Geert Lovink: „Deutschland braucht mehr mutige und kreative Individuen“

Cover iz3w 315Geert Lovink, Netzaktivist und Medientheoretiker wird in der aktuellen iz3w interviewt. Beide verbindet, dass sie gefühlt schon immer da sind. 

Die iz3w ist eine Nord-Süd-Zeitschrift, die dem Netz gegenüber noch gewaltig fremdelt. Das Interview enthält aber einiges, das auch für NetzbewohnerInnen interessant sein könnte (und sollte).

Etwa eine interessante Antwort auf die Frage nach den tausend Subkulturen im Netz, die gemeinsames Handeln verhindern und also nicht (mehr) subversiv seien:

Übrigens sehe ich nichts, was wir gegen tausend Subkulturen haben können.
Deutschland, zum Beispiel, braucht viel mehr mutige und kreative
Individuen. Individualisierung in Deutschland wäre das glückliche Ende
des post-faschistischen Projekts. »Nie wieder« heißt doch auch »Nie
wieder Massenwahn«. Die Vielfalt der Subkulturen verhindert so etwas
effektiv. Die Sehnsucht nach großen sozialen Bewegungen hat etwas
Nostalgisches im negativen Sinne … es kann politische Tätigkeit auch
verhindern.

Er wehrt sich gegen die Vorstellung, im Netz fände etwas statt, das neu und/oder anders sei als das, was  in der ‚realen Welt‘ stattfindet.

Die Idee, das virtuelle Netz sei etwas völlig anderes, eine parallele
Welt, die alternativ wäre, habe ich immer abgelehnt. Gesellschaft und
Internet werden eins – ob wir’s mögen oder nicht.

Gefordert sei eine neue Netztheorie – ob die allerdings, wie er meint, eine Euro-Netztheorie sein muss, wage ich mal zu bezweifeln.

Die Internetideologie wird nach wie vor zum größten Teil von
US-amerikanischen Business- und Managementjournalisten bestimmt. Also
nicht von Technikern oder gar Unternehmern, geschweige denn von
Akademikern. Klar reden diese Leute ungern von Klasse, Rasse, Gender
und so weiter. Sie benutzen durchaus das Wort sozial, meinen damit aber
etwas ganz anderes, nämlich eine große Gruppe von Leuten, die man
selbst ausgewählt hat (also nicht die Anderen). (…)

Die Konservativ-Anarchisten, über die wir hier reden, die den freien
Markt so leidenschaftlich predigen, kennen sich in der Geschichte der
Soziologie oder der sozialen Bewegungen nicht aus. Was sie versuchen zu
beschreiben, ist neues soziales Verhalten, das eruptiv ist, ganz
schnell auftaucht und dann wieder verschwindet. Klar müssen wir sie
kritisieren, aber die größere Herausforderung liegt doch darin, selbst
eine viel genauere und kritische Analyse der hiesigen Gesellschaft
vorzunehmen.

Ohne jetzt in der das derzeit beliebte Piraten-Bashing verfallen zu wollen, sehe ich gewisse Parallelen zu der ‚freien Ideologie‘, das Netz (die Wikipedia/das Parteiprogramm/… ) reguliere sich in allen Fragen am besten selbst, alles andere sei anachronistischer Dogmatismus.Für Hinweise auf Texte (Audios, Videos..), die sich mit dieser Thematik befassen, bin ich übrigens außerordentlich dankbar.

Zum Schluss richtet er sich dann wieder an die deutschen Linken, die dem Netz eher skeptisch gegenüber stehen:

Klar ist Europa ein wichtiger Markt, aber entwickeln wir grundlegende
und subversive Ideen, die die Netze in eine andere Entwicklung steuern?
Kaum. Wir benutzen das Potential nicht, wir sind alle brave
KonsumentInnen und late adapters, inklusive der deutschen Linken. Der
Rest der Welt versteht sich wirklich nicht als Opfer der neuen Medien…

Sondern?

Lerne Linux oder Python. Nimm an der freien Softwarebewegung teil und
versuche, sie überall einzusetzen. Die Leute, die keinen Bock auf
Technik haben, müssen sich ja nicht mit studiVZ oder Facebook
auseinandersetzen, um sich an sozialer Vernetzung zu beteiligen. Das
geht auch mit ning.com oder neuer Software für Aktivisten wie crabgrass
(http://riseuplabs.org/crabgrass/). Was im Moment einfach fehlt, ist
die Schrägheit. Seid bitte nicht so realistisch, denke und lebe
utopisch, Technopolitik oder nicht. Was wir jetzt brauchen, sind
Bewegungen, Technik haben wir genug.

