Es gibt wieder ein neues Social-Media-Dings: Ello. Das lässt mich wahlweise an El Loco denken (die URL ist ello.co), der Verrückte also, oder an Ello, wie wir früher, als alles abgekürzt wurde, LKW nannten. Ich wüsste gern, was sie sich dabei gedacht haben. Der neue heiße Scheiß also, angeblich endlich eins, das Facebook ernsthaft Konkurrenz machen könnte, nachdem die gerade angekündigt hatten, die Profile von Dragqueens zu löschen, weswegen die halbe LGBTIQ-Community gewechselt sei.
Ich habe mir die Privacy Policy (Datenschutzerklärung) angeguckt, und ich muss sagen: I’m not impressed. Es raunt überall, Ello wäre viel besser, weil sie die Daten der User_innen nicht verkaufen. Das sagen sie tatsächlich:
As an ad-free network that does not sell data about its users to third parties, ..
und
We also don’t sell information about our users to any third party.
Aber da steht auch
We may share your personal information with third parties under several circumstances, including..
Dann werden einige dieser Umstände aufgezählt. Es könnten aber auch andere sein.
Weiter:
Ello does not have any affiliated companies right now. But if we do in the future, we may share information with them, too.
Super. Sie verkaufen meine Daten nicht, aber vielleicht ‚teilen‘ sie sie mit anderen.
In Datenschutzerklärungen findet sich die hohe Schule des PR-Speak. Wir können natürlich annehmen, dass die jeweiligen Betreiber_innen nett sind, und da bloß rein theoretische Möglichkeiten beschreiben, weil’s nunmal juristisch besser ist, auf der sicheren Seite zu sein. Wir können aber auch erkennen, dass es Unternehmen sind, die am Ende des Tages Geld verdienen und ihre Risikokapitalgeber_innen glücklich machen müssen. In dem Fall ist zu befürchten, dass die Policies weichgespült sind und ansonsten ernst gemeint.
Es gibt verschiedene Bedürfnisse im Bereich Privatheit, oder Datenschutz. Manche haben mit dem Klarnamenzwang zu tun, den es bei Facebook gibt. Ich finde ihn nicht sehr überzeugend, denn ich sehe ständig Profile, denen mehr oder weniger deutlich anzusehen ist, dass da ein Name benutzt wird, der sicher in keinem Ausweis steht. Aber natürlich kann auch schon die Möglichkeit bedrohlich sein, bei Facebook mit dem Ausweis-Namen geoutet zu werden. Für andere ist wichtiger, sich einen gut kontrollierbaren Raum zu schaffen, in dem Informationen wirklich nur mit denen geteilt werden, die dort erwünscht sind. Kann bei Facebook auch schwierig sein.
Für wieder andere ist ein Problem, dass die Daten an Unternehmen weitergegeben werden, die aus kommerziellen Gründen Profile von Nutzer_innen erstellen und ihr Geld damit verdienen, die Profile zu verkaufen. Schließlich gibt es noch die Geheimdienste und Polizeien, die ebenfalls alle Daten haben wollen.
Für manche dieser Bedürfnisse kann Ello vielleicht die besser Alternative sein. Ob sie die Versprechen halten, wird sich zeigen. Mindestens für die letzten beiden Probleme (Datenweitergabe an Dritte und an Sicherheitsbehörden) kann ich nicht erkennen, dass Ello besser wäre als alle anderen.
Davon abgesehen habe ich ganz praktisch das Problem, dass ich nicht fünf verschiedene Kommunikations-Plattformen parallel offenhalten und beobachten will und kann, weil mich das irre macht und ich zu nichts komme. Und solange es keine Clients (Programme) gibt, über die mehrere Netzwerke gleichzeitig gelesen und bepostet werden können, sehe ich auch nicht, dass sich das ändern wird. Zugegebenermaßen hat etwa Twitter sehr engagiert alle Türen geschlossen, die das erlaubt hätten. U.a. Identi.ca ist dem zum Opfer gefallen.
Mehr Kritik an Ello:
Goodbye, Ello: Privacy, Safety, and Why Ello Makes Me More Vulnerable to My Abusers and Harassers von Creatrix Tiara, mit diversen Updates auch zu Reaktionen von Ello auf Kritik:
I know many of you joined Ello due to Facebook’s real name policy, which has shown to be a great risk to performers, trans people, and others who do not reveal their legal name for security or personal identity reasons. And everyone’s super fond of Ello now because they promise not to sell your information to advertisers.
However, there are specific elements of Ello’s privacy settings, deliberately designed, that make Ello actually way more unsafe than Facebook, Twitter, or other social media outlets and CMSes. And in our rush to embrace a Facebook replacement we need to be aware of what we are at risk for when using Ello.
