Danah Boyds Rant über FB und die Privatsphäre: „Das Beste für die Privilegierten“

Vogel Strauss, by Trisha  Shears, http://www.flickr.com/photos/19598613@N00/437055569/sizes/s/, CC-Lizenz http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/Es gibt gerade wieder viel Gerede über Facebook (FB) und die Privatsphäre. Während manche die These pushen, wir sollten die Idee, etwas für uns behalten zu wollen, am besten gleich zu den Akten legen, weil das im Grunde reaktionär sei – in anderen Worten auch der FB-Chef Zuckerberg -, regt sich Protest. In den USA auch unter den Leuten, denen im Bereich Neue Medien Autorität zugesprochen wird, ‚den Techies‘. So spürbar, dass darüber geredet geschrieben wird.

Der ACLU, eine bekannte US-Bürgerrechtsorganisation, sieht eine Revolte am Horizont.  Gulli berichtet von einem Facebook-Krisentreffen. Die New York Times berichtet gern und ausführlich und hat kürzlich eine Grafik veröffentlicht, die die komplizierten
Einstellungen zu Privatsphäre/Datenschutz bei Facebook

veranschaulicht.

Danah Boyd ist gestern der Kragen geplatzt und sie hat sehr schön Klartext geredet in einer Debatte, die langsam Züge eines Glaubenskriegs entwickelt: "Wir hätten wir nie Homophobie thematisiert, wenn nicht massenhaft Leute zwangs-geoutet worden wären!" "Wir werden viel freier sein, wenn wir zu unseren Fehlern stehen!" "Im Netz kommt früher oder später sowieso alles raus." vs. "Wer sich beobachtet fühlt, ändert das Verhalten – Big Brother lässt grüßen." 

‚Facebook und "radikale Transparenz"‘:

Danah Boyd beschreibt zunächst die Entwicklung und die zunehmenden Probleme rund um Facebook und die ständigen Veränderungen der Einstellungen im Bereich persönliche Informationen und Datenschutz.

Facebook denkt, dass bloss ein paar spinnige Tech-Eliten wie ich die Nase voll haben. Sie bleiben bei ihrer Haltung und versuchen zu erklären, dass das, was sie machen, gut für alle sei.

Neben den sich ständig ändernden Einstellungen tauchen immer neue Sicherheitsprobleme auf: dies betrifft Mailadressen, IP-Adressen (und damit der Ort, an dem sich Menschen befinden) und vollständige Chat-Protokolle.

Sie zitiert Mark Zuckerberg:

Du hast eine Identität.. Die Tage, als Du ein Image für Deine KollegInnen und ein anderes für die anderen Menschen hattest, werden vermutlich ziemlich bald vorbei sein.. Zwei Identitäten zu haben steht für einen Mangel an Integrität.

David Kirkpatrick, beschreibt sie, nennt das in seinem demnächst erscheinenden Buch "The Facebook Effect" den Kern von Facebook: "Radikale Transparenz". Zuckerberg sei der Meinung, dass es allen Menschen besser gehe, wenn sie sich transparent machen. (Zuckerbergs Konto dann auch).

Silicon Valley ist voll mit Leuten, die mit Selbst-Vermarktung beschäftigt sind, die sich mit Exhibitionismus einen Namen machen. Es überrascht mich nicht, dass Scoble sich entblößen will; er ist immer der erste in den Massenansammlungen der Sozialen Netzwerke, immer noch öffentlicher als Du. Manchmal auch zu öffentlich. Aber das ist seine Entscheidung. Das Problem ist, dass nicht alle mitmachen wollen.

Dann gibt es ein bisschen Hintergrund zu Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit, und schließlich wundert sich Danah Boys darüber, dass die Macher von Facebook die Einstellungen, die sie den NutzerInnen als Standard-Einstellung vorgehen, selber nicht benutzen. Schlimmer aber findet sie den Mangel an Transparenz im Design des Interfaces. Das führt dazu, dass vielen Menschen gar nicht klar ist, wem sie was öffentlich machen.

Wenn Facebook radikale Transparenz wollte, könnten sie den UserInnen mitteilen, wer sich was ansehen kann. Sie könnten sie benachrichtigen, wenn ein Partner Inhalte aufruft. Sie könnten ihnen zeigen, wer alles zu den ‚Freunden der Freunde‘ gehört – oder wenigstens wieviele.

