Heute vor 20 Jahren wurden 14 Technik-Studentinnen in Montréal erschossen

Plakette zur Erinnerung an 14 Studentinnen, die am 6.12.89 an der polytechnischen Hochschule von Montreal erschossen wurden. Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mtl_dec6_plaque.jpgHeute vor 20 Jahren wurden an der École Polytechnique in Montréal, Kanada, 14 Studentinnen erschossen. Der Täter, der sich danach selbst erschoss, gab in seinem Abschiedsbrief an, dass Feministinnen sein Leben ruiniert hätten.

Er begann das Massaker, in dem er einen Vorlesungssaal betrat, in dem sich etwa 60 Maschinenbau-StudentInnen befanden. Er separierte Männer und Frauen und fragte die Frauen, ob sie wüssten, warum sie dort seien. Eine verneinte. Er sagte dann: "Ich kämpfe gegen den Feminismus". Nathalie Provost antwortete: "Hör mal, wir sind bloss Frauen, die Maschinenbau studieren, nicht unbedingt Femistinnen, die auf Demos gehen und gegen Männer sind; nur Studentinnen, die ein normales Leben leben wollen." (Quelle: Wikipedia). Danach schoss er auf die neun Frauen. Sechs von ihnen starben (Bericht der Gerichtsmedizin).

Der 6. Dezember ist in Kanada Nationaler Tag der Erinnerung und Aktionstag gegen Gewalt gegen Frauen

Terri Oda berichtet für den CU-WISE-Blog (Women in Science and Engineering – Carleton University) über Aktivitäten zum 20 Jahrestag. Nachdem sie den Film über die Vorfälle in Montréal gesehen hat, zieht sie Parallelen zu aktuellen Drohungen gegen Frauen, die in der Open-Source-Community aktiv sind:

Es hat mich sehr bewegt. Mark Lepines Abschiedsbrief hat große Ähnlichkeiten zu den Todesdrohungen, die ich und viele andere Frauen, die in der Open-Source-Community aktiv sind, von einem Gestörten erhalten haben (Warnung: hier wird zu einem Artikel verlinkt, der das ekelhafte Zeug diskutiert, das er sagt).

Trailer zum 2009 erschienenen Film Polytechnique

http://www.youtube.com/watch?v=1EM9r83Dv2A

 

Update: Weitere Artikel zum Thema:

Nathalie Provost, Heidi Rathjen, Alain Perreault – rabble.ca: 20 years after the Montreal Massacre

Catherine Porter – The Star: Lessons of the Montreal Massacre

Antonia Zerbisias – Broadsides/The Star: The F-Word

Judy Rebick – Transforming Power: Twenty years later remember the women slaughtered in Montreal and then organize

Jessica Yee – rabble.ca: The next generation – and what women sometimes forget – on December 6th

Joanne Laucius – The Ottawa Citizen: The Montreal Massacre casts long shadow

Gendercide Watch: Case Study:
The Montréal Massacre

Es gibt auch ein Buch, von Heidi Rathjen, die
auch in der Hochschule war und danach erfolgreich eine Kampage für
stärkere Kontrolle von Schusswaffen betrieben hat: December 6th: From the Montreal Massacre to Gun Control

 

Bild: Wikimedia Commons

32 Gedanken zu „Heute vor 20 Jahren wurden 14 Technik-Studentinnen in Montréal erschossen

  1. Danke nochmal – mir war dieses Verbrechen völlig unbekannt, ehrlichgesagt war mir noch nicht einmal die Tatsache dezidiert antifeministischer Gewalt (die sich nicht einfach gegen linke oder alternative Frauen richtet, die auch Feministinnen sind) bekannt.

  2. Eine gute Freundin schrieb mir vor 3 Tagen:
    »Now our planet is going from bad to worst just because of stupid males. One day society will change again.«

    Ich habe schon lange Null Toleranz, wenn jemand diesen Mörder Hans Reiser verteidigt. Und das haben viele gemacht. Einige tun es noch. Möge Hans Reiser mehr Unglück und Leid erfahren, als er über Nina gebracht hat!

    Was die Amokläufe angeht sind die Täter ausschliesslich Männer und das auch in »kleineren« Dimensionen – in den Medien meist »Familiendrama« genannt. Die Opfer sind meist Frauen. Das ist wie ein roter Faden!

    Dass sich Stalker, durchgeknallte Amokläufer und andere Frauenhasser hauptsächlich aus der Masculistenszene rekrutieren, wundert micht nicht. Diese Psychopathen sind eine latente Gefahr und müssen bekämpft werden!

    Feministinnen haben viel geleistet und erreicht. Zukünftig müssen Feministinnen allerdings IMHO das Streben nach der Gleichberechtigung nochmals überdenken. Stattdessen sollten sie alles so einrichten, dass sie immer mehr Macht als die Männer haben. Das wäre natürlich und die Männer werden es akzeptieren.

  3. Nach den neun hat er, an anderen Orten der Hochschule, weitergeschossen. Und im übrgen noch viel mehr verletzt als die 14, die gestorben sind.

  4. Bei allem gebotenem Respekt vor den Opfern und der Verachtung für die Tat und die Motive des Täters, weiß ich nun nicht wirklich, wie ich einen solchen Artikel einzuschätzen habe.
    Mit Verlaub, so wie hier dargestellt, wirkt es doch nach einer singulären Motivation des Massakers. Mir fehlt der Kontext, die Einordnung und vor allem eine sinnvolle Einordnung. Ebenso hätte man auch die konfessionelle Prägung durch den Vater hervorheben können (sofern Wikipedia hier verlässlich ist) und das ganze aus der frauenfeindlichen in die islamophobe Ecke drängen können – nach dem Motto: sieht man mal, was die misogyne Kultur so hervorbringt. Was allemal ebenso sinnlos erscheint.

