Wintermärchen

Nicht mehr taufrisch sind zwei Studien, die Anfang Dezember kurz durch die Nachrichten blitzten und uns sicher noch eine Weile beschäftigen werden. Nicht unbedingt die Studien, aber sicher ihr Inhalt.

Erkenntnis Nr. 1: Die Terrorberichterstattung schürt die Angst vor Muslimen

KommunikationswissenschaftlerInnen der Uni Jena haben die Hauptfernsehnachrichten von August 2007 bis Februar 2009 untersucht. Das Ergebnis, stark vereinfacht: Terrorwarnungen werden als reale Gefahr wahrgenommen = Terror wird inszeniert (dies war lange vor De Maizières jetzt-aber-wirklich-Warnungen im November). Die TV-Nachrichten berichten über „Taten und Aktivitäten“, weniger über Ursachen.

Doch die Berichterstattung in allen Sendern setzt ihren Schwerpunkt darauf, dass „die größte Gefahr vom islamischen Terrorismus ausgeht„, hat Prof. Frindte ermittelt, wenngleich dies vor allem von den Zuschauern der Privatsender so gesehen wird. Verbunden wird diese unterschwellige Nachricht mit der Botschaft, nur eine Verstärkung der militärischen und Sicherheitsmaßnahmen würde dagegen helfen. Damit verknüpften die Medien – noch weit vor der Sarazzin-Debatte – das Thema Terrorismus und Muslime und schürten so die Angst vor Muslimen.

Erkenntnis Nr. 2: Die Islamfeindlichkeit nimmt bei Reichen und Linken zu

Seit zehn Jahren untersucht Wilhelm Heitmeyer plus Team Deutsche Zustände. Ergebnis im letzten Band: Mehr Menschen fühlen sich durch die wirtschaftlichen Entwicklungen bedroht, Islamfeindlichkeit nimmt in der politischen Mitte und links der Mitte zu, außerdem bei Besserverdienenden.

In linken Milieus verliere die Norm der Toleranz, sonst fester Bestandteil der politischen Einstellung, beim Thema Islamfeindlichkeit an Wirkung. (Beate Küpper im Tagesspiegel)

Die Tagesschau nennt das „deutliche Vereisung des sozialen Klimas“, rohe Bürgerlichkeit und einen zunehmenden Klassenkampf von oben.

Aus Heitmeyers Vorwort:

Gegen Ende des Jahrzehnts, seit 2008, treten durch den radikalen Kapitalismus, insbesondere den Finanzkapitalismus, produzierte Krisen auf, die ganze Volkswirtschaften in den Abgrund stürzen können. Diese Erschütterungen hinterlassen entsprechend tiefe Spuren, zumal sie von der Regierung auch noch mit einer Politik der offenen und verdeckten Umverteilung zu Lasten sozial Schwacher begleitet werden, was die soziale Spaltung der Gesellschaft weiter vorantreibt.(…)

Ein weiterer Akzent dieser Folge liegt auf der Beobachtung des Agierens der Eliten, die sich in der zynischen Abwertung bestimmter schwacher Gruppen üben, eine »aktivierende«, man könnte auch sagen »peitschende« Politik betreiben oder sich in wertlosen Wertedebatten, getragen von »kostenloser« Moral, ergehen. (Leseprobe bei Suhrkamp, pdf)

 

Vervollständigt wird das Ganze durch eine Studie (pdf) der Friedrich-Ebert-Stiftung, nach der sich „bereits jeder vierte Deutsche eine rechtsautoritäre Diktatur als Antwort auf das Versagen der Politik wünscht“ (Telepolis: Die Verrohung der Mittelschicht).

Derweil hat die FAZ nichts besseres zu tun, als Sarrazin zu Weihnachten die erste Seite des Feuilletons als Podium anzubieten. Passt ja in gewisser Weise gut zu den gerade beschriebenen Entwicklungen. Ich hätte bloß nicht gedacht, dass wir schon so weit sind.

Angela Merkel lächelt, Kristina Schröder sucht weiter Linksextremisten und Deutschland beschäftigt sich mit dem Schnee.

Jetzt wäre noch Gelegenheit, etwas zu tun. Aktiv gegen Islamfeindlichkeit vorzugehen etwa. Irgendwann ist es vielleicht zu spät.

