Live und in Farbe

Ich war für ein hinreißend anderes Wochenende in Amsterdam. An Grachten entlang radfahren, mit verständigen Menschen schwatzen, ausschlafen ein paar Tage (1000 Dank an Andrej und alle, die beim Kinderhüten geholfen haben), und auch endlich über anderes diskutieren als Terror und was dagegen hilft.

Die Rückreise war ein prima Beispiel dafür, was für Welten zwischen dem abstrakten Wissen über etwas und der realen Erfahrung am eigenen Leib liegen. Ich bin mit der Bahn gefahren. Mit dem unglaublich billigen IC, der direkt von Amsterdam Central nach Berlin Hbf fährt. Es war ziemlich voll. Der Zug hält in Bad Bentheim an der deutsch-niederländischen Grenze eine Viertelstunde, was mir auf der Hinfahrt nur insofern aufgefallen ist, als da alles, inklusive der Heizung, abgestellt wird und es angenehm ruhig ist. Bei der Rückfahrt drang plötzlich ein vertraut zackiger Tonfall an mein Ohr und ich sah am Ende des Waggons ein paar grüne Uniformen. Überraschend, denn eigentlich gibt es Grenzkontrollen da ja angeblich gar nicht mehr. Naja, dachte ich mir, wahrscheinlich suchen sie immer noch nach Drogen, so wie früher.

Auf dem Doppelsitz neben mir saß ein Schwarzer, sehr businesslike dem Aussehen nach. Sonst alle weiß. Die grün Uniformierten laufen stetig auf uns zu, gucken rechts und links, und wo bleiben sie stehen und verlangen nach dem Ausweis? Richtig. Ich wusste vorher, dass das so gemacht wird und dachte trotzdem, als ich daneben saß, dass das zu extrem ist. Es ist so offensichtlich rassistisch, den einen Schwarzen im Großraumabteil rauszupicken. Nicht nur das, seine Daten wurden durchtelefoniert und er musste erklären, wo er hinwill. "Wilhelmshaven. To work!". Er war sehr offensichtlich genervt. Es war ihm anzusehen, dass er, genau wie wahrscheinlich alle, die zugeguckt haben, genau wusste, dass er kontrolliert wurde, weil er schwarz ist. 

Ich war davon ausgegangen, dass sie sich zu mir wenigstens einmal umdrehen, damit ich das dann hätte kommentieren können. Wobei ich mir mit meiner Zivilcourage unsicher war, weil es, glaube ich, schon gleich zu einem Verfahren führt, das ganze als das zu bezeichnen, was es ist, also eben rassistisch. Was sonst ist eine Auswahl zur Kontrolle anhand der Hautfarbe?

Sie haben sich nicht umgedreht. Ich habe nichts gesagt. Und mich unendlich geärgert.

Am Freitag treten Polen, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Malta, die Slowakei, Slowenien, und Ungarn dem Schengener Abkommen bei. Wie passend. Ich habe mich schon mal eine ganze Diplomarbeit lang darüber gewundert, dass ein Abkommen, das sich angeblich und dem Titel nach vor allem um den Abbau von Binnengrenzen dreht, fast nur aus sog. ‚Ausgleichsmaßnahmen‘ besteht. Die nämlich die grauenhaften Gefahren ausgleichen sollen, die von zügellos offenen Grenzen ausgingen. Weil das also nicht geht, wird ausgeglichen, in großem Maßstab. Und weil das alles nichts hilft, außerdem weiterkontrolliert, wie zum Beispiel in Bad Bentheim.

 

Als Gegenmittel gegen auftretende Depressionen heute noch ein Bild, das wir dem Zwiebelfisch verdanken.

 

 

 

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in de von Anne. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.

10 Gedanken zu „Live und in Farbe

  1. Ich habe mich bisher nur wenig mit Schengen befasst. Doch irgendwie ist es doch auf EU-Ebene immer das Gleiche. Eine grundsätzlich gute Idee wird eingebracht aber dann wird daraus der Horror aller Menschen.

    Meiner Meinung nach ist das Verhältnis fast aller EU-Staaten zur EU extrem schizophren. Nur so lassen sich die Verträge der letzten 50 Jahre erklären.

  2. Der Grund wird sein das sich Einwanderer in Deutschland nicht frei bewegen dürfen und da werden natürlich nur die kontrolliert die so aussehen als wären sie Einwanderer.

    Man könnte ja die anderen auch willkürlich kontrollieren.
    Aber dafür fehlt dann wohl das Geld und Personal.

