Terror it is?

Es gab (versuchte) Brandanschläge auf die Bahn. Es bricht das übliche Theater los. Aktuell liefert die Suche nach ‚Linksterrorismus‘ bei Google News 318 Ergebnisse.

Ich kann nicht einschätzen, welche Gefährdung von den Anschlägen ausgeht und ob die tatsächliche Gefahr überhaupt eine Rolle spielt bei der Einschätzung, ob Linke möglicherweise eine Gefahr für den Staat, die Menschen, die Bahn darstellen. Aber: Als ich Montag vormittag im Netz Meldungen über einen Anschlag auf den Berliner Hauptbahnhof sah und kurz darauf in einen Zug Richtung Berlin Hauptbahnhof stieg, fragte ich die Schaffnerin, ob damit zu rechnen sei, dass wir pünktlich ankommen und wie überhaupt die Lage am Hauptbahnhof sei. Die wusste von nichts, guckte in ein Gerät und kündigte Pünktlichkeit an. Das heißt nicht viel, aber mir schien die Aufregung, die dann abends in den Nachrichten zu beobachten war, nicht zur Gelassenheit der Bahn-Beschäftigten zu passen. Oder andersrum: wenn es einen Anschlag gegeben hätte oder auch nur einer vereitelt worden wäre, der dem entspricht, was landläufig unter Terrorismus verstanden wird, hätte sich das ja vielleicht auch zu Schaffnerinnen rumgesprochen, die wenige Stunden später in just dem Bahnhof ankommen sollten.

Es passt alles so schön zusammen: In Berlin laufen deutlich ruhiger als bei Rot-Grün die rot-schwarzen Koalitionsverhandlungen. Es wird einen Innensenator geben. Ob SPD oder CDU, wird sich zeigen. Hardliner oder nicht-ganz-so-Hardliner.

Die InnenpolitikerInnen haben alle miteinander haben ein massives Image-Problem wegen des Bundestrojaners, von den Piraten gar nicht zu reden.

Irgendwer legt Brandsätze an Bahnstrecken und verfasst kommoderweise dazu eine Presseerklärung. Sie werden gefunden bevor sie zünden. Alle Welt redet darüber. Wegen des Bundestrojaners ist das Ganze nur Meldung Nr. 5. Ein Brandsatz zündet. Die Buzzwords gipfeln in ‚Linksterrorismus‘.

Soweit alles wie immer. Normalerweise würde ich jetzt sagen, was ich dazu immer sage: Es ist kein Terrorismus. Sowieso ist ‚Terrorismus‘ ein Begriff der politischen Propaganda, aber das hier ist jedenfalls keiner. Und warum spricht hier eigentlich nie jemand von Rechtsterrorismus? Obwohl die organisiert vorgehen, jede Menge Menschen umbringen und ganze Landstriche terrorisieren?

Warum ist es nötig, dass die dpa eine FAQ „Droht ein neuer Linksterrorismus?“ fabriziert, die dann von Süddeutsche bis Fokus erscheint, wenn der CDU-Innenminister von Niedersachsen, Schünemann, den wie jeden Morgen dräuen sieht?

Und dann nahm die Sache eine ungewohnte Wendung. Es wird tatsächlich diskutiert.

Auf tagesschau.de gibt es ein ausführliches Interview „Ein öffentliches Schüren von Hysterie„.

tagesschau.de: Der niedersächsische Innenminister, Uwe Schünemann, hat aber die aktuellen Brandanschläge auf die Bahn mit dem Terrorismus der Siebzigerjahre verglichen. Sind solche Vergleiche überhaupt sinnvoll?

Jander: Wenn Sie mich fragen: Das ist ein öffentliches Schüren von Hysterie für das es keinen fundierten Ansatz gibt. Das sollte man besser lassen.

tagesschau.de: Trotzdem führen Politiker und Polizisten nun eine Debatte über einen „neuen Linksterrorismus“.

Jander: Das halte ich ehrlich gesagt für vorgeschoben. Seit die schwarz-gelbe Koalition regiert, gilt die Parole „rechts = links“. Das halte ich zum einen für vollkommen falsch, zum anderen für gefährlich. Wenn nun Politiker eine Linksterrorismusdebatte führen, dann setzen sie damit die linke Gewaltbereitschaft einmal mehr auf eine Stufe mit der rechten. Und das bedeutet auch, dass bestimmte Politiker hier gegenüber dem Rechtsterrorismus beide Augen sehr fest zudrücken, indem sie ihn relativieren.

Das ist für Alpha-Medien neu.

heute.de macht das Gleiche: „Der Vergleich mit dem RAF-Terror ist Quatsch„. Darin wird schon in der Einstiegsfrage auf die Inhalte der Anschlagserklärung eingegangen – ich kann mich nicht erinnern, sowas in den letzten Jahren gesehen zu haben.