9 Gedanken zu „Wintermärchen

  1. Lies auch mal Döpfners „Der Westen und das höhnische Lachen des Islamismus“ durch: http://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article11164664/Der-Westen-und-das-hoehnische-Lachen-des-Islamismus.html Von einer Rüge des Presserates oder sonstiger Reaktionen habe ich bisher nichts vernommen.

    Interview zum Thema antimuslimischer Rassismus in den Medien findest Du auch im aktuellen CORAX Medienmagazin: http://medienmagazin.net/nachhoren-medienmagazin-recherche-dezember-20

    Kürzlich gab es in Hamburg eine Veranstaltung zum Thema: http://wochenendseminar.blogsport.de

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  4. Wie wäre es, mal etwas gegen den (neuen) Antisemitismus und die Homophobie in Deutschland zu tun? Ach nee, das geht ja nicht, dann würde man die „Islamfeindlichkeit“ ja steigern, wenn mehr Leute merken, woher diese neue Welle kommt…

  5. … etwas zu tun 🙂

    „Wenn Hartz-IV-Empfänger über Jahre hinweg in den großen Boulevardmedien als Leistungsverweigerer gebrandmarkt werden und Politiker christlicher und liberaler Parteien in steter Regelmäßigkeit an die niederen Instinkte appellieren, indem sie mit sozialdarwinistischen Thesen auf Wählerfang gehen, ..“
    .. und wenn das selbe über Fremdenfeindlichkeit gesagt werden kann, dann hat das Volk stichhaltige Argumente gegen die Politik. Es ist einfach sich über einen Horst Seehofer zu empören, man hat als gewöhnliche Bürger jedoch üblicherweise keinen Zugang zu Wüstlingen solchen Kalibers. Noch einfacher ist es die lokale Politik für ihre nationalen Aushängeschilder zur Rechenschaft zu ziehen. In einer Grossstadt mag das schwierig erscheinen im Jungle von Personen und Zuständigkeiten, aber auch dort kann der nächste Politiker unser Nachbar sein. In den Dörfern sind das ein halbes bis ein dutzend Leute in ihren Ämtern. Diese kann und soll man schütteln für auf nationaler Ebene ausgetragenen Unsinn, moralisch, historisch und emotional. Abgesehen davon dass man Lokalpolitiker und -politikerinnen nicht belagern sollte, so müssen Werte welche ein solidarisches Miteinander voraussetzen der zugänglichen Basis der politischen Parteien verpflichtend eingebläut werden. In dieser von Neoliberalismus und seinen Faschismen durchdrungenen Zeit, ist jeder Anarchist liberaler und christlicher als das, was das Establishment zu bieten hat. Man muss den Leuten an der politisch-bürgerlichen Basis den Widerstand erkenntlich machen und für diesen gewinnen. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33857/1.html

  6. in Ergänzung, wichtig erscheint mir sich zu vergegenwärtigen, dass (fremdenfeindliche und sozialdarwinistische) Agitation an sich lediglich ein vorgeschobenes Motiv darstellt. Der Agitateur, der an niedere Instinkte Appellierende hat etwas zu verbergen, kocht sachfremde Emotionen hoch um vom eigentlichen Skandal abzulenken. Horst Seehofer, weshalb kommt übles aus seinem Munde? Weil ihm sein Herz stockt ob den Milliarden die er kommen sieht und wie diese Milliarden elitär, konkret von unten und von der Mitte nach oben verteilt werden. Sein christliches Gewissen kollidiert mit dem unfairen System welches er repräsentiert. Und weil er die Systemtreue höher hält als seine christliche Moral, deswegen straft ihn Gott mit unreinem Munde, so funktioniert Religion, und die Wut der Beleidigten wird ihm solange anhängen und dann, wenig später in der Zeit, kommen unerwartete und wirklich grosse Probleme auf ihn zu. Wären einem Seehofer solche Worte egal, so könnte er ebenso aus der Kirche austreten und das „christlich“ aus dem Parteinamen tilgen.

  7. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die FAZ Sarrazin ernst nimmt – habt ihr das Foto zum Artikel gesehen, Sarrazin mit Weihnachtsmannmütze? Hab gut gelacht…

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