    Noch einmal, ich zweifle nicht am Hass auf Frauen – weder in diesem Fall noch allgemein. Mir fehlt es bloß an einem geeigneten Anlass, dies so kontextlos hier zu erwähnen. Was soll das Ganze (außer der Erinnerung daran) erreichen? Was belegt denn die Motivation in diesem Fall, wenn nicht nur, dass derartige Täter auf vielerlei irrationale Begründungen zurückgreifen? Persönlich habe ich durch diesen Artikel nichts gewonnen, was ich nicht schon vorher wusste.

  5. Polytechnique habe eigentlich noch nicht gesehen, würde aber gerne das machen. Danke für den Trailer, bin schon mal echt gespannt.

  6. Ich bin nicht unbedingt Feminist. Aber der Mann hat Frauen wahllos erschossen, weil es Frauen waren. Also gehört die Tat in die Rubrik „Gewalt gegen Frauen“. So einen Amoklauf muss man zwar nicht gleichsetzen mit der Gesellschaft, in der er stattfand. Aber es ändert nichts an der Einordnung.

    Schräg finde ich solche Aufrufe:
    „Zukünftig müssen Feministinnen allerdings IMHO das Streben nach der Gleichberechtigung nochmals überdenken. Stattdessen sollten sie alles so einrichten, dass sie immer mehr Macht als die Männer haben. Das wäre natürlich und die Männer werden es akzeptieren.“

    Der dahinter stehende Gedanke ist so etwas wie Sippenhaft. Hier sollen ALLE Männer darunter leiden, dass einige ihrer Geschlechtsgenossen machoistische Mörder sind bzw. waren. Das ist ein schon fast rassistischer Gedanke. Denn das impliziert, dass alle Männer gleich wären oder eine Mitverantwortung für andere Männer hätten.

    Ich kann dazu als Mann nur sagen, dass ich mit den meisten Männern wenig gemein habe, wenig zu tun habe und ich mich auch nicht qua meines Mannseins aufgefordert fühle, die Machoattitüden mancher Leute geradezurücken. Ich bin kein Kollektivwesen, sondern ein Individuum. Natürlich bin auch ich rollengeprägt und insofern kein Individuum. Aber eine persönliche Verantwortung für die Verhaltensweisen von irgendwelchen hypermaskulinen Leuten kann ich nicht erkennen. Es sei denn, sie verhalten sich so in meinem Einflussbereich. Dort trete ich ihnen dann auch entgegen. Aber ich mache jetzt keine Hausbesuche bei mutmaßlich machoistischen Geschlechtsgenossen 😉

  7. Der Feminismus in der überwiegenden Form wie wir ihn in Deutschland kennen ist leider nicht mehr Teil der Lösung, sondern inzwischen Teil des Problems.

    Daran ändert dieses einzigartige Verbrechen vor Jahrzehnten nichts. Gleiche Rechte (und Pflichten) für Männer und Frauen sind von den meisten Feministinnen gar nicht gewollt, im Gegenteil wurde der Feminismus im Laufe der Jahrzehnte immer mehr zu einer Art des Sexismus.

    Progressive Männer und Frauen haben dies längst erkannt, und wenden dem mittlerweile erstarrten Feminismus den Rücken zu. In anderen Ländern ist das sogar teilweise noch anders, dort erfindet sich der Feminismus neu. In Deutschland ist das nicht zu erkennen, hier ist es Kritikpunkt genug, wenn eine Gruppe von Menschen zufällig nicht weiblich ist:
    http://www.emma.de/pascha_2009_6.html

    Und wenn eine Gruppe daher kommt, die Menschen nicht in Männer und Frauen aufteilt, sondern Menschen alle wie Menschen behandelt, eine Gruppe die die stereotypen Geschlechtereinteilungen überwunden hat, dann bricht für den hiesigen, dem dogmatischen Feminismus eine Welt zusammen. Es ist ein Trauerspiel.

  8. „Der dahinter stehende Gedanke ist so etwas wie Sippenhaft. Hier sollen ALLE Männer darunter leiden, dass einige ihrer Geschlechtsgenossen machoistische Mörder sind bzw. waren. Das ist ein schon fast rassistischer Gedanke. Denn das impliziert, dass alle Männer gleich wären oder eine Mitverantwortung für andere Männer hätten.“

    Nein, es ist ein SEXISTISCHER Gedanke. Das ist eine der radikalsten und am höchsten organisierten Formen des Sexismus in unserer Gesellschaft. Und leider scheint er auf kaum Widerstand zu stoßen. Etwas, das sich noch ganz böse rächen wird, bzw. sich heute bereits rächt.

    Und was das Thema Gewaltopfer angeht:
    Es ist eine hübsche Legende, dass die meisten Opfer von Gewalt Frauen seien. Es ist nicht so. Obwohl die Männer in der Minderheit sind in unserer Gesellschaft, sind mit großem Abstand die meisten Gewaltopfer Männer. Frauen werden seltener Opfer von Gewalt.

  9. @netreaper
    „Es ist eine hübsche Legende, dass die meisten Opfer von Gewalt Frauen seien. Es ist nicht so. Obwohl die Männer in der Minderheit sind in unserer Gesellschaft, sind mit großem Abstand die meisten Gewaltopfer Männer. Frauen werden seltener Opfer von Gewalt.“

    Das stimmt. Die meisten Gewaltopfer sind Männer. Und die Grauuzonen sind noch größer: Männliche Gewalt wird um ein vielfaches häufiger angezeigt als weibliche. Häusliche Gewalt geht nicht nur von Männern aus usw.

    Aber bezogen auf den Amoklauf in Montreal verändert das nichts. Ein Beispiel: Anfang der 90er trug ich lange Haare. In der ehemaligen DDR wuchs neben meinen Haaren die Skinheadszene, die Langhaarige per se als „links“ einstufte. Langhaarig zu sein war Grund genug, um krankenhausreif geschlagen zu werden. Das hat mir gewaltig Angst gemacht.

    In Montreal hat einer viele Menschen erschossen, allein, weil sie Frauen waren. Das ist in gleicher Weise furchterregend, wenn man eine Frau ist und sich vorstellt, Opfer solcher willkürlichen Gewalt zu werden. Für mich ist genau DAS der Punkt an Montreal, weil ich ihn sehr gut nachempfinden kann. Für die potenzielle Opfergruppe ist es wenig tröstlich, wenn andere auf die relative Friedlichkeit unserer Gesellschaft hinweisen.

