Der Osten ist halt braun. …?

Im Magazin der Berliner Zeitung vom Wochenende gibt es einen großartigen Artikel von Sabine Rennefanz: Uwe Mundlos und ich. Eine Betrachtung über die Generation der Nachwendekinder und die neue Mauer in der Gesellschaft.

Lest ihn ganz, es lohnt sich. Ein paar Appetithäppchen:

„Tja“, sagte ein Kollege, der beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeitet, „der Osten ist halt braun.“ Eine Kollegin von einer überregionalen Zeitung stimmte ihm zu. Sie hatte auch gleich eine Erklärung. Das liege an den Familien in der DDR, an dem staatsverordneten Antifaschismus, der mangelnden Kommunikation. „Die Menschen in der DDR haben sich doch nie mit der Nazizeit auseinandergesetzt, da wurde doch in den Familien nicht drüber geredet.“

Es fiel mir schwer, ruhig zuzuhören, mir war auf einmal heiß, mein Gesicht brannte. Ich kannte die Kollegen nicht so gut. Doch ich wusste, dass sie im Westen groß geworden sind. Ich fragte mich, woher sie wissen wollen, was in Familien in der DDR beredet wurde.

 

…lese ich in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel unter der Überschrift „Das Gift der Diktatur“. Darin wird behauptet, die Terrorserie sei ein Rachefeldzug der postsozialistisch erzogenen Jugendlichen gegen die pluralistische Gesellschaft im Westen.

Schon nach den ersten Sätzen fällt es mir schwer, weiterzulesen. Schuld seien die Eltern, so die These, weil sie den Kindern kein Mitgefühl und keine Emotionen vermittelt haben.

Das ist echt mal ein interessantes Stereotyp. Ich erinnere mich deutlich daran, dass zumindest in den ersten Jahren nach der Wende (eher: Übernahme) durchaus  beidseitig der Grenze als akzeptiert galt, dass Ossis emotionaler, ‚wärmer‘, mehr auf Zwischenmenschliches fokussierter wären als Wessis. Siehe das benachbarte Bild mit dem besseren Sex. Wann ist das gekippt?

… „Verwahrlosung, höhere Gewaltbereitschaft und fremdenfeindliche Einstellungen waren schon im Kern vor 1989 in der DDR stärker ausgeprägt als in der Bundesrepublik“, schreibt er in einem Beitrag für den Tagesspiegel. Er führt das Neonazi-Potenzial auf die Vollerwerbstätigkeit der Mütter und die Einbindung in „staatliche Institutionen“ zurück.

Die arbeitenden Mütter sind schuld an den Nazis? Heim, Herd, Kristina Schröder? Aber Moment, wird dann deren Kind auch ein Nazi?

Christa Wolf ist auch immer die Ostdeutsche geblieben. In einem Nachruf im Spiegel wird sie als „DDR-Repräsentantin“ beschrieben, um literarische oder gesellschaftliche Relevanz für das vereinte Deutschland geht es nicht, …

Das Beispiel Christa Wolf illustriert wirklich gut, wo die Mauer in den Köpfen zu finden ist. Wieviele große westdeutsche Schriftsteller werden als ‚westdeutsche Schriftsteller‘ beschrieben?

Sobald ein Problem in Ostdeutschland auftritt, wird es zu einem „ostdeutschen“ Thema. Man stelle sich das umgekehrt vor: Die großen Kindesmissbrauchsskandale wurden in Hessen und in West-Berlin aufgedeckt Trotzdem gilt die Pädophilie nicht als westdeutsche Spezialität.

Eben. Und dann geht es um die Nazis:

Uwe Mundlos war 16, als die Mauer fiel. Er war 18, als er seine Lehrstelle zum Datenverarbeitungskaufmann beim Optikunternehmen Carl Zeiss verlor. Das erzählt sein Vater im Spiegel. Danach hat Uwe Mundlos 21 Jahre im vereinigten Deutschland gelebt.

Da gibt’s nicht viel zu rechnen: wo hat er länger gelebt? Was hat ihn stärker beeinflusst?

Wer sich als Jugendlicher in der Nachwendezeit abgrenzen wollte, hatte es nicht so leicht, eine Protestkultur zu finden. Links wie die Westkinder konnte man nicht werden. Die sozialistischen Floskeln, das große Pathos hatten mich schon in der DDR gestört.

An dieser Stelle hätte ich gern, dass die westlinken Sozialismus-FreundInnen sich mal gründlich an die Nase fassen und wenigstens zwei, drei Minuten nachdenken (die ostdeutschen auch).

Und die tolerante westdeutsche Gesellschaft?

Keiner meiner westdeutschen Kollegen hatte in den späten Neunzigerjahren türkische oder arabische Freunde. Auf Partys blieb man unter sich. Fatih Akin durfte seine Filme drehen, sonst sollten Türken bitteschön unsichtbar sein. Das Multikulti-Gerede war schon immer verlogen. In Deutschland, lernte ich, misstraut jeder dem anderen, der nicht so ist wie er selbst.

