Was hat die Finanzkrise mit der Blogosphäre zu tun?

Keyboard Warning: Some experts believe that the use of any keyboard may cause serious injuryIn drei Wochen findet in Berlin eine Veranstaltung der Linken Medienakademie statt: Das Comeback der Überzeugungen. Ich bin eingeladen, mit vier (Ex-)ChefredakteurInnen von Zeitungen über das Verhältnis zwischen linken Medien und der Finanzkrise zu diskutieren. Das erste Mal, dass ich "als Bloggerin" eingeladen werde – nix Andrej Holm, nix militante Gruppe, nix Terrorismus, Bloggen pur. Und vielleicht, dass es hier in der Regel um Politik geht.

(Für alle, die ungern mehr als zwei Absätze lesen: unten kommt noch eine Frage, zu der ich Antworten suche)

Habe ich etwas über das Verhältnis linker Medien zur Finanzkrise zu sagen? Erste Reaktion: nein, habe ich nicht. Ich fühle mich nicht repräsentativ für die Blogosphäre an sich, ich habe überhaupt keine Zeit dazu, mögliche Auswirkungen der Finanzkrise auf Online-Medien zu verfolgen und ob da besonders viel oder anders drüber diskutiert wird, weiß ich auch nicht. 

Andererseits – gerade flatterte mir eine Werbung des Mecklenburgischen Tourismusverbands in die Mailbox, die war wirklich originell:

Schon gewusst? Wer wegen der aktuellen wirtschaftlichen Lage Angst vor dem Jobverlust hat, muss deshalb nicht auf eine langfristige Urlaubsplanung verzichten. Unsere Reiserücktrittsversicherung der Europäischen Reiseversicherungs AG behandelt eine betriebsbedingte Kündigung als einen versicherten Rücktrittsgrund.

Fast unmöglich, nicht über die Finanzkrise zu reden. Next: die aktuelle Headline von Spiegel Online:

Bund feilt an Regeln für Banken- Verstaatlichung

Mal ehrlich: wenn irgendwer noch vor einer Woche im Kontext Banken,
oder auch nur, sagen wir, Automobil-Zuliefererindustrie von
Verstaatlichung gesprochen hätte: sie wäre wahlweise für verrückt oder
aber zur Steinzeitkommunistin erklärt worden.

Und dann sitzt da noch der Chefredakteur des Freitag,
und das ist ja mal ein wirklich spannendes Experiment, wenn es hält,
was es verspricht. Ein Märchen im Aschenputtel-Stil: Von reichem Erben
vor Bankrott gerettet, aufgekauft, Redaktion verdoppelt und soll jetzt
neue Wege gehen auf dem dünnen Seil zwischen Print-Journalismus und user-generated Content (fälschlicherweise zuweilen Bürger-Journalismus genannt). 

Wer schonmal einen Fuss in ein beliebiges Diskussionsforum gesetzt hat, weiss, wie heikel das sein kann. Dazu die hübsche Broken-Windows-Theorie des Spiegelfechters:

Internetforen, Blogs und Kommentarbereiche gehorchen auf gespenstische
Art und Weise der „Broken-Windows-Theorie“. Wo ein Troll ungestraft
sein Häuflein machen darf, wird es kurze Zeit später von Trollen nur so
wimmeln. „Der Freitag“ wird moderieren, will die Moderation aber auf
ein nötiges Minimum beschränken.

Als "Trolle" werden Menschen bezeichnet, die im Netz durch nervigen, oft selbstbezogenen Selbstdarstellungszwang auffallen.

Der Relaunch kommt nächste Woche. Der Spiegelfechter freut sich, F!XMBR fürchtet zu viel liberal im links-liberal, Jakob Augstein (Sohn des Spiegel-Grüners und Märchenprinz) kündigt das ganze so an.

Mir gefällt, dass probiert wird, eine linke Zeitung zu machen, die
sich auf die Offenheit des Netzes einlassen will. Mir gefällt nicht,
dass dazu viel Geld nötig war. Ich hoffe, dass sie den klassisch linken
Reflex überlebt und nicht von einer herumkrittelnden Elchherde zu Tode
getrampelt wird. Was die Inhalte angeht: werden wir sehen.