    Allerdings lässt sich aus diesem Amoklauf nicht ohne weiteres eine Gesellschaftsdiagnose machen. Dazu muss man erst empirisch nachprüfen, ob es zwischen Amoklauf und der Gesellschaft einen ursächlichen Zusammenhang gibt. Und das ist immer ein riskantes Unterfangen. Wirklich gesellschaftspolitisch interessant werden solche Vorfälle erst, wenn man einen Trend erkennen kann und wenn es für diesen Trend auch gesellschaftliche Ursachen gibt.

    Was den Emma-Feminismus angeht, kann ich Dir nur recht geben.

  10. @NetReaper Witzig, dass du ausgerechnet die Emma heranziehst um nachzuweisen, dass Feminismus Sexismus ist. Immerhin hat Alice Schwarzer geschrieben:
    “Es gab mal einen Slogan, der hieß: Die Zukunft ist weiblich. Ich fand den immer schrecklich. Denn so wenig, wie ich die männliche Gegenwart wünschenswert finde, so wenig hoffe ich auf eine weibliche Zukunft. Ich glaube nicht daran, dass Frauen das bessere Geschlecht sind (und Männer das schlechtere). Es sind einfach die (Macht)Verhältnisse, die den einen mehr Gelegenheiten zu Übergriffen geben als den anderen. Ich wünsche mir also ganz einfach eine menschliche Zukunft.” [http://www.aliceschwarzer.de/124.html%5D

  11. Alice Schwarzer ist in ihrer Auffassung von Feminismus nicht sonderlich Reaktionär und hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie ihre eigene Weltsicht vermarktet. Wissenschaftliche Auftarbeitung (populäre Beispiele sind Genderidentität und BDSM) steht dort nicht zur Debatte.

    Ihre Aussage, sie wolle die „männliche Gegenwart“ nicht durch eine weibliche ersetzen und ihrem Schluss (Machtverhältnisse ausgleichen) erkenne ich sehr wohl Sexismus. Die alternative Frauenbewegung kritisiert Machtzentriertheit als „männlich“ und leitet hieraus die Idee einer „weiblicheren“ Gesellschaft ab.

  12. @ GxS:

    Den Mörder Hans Reiser habe ich deshalb erwähnt, da die Diskussion auf den von Anne verlinkten Seiten auch darum ging. Das muss man hier natürlich nicht weiter ausführen, da stimme ich zu.

    Valerie Solanas ist eine Schriftstellerin und hat mit der Thematik hier nicht wirklich viel gemein.

    Der Einzelfall Brenda Ann Spencer bestätigt gerade mal die Regel, dass zu 99.99 % Männer die Täter sind.

    @ Internetausdrucker:

    Das war nun nicht unbedingt so gemeint, dass alle Männer immer als potentielle Mörder, Gewalttäter und Amokläufer begriffen werden sollen, sondern es ging mir darum, dass vieles schneller und einfacher gehen würde, wenn sich Feministinnen nicht immer nur an die Gleichberechtigung klammern würden.

    Die Zukunft ist weiblich!
    Ja, das ist sie. Nur möchte ich auch gerne noch etwas von dieser Zukunft haben in diesem Lebenszyklus. Deshalb wünsche ich mir, dass es bald „Die Gegenwart ist weiblich!“ heisst.

  13. @Adrian Lang

    Ich sage nicht, dass Feminismus == Sexismus ist. Ich habe nur bewiesen, dass Feminismus und Sexismus sich leider nicht ausschließen. Das ist es aber, was uns weiß gemacht werden soll. Obwohl es offensichtlich nicht stimmt.

    Und ansonsten wäre in der emma die Piratenpartei nicht dafür „kritisiert“ worden, dass viele ihrer Mitglieder als Mann auf die Welt gekommen sind. Da kann man ja auch Martin Luther King vorhalten, dass er als Schwarzer auf die Welt gekommen ist. Beides ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

  14. <Der Text, der hier stand, steht drei Kommentare weiter oben. Meine Blogplattform noblogs.org hat offenbar ein Problem mit dem nachträglichen Editieren von Kommentaren>

  15. Nun haben wir also wieder das Freund-Feind-Schema. Die Welt ist ja so einfach, wenn man sie in schwarz und weiß einteilen kann.
    Die feministische Ideologie hätte bei umgekehrter Geschlechterverteilung (Frau erschießt Männer) nach den Beweggründen gefragt, die diese Frau als Täterin dazu gebracht haben, eine solche Tat zu begehen. Liebe männliche Geschlechtgenossen: durchschaut doch bitte diesen Argumentationsmechanismus und macht ihn euch zunutze. Feministinnen haben da weniger Skrupel.
    Alice Schwarzer hat bereits 1994 zur Gewalt gegen Männer aufgerufen, und damit den Primat der Justiz hintenan gestellt:
    „Sie hat ihren Mann entwaffnet. (…) Eine hat es getan. Jetzt könnte es jede tun. Der Damm ist gebrochen, Gewalt ist für Frauen kein Tabu mehr. Es kann zurückgeschlagen werden. Oder gestochen. Amerikanische Hausfrauen denken beim Anblick eines Küchenmessers nicht mehr nur ans Petersilie-Hacken. (…) Es bleibt den Opfern gar nichts anderes übrig, als selbst zu handeln. Und da muss ja Frauenfreude aufkommen, wenn eine zurückschlägt. Endlich!“
    Emma 1994
    Wo war damals der Aufschrei?

  16. @Anne

    Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Debatte über den Feminismus angesichts der ermordeten Frauen etwas befremdet.

