SPON: Wenn das Telefon merkwürdige Dinge tut

Tut es oder tutet es? Jedenfalls waren wir mit anderen Spiegel Online eine weitere Geschichte wert (mit grammatisch grenzwertigem Titel).

Bedenklich ist in jedem Fall die schiere Länge der Ermittlungen: Seit
sechs Jahren beispielsweise ermittelt die Bundesanwaltschaft, die zu
den Verfahren derzeit keine Auskünfte geben will, schon gegen vier
Berliner. Mit zweifelhaften Textanalysen hatten Beamte des
Bundeskriminalamtes angebliche Übereinstimmungen zwischen
Bekennerschreiben der "militanten gruppe" und den Beschuldigten
zugeschriebenen Texten ausgemacht. Obwohl auch umfassende Überwachung
über mehrere Jahre keine Beweise brachte, wurde das
Ermittlungsverfahren nicht eingestellt.

 

 

Ein Gedanke zu „SPON: Wenn das Telefon merkwürdige Dinge tut

  1. le monde diplomatique, 13, Juni:

    beachtenswert der letzte Satz

    „(…)
    DNA beim BKA

    Was wird untersucht?

    Kleinste Spuren von Körperflüssigkeiten, Haut, Haaren oder Knochenfragmenten dienen als Beweismittel bei polizeilichen Untersuchungen. Dabei wird DNA-fähiges Material gesichert und an die Untersuchungsstellen des Bundeskriminalamts (BKA) und der Bundesländer weitergeleitet. Die DNA-Analyse darf ausschließlich genutzt werden, um einen Verdächtigen zweifelsfrei zu identifizieren, nicht jedoch, um sonstige Informationen über ihn zu bekommen, etwa über Eigenschaften, Aussehen oder Persönlichkeit. Bei einer deutschen DNA-Analyse werden acht Merkmalsysteme verwendet. Stimmen alle acht Genorte der DNA des Verdächtigen mit der gefundenen DNA-Spur überein, ist er mit einer Sicherheit von 1 zu 20 Milliarden überführt.

    Die zentrale DNA-Analyse-Datei

    Sowohl die Landeskriminalämter als auch das BKA selbst speichern die Daten von Beschuldigten, Verurteilten und am Tatort aufgefundenen Spuren in der zentralen DNA-Analyse-Datei des BKA. Sie benutzen diese Datei als Hilfsmittel, um Tatverdächtige zu überführen, Unschuldige zu entlasten, potenzielle Opfer vor Wiederholungstätern zu schützen und Tatzusammenhänge zu erkennen. In den zehn Jahren seit ihrem Start wurden insgesamt 672 352 Datensätze gespeichert (Stand: 1. Quartal 2008). Jeden Monat kommen rund 10 000 neue Datensätze hinzu. Die Aufklärungsquote liegt derzeit bei rund 30 Prozent, das heißt fast jede dritte eingestellte Spur führt zu einem Treffer. So konnten zum Beispiel 41 181 Diebstähle, 3 512 Fälle von Raub und Erpressung, 1 196 Sexual-, 593 Tötungs-, 511 Körperverletzungs-, 397 Rauschgift-, 98 Beleidigungs- und 18 Urkundenfälschungsdelikte aufgeklärt werden.

    Wer darf wie lange speichern?

    Die Speicherung des genetischen Abdrucks ist in der Strafprozessordnung geregelt. Den Beschuldigten können Blutproben und andere Körperzellen zur Feststellung von Tatsachen entnommen werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Wenn die Polizei die DNA speichern will, geschieht das nur mit richterlicher Genehmigung bei Verdacht auf eine Straftat. Neben der Polizei sind auch die Staatsanwaltschaften befugt, Daten aus der DNA-Analyse abzurufen. Die deutschen Daten werden außerdem mit internationalen DNA-Datenbanken über Interpol ausgetauscht. Als Aufbewahrungsfrist schreibt das aktuelle BKA-Gesetz zehn Jahre bei Erwachsenen und fünf Jahre bei Jugendlichen vor. Danach wird geprüft, ob die Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Auch bei einem Freispruch bleiben die Daten im Computer gespeichert und können erst auf Antrag des Freigesprochenen gelöscht werden. Julia Walker

    Le Monde diplomatique Nr. 8604 vom 13.6.2008, 78 Zeilen, Julia Walker (…)“

    im größeren Zusammenhang wird das Thema in derselben Ausgabe diskutiert (Links siehe weiter unten) – allerdings erscheint mir das alles trotz oder gerade wegen des verwissenschaftlichen Tons, in dem die Angelegenheit in professionellen Kreisen mitunter behandelt wird, als Horrorszenario mit ungeahnten Denkmodellen. Der Zwang wird stets implementiert mithilfe jener Argumente, die zur Errettung einer ganz bestimmten gesellschaftlichen Sphäre dienen, die zu einem gewissen Zeitpunkt besonders in der Krise steckt: einst war es die Gesamtbedrohung durch sogenannte kommunistische Staaten, die besondere Maßnahmen erforderte; heute müssen sich Mitarbeiter von Firmen einem genetischen Test unterziehen, zum finanziellen Wohl der gesamten Belegschaft. Krankenkassen lehnen Patienten als zu riskant ab. Und im Falle der Strafverfolgung terroristischer Bösewichte wird sogar die Unschuldsvermutung hingegeben, um Indizien, Spekulationen, oder gar Missverständnissen, die Kraft von Beweisen zu verleihen. Die Behörden machen offenbar den Eindruck , als handle es sich hier lediglich um, für die Betroffenen allerdings tragische (collateral damage), Übersprungshandlungen, weil konkrete angemessene Lösungvorschläge für tatsächliche Probleme unserer Zeit in den höchsten politischen Instanzen schlicht fehlen. Innenminister Schäuble soll, so die Legende, nach der Liveübertragung eines Streitgesprächs in der Talkrunde Sabine Christiansen, hinter der Kulisse hilflos zugegeben haben: „Was sollen wir denn sonst tun?” (Hinweis bei Telepolis) – je mehr also die Kontrolle verloren geht, desto stärker der autoritäre Zugriff der vom Verfall bedrohten Institutionen.

    Simmel formulierte einst die Werturteilsfreiheit der Technik. Was aber, wenn derselben Gesellschaft, die diese Technik in die Welt gehoben hat, das moralische Instrumentarium zur vernünftigen Urteilsbildung abhanden gekommen ist?
    Im Falle der Gentechnik jedenfalls hat man den Eindruck, dass hier die Idee des mittelalterlichen habeas corpus ins Zeitalter der human ressources hinübergerettet worden ist und die Technologie nun unkontrolliert durch den gesellschaftlichen Raum wabert – unter der Obhut potenter Entscheidungsträger (Staatsanwälte, Richter, Minister usw.), die aus Mangel an Einsicht und Ideen (die es aber tonnenweise anderweitig gibt) zur Repression greifen. Wenn man es kühl betrachtet, ist das alles eigentlich eine einzige Katastrophe. (Aber wie die zartbesaiteten Marines zu brüllen pflegen: never surrender, never give up)

    in diesem Sinne viel Glück für das Verfahren!

    http://www.monde-diplomatique.de/…l,a0065.idx,12

    http://www.monde-diplomatique.de/…l,a0052.idx,16

    http://www.monde-diplomatique.de/…l,a0048.idx,15

Kommentare sind geschlossen.