Ello, goodbye. von Aral Balkan. Hier geht’s um die Entstehung und auch darum, wo Ellos Geld herkommt.
When Paul Budnitz, founder of Ello, got in touch with me around May, he told me in an email “We totally love your manifesto.” I was excited. (…)
I told them I had worries that Ello was not free as in freedom and that it was centralised. I was assured they were aware that it was less than ideal but they simply didn’t have the resources to do it any other way at the moment. I tried to push them to open it up but I felt resistance that I (naïvely?) attributed to a lack of confidence in their code or fear that they may lose control. (…)
What I didn’t know at the time was that they’d taken $435,000 in seed funding from FreshTracks Capital, a Vermont-based Venture Capital firm. (…)
They seem like great people and I enjoyed our conversations. I can only assume that they were naïve about what taking venture capital would mean for a project like this. Which, to put it bluntly, is the nail in its coffin.
Das leitet über zu der unbeantworteten Frage, woher gute Software kommen könnte, wenn mit offenen und sicheren Projekten kein Geld verdient werden kann, aber trotzdem welches kostet, u.a. für die Entwicklung und den ständigen Betrieb. Der Staat? Nicht, solange die Sicherheitsbehörden zwischen uns stehen. Stiftungen? Zahlen in Deutschland quasi gar nichts, und sind fast nie bereit, ständige laufende Kosten zu tragen. Unternehmen? Müssen Geld verdienen, und es hat bisher noch niemand das Businessmodell erfunden, wie in dieser Welt mit Datenschutz Geld verdient werden kann.
Die Frage ist offen.
PS: Ich habe ein Ello-Profil, aber ich bin da schon jetzt, nach einem Tag, eher selten.
Meiner Ansicht nach brauchen wir kein neues soziales Netzwerk, sondern einen offenen Standard für soziale Vernetzung, der über Plattformgrenzen hinweg funktioniert. Also weg von geschlossenen Veranstaltungen wie Facebook, Twitter etc., hin zu einer einheitlichen freien offenen API, die das gesamte Web zu einem einzigen großen sozialen Netz macht.
richtig.
pump.io ist so ein ansatz (nachfolger von identi.ca).
Ich finde pump.io toll. Wer es selbst hosten muss benötigt allerdings meist einen (virutal) RootServer, da für das Discovery (das Verbinden mit anderen Installationen) der WebSockets-Standard verwendet wird, der spezielle Konfigurationen benötigt, die häufig erst bei (virtual) RootServer zur Verfügung stehen.
Genau das. Aber wenn man die Kommentare weiter unten so anschaut („Wer (pump.io) selbst hosten muss benötigt allerdings meist einen (virtual) RootServer, da für das Discovery (das Verbinden mit anderen Installationen) der WebSockets-Standard verwendet wird, der spezielle Konfigurationen benötigt, die häufig erst bei (virtual) RootServer zur Verfügung stehen.“) dann ist doch genau hier das Problem beschrieben: Das Ding muss für jeden Idioten als App downloadbar sein, und sich per One-Klick auf jedem erdenklichen Webserver, ohne Vorkenntnisse, installieren lassen. Sonst wird das nie was. Webspace ist heute so unglaublich billig – falls das Ding von den Einstellungen her easy und sinnvoll ist, und die Nicht-gesharten Daten wirklich sicher (verschlüsselt) hält, dann hätte man gegen die „Grossen“ einen absoluten Winner. Keinen Player ausser der User selbst im Spiel, keine Werbung, volle Kontrolle, wer was sehen kann, mit wem ich was teile. Wäre wunderbar. (Und ja, das ist alles nur Theorie, mein Coding ist viel zu schlecht für sowas).
Sehe ich ähnlich, eine solche Software muss spielend einfach auf jedem Webspace einzurichten sein. Daher favorisiere ich auch eher GNU Social (ehemals Status.Net/identi.ca) und Friendica. Beide sind in PHP geschrieben, man lädt sich ein Packet herunter, entpackt es auf seinem Server und es läuft. GNU Social hat auch mit OStatus ein Protokoll definiert was genau das von elfboi beschrieben schon liefert.
Wäre natürlich auch cool, wenn man das zuhause hosten könnte, direkt auf dem Router oder so. Es braucht mehr Router mit offener Firmware wie OpenWrt.
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Für alle, die wie ich Inhalte nur öffentlich posten, ist Ello (wenn es denn groß würde) vermutlich allein wg. der Abwesenheit von Werbung und durch das versprochene Nicht-Eingreifen in die Timelines eine gute Alternative. Dass jemand Wagnis-Kapital aufnimmt, spricht nicht dagegen, dass eine Geschäftsidee erfolgreich sein kann und gute Dienste leistet. Wie man lesen kann, wollen sie mit Zusatzfeatures Geld verdienen – vielleicht sind das ja dann die vermissten Möglichkeiten?