    Auf der anderen Seite gibt es eben immer wieder diese pauschalen Anwürfe gegen Männer an sich (siehe dazu gleich den zweiten Kommentar zu Deinem post). Und es gibt bei vielen Männern große Empfindlichkeiten bei diesen Thema. Es ist für einen Mann schlechterdings unmöglich, die diversen Spielarten des Feminismus zu kritisieren. Hier kann man sich auch als Wissenschaftler ziemlich den Mund verbrennen. Feminismuskritik findet hinter vorgehaltener Hand statt, weil man ansonsten ziemlich hart dafür angegangen wird. Das ist schon ein Problem.

    Ich weiß, dass sollte angesichts der Opfer des Amoklaufs kein Thema sein, weil es ein Luxusproblem ist. Wir leben und die Frauen sind tot, nur weil sie eben Frauen waren. Angesichts dessen sollte man den Ärger über irgendwelche Ideologien standhaft hinunterschlucken. Aber es ist schwer, weil man(n) eben bei diesem Thema die üblichen Vorwürfe und Herabwürdigungen erwartet.

    Meine Analogie mit den Naziglatzen im Osten passt auch hier: Natürlich habe ich in den 90ern beklagt, dass der Osten voller Nazis ist. Ich hatte ja auch schlimmstes von diesen Leuten zu befürchten. Und natürlich fanden viele Ostdeutsche, dass sie diese pauschalen Nazivorwürfe gegen alle nicht hinnehmen wollten. Sie hatten recht. Aber die, die sich vor den Nazis fürchteten, hatten auch recht. Wenn mich eine Horde Nazis verfolgt und mich bedroht, kann ich mich nicht wirklich um die Befindlichkeiten der anderen ostdeutschen Nichtnazis kümmern. Das ist ungerecht, aber auch irgendwie nachvollziehbar.

  17. Wiederholung des Kommentars am 7.12. um 23:06:

    Erstmal Danke an alle, die der Artikel zum Denken und Schreiben angeregt hat.

    Was mich allerdings wirklich verblüfft ist, wie ein Artikel, der sich mit dem Mord an Frauen beschäftigt, die ermordet wurden, weil der Täter Feministinnen hasste, zu einer Diskussion gedreht werden kann, bei der es darum geht, was falsch am Feminismus ist.

    Es gibt ja viele (wirklich unglaublich massenhaft viele) Gewalttaten an Frauen, Aggressionen gegen Feministinnen wie auch Aktivitäten gemeingefährlicher Männer. Sehr selten in dem direkten Zusammenhang. Hier aber war es schrecklich deutlich. Der Täter hat es gesagt und auch geschrieben: er handelte aus Hass auf Feministinnen.

    Es ist mir unbegreiflich, wie es dann in weniger als 10 Sätzen um die Schuld von Feministinnen gehen kann. An was auch immer – Unterdrückung von Männern, Gewalt an Männern, Sexismus, der grundsätzlich falschen Ideologie…
    Nebenbei bemerkt: es kann wohl als einigermaßen gesichert und wissenschaftlich belegt gelten, dass es nicht den einen Feminismus gibt und genausowenig ein erklärtes Ziel, das von allen Feministinnen gemeinsam verfolgt wird.

  18. Wankende Rollenbilder und das Aufbrechen ehemals fester struktureller Grenzen führen zu Schwierigkeiten bei der Suche und der Definition der eigenen Identität. Es ist immer leichter, irgendwem oder irgendeiner Gruppe die Schuld für eigene Fehler und gefühlte Versager zu geben, als über Gründe und möglicherweise mittlerweile falsche und überholte gesellschaftliche Vorgaben nachzudenken.

    Die Irrationalität dieser Tat vor 20 Jahren, bei der ein Mann aus welchen Gründen für seinen Hass auf Feministinnen auch immer 14 Frauen stellvertretend umbrachte, ist rational nicht fassbar.
    Es ist leichter, diese Tat zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema Feminismus zu abstrahieren und die Ursachen dieses Verbrechens in den Fehlern, die unter dem Banner „Feminismus“ begangen wurden, zu finden. Ebenso leicht verständlich ist es, wenn diese Argumentation von Angehörigen der gleichen Gruppe, der auch der Täter angehörte, geführt wird – auch hier wieder stellvertretend.

    Diese Auseinandersetzung zeigt mir, dass sich in den vergangenen 20 Jahren wenig geändert hat. Noch immer sind wir von einer Welt, in der selbstverständlich von menschlichen Individuen gesprochen wird, meilenweit entfernt – noch immer gibt es ein „wir“ und ein „ihr“.
    Interessant ist dabei, dass der Vorwurf der Verallgemeinerung und der Sippenhaft auf beiden Seiten erhoben wird.

  19. @anque

    „Interessant ist dabei, dass der Vorwurf der Verallgemeinerung und der Sippenhaft auf beiden Seiten erhoben wird.“

    Dafür kann es verschiedene Erklärungen geben:
    1)Es ist eine ideologische Kampfformel, die der jeweiligen Gegenseite Unmoral vorwirft, um sie zu diskreditieren.

    2)Es ist Ausdruck dafür, dass sich hier jemand angegriffen fühlt – ob berechtigt oder nicht.

    Klar, nicht jede Kritik am Feminismus ist redlich. Aber umgekehrt ist keine Spielart des Feminismus völlig sakrosankt. Und nicht jeder Mann, der beim Feminismus Probleme sieht, ist automatisch ein Verteidiger der überkommenen Geschlechterordnung. Das ist ein zu grober Keil.

    Es kann aber gut und gerne sein, dass viele Frauen nicht ganz nachfühlen können, dass gewisse feministische Varianten schwer an der männlichen Identität zerren. Ich bin in den 70er Jahren aufgewachsen und mit dem schlechten Gewissen, männlich zu sein, groß geworden. Das ist nicht schön. Es ist ein tiefes Gefühl von Minderwertigkeit. Schon als Kind habe ich mich gegrämt, der Sorte Mensch anzugehören, die für alles Schlechte verantwortlich ist.

    Gut, nun bin ich in die Schiene abgerutscht, die Anne eigentlich nicht wollte: Die Klage der Männer über irgendwelche Ungerechtigkeiten. Sorry dafür. Aber ich bitte dennoch um etwas mehr Verständnis. Dergleichen Probleme immer gleich abzutun ist jedenfalls oft einfach verletzend.