Sehr bequem, 20 Jahre Nachwendezeit und den west-/gesamtdeutschen Einfluss in dieser Zeit auszublenden. Dabei erinnere ich mich deutlich an den weitreichenden Konsens, dass die westdeutsche Gesellschaft vor der Wende wesentlich weniger konservativ war. Der ideologische Sieg des Kapitalismus‘ war hinterher auch im Westen deutlich spürbar.

Die jungen Ostdeutschen wuchsen in den Neunzigerjahren nicht im luftleeren Raum auf. Es gab eine fremdenfeindliche Stimmung mit der Debatte über das neue Asylgesetz. 1993 wurde das Asylrecht faktisch abgeschafft. Die Gerichte, die Polizei, der Verfassungsschutz, das waren keine DDR-Behörden mehr, sondern gesamtdeutsche Behörden, besetzt mit Personal aus Westdeutschland. Sie haben weggeguckt, als immer mehr Jugendliche in Springerstiefeln herumliefen.

Lest den ganzen Artikel, es steht noch viel mehr drin und gut geschrieben ist er außerdem. Danke an und Applaus für Sabine Rennefanz.

9 Gedanken zu „Der Osten ist halt braun. …?

  1. Ich habe 36 Jahre in der DDR gelebt und wenn ich nicht ehemalige DDR Bürger höre wie sie über das Leben in der DDR erzählen bin ich von ihren analytische Fähigkeiten beeindruckt.
    Jetzt in der Dauerkrise, die DDR kann keine Schuld haben es geht um Europa, werden wohl langsam einige aufwachen und merken das sie nicht Gewinner der System – Auseinandersetzung sind sondern einfach übrig geblieben sind.
    Ich habe erlebt wie nach der Wende die Wessis eingefallen sind und uns zeigen wollte wie richtig gekackt wird. Treue SED Anhänger wie der DDR-CDU nun mal war wurde von der WEST-CDU assimiliert und waren auf einmal die Guten.
    38% der CDU Mitglieder sind über 66 Jahre alt. In 20 Jahren ist ein Großteil der Probleme auf natürliche weise gelöst.
    Übrigens die NPD Führer im Osten kommen größtenteils aus den westlichen Bundesländer.

  2. Pingback: Hirnrollator » Blog Archiv » über’n Weg gelaufen …

  3. Danke für die Hinweise.

    Kleine Anmerkung: „Da gibt’s nicht viel zu rechnen: wo hat er länger gelebt? Was hat ihn stärker beeinflusst?“

    Naja, 16 Jahre Kindheit und Jugend beeinflussen ‚möglicherweise‘ schon stärker als die folgenden 23 Jahre, zumindest ist die zweite Frage nicht ganz so eindeutig zu beantworten wie die erste. Davon unbenommen gebe ich Dir Recht, dass pauschal eine wie auch immer geartete Beeinflussung durch die ersten 16 Jahre zu postulieren ebenfalls Humbug ist. 🙂

  4. Die Ursachen für die verstärkte Bezugnahme auf xenophobes und nationalistisches Gedankengut nach der Wende in der DDR liegen überwiegend in der Wendezeit selbst und den gebrochenen Biografien. Das ist gesicherte Erkenntnis (siehe Hans-Joachim Maaz), die aber natürlich nicht zugelassen werden soll. Hier ein schöner Artikel aus dem Freitag dazu:

    http://www.freitag.de/0534-heimatlos/?searchterm=Regine%20Igel

    „Heimatverlust bei Ostdeutschen

    Diesem Verständnis von Heimat folgt auch die Leipziger Psychologin Beate Mitzscherlich, die sich mit dem Heimatverlust von Ostdeutschen beschäftigt. Auch plötzliche Wechsel innerhalb eines politischen Systems lösen kulturelle und soziale Bindungen auf und schaffen eine konfliktreiche Situation der inneren Emigration. Für die Ostdeutschen, die nicht in den Westen des Landes zogen, ist zwar der lokale Bezug erhalten geblieben, doch die sozialen und kulturellen Zusammenhänge haben sich so stark verändert, dass sie für viele nicht mehr integrierend sind. Das Kollektiv in der DDR wurde von einer sozialen Differenzierung abgelöst, durch die Menschen mit derselben Bildung und derselben Herkunft auseinander gebracht wurden. Wie bei Migranten hat der Verlust stabiler Strukturen des „Kennen, Gekannt- und Anerkanntwerden“ (Mitzscherlich) auch bei vielen Ostdeutschen das innere Gleichgewicht erschüttert.