Zurück zur Veranstaltung: Wer bis hier durchgehalten hat, darf und soll jetzt auch interaktiv werden:

Wenn ich es richtig verstanden habe, bin ich eingeladen, um einen
Kontrast zu den mehr oder minder kommerziellen Printmedien
herzustellen. Als Bloggerin, in der Rolle derer, die vom Schreiben
nicht leben (können/müssen/seltener: wollen), als Vertreterin des
Konzepts, lieber frei von Redaktion oder Verkaufszwang schreiben zu
können, was ich will. (Was ja bei weitem nicht auf alle Blogs zutrifft).

Was, denkt Ihr, sollte aus dieser Perspektive zum Thema Finanzkrise gesagt werden?

Spielt das eine Rolle im Web 2.0? Spielt das eine Rolle für die User
des Web 2.0? Weniger Zeit, weil weniger Geld? Mehr Debatte, weil
weniger Zwang? Weniger Widgets, weil es keinen Spass macht, das
bisschen freie Zeit für die Entwicklung von neuen zu benutzen, weil iReport und einestages schon alles gekauft haben?

Hier nochmal die Ankündigung:

Das Comeback der Überzeugungen
Starker Staat, schwache Banken, politische Presse:
Haben die linken Medien im Krisenjahr 2009 wieder Konjunktur?

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8 Gedanken zu „Was hat die Finanzkrise mit der Blogosphäre zu tun?

  1. Also es wurde viel zur Finanzkrise gebloggt und es war anders als das was man in den Medien – auch in linken – gefunden hat. Da ist naturgemäß aller möglicher Bullshit dabei, der es halt nicht in eine Zeitung schafft, weil die sich sowas nicht leisten könnten, weil dann die Hälfte ihrer Leser erbost das Abo kündigen und die Hälfte der Anzeigenkunden noch dazu. Und zwar unabhängig von der politischen Ausrichtung. In all diesem Bullshit hab ich immer wieder Perlen gefunden und sei es nur Links auf interessante Fakten, die ich sonst nirgendwo gefunden hatte. Aber tatsächlich war die Hauptbloggerei immer noch sehr Medienfixiert. Mir selbst hat mein eigenes Krisenbloggen sehr geholfen beim Denken.

    Vielleicht auch noch interessant zum Thema vom Schreiben nicht leben können/wollen/sollen/dürfen/müssen: Alles was bei uns im Zusammenhang mit der Re:Publica von Stefan veröffentlicht wurde: http://www.keimform.de/?s=re%3Apublica

  2. Die amerikanische Blogosphäre (BigPicture, Roubini etc.)ist eine Fundgrube für derartige Informationen. Gedruckte Medien können da in keiner Weise mithalten.
    Als deutschsprachiges Blog ist http://www.weissgarnix.de zu erwähnen.

    „Das Comeback der Überzeugungen“
    Wie wär’s mit einem Comeback der Wahrheit oder der Wahrhaftigkeit oder zumindest journalistischer Redlichkeit?
    Das ist das, was die Blogospäre mehrheitlich auszeichnet. Immerhin auch ebbes (etwas).

  3. Wenn mensch davon ausgeht, dass die „kommerziellen“ Medien nur warenförmige Inhalte anbieten (können) und BloggerInnen im Gegensatz dazu „authentisch“ berichten können (weil sie nicht davon leben können/wollen/….), dann ist das in meinen Augen – durchaus berechtigtes – Denken in alten Mustern.
    Interessant fände ich die Frage, ob denn „Amateurbeiträge“ (so lese ich Deine Einladung zur Diskussionsrunde als wenig schmeichelhaft zwischen den Zeilen) zum Weltgeschehen und ihre verschiedenen Formate Eingang finden können in das hegemoniale Bild einer Zeit, das ja meist nur von den ach so „neutralen“ Medienberichten beherrscht bzw. hergestellt wird.
    Ich stelle mir vor, dass durchaus auch bislang als „subjektiv“ abgewertete Beiträge berechtigten Eingang finden können sollten – auch zu großen gesellschaftlichen Themen wie Finanzkrise.