    Mir ist trotzdem klar, dass das ein anderes Thema ist. Die kränkelnde Männeridentität hat erst einmal gar nichts mit dem Massaker in Montreal zu tun. Die Verknüpfung von diesem Vorfall und der Feminismuskritik ist eigentlich falsch.

  20. Einerseits unglaublich, andererseits darf es aber kaum wundern, daß ein Artikel über einen leider nicht einmaligen noch sonderlich seltenen Fall frauenfeindlicher Gewalt mit derartigen Kommentaren versehen wird. „Natürlich muß auch der Feminismus kritisert werden,“ „Man sollte ja nicht SO sehr an der männlichen Identität zerren“, „Der Feminismus ist Teil des Problems“…

    Solche Sätze hört man nicht selten, vor allem wenn lange genug in Stammtischnähe sitzt. Aber warum tauchen sie ausgerechnet hier auf, wo es um einen feigen Mörder geht, der seinen Hass auf Feministinnen (aus seiner Sicht jede gebildete Frau) durch einen Amoklauf zum Ausdruck gebracht hat.

    In so einem Zusammenhang wirkt die Reihe von Unwissenheitsbekundungen und grob entstellten Alice Schwarzer-Zitaten schon wie die Sprüche mancher Vergewaltigungsapologeten: „Selber schuld“, „Kuck ma an, was die anhatte. Die wollte es“, „Hat sie sich selber eingebrockt“. Nur einen trifft keine Schuld: den Täter.

    Einer bemängelt die seines Erachtens versäumte Untersuchung der Motive des Täters. Seine Motive hat er klipp und klar dargelegt. „Ich kämpfe gegen den Feminismus“ ist im Zusammenhang mit so einem Massaker eine ziemlich eindeutige Mission Statement. Würde man jedenfalls meinen.

    Noch einer gibt zu bedenken, daß häusliche Gewalt auch von Frauen ausgeht. Stimmt, und zwar in etwa in dem Maße, wie es stimmt, daß sich der deutsche Wähler „auch“ für die MLPD begeistert.

    Lauter Kommentare, die dieses Verbrechen vom Täterhorizont aus betrachten.

  21. „Lauter Kommentare, die dieses Verbrechen vom Täterhorizont aus betrachten.“

    Genau das sind diese provozierenden Vereinfachungen. Genau deshalb regt sich hier Kritik am Feminismus. Weil immer allzuschnell der Tätervorwurf kommt.

    Ich hatte eigentlich versucht, bei allemdem sachlich verständlich zu machen, warum das Thema so aufregt.

    „Solche Sätze hört man nicht selten, vor allem wenn lange genug in Stammtischnähe sitzt. Aber warum tauchen sie ausgerechnet hier auf, wo es um einen feigen Mörder geht, der seinen Hass auf Feministinnen (aus seiner Sicht jede gebildete Frau) durch einen Amoklauf zum Ausdruck gebracht hat.“

    Diese Frage ließe sich sicherlich am besten durch ZUHÖREN beantworten. Frage doch diejenigen, die eben genau in diesem Zusammenhang solches äußern. Aber das setzt voraus, dass diejenigen nicht schon vorher abgeurteilt werden als latente oder gar manifeste Täter oder wenigstens Unterstützer der Männerherrschaft.

    Im übrigen ist die Geschlechterforschung da auch schon erheblich weiter und unterscheidet zwischen hegemonialer Männlichkeit und einer untergeordneten Männlichkeit. Nur die, die sich der hegemonialen Männlichkeit erfreuen, sind auch Teil einer wie auch immer verstandenen Herrschaft von Männern. Die anderen sind eher Demonstrationsobjekte der Herrschaft der ersteren. Folgt man dem Soziologen Michael Meuser, dann wird diese Herrschaft vorrangig an männlichen Opfern vollzogen und weniger an Frauen. Und nein, Meuser gehört nun ganz gewiss nicht zu den Leuten, die vor der Gewalt gegen Frauen die Augen zu machen.

  22. Genau das sind diese provozierenden Vereinfachungen. Genau deshalb regt sich hier Kritik am Feminismus. Weil immer allzuschnell der Tätervorwurf kommt.

    Das war kein Tätervorwurf, sondern eine Feststellung. Fast jeder Kommentar greift die Leitsätze des Täters auf. Hinzu kommt, daß manche „den Feminismus“ (als gäbe es nur einen!) durch grob entstellte Zitate diffamieren wollen. Das ist natürlich keine Provokation. Provozierend ist es nur, wenn man darauf angesprochen wird. Das verstehe ich.

    „Ich hatte eigentlich versucht, bei allemdem sachlich verständlich zu machen, warum das Thema so aufregt.“

    Lassen wir mal die angebliche Sachlichkeit außen vor. Glaubst du wirklich, daß Erklärungsbedarf darüber besteht, wieso ein als Kampfansage gegen die Frauenbewegung gestalteter Massaker für Aufregung sorgt?

    „Solche Sätze hört man nicht selten, vor allem wenn lange genug in Stammtischnähe sitzt. Aber warum tauchen sie ausgerechnet hier auf, wo es um einen feigen Mörder geht, der seinen Hass auf Feministinnen (aus seiner Sicht jede gebildete Frau) durch einen Amoklauf zum Ausdruck gebracht hat.“

    „Aber das setzt voraus, dass diejenigen nicht schon vorher abgeurteilt werden als latente oder gar manifeste Täter oder wenigstens Unterstützer der Männerherrschaft.“

    Wieder einmal eine grobe Entstellung. Und ein bißchen Täter-Opfer-Umkehr noch dazu. Schön. Wo hat man die ganzen „Eigentlich hat er nicht Unrecht“-Kommentatoren „abgeurteilt“ worden?

    Im Übrigen geht es viel eher darum, daß es Nutznießer des Männerprivilegs sind, die ihre privilegierte Stellung gar nicht erst wahrnehmen (wollen).

