibt ja keinen Grund, warum wir hier das Privileg haben sollten, uns ein Leben mit Perspektive und allen Möglichkeiten zuzugestehen, während viele Menschen in Afrika das nur deswegen nicht haben, weil sie zufällig am falschen Ort geboren wurden.
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>Demokratie gern, aber bitte nicht hier!
Was hat Demokreatie mit Staatsgrenzen zu tun??
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