Sie beschreibt den Unterschied zwischen der freiwilligen Entscheidung, bestimmte Dinge öffentlich zu machen und dem Gefühl, gar nicht anders zu können.

Zuckerberg und seine Gang denken wahrscheinlich, dass sie wissen, was am besten für die Gesellschaft, für die Individuen ist, aber dem widerspreche ich vehement. Ich glaube, dass sie wissen, was für die Privilegierten am besten ist. 

Ich bin wütend. Sehr wütend. Wütend, dass ein paar Leute nicht die Wahl haben, wütend, dass sie nicht wissen, was los ist, wütend, dass es in meiner Branche inzwischen OK ist, Leute bloß zu stellen. Es ist höchste Zeit, dass wir diejenigen berücksichtigen, die nicht annähernd so privilegiert sind wie wir, die sich nicht aussuchen, dasselbe Risiko einzugehen wie wir, die sich das nicht leisten können. Es geht nicht um Liberale vs. Libertäre; es geht um Affen vs. Roboter.

Soweit die von mir ausgewählten Zitate – es empfiehlt sich auf jeden Fall, den ganzen Text zu lesen samt der zahlreichen Kommentare.

Heute hat sie als Reaktion darauf einen zweiten geschrieben: Facebook is a utility; utilities get regulated (Facebook ist öffentliche Versorgung; Versorger werden reguliert).

 

Parallel hat heute Shireen Mitchell (@digitalsista) Sieben Sachen, die bei Facebook nicht mehr gemacht werden sollten geschrieben.

 

 

Bild: Flickr/ Trisha Shears, CC-Lizenz

7 Gedanken zu „Danah Boyds Rant über FB und die Privatsphäre: „Das Beste für die Privilegierten“

  1. Danke, dass du den Artikel hier nochmal vermittelt hast, ich habe gestern schonmal draufgeklickt, aber er war mir dann doch zu lang und zu „rantig“ 🙂

    Immer wenn ein Thema zu einem „Glaubenskrieg“ wird, ist das ein Zeichen dafür, dass die Debatte schief läuft. Es werden falsche Dualismen aufgebaut, hinter denen sich beide Seiten jeweils verbarrikadieren, und da tun sie meistens nicht mehr als der Gegenseite Munition liefern.

    Auch hier ist das so. Die angeblichen Gegenpositionen sind m.E. keine. Man kann die Vermischung der Identitäten durch Soziale Netzwerke gut finden (wie ich das in meinem Post über das „Ende der Heuchelei“ geschrieben habe – http://antjeschrupp.com/…/das-ende-der-heuchelei) aber trotzdem die Privacy-Politik von Facebook kritisieren. Man kann für Datenschutz sein und trotzdem die Potenziale der neuen Vernetzungmöglichkeiten sehen usw.

    Stellen wir uns vor, durch ein Wunder hätten die Menschen plötzlich telepathische Fähigkeiten und könnten die Gedanken der anderen lesen. Die einen würden jetzt nur noch Blei-Helme tragen, um sich abzuschirmen, die anderen schreien: Hurra, endlich kann ich noch mehr Geld an euch verdienen.

    Offensichtlich wäre es da keine gute Idee, sich auf eine der beiden Seiten zu schlagen. Sondern man müsste einen dritten Weg finden und mit der neuen Situation positiv umgehen: Wie können wir diese neue Fähigkeit des Gedankenlesens kulturell so integrieren, dass sie keinen Schaden verursacht, wir ihre Vorteile aber trotzdem genießen können?

    Und so ist es auch beim Thema Soziale Netzwerke. Es ist kein Entweder-Oder. Sondern etwas Drittes. Es geht darum, Regeln zu erfinden, die verhindern, dass die neuen Möglichkeiten negative Folgen haben. Wir müssen sowohl verhindern, dass Leute zwangsweise Informationen von sich preisgeben müssen, und gleichzeitig Rahmenbedingungen schaffen, die verhindern, dass solche Informationen missbraucht werden (die werden, glaube ich, eher kulturell als rechtlich sein). Also einerseits respektieren, dass Leute ihre Blei-Helme aufsetzen wollen, andererseits aber Bedingungen schaffen, dass alle ihre Helme gefahrlos absetzen können – denn nur so können wir die Vorteile der neuen Möglichkeiten genießen.