    „Im übrigen ist die Geschlechterforschung da auch schon erheblich weiter und unterscheidet zwischen hegemonialer Männlichkeit und einer untergeordneten Männlichkeit. Nur die, die sich der hegemonialen Männlichkeit erfreuen, sind auch Teil einer wie auch immer verstandenen Herrschaft von Männern. Die anderen sind eher Demonstrationsobjekte der Herrschaft der ersteren. Folgt man dem Soziologen Michael Meuser, dann wird diese Herrschaft vorrangig an männlichen Opfern vollzogen und weniger an Frauen. Und nein, Meuser gehört nun ganz gewiss nicht zu den Leuten, die vor der Gewalt gegen Frauen die Augen zu machen.“

    Wenn dies hier eine zutreffende Wiedergabe ist, dann ist er jedenfalls einer, der vor den empirischen Daten die Augen zu macht, was für seine Stellung als verkörperte Geschlechterforschung schon ein bißchen problematisch ist. Es mag höchstens so sein, daß diese Untergeordnet-Männlichen sich als Opfer wahrnehmen, aber das ist auch kein Novum. Das nennt man kognitive Dissonanz. Auch der Mörder, um den es hier eigentlich geht, hat sich als Opfer wahrgenommen. Das Schöne an Privilegien ist, daß man sie gar nicht erst wahrnehmen muß.

  23. Ich verstehe nicht, worüber man wir hier diskutieren könnten.

    Gibt es eine Annahme, daß das kein Psycho- oder Soziopath war, sondern soetwas wie ein zugespitzter Normalfall, also ein Produkt der Gesellschaft, welches sich so ähnlich wiederholt abspielen wird, auch hier und in Frankreich vielleicht?

    Wenn ich an Open-Source und Gender-Mainstreaming denke, dann fällt mir auf, daß es ein eklatantes Mißverhältnis zwischen Männern und Frauen in unseren Breiten gibt, aber ohne daß es eine antifeministische oder agressive Haltung bei den betreffenden Männern gäbe.

    Das könnte ich mir vorstellen zu problematisieren, aber das der Montrealfall viel mit mir zu tun haben könnte sehe ich nicht.

  24. „Wenn ich an Open-Source und Gender-Mainstreaming denke, dann fällt mir auf, daß es ein eklatantes Mißverhältnis zwischen Männern und Frauen in unseren Breiten gibt, aber ohne daß es eine antifeministische oder agressive Haltung bei den betreffenden Männern gäbe.“

    Das mag durchaus so erscheinen (und sogar durchaus – auf der Ebene des Bewußten jedenfalls – auch so sein). Oft kommen solche Haltungen erst dann zum Vorschein, wenn das ganze thematisiert wird. So hat es sich z.B. in der Debian-Entwickler-Community unlängst zugetragen, als jemand versuchte, eine Gruppendynamik zur Sprache zu bringen, die zum Ausschluß von Frauen führt. Auf einmal wurden diejenigen, die das thematisieren wollten, mit allen möglichen sexistischen Beschimpfungen beschmissen.

    Außerdem ist hierzu anzumerken, daß in dieser Gesellschaft sehr häufig mit einem falschen Sexismusbild gearbeitet wird. Wenn von Sexismus die Rede ist, geht es meist um irgendwelche unverhohlen sexistische Schweinereien und eben um Menschen wie den Täter, um den es in diesem Beitrag geht.

    Dabei sind diese Systeme – Sexismus, Rassismus, Klassenherrschaft, u.v.a. – größtenteils latent. Diejenigen, die dadurch privilegiert sind, brauchen sich ihrer Privilegien gar nicht bewußt zu sein, und sind es häufig auch nicht. Was einem selbstverständlich ist, braucht man gar nicht zu merken.

    Ein derartiges System stillschweigender Grundannahmen und -übereinkünfte wirkt oberflächlich betrachtet ganz neutral, und wird von den meisten Beteiligten auch so wahrgenommen. Und da zu diesen Systemen gehört, daß die von ihnen Privilegierten auch über die Deutungshoheit verfügen, wird denjenigen, die die Auswirkungen des jeweiligen Systems am besten kennen, selten Gehör oder gar Glaube geschenkt, so daß das Ergebnis der Ausschluß- und Unterdrückungsmechanismen nicht als solches erkannt wird. Vielmehr heißt es dann „Frauen interessieren sich nicht für Schach“, „Arbeiterkinder sind zu blöd fürs Gymnasium“, usw.

  25. @Elise Hendrick
    „dann ist er jedenfalls einer, der vor den empirischen Daten die Augen zu macht, was für seine Stellung als verkörperte Geschlechterforschung schon ein bißchen problematisch ist.“

    Nein, Herr Meuser macht nicht vor dem empirischen Daten die Augen zu. Die belegen übrigens unumstößlich, dass die meisten Gewaltopfer männlich sind. Gewalt findet vor allem unter Männern statt, ist ein Feld des Wettbewerbes unter Männern.

    Das ändert nichts an Gewalttaten, die an Frauen und Kindern verübt werden. Das relativiert auch keinen einzigen Fall. Gewalt ist immer schrecklich, egal, wie häufig sie ist.

    „Es mag höchstens so sein, daß diese Untergeordnet-Männlichen sich als Opfer wahrnehmen, aber das ist auch kein Novum. Das nennt man kognitive Dissonanz.“

    Nein, das ist nicht kognitive Dissonanz, sondern Ergebnis der modernen Geschlechterforschung. Kognitive Dissonanz ist es meiner Meinung nach, solche Dinge per se bestreiten zu wollen, anstatt sie mal zur Kenntnis zu nehmen.

    Es ist eine irrsinnig vereinfachte Gesellschaftstheorie, die annimmt, alle Männer genössen die Privilegien der männlichen Vorherrschaft. Eine solche Theorie ist offenbar am Schreibtisch entstanden und mit der Wirklichkeit nicht in Berührung gekommen. Entscheidend ist aber nicht ein solches grobschlächtiges sozialwissenschaftliches Modell, sondern das reale Leben. Und dort gibt es nicht einfach zwei Gruppen: Männliche Privilegieninhaber und unterdrückte Frauen.