  4. Die Teilung in ‚Amateur‘- und entsprechend auf der anderen Seite ‚Profi‘-Beiträge ist von mir bestimmt als allerletztes beabsichtigt. Wenn das so klingt, tut es mir leid. Ich glaube, dass einige JournalistInnen, u.a. weil sie bezahlt werden, bessere Bedingungen zum Schreiben haben. Das trifft aber für die meisten inzwischen ja auch gar nicht mehr zu. Und die Bezahlung allein ist sicher auch nicht ausreichend für gute Texte. Auf der anderen Seite stehen ja dann der Chefredakteur, die WerbekundInnen, die WAZ oder Bertelsmann, der Zeitdruck – keine Garantie für Qualität.

    Im Grunde ist die Einteilung in JournalistInnen auf der einen und ‚die anderen‘ auf der anderen Seite schon Quatsch. Die wird z.T. von JournalistInnen vorangetrieben, die – nicht ganz zu Unrecht – ihre Felle davon schwimmen sehen und ja auch wirklich zunehmend grauenhafte Arbeitsbedingungen haben. Berechtigt ist sie nicht, dafür sind ja gerade Blogs ein schöner Gegenbeweis. Und nicht primär, weil da überall so wunderbare Texte stünden, sondern weil die Interaktivität mehr möglich macht. Deswegen gefällt mir ja die Idee des Freitag-Experiments.

    (Disclaimer: ich habe hier stark verallgemeinert und könnte das noch VIEL differenzierter ausdrücken und wollte definitiv niemandem zu nahe treten)

  5. Amerika ist mal wieder weiter!
    http://www.cjr.org/…e_to_bailout_transparenc.php

    Wer kontrolliert bei uns Merkel und Steinbrück oder eine verantwortungslose Finanzelite?

    Warum werden die nicht allesamt vor Gericht gestellt?!

    Für unvorstellbare Schäden sind die in die Pflicht zu nehmen.
    Das ist kapitalistischer Terror übelster Sorte, der uns alle massiv bedroht!

  6. Ich befürchte, ich hatte mich nicht nur nicht gut ausgedrückt sondern auch noch das Thema verfehlt. Angelockt von der expliziten Möglichkeit der Interaktivität wollte ich Dir nicht unterstellen, dass Du einen bedeutsamen Unterschied zwischen „Amateur-“ und „Profi-„Beiträgen machst. Vielmehr hatte ich diesen Unterschied aufgemacht, weil die Einladung zu der Veranstaltung in meinen Gedanken den Raum dafür hergibt, klassische Vorstellungen von Journalismus zu thematisieren – und dies dann eben im Gegensatz zu web2.0, ich hatte dies fälschlicherweise als ein Thema der Diskussionsrunde ausgemacht.
    Ich denke auch, dass die Qualität von Beiträgen unabhängig von Bezahlung sein kann, aber nicht muss. Will sagen, es gibt keinen zwingenden Zusammenhang zwischen beiden Sphären, was Deine Beispiele zeigen.