Der Vergleich mit dem RAF-Terror ist aber Quatsch. Man sollte vorsichtig sein, damalige und heutige Vorgänge leichtfertig in einen Topf zu werfen. Anders wäre es, wenn wir Informationen darüber hätten, dass es innerhalb der linken Szene eine Radikalisierung dahingehend gäbe, dass sich die Leute schwere Waffen kaufen und darüber nachdenken, auf Polizisten zu schießen oder sie Todeslisten hätten von rechtsextremen Politikern oder ähnliches. Aber dafür gibt es keinerlei Anzeichen, und daher nehme ich nicht an, dass Brandstifter demnächst dazu übergehen, Menschen zu entführen und zu ermorden.

Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

10 Gedanken zu „Terror it is?

  1. Interessant war im tagesschau-Interview auch die Antwort auf die Frage, auf welcher Basis die Bekenner sich links nennen.

    „Und die Forderung nach Informationsfreiheit, was aber eigentlich überhaupt nicht zur klassischen Linken passt, die ja auch immer Schwierigkeiten mit dem Freiheitsgedanken hatte.“

    Wäre man paranoid, würde man dort den Anknüpfungspunkt sehen, um die Anschläge später mit der Piratenpartei in Verbindung zu bringen…

  2. @anonymous

    Och wobei – dieser taz-Kommentar heute passt da nicht zu:

    Die Brandsatzleger beweisen dabei einen geradezu rührenden Glauben an die Bahn, wenn sie davon ausgehen, dass alle Zugsignale auf Rot springen, sobald ein Steuerungskabel durchschmort. Ist doch wohl „Made in Germany“, wird doch wohl funktionieren. Wer aber so offensichtlich auf die Errungenschaften der Bundesrepublik vertraut, muss auch imstande sein, den Protest gegen die Ungerechtigkeit der Welt an die hiesigen Verhältnisse anzupassen.

    https://www.taz.de/Kommentar-Linke-Brandanschlaege/!79831/

  3. Die Faktenlage des „Bombenanschlages“ auf den Hauptbahnhof ist das an einem Abhang, 250 Meter vom Hauptbahnhof entfernt an einem Traffohäußchen neben der Stelle wo die Züge des HBF-Tief die Erde verlassen 1,5 Liter-Benzin Flaschen mit einem oder mehreren (sehr wahrscheinlich defekten) Zeitzündern gefunden wurden.
    Das bis jetzt kein Anschlag „in letzter Sekunde“ verhindert wurde sondern schlicht ein großteil Defekt war lässt sich am Bekennerschreiben ableiten: es wude am 10.10. um 08:11 veröffentlicht, selbstervständlich nicht bevor die Flaschen hätten zünden sollen.

  4. Ich war ehrlich gesagt auch einigermassen überrascht, dass nicht sofort von Linksterrorismus geredet wurde und anfangs sogar noch janz normale Berliner Polizeipressesprecher vors Mikro traten. Auch dass d er Staatsschutz/die Bundesanwaltschaft nicht sofort, sondern erst gestern im Laufe des Tages den Fall an sich zogen. Man mag da jetzt abstruse Verschwörungstheorien draus basteln oder schulterzuckend meinen, dass halt grad keine Wahlen anstehen.
    Dass Reflexion für Alphamedien neu ist, mag für die letzten Jahre schon gelten. Aber früher ™ gab’s das auch schon mal, diesen Panorama-Bericht zum Frankfurter Kaufhausbrand zB find ich auch relativ bemerkenswert: http://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/werwennnichtwir119.html.
    Achso, und auch wilkommen bei Brautkleider Online… 😉

  5. Hey Anne,
    so begrüßenswert diese Reflexion bei ARD und ZDF auch ist, beim DLF ist sie leider noch nicht eingetroffen. Der hat gestern abend so gegen 23:30 in einem Interview mit einem
    Menschen vom osi der FU Berlin wieder unwidersprochen mehr als nur Gleichsetzung von rechter und linker Gewalt zugelassen. Hier wurde linke Gewalt sogar als das wesentlich gefährlichere dargestellt in dem auf die höhere anzahl an linken Straftaten hingewiesen wurde. Auf qualitative Unterschiede oder gar die “Unregelmäßigkeiten “ in der Zählung wurde natürlich nicht eingegangen.

    Aber wenigstens bei ARD und ZDF gibt es etwas Fortschritt. Wenigstens etwas.

  6. Na mensch, Du bist aber auch häufiger mal zur richtigen Zeit am falschen Ort, wa? ;D

    Das Interview bei tagesschau.de hat gut angefangen und aufgehört, aber der Mittelstrahl enthielt auch ein paar krude Thesen.
    Und zum Thema „Buzzwords“: Was ist eigentlich mit der guten alten „Sabotage“ geworden? Die sollten wir (in der blochenden Gegenöffentlichkeit) mal reanimieren. Es ist gewissermaßen „höchste Eisenbahn“…

  7. Pingback: Linkpackung vom 13.10.2011 | Konstantin Klein

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