    Es gibt in dieser Welt reichlich männliche Opfer. Warum muss man das so hartnäckig verleugnen? Es geht mir hier doch nicht darum, mich einer Opfergruppe zuzuordnen.

    Du erhebst ja dann auch noch den Vorwurf, die Täter würden sich hier zu Opfern uminterpretieren. Aber dieser Vorwurf funktioniert doch nur, wenn man in Kollektiven denkt, wenn man die Menschen nicht mehr als Individuen begreift.

    Wenn aber der eine oder andere Mann ein Opfer ist, was hat das konkret mit mir zu tun? Rein gar nichts. Wenn die Zahl der Gewalttaten gegen Männer (verübt von Männern) höher ist als die gegen Frauen, bin ich deshalb automatisch ein Opfer? Mitnichten! Ich bin ich. Ich habe mit den allermeisten Männern rein gar nichts gemein.

    „Auch der Mörder, um den es hier eigentlich geht, hat sich als Opfer wahrgenommen. Das Schöne an Privilegien ist, daß man sie gar nicht erst wahrnehmen muß.“

    Diese Verknüpfung ist schon etwas perfide, mit Verlaub. Der Mörder ist kein Opfer, er ist ein Täter. Meine Argumentation bzw. die von mir zitierte lässt sich nicht einfach gleichsetzen mit dem Täter von Montreal. Für diese Gleichsetzung gibt es in meinen posts auch keine Anhaltspunkte. Bitte lass das.

  26. Ich sehe ganz adventsharmonisch hier keinen ganz so großen Widerspruch – ich finde, in Teilen habt ihr beide recht.

    Klar sind etwa Männer viel häufiger Gewaltopfer, weil Gewalt viel mehr unter Männer stattfindet. Genauso sitzen ja auch viel mehr Männer im Knast – in absoluten Zahlen.

    Ich bin auch der Meinung, dass Männer wie Frauen letzten Endes durch patriarchale Gesellschaften benachteiligt werden und eigentlich großes ureigenes Interesse haben müssten, das zu ändern. Eigentlich ist es doch viel angenehmer, um es mal etwas platt runterzubrechen, weniger stark konkurrenzorientiert in tatsächlich gleichberechtigen Beziehungen zu leben etc. etc.

    Insofern sind wir alle ‚Opfer der Zustände‘.

    Aber eben in unterschiedlichem Maß.

    Genauso halte ich nämlich für richtig, dass Männer in der Regel (das sind zur Verdeutlichung von Strukturen hier alles starke Verallgemeinerungen und natürlich gibt es jede Menge Ausnahmen in alle Richtungen..) mehr von patriarchalen Strukturen profitieren, einfach weil sie sich eher aussuchen können, ob sie auf der Gewinner- oder Verliererseite in diesem Spiel stehen.

    Ich glaube sofort, dass viele Männer es Scheiße und persönlich unangenehm finden, wenn sie bemerken, dass eine Frau nachts allein auf der Straße Angst hat. Dass sie vielleicht die Straßenseite wechseln, damit sie nicht das Gefühl hat, dass sie (die Männer) hinter ihr herlaufen. Oder wenn sie (die Männer) sowas beobachten, sich nicht wohl oder hilflos fühlen. Oder oder.

    Genauso bin ich aber sicher, dass sie, wenn es ihnen gerade nicht gut geht oder wenn es in Strömen regnet, im Zweifel zuerst an sich denken und eben hinnehmen, dass die Frau vielleicht Angst hat.

    Dasselbe lässt sich am Beispiel „Die Kollegin verdient weniger Geld“ / „Die Hausarbeit wurde schlechter beurteilt“ etc. durchdeklinieren.

    Das ist das von Elise beschriebene Privileg, sich aussuchen zu können, wann man sich betroffen fühlt.

    Die Frau nachts auf der Straße hat die Wahl nicht, ob sie jetzt wer blöde anmacht oder nicht, auch wenn sie schlechte Laune hat oder klatschnass ist und es ihr gerade echt nicht in den Kram passt.

    Damit sind wir dann bei den Individuen. Natürlich sind wir Individuen und nicht nur Teil einer wie auch immer definierten Gruppe. Nur: selbst wenn ich mich jetzt gerade wenig als Frau, sondern vor allem als Mensch fühle und weiß, dass ich abstrakt denken kann und eine gute räumliche Vorstellung habe, werde ich trotzdem permanent damit konfrontiert, dass ich das als Frau ’natürlich‘ nicht kann. Männer in anderen Fragen auch, aber im Resultat haben diese Zuschreibungen eben vor allem diskriminierende Auswirkungen gegen Frauen.

    Wenn wir ‚einfach nur so‘ unter unterschiedlichen Rollenzuschreibungen zu leiden hätten, ohne dass darin eine Hierarchie steckte mit handfesten Auswirkungen, sähen die Statistiken ja doch ganz anders aus. Dann würden vielleicht in unterschiedlichen Jobs Frauen und Männer unterschiedlich viel verdienen, aber nicht insgesamt Frauen so viel weniger.

    Das waren jetzt nur die sehr plakativen Beispiele und selbstredend ist alles wesentlich komplexer.

  27. @Anne
    Vielen Dank für Deinen guten Kommentar. Deine Adventsharmonie ist ansteckend. Die meisten Deiner Aussagen kann ich unterschreiben. Einigem würde ich widersprechen wollen. Aber Deine ausgleichende Art finde ich gut.

    Was ich sonst noch dazu sagen wollte, habe ich drüben in meinem blog gepostet:
    http://internetausdrucker.wordpress.com/…frauen/

    Meine Antwort ist lang geworden und ich wollte Deine Seite nicht damit vollspammen.