Das ganze Interview im Blog von Geert Lovink und bei der iz3w »Schluss mit dem Kulturpessimismus!« – Interview mit Geert Lovink
über die neuen Kommunikationsmittel

Der Hinweis auf Crabgrass freut mich besonders, weil ich mich mit der Werbung für Crabgrass als Alternative zu Facebook & Co. bisher noch nirgends durchsetzen konnte.

Die Gelegenheit also: annalist/Anne Roth gibt’s auch bei Crabgrass, dem ultimativen Open-Source-von-AktivistInnen-für-AktivistInnen-Sozialen-Netzwerk (und klar, das geht alles viel langsamer, und blinkt nicht):

https://we.riseup.net/annalist

Allerdings bin ich da auch nicht direkt täglich zu finden, da es sich ja doch noch nicht so durchgesetzt hat..

iz3w

Die iz3w ist eine entwicklungspolitische Zeitschrift, die sich in der aktuellen Ausgabe dem Schwerpunkt "Digitale Welten – SoftWares und das Internet"
widmet. Primär richtet sich der an die StammleserInnenschaft der
Zeitschrift, die sich naturgrmäß eher für Internationalismus,
Nord-Süd-Verhältnisse oder Entwicklungspolitik interessiert.

Natürlich geht es um die in einer Nord-Süd-Zeitschrift obligatorische
Frage, wie der Digital Divite inzwischen aussieht und wie er sich
auswirk. Dazu gehört auch to be bangalored – or not to be. Internationale Arbeitsteilung in der Softwareindustrie, in derselben Ausgabe, leider nur als PDF. 

Weitere Artikel im Schwerpunkt der iz3w sind:

7 Gedanken zu „Geert Lovink: „Deutschland braucht mehr mutige und kreative Individuen“

  1. Worin soll denn der Unterschied zwischen »ning.com« und »StudiVZ« bestehen? In sozialen Netzwerken werden zu viele personenbezogene Daten auf nicht wirklich gesicherten Plattformen leichtfertig freigegeben. Ich habe gerade auf »ning.com« eine deutsche Datenschutzerklärung oder deutsche AGB gesucht — da ist nichts zu finden.

    Ich finde es auch nicht zielführend, überall den OpenSource-Ansatz anzuwenden. Das kommt mir wie in dem Spruch Spruch »Ich habe einen Hammer in der Hand, also sehe ich überall nur noch Nägel.«

    Linux/Unix nutze ich schon lange, programmieren kann ich auch, Python wäre eine weitere Scriptsprache für mich. Doch die allermeisten Menschen finden zu diesem Ansatz OpenSource überhaupt keinen Bezug und finden in OpenSource auch nicht die geeigneten Werkzeuge für sich.

    Wie hier in anderem Zusammenhang gesagt wurde: OpenSource, das sind vorwiegend männliche Nerds (in diesem Fall nicht weiß, sondern von überall her). OpenSource ist hier in Deutschland wirklich eine Randgruppe, auch wenn uns das als Bloggern anders erscheint.

  2. wo soll ich anfangen?
    Geert Lovink legt seinen Finger in so viele „Wunden“
    Dieser vermeindliche kritische Medienansatz „Meistern durch verweigern“ begegnet mir in meinem 40-50 jährigen Bekanntenkreis so unglaublich oft!
    Und die halten es dann auch noch für normal, für eine SMS Beträge jenseits der Geschmacklosigkeit zu bezahlen oder einem Knebelvertrag für ein iphone zu zustimmen.
    „Wir benutzen das Potential nicht, wir sind alle brave KonsumentInnen und late adapters, inklusive der deutschen Linken.“ – absolut!
    Und richtig, dies alles wird dann heftig mit Kulturpessimismus gewürzt!
    Seine abschliessende Bemerkung „Lerne Linux oder Python“ verstehe ich in diesem Zusammenhang nicht als „technische Lösung“, sondern als Aufforderung dazu, Technik als kulturelles Gemeingut zu verstehen.

  3. Ja, schade das es nich im Ganzen Netz die Gleichen Gesetze gibt. Mal fehlt das Impressum mal die Agb`s…. Es sollte zumindest eine Richtlinie geben.

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