    15 Minuten Halt in Bad Bentheim? Da ging der Lok-Wechsel ja schnell.

  3. Die Folgen wären wohl Telefonüberwachtung, Zivilbeamten vor Haustür und vieleicht hin und wieder eine Hasudurchsuchung gewesen.

  4. Das gleiche kann man in jedem bahnhof beobachten. Jeder der irgendwie anders aussieht hat eine deulich höhere Wahrscheinlichkeit kontrolliert zu werden als „normal“ aussehende. Offensichtlich glaubt die polizei daß man Kriminelle an ihrem Aussehen erkennen kann.

  5. Ja, gerade am Bahnhof erlebe ich das in regelmäßigen Abständen. Eingreifen konnte ich da mit der laut gestellten Frage, ob es sich hier um eine rassistische Kontrolle handele. Solange die Bundespolizisten beobachtet werden, fühlen sie sich doch sehr unwohl, versuchen dann mich wegzuschicken: „Sie stören hier die Maßnahme“. – „Ach, vom zuschauen fühlen Sie sich belästigt?“… Trotz der Wortgefechte fühle ich mich da irgendwie hilflos, weil das Problem eine kollektive Ebene hat, die ich mit meinem persönlichen Handeln nur sehr eingeschränkt beeinflussen kann.

  6. Ich frage mich immer, ob man solche Kontrollen als rassistisch bezeichnen kann. Rassissmus hat bei mir immer was mit unbegründeter Repression zu tun. Das aber die Wahrscheinlichkeit eines illegalen Aufenthaltes mit der Hautfarbe zusammenhaengt ist offentsichlich. Toll finde ich das ja auch nicht. Gerade wenn man das Pech hat und in das Raster passt, ist das wahrscheinlich äusserst nervig. Aber in dem Zusammenhang von Rassismus zu sprechen halte ich für falsch. Das verwässtert den Begriff nur unnötig.

  7. Habe ähnliches in den USA erlebt..ich denke, alles was nur ein bisschen anders aussieht..ein bisschen nach Gefahr sei es Terror oder illegaler Einwanderer, wird strenger überwacht. Die meisten Beamten sind doch gar nicht clever genug um unterscheiden zu können, also gehen sie nach einem Muster vor. Ich glaube auch nicht, dass es unbedingt Rassismus ist..denke auch, dass dies zu einfach ist. Leider unterstützt die Tatsache, dass in Gefängnissen hauptsächlich Gefangene ausländischer Herkunft einsitzen dieses Problem nur noch.

  8. @ jojo

    Es ist zumindest eine Minderbehandlung, wenn man sich auf Grund der Hautfarbe in einem Zug vor dem ganzen Abteil rechtfertigen muss. Für mich ist das Diskriminierung. Und da die Beamten wohl in Rastern gedacht haben auch Rassismus, denn er fiel durch seine Hautfarbe in die „Schublade: Verdächtig!“.
    Man kann in so einem Fall schon helfen, indem man Anwesenheit zeigt.

  9. Die gleiche traurige Routine in Zügen zwischen Deutschland und Frankreich, bzw. in Frankreich selbst – obwohl hier die Hautfarben sehr viel stärker vermischt sind als in Deutschland und viele Schwarze, Maghrebiner, „Südländer“ seit mehreren Generationen französische Staatsbürger sind.

    Den betreffenden Beamten kann man vermutlich kaum Vorwürfe machen; schlimmer ist, dass sie ganz offensichtlich die Anweisung haben, nach Hautfarbe zu kontrollieren. Und diese anscheinend in ganz (West)europa verbreitete Anweisung (auch wenn sie vielleicht geschickter und vertuschender formuliert ist) scheint mir doch alles andere als konform mit den immer so schön betonten Anti-Diskriminierungs-Richtlinien von EU und Mitgliedsstaaten.

  10. Ja das ist doch überall das gleiche. Auf der anderen Seite muss man sagen das die Polizei angehalten ist wirklich nur „Verdächtige“ Personen zu kontrollieren. Und ja, das „Verdächtig“ wird im gewissem Maße vorgeschrieben. Halt nach dem Motto: Die Vergangenheit… Die Statistiken…

    Aber jemanden zu kontrollieren gehört eh nicht zu den „beliebten“ arbeiten. Heutzutage wird man ja gleich erschossen oder abgestochen. Ich würd das nicht machen wollen!

    Das Ergebniss dieses ganzen ist, das es mit dieser „Politik“ den „nicht ausländischen“ „Verbrechern“ so ziehmlich leicht gemacht wird mit allem ungesehen davon zu kommen.

Kommentare sind geschlossen.