„….auch das Crossposting zu anderen Netzwerken soll bei Ello schon bald implementiert werden“ schreibt tn3. „Beta“ heißt eben auch, dass sie noch nicht fertig sind…
Ich bin gespannt ob es sich Ello durchsetzen kann. Als damals App.net an den start ging, wurde es unter Social-Media-Experten durchaus auch gehyped, weil es neben dem Freemium Model eben auch ein Geschäftsmodel (Abo) vorzuweisen hatte. Soweit mir bekannt ist, hat sich App.net zwar eine Nische erarbeitet, ist aber über diese nie herausgewachsen – ähnlich wie identi.ca, pump.io, friendica und Diaspora*, die als föderierte OpenSource-Systeme einen anderen Ansatz verfolgen.
Liebe*r elfboi,
es gibt zumindest einen offenen Standard der potential Teile dessen zu leisten, was SocialNetworks tun: Activitystreams. Allerdings klärt dieser Standard nicht die Frage des Findens von Nutzern (Discovery) und auch nicht, ob ein zentrales Datensilo besser ist oder eben verteile, föderierte kleine Silos (wobei beim letzteren die Frage des Findens von Nutzern (DiscoveryService) und der Verteilung.
Liebe Anne, was hältst du denn von Dispora* und friendica?
Ich finde das alles hübsch, und gut, dass es das gibt, aber es löst das Problem überhaupt nicht, weil diese Sachen offensichtlich nicht die Masse erreichen. Klar ist schön, wenn es Friendica etc gibt, aber schon ich benutze das nicht. Ich habe alles probiert, aber, wie beschrieben, ich bin nicht in der Lage, 5 verschiedene solche Plattformen parallel im Blick zu behalten. Mir hilft aber ein Diaspora, ein xx.io oder was auch immer nicht, wenn ich da nur mit 5 Leuten rede, weil alle anderen nicht da sind. Das ist, nebenbei, ja auch der Grund, warum App.net oder jetzt Ello sich nicht durchsetzen: weil die meisten den Vorteil gegenüber Twitter und Facebook nicht erkennen.
Massenkompatibilität zu erreichen ist für föderierte Dienst auch technisch oder sagen wir mal infrastrukurell schon schwieriger zu erreichen, als es das für zentrale Datensilos ist. Und du hast sicher recht: der Zusatznutzen ist für viele nicht zu erkennen oder wird eben weitaus geringer bewertet (z. B. meine Daten werden nicht für Werbezwecke analysiert). Im Grunde sind das ähnliche Argumente, warum so wenige GMail verlassen oder bei WhatsApp oder dem FB-Messenger bleiben und nicht zu verschlüsselten Alternativen (etwa TextSecure, SureSport, und bald Signal) wechseln wollen: Für die Masse ist der Zusatznutzen der Alternativen weder sichtbar noch ihnen vermittelbar. Und wenn ich versuche wertrational für die Alternativen zu argumentieren, habe ich ohnehin immer die schlechteren Karten. Das lässt sich ja auch daran zeigen, dass selbst ernsthafte Datenschutzskandale kaum Wechselstimmung erzeugen.
Aber was heißt das nun: sich dem „Gruppenzwang“ ergeben und den Kopf in den Sand stecken?
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Der oben erwähnte Klarnamenzwang bei Facebook ist eine reine Formalie (wie ebenfalls angedeutet). Es ist überhauptkein Problem sich mit Immanuel Kant, Friedrich Schiller, Jesse James oder dergleichen anzumelden. Das einzige was benötigt wird, ist eine E-Mail Adresse, die eindeutig sein muss (also noch nicht verwendet).
Ello (ich hatte als erste Assoziation ein „Hello“ – ohne, oder mit nur gehauchtem, „H“,) fehlt in der Tat bisher eine entscheidende Differenzierung zu Facebook (AGBs hin oder her, wer liest die, bzw. für wenn sind die ein Entscheidungskriterium). Diaspora ist auch so gut wie gescheitert.
Aber Ello ist noch sehr jung, und vielleicht kommt da noch was.
Das Hauptproblem ist allerdings (wie oben erwähnt): wer will und kann mit mehr als einer Handvoll Dienste umgehen. Und warum auch? Eigentlich wäre hier fast ein Monopolist ideal. Aber das wäre auch suboptimal.
Warum kann der Bürger nicht einfach seine Profile / Daten von einem zum anderen Netzwerk „verschieben“ oder zumindest synchronisieren? Schließlich gehören diese Daten nicht den Betreibern (oder sollten zumindest nicht).
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