    Nicht die Identifizierung mit dem Staat DDR, die bei den meisten gar nicht vorhanden war, sei, so Mitzscherlich, verloren gegangen, sondern die Identifizierung mit einer osteuropäisch geprägten Kultur. Viel Erlerntes, was die eigene Identität ausmachte, war plötzlich nichts mehr wert. Abwertungen werden dann durch überzogene lokale, regionale oder nationale Identifikation oder sogar durch den Anschluss an rechte Gruppen und Parteien, die Zugehörigkeit zu bieten scheinen, kompensiert. Von der verinnerlichten gewohnten Kultur abgeschnitten zu sein und sich in der neuen aufzulösen, kommt einem Identitätsverlust gleich“

  5. Ich möchte das irgendwie auch verdeutlichen:

    Das vielgehasste kollektive Geborgenheitsgefühl in der DDR (welches trotz der Außenseiter-Erfahrungen von Bürgerrechtlern und aktiven Christen existierte und das gesell. Klima bestimmte), das weitgehende Fehlen der heutigen Konkurrenzsituation in den Arbeitsbeziehungen und die völlige Abwesenheit von Existenzangst im heutigen Verständnis, hat zu einer DDR-spezifischen Pazifierung der Individuen und der Herausbildung einer auf Gewaltlosigkeit bedachten kollektiven Intelligenz (auch in den von der DDR praktizierten internationalen Beziehungen) beigetragen. 1990 wurde genau DAS brutal enttäuscht bzw. aufgehoben, da mit den angelernten Persönlichkeitsmerkmalen ein erfolgreiches Leben im BRD-Kapitalismus anscheinend nicht mehr möglich war.

    Es war auch ein Konflikt auf der Bewusstseinsebene bzw. der real existierenden Zustände, der seelische Not hervorgerufen hat. Wenn junge Menschen sahen, wie ihre Eltern massenhaft dem Alkoholismus verfielen und die Rente nicht mehr erlebten, dann hinterlässt das Spuren; die Verarbeitung und der Umgang damit hängen allgemein ab, von Persönlichkeitstyp, Art der frühkindlichen Bindung und von der Fähigkeit Emotionalität leben zu können.

    Und: Die vielzitierten verdrängten negativen Gefühle, wie Wut, Ohnmacht und erlittene Kränkungen und Demütigungen sind kein DDR-spezifisches Problem. Im Gegenteil. Die zunehmend unerträglichen Konflikte spielen sich heute am Arbeitsplatz und in den zwischenmenschlichen Machtverhältnissen ab (z.B. in den SGBII-Bedarfsgemeinschaften) und nahmen in den letzen zwanzig Jahren immer zerstörerische Formen an. Man spricht nicht um sonst von Re-Feudalisierung (z.B. Oskar Negt, in „Arbeit und Menschliche Würde“). Die Trennung von Arbeit und Privatleben und die damit verbundenen Gegensätze, sind heute mindestens so epidemisch, mit dem Unterschied, dass ein Privatleben heute – wegen den inhumanen Ansprüchen an die Verwertung und Vernutzung der Arbeitskraft- oft gar nicht mehr stattfinden kann.

    Die kulturindustrielle Bearbeitung der DDR-Sozialisation mit dem Ziel der (immer noch) boshaften Umdeutung, Ablenkung und Irreführung durch die unvermeidlichen Medien- und Kulturarbeiter, ist ein weiterer (krankmachender) Leidensfaktor. Auch dadurch leiden wir an Deutschland. Auch Linke leiden daran. Viele können oder wollen es nur nicht zugeben.

    Politik- und Medienanalyse Sachsen
    (RN)

  6. Ist der Osten braun oder malen ihn die Anstreicher nur so? Briefe zu („Der Terrorschock“)?

    Hallo geehrte BloggerInnen,

    in jedem Land sind terroristische Akte ein Zeichen, das etwas nicht richtig läuft. Nun, um das zu wissen, muss man weder Politiker noch einer politischen Bewegung anhängig sein. Aber eines könnte von jedem Bürger u. Bürgerin erwartet werden: Ein Land sollte seine Probleme mit seinen eigenen Stärken bekämpfen bzw. lösen.

    Was ist die Stärke von der Bundesrepublik Deutschland? Wohl, weil es ein Land der Dicher und Denker ist?! Ein Ansatz ist die Verarbeitung eines Briefwechsels, der als e-book erschíenen ist (u.a. Kindle-Amazon). Wo die Wahrheit im Detail auch stecken mag…dieser unbekannte Indie-Autor beschäftigt sich dichterisch mit diesem Thema. Warscheinlich zum ersten Mal seit der Aufdeckung der Terrorserie im November 2011. In den Briefen wird auch auf den Osten der BRD eingegangen.

    Wie auch immer, mit Dichten und Denken wurden bisher immer die größten Herausforderungen bewältigt (übrigens in vielen Ländern). Letzteres sollte auch im sogenannten “Land der Dichter und Denker” möglich sein. 🙂

    mit besten Grüßen

    euer Hobbydenker

  7. Wie man angesichts der Wahlergebnisse der LINKEN in den neuen Ländern von einem „Braunen Osten“ sprechen kann ist mir ein Rätsel…

    Da sind wohl die Proportionen abhanden gekommen…

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