  28. „Ich glaube sofort, dass viele Männer es Scheiße und persönlich unangenehm finden, wenn sie bemerken, dass eine Frau nachts allein auf der Straße Angst hat. Dass sie vielleicht die Straßenseite wechseln, damit sie nicht das Gefühl hat, dass sie (die Männer) hinter ihr herlaufen. Oder wenn sie (die Männer) sowas beobachten, sich nicht wohl oder hilflos fühlen. Oder oder.“

    Oder, um ein Beispiel zu nennen, an dem viele Männer ziemlichen Anstoß nehmen, die Wendung „potentieller Vergewaltiger“, was viele Männer als einzelpersonenbezogene Anschuldigung mißverstehen. Da die Frauenfeindlichkeit in nicht geringem Maße von diesem Mißverständnis – das auch mit dem von Anne Angesprochenen sehr viel zu tun hat – profitiert, wäre es vielleicht gut, jetzt damit aufzuräumen.

    Man muß das nämlich vom Wahrnehmungshorizont der nachts (oder sonst irgendwann irgendwo) allein auf der Straße gehenden Frau aus verstehen. Die Männer, vor der Frauen auf der Hut sein müssen, tragen kein eindeutiges Kennzeichen. Welcher wildfremde Mann so etwas tun wird, läßt sich nicht augenscheinmäßig ermitteln. D.h., so ziemlich jeder Unbekannte, der an einer vorüberzieht könnte zwar völlig harmlos, oder eben brandgefährlich sein. Im Interesse der eigenen Sicherheit und körperlichen Unversehrtheit ist es vor dem Hintergrund sinnvoll, von potentieller Gefahr auszugehen.

    Es handelt sich also in aller Regel nicht um irgendeine persönliche Anschuldigung oder Unterstellung, sondern um eine Vermutung im Zweifelsfalle, die wie soviele andern auf der Tatsache basiert, daß es weniger riskant ist, sicherheitshalber vom schlimmsten Fall auszugehen (z.B. jedes ungeprüfte, industriell hergestellte Lebensmittel ist eine potentielle Infektionsquelle, u.v.a.m.).

    Überhaupt scheinen die Probleme vieler Männer mit dem (von ihnen wahrgenommenen) Feminismus an derartigen Mißverständnissen zu liegen: Allgemeine Strukturbeschreibungen werden als persönliche Unterstellungen aufgefaßt.

  29. @Elise
    „Man muß das nämlich vom Wahrnehmungshorizont der nachts (oder sonst irgendwann irgendwo) allein auf der Straße gehenden Frau aus verstehen. Die Männer, vor der Frauen auf der Hut sein müssen, tragen kein eindeutiges Kennzeichen. Welcher wildfremde Mann so etwas tun wird, läßt sich nicht augenscheinmäßig ermitteln.“

    Das ist für mich sofort einsichtig und sogar nachfühlbar. Den Grund habe ich vor Tagen schon beschrieben: Als ich stets potenzielles Opfer von Naziglatzen war, habe ich natürlich auch nie erst gefragt, wohin ein Kurzhaariger gehört, sondern ganz pauschal mich in Sicherheit gebracht.

    ²Es handelt sich also in aller Regel nicht um irgendeine persönliche Anschuldigung oder Unterstellung, sondern um eine Vermutung im Zweifelsfalle, die wie soviele andern auf der Tatsache basiert, daß es weniger riskant ist, sicherheitshalber vom schlimmsten Fall auszugehen (z.B. jedes ungeprüfte, industriell hergestellte Lebensmittel ist eine potentielle Infektionsquelle, u.v.a.m.).“

    Das ist einerseits klar und verständlich. Andererseits ist dieses Worst-Case-Denken natürlich gefährlich. Es dient ja gleichermaßen als Rechtfertigung für Repressionen gegen bestimmte Menschengruppen, z.B. Muslime, um Vorkehrungen gegen eventuelle Terroranschläge zu treffen. Aus der Vorsicht kann schnell eine Vorverurteilung werden. Aber wie gesagt, ich bin (siehe oben) nicht frei davon.

    Soweit es wirklich nur Vorkehrung ist, ist es für mich auch OK. Aber ich finde, es gibt schon auch feministische Theorien, die Männer generell in die Täterecke schieben. Und das scheint etliche Leute doch zunehmend zu nerven. Wenn mir nachts eine Frau aus dem Wege geht, dann ist das für mich völlig in Ordnung. Aber wenn ich auch bei anderen Gelegenheiten in einen Topf geworfen werde mit durchgeknallten Frauenmördern und gewaltfreudigen Machos, dann geht bei mir die rote Lampe an.

  30. „Soweit [die Worst-Case-Vermutung] wirklich nur Vorkehrung ist, ist es für mich auch OK. Aber ich finde, es gibt schon auch feministische Theorien, die Männer generell in die Täterecke schieben.“

    Es gibt ja alle möglichen feministischen Strömungen. Da kann man eigentlich nur differenziert ran, denn verallgemeinernde Aussagen treffen bei zunehmender Konkretisierung umso weniger zu. Es gibt z.B. Strömungen, die in der Frauenbewegung noch nie mehrheitsfähig waren, die in jedem Mann sowas ähnliches wie „den Klassenfeind“ sehen, die also nicht nur strukturelle Rollen untersuchen, sondern Feindbilder konstruieren. Das muß man vom viel eher mehrheitsfähigen strukturellen Ansatz – die hierarchische Stellung als willens- und wissensunabhängige soziale Wirklichkeit – differenzieren. In den Medien und in anderen Kreisen wird das ganze auf unsinnige Art vermengt, um einen feindbildtauglichen Feminismus herzustellen.

    Etwas ähnliches sieht man z.B. im linken Diskurs zum Thema Polizei. Es gibt eben diejenigen, die in jedem Bullen den absoluten Feind sehen, der ganz bewußt die Arbeiterklasse (u.v.m.) unterdrückt, und diejenigen, die zwischen Bewußtsein und Willensorientierung des einzelnen und gesellschaftlicher Rolle der Einrichtung als Ganzer unterscheiden. Und natürlich jede nur erdenkliche Zwischenfärbung.

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