    Der Gegensatz zwischen Helm-Trägern und Helm-Absetzern ist konstruiert. Wir brauchen nämlich keine Diskussionen darüber, ob Telepathie an sich gut oder schlecht ist (wir werden sie eh nicht mehr los).

  2. Ich finde beide Texte von danah boyd sehr, sehr gut und genau auf den Punkt treffend. Zeynep Tufekci geht in eine ähnliche Richtung: sie vergleicht Facebook mit einem „company town“.

  3. Die Argumentationsweise von Antje Schrupp ist m. E. typisch. So schreiben Menschen, die aufgehört haben, ihr Leben, ihre Umwelt, die Gesellschaft selbst zu gestalten, die nur noch reagieren auf Entwicklungen, die von anderen als unausweichlich hingestellt werden. Während einige wenige die Welt zu ihrem Vorteil und Profit verändern, glaubt die benachteiligte Masse bereitwillig an die Alternativlosigkeit dieser Veränderungen und versucht, für sich das Beste aus ihnen zu machen. Das ist die Propaganda des Neoliberalismus. Die „Bankenrettung“ – alternativlos. Die Privatisierung öffentlichen Eigentums – alternativlos. Der Afghanistan-Krieg – alternativlos. Und nun ist also der Verlust der Privatsphäre alternativlos, da wir das „Gedankenlesen“ angeblich nicht mehr aus der Welt kriegen, und es soll nur noch darum gehen, eine positive Einstellung zu ihm zu gewinnen, negative Folgen zu „verhindern“ (wie das möglich sein soll, ist mir schleierhaft) und ansonsten die „Vorteile der neuen Möglichkeiten“ zu „genießen“ (wobei mir nicht klar ist, welche das sein könnten).

    Was Facebook, Twitter und all die anderen „Dienste“ angeht, deren Nutzung heute angeblich ein Muß ist, so bestünde die Aufgabe darin, die Menschen vor ihrer eigenen Naivität, ihrer Geltungssucht, Unwissenheit und Unreife zu schützen (erst recht, wenn man sich „christlich“ schimpft). Die Zahl der Opfer der herrschenden Ideologie ist auch auf diesem Gebiet unermeßlich. Diese Menschen haben verlernt, die einfachsten Fragen zu stellen, die einem eigentlich der gesunde Menschenverstand diktieren müßte, nämlich: „Brauche ich das?“ „Braucht die Gesellschaft das?“ Wenn es nicht gelingt, die Menschen trotz aller gezielten Verdummungsversuche wieder zum selbständigen Denken anzuregen, ihnen zu vermitteln, daß man nicht allen „Trends“ und Entwicklungen hinterherlaufen muß, daß diese „Trends“ überhaupt nur deshalb welche sind, weil viele sich zum Werkzeug machen lassen, daß man auch „Nein“ sagen kann zu bestimmten „Angeboten“ und daß deren vermeintlichen Vorteilen gewaltige Risiken und Nebenwirkungen gegenüberstehen – dann gute Nacht!

  4. @Alexandra – So habe ich das nicht gemeint. Soweit es persönliche Entscheidungen betrifft, ist niemals etwas alternativlos, da gebe ich dir recht. Aber ich glaube auch nicht, dass die vielen Leute, die Facebook und Co. nutzen, einfach nur hirnlos irgendeinem neoliberalen Zeug hinterher rennen. Ich jedenfalls tue es nicht. Ich sehe darin viele Chancen und habe schon viele sehr gute Erlebnisse damit gehabt. Es bringt Vorteile, und deshalb werden Leute es weiterhin nutzen. Politisches Handeln muss sich immer auf die Welt beziehen, so wie sie ist, und kann nicht einfach sagen: Es wäre besser, wenn das nicht erfunden worden wäre. Was in der Welt ist, ist in der Welt, und wir müssen damit rechnen. Und insofern, ja: Wir müssen das Beste daraus machen. Was das ist, darüber wäre zu streiten. Aber zu sagen, Leute, die meine Einschätzung dazu nicht teilen, haben es einfach nicht richtig kapiert, führt in der Diskussion nicht unbedingt weiter.

  5. Ich sehe das ganz ähnlich wie Alexa. Wir sollten, bevor wir verlangen, Facebook zu regulieren, einen Schritt zurück treten und uns fragen, wen wir da überhaupt schützen wollen.