  7. Ich glaube der springende Punkt ist auch, dass die sog. ExpertInnen und auch die politische Klasse selbst nicht weiß, was sie sagen oder nicht sagen soll. Den Punkt hat Michael Heinrich in einem Beitrag für die jungle world schön dargestellt (http://jungle-world.com/artikel/2009/02/32408.html). Wenn Steinbrück alle paar Wochen seine Aussagen ändern muss (sogar zuerst glaubte, die Krise bleibe auf die USA beschränkt!), Zimmermann vom DIW vorschlägt, man solle jetzt mal das Erstellen von Prognosen für eine Weile sein lassen, dann zeigt das nur eines: Auch diejenigen, die unter guten Bedingungen schreiben oder forschen können, wissen nicht was die Zukunft bringen wird. Für die politische Klasse ist es noch diffiziler: Sie müssen Vertrauen und Konsens organisieren, die Reproduktion des Kapitals garantieren etc. Und nur in diesem Sinne würde ich auch die Krise als eine Chance begreifen: Die Linke ist derart fragmentiert und hilflos, dass es ihre originäre Aufgabe sein müsste, dass die subalternen Klassen eine eigene Sicht der Dinge entwickelt und ihre Bedürfnisse klar macht. Eigentlich schon eine riesige Aufgabe, weil sie nämlich unterschiedliche Interessen und Sichtweisen zusammen bringen muss – organisiert. Zu mehr ist sie derzeit nicht in der Lage und auf mehr hofft, überschätzt glaube ich die Möglichkeiten (siehe auch http://www.labournet.de/diskussion/wipo/finanz/gindin.html). Auf die Weisheit, dass der Kapitalismus an allem schuld ist wartet niemand so recht. Auch wenn es natürlich stimmt. Und hierfür könnten blogs wichtig sein, weil die kommerziellen Massenmedien nach wie vor auf Ihre ExpertInnen zurückgreifen müssen und werden – schließlich wollen sie seriös sein. Was sie aber eben nicht sein können. Zudem verschleiern sie gerade dadurch den Klassencharakter der Krisenverarbeitung. Das habe ich in einem kurzen Statement zu einer Forderung des BDI versucht deutlich zu machen (http://www.stuetzle.in-berlin.de/?p=130). In diesem Sinne ist vielleicht auch die Einladung zu verstehen. Viele sind trotz kluger Analyse etc. mit dem Latein am Ende. Eben auch die Linke links von der Sozialdemokratie (Linkspartei, attac), die z.Z. nicht mehr beiträgt als: Das haben wir doch schon immer gesagt! Gleichzeitig ist die Unzahl und der fragmentarische Charakter der Blogs natürlich auch nicht gerade die Form, in welcher der desolate Zustand überwunden werden kann. JedeR finden seine Spielwiese und man ist nur selten gezwungen, auf andere Interessen, Argumente und Bedürfnisse einzugehen…

  8. Danke für den schönen Artikel und die interessante Diskussion. Es ist erfreulich, dass sich die „Linke Medienakademie“ unter dem Titel „Das Comeback der Überzeugungen“ mit der Frage beschäftigt, wie sich eigentlich die Finanzkrise (a.k.a. Krise des Kapitalismus) auf die Medienlandschaft insgesamt und hier besonders auf linke, alternative, nicht-kommerzielle (was nicht immer deckungsgleich ist) Medien auswirkt.

    Das ist ein interessantes Thema und es lohnt bestimmt die (oft prekären) Bedingungen der Produktion von Medieninhalten jenseits der Kategorien wie ‚Amateur‘- vs. ‚Profi‘- Medienschaffende zu untersuchen.

    Auf dem vermeintlichen Spannungsfeld von Glaubwürdigkeit / Professionalität der Inhalte vs. dem emanzipatorischen Charakter von partizipativen Medienkonzepten erleben wir ja derzeit widersprüchliche Tendenzen, wenn z.B. „Wikipedia“ zur vermeintlichen Verbesserung der Inhalte vermehrt Kontrolle und Hierarchien aufbaut (http://news.bbc.co.uk/2/hi/technology/7851400.stm) während die „Encyclopaedia Britannica“ verstärkt das Mitmachen fördern will (http://news.bbc.co.uk/2/hi/technology/7846986.stm).

    Zur Debatte auf der Konferenz selbst, befürchte ich, dass auch hier eine vordergründige und irreführende Gegenüberstellung von Staat und Kapital (die doch letztlich immer nur zwei Seiten des selben gesellschaftlichen Kapitalverhältnisses sind) verhindert diese Krise des Kapitalismus überhaupt auch nur begrifflich zu beschreiben. So als sei der Staat der bessere, „verantwortungsvollere“ Kapitalist und Konjunkturprogramme quasi etwas linkes oder emanzipatives.

    Wenn einem schon diese Begriffe fehlen wird man auch nicht viel über die Auswirkungen der Krise auf die Medienproduktion sagen können. In dieser Hinsicht bewegen sich fast ausnahmslos alle Diskurse innerhalb der bürgerlichen Medien (seien sie nun links oder liberal) wie auch innerhalb der meisten Blogbeiträge innerhalb der hegemonialen Matrix des Kapitals selbst. Eine Unmöglichkeit etwas anderes auch nur zu denken.

    BTW: Ein Buch das sich zur Zeit besonders schön noch einmal liest: Robert Kurz „Schwarzbuch Kapitalismus“ – schöne Grüße Daniel

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