Genua-Prozesse: Urteil im Bolzaneto-Verfahren

In Genua wurden heute die Urteile im sog. Bolzaneto-Verfahren gesprochen. Gegen 45 PolizistInnen, medizinisches Personal und AufseherInnen der zum temporären Gefängnis umfunktionierten Bolzaneto-Kaserne wurde seit Jahren verhandelt. Ihnen wurde vorgeworfen, an den weltweit bekannt gewordenen Misshandlungen während des G8-Gipfels 2001 beteiligt gewesen zu sein.

 

15 von ihnen wurden zu Haftstrafen verurteilt, die höchste Strafe für den Arzt Toccafondi beträgt fünf Jahre von fünf Jahren bekam der Inspektor der Strafvollzugspolizei Antonio Biagio Gugliotta. 30 Personen wurden freigesprochen. Niemand in Italien bezweifelt ernsthaft die Vorwürfe: in der Kaserne wurde tagelang gefoltert und gegen elementare rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen. DemonstrantInnen mit teilweise ernsten Verletzungen wurden direkt aus dem Krankenhaus nach Bolzaneto gebracht, hatten über Tage keine Möglichkeit, jemanden zu kontaktieren, mussten unter Mussolini-Bildern stundenlang stehen, faschistische Lieder singen, wurden verprügelt, bedroht und sexuell misshandelt. Da es weder Dokumentationen noch ZeugInnen gibt, war die Beweisführung schwierig. Die Beschuldigten selbst trugen nicht zur Aufklärung der Vorwürfe bei. Da Italien nie die Anti-Folterkonvention unterzeichnet hat, wurde lediglich wegen Körperverletzung und Amtsmißbrauch verhandelt. Immerhin wurden den vielen NebenklägerInnen Schadensersatzzahlungen von je 10.000 Euro zugesprochen, in einigen Fällen bis zu 15.000 Euro. 

Wegen der demnächst in Kraft tretenden Verjährungsfrist ist nicht damit zu rechnen, dass die Urteile rechtskräftig werden, aber immerhin besteht nun eine Chance, dass die NebenklägerInnen etwas Geld erhalten und möglicherweise vor europäischen Gerichten weitergeklagt werden kann.

Der erste deutschsprachige Bericht erschien in der österreichischen Kleinen Zeitung: Verurteilungen für Übergriffe bei G-8-Gipfel 2001

Ansonsten berichten alle italienischen Medien, etwa La Repubblica G8, sentenza mite per Bolzaneto.

Der Corriere della Sera hat eine Online-Umfrage: Sind die Urteile für die Vorfälle in Bolzaneto gerecht? Sono giuste le condanne alla polizia per i fatti di Bolzaneto?

 

Über den G8-Gipfel ist viel geschrieben worden. Ich empfehle diese Seite, die von Betroffenen gemacht wurde: Supporto Legale Berlin  

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in de von Anne. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

9 Gedanken zu „Genua-Prozesse: Urteil im Bolzaneto-Verfahren

  1. Was ist denn das für eine unsinnige Regelung mit der Verjährung in Italien? Dass es eine Verjährung in vielen Fällen gibt ist ja normal, aber wieso läuft die trotz eines (abgeschlossenen) Prozesses weiter? Dann braucht die Justiz bei komplizierteren Verfahren ja gar nicht mehr tätig werden, als Angeschuldigter würde ich einfach den Rechtsweg durchprozessieren und am Ende darauf hoffen, dass ich das Verfahren bis zur Verjährung gestreckt bekomme. Praktisch.

  2. @mushroom: die „unsinnig Regelung mit der Verjährung in Italien“ ist von Berlusconi kurz nach seiner Wiederwahl im Rahmen einer Justizreform umgesetzt worden, die ihm in erster Linie dazu dient, sich selbst straffrei zu halten. Näheres u.a. unter
    http://www.gipfelsoli.org/…/Genua_2001/5252.html .
    Dort finden sich in der Rubrik „Genua 2001“ im übrigen weitere aktuelle und lesenswerte Beiträge zur Entwicklung der Ereignisse seit dem Gipfel 2001 in Genua.

  3. Ich habe den verlinkten Artikel gelesen und zusätzlich noch diesen hier: http://www.gipfelsoli.org/…/Genua_2001/5388.html

    Ich finde Ihren Blog sehr gut, nur überrascht es mich, dass Sie derartig undifferenzierte Berichte betreffend Italien/EU etc. verlinken. Konkret meine ich damit, „daß in der EU Schüsse auf DemonstrantInnen und Folter im Prinzip jederzeit möglich sind, wenn es den Herrschenden opportun erscheint.“
    Das irritiert mich etwas, da man genauso gut von der NATO, etc. sprechen könnte. Das Italien ein korruptes Land ist, ist ja weithin bekannt, dies allerdings vollkommen undifferenziert der EU zuzuschreiben, überrascht mich.
    Deshalb irritiert mich Ihr Link sehr, da ich Sie sehr durchdachte Einträge schreiben.

  4. Hallo Me,

    das verstehe ich nicht. Ich habe den Text ja gar nicht verlinkt, höchstens insofern, als Sie ihn im Kommentar angeben und das als Link von meinem Blog zu diesem Text gewertet werden könnte?
    Ich will den hier gar nicht bewerten, ich habe ihn nämlich gar nicht gelesen. Und deswegen eben auch nicht verlinkt.

  5. Nein, es gab nur einen Link auf diese Seite, wo als „Nachbarartikel“ der steht, den ich gepostet habe.
    Wenn das von Ihnen nicht beabsichtigt war, dann bin ich eh beruhigt 😀
    Das hat mich nämlich ordentlihc gewundert!
    lg

  6. Ich muss mich entschuldigen, der Link stammt von anarres, beim lesen aller Links ist mir das wohl durcheinandergekommen.
    Tut Leid, werd das nächste mal genauer aufpassen.

Kommentare sind geschlossen.