    Facebook et al sind keine notwendigen Kommunikationsmittel, sondern eher so etwas wie ‚Eliten‘, und die kommen immer mit eigenen Regeln daher.

    Es steht jedem frei, dort mitzumachen oder es zu lassen, und die Daten, die dort dann öffentlich werden, fallen ja nicht vom Himmel; die muss jeder erstmal eingeben.

    Dass das Internet nicht vergisst, ist eine Lehre, durch die die Nutzer durch müssen, und daran werden sie sich früher oder später gewöhnen.

    In ein paar Jahren wird man die übertriebene Offenheit dort so selbstverständlich vermeiden wie ungeschützten Sex 🙂

  6. tim o’reilly hat interessante fragen gestellt kuerzlich.
    http://radar.oreilly.com/…-facebook-privacy.html

    seine aussage ist im kern eine frage nach der wertschoepfung in zeiten tiefgreifender technischer veraenderungen. privatsphaere im web ist damit vor allem eine frage nach dem tauschwert. was kriege ich dafuer wenn ich einen bestimmten teil meiner persoenlichen daten preisgebe? was gewinnt die allgemeinheit wenn grenzen der privatheit und des eigentums sich zu gunsten der allgemeinheit veraendern, auch wenn diese allgemeinheit von privaten firmen statt von staatlichen institutionen verwaltet wird?

    man darf nicht vergessen, dass sowohl facebook wie auch google
    geschaeftsmodelle haben die parasitaer sind, also nach einer art aufmerksamkeits-steuer funktionieren. der grossteil der daten und dienste aber „frei“ zur verfuegung gestellt werden. diese freiheit hat aber einen preis und diesen preis sollte man besser verstehen. denn diese freiheit ist nicht die freiheit des individuums sondern die freiheit der information. die schliessungen von google und facebook in bezug auf internet und kommunikation bergen risiken, denn sie sind vom willen der user abhaengig. dagegen stehen faktoren wie vertrauen und bequemlichkeit, wie z.b. die kontrolle von viren, spam, oder ganz simpel netzwerkeffekte die ohne das medium/dienst nicht genutzt werden koennten. netzwerkeffekte basiert aber auf verallgemeinerung.

    was war der preis dafuer seine telefon oder faxnummer im telefonbuch bekannt zu machen? neben der telefonrechnung, die universelle erreichbarkeit.. sollte man von nun an im internet nur noch privatnummern verwenden, die nur freunde kennen? ist das nicht die selbe die alte angst vorm schwarzen mann, kinderporno und hackerangriffe, hinter der letztlich eine klassenlogik steht. in diese richtungen gehen die frueheren analysen der microsoft forscherin danah boyd.

    welche art von regressiver middle class ideology, von den sauberen vier waenden, der heilen kleinfamilie, lauert hinter der privacy debattte? was diese firmen vor allem betreiben ist profiling, also marktanalyse. ohne eine grundlegendere kritik des marktes selbst, und seiner mechanismen, das heisst der politischen oekonomie von facebook und google greift die privacy-debatte zu kurz.

    die frage ist berechtigt welchen klasseninteressen hier gedient wird, aber auch ob die fixierung auf den individualismus und dem dahinterliegenden idealismus des freien subjekts wirklich auf dem aktuellen politischen stand sind.

    die privacy-debatte ohne eine debatte um die frage welches gesellschaftsystem man ueberhaupt will, in welcher ein individuum funktionieren soll, bedeutet zumindest angewandt auf netzpolitik und die kontrolle von firmen wie facebook, mehr als sich an privacy-settings zu entruesten.

    es geht hier essentiell um das eigentum an daten. wollen die privacy advokaten letztlich liberale ideologien vom individualismus als hoechstem gut vertreten, so funktioniert das perfekt zusammen mit schufa, bausparvertrag und digtalen kundenkarten, hin zu einem „glaesernen“ markt, in dem die entscheidenden fragen nach einer neudefinition des digitalen eigentums nicht gestellt werden.

    es ist also kein wunder dass der „open source guru“ tim o’reilly gewisse skepsis zum ausdruck bringt, auch wenn er sie californisch nicht mal ansatzweise zu ende denkt. die debatte hat also mit copyright zu tun. das ist altes netzwissen. privacy und piracy gehoeren zusammen.

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