Zeitlose Top 100

omg* – annalist wird in der "Zeit"-Karte der 100 erfolgreichsten deutschen Blogs erwähnt. Wie aufregend. Wie wundervoll, dass ein (mein) Blog über Terrorismus im Allgemeinen und Besonderen in diesen Zeiten zu den erfolgreichsten Blogs zählt. Ich würde ja jetzt total gern diese Karte hier einbinden, aber ich wette, dass irgendein Anwalt nur darauf wartet, genau diese 100 Blogs bei der Verletzung des Copyrights zu erwischen. Deswegen: hinklicken und selber nachgucken.

Und wie kommt sowas zustande? Also die Top 100, nicht das mögliche Copyright-Debakel. Leider, muss ich ja sagen, ist dieses Ranking vollkommen geschmeichelt, weil ich aus den ‚Deutschen Blogcharts‚ schon lange wieder rausgeflogen bin. Von deren Existenz erfuhr ich kurz bevor annalist darin auftauchte, weil mir jemand, der sich besser auskannte als ich, eine Mail mit dem Hinweis schrieb. Ich habe mich dann belesen und herausgefunden, dass (ein) zentrales Moment der Blogosphäre (oder: Welt der Blogs) ist, wieviele andere Blogs auf deinen verlinken. Das wird z.B. von Technorati gezählt und führt zum relativ bedeutsamen ‚Technorati-Ranking‘, bei mir zu sehen in der rechten Spalte relativ weit unten – diese grüne Zahl.

In den ersten Wochen und Monaten der Existenz von annalist ist dieser Wert in atemberaubendem Tempo gestiegen, in den besten Zeiten war er bei ca. 360, glaube ich, was zu Platz 35 (oder so) in diesen Charts führte. Allerdings gibt es unübersichtlich viele Zählweisen der Bedeutung von Blogs – in den meisten anderen spielte annalist nie eine Rolle. Die oft sehr selbstreferentielle Daseinsform der Blogs perfektioniert immer neue Methoden der Selbstbestätigung, scheint mir (auf die Gefahr hin, jetzt nicht mehr mitspielen zu dürfen..).

Natürlich hat mich gefreut, so schnell von so vielen Leuten gelesen zu werden. Ich hoffe auch, damit weiter ‚klassische BloggerInnen‘ wie auch völlig unbloggende Menschen zu erreichen, weil der Blog mir eigentlich nur das Mittel zum Zweck ist – nach Lust und Laune veröffentlichen zu können, was und wann ich will.

Entsprechend war ich verblüfft, irgendwann
im April/Mai plötzlich genauso rasant ‚abzustürzen‘, im
Technorati-Maßstab. Weniger offensichtliche Überwachung = weniger
Geschichten aus der Abteilung Galgenhumor = weniger LeserInnen. Schade,
andererseits kann ich auch nicht sagen, dass ich gern wieder mehr davon
erleben möchte. Ich nahm an, dass der fallende Wert damit zu tun hat
und habe dann aber doch nochmal nachgelesen, wie das Technorati-Ranking
genau zustande kommt und siehe: es steht im Kleingedruckten, dass ein
auf meinen verlinkender anderer Blog maximal sechs Monate gezählt wird,
dann "verfällt der Link". Und weil das Verfahren, um das es hier meist
geht, in einer Art Telekom-Warteschleife für unwichtige Kunden
angekommen ist, kann ich wenig Spektakuläres aufschreiben und so sinkt
die Zahl der Verlinkungen.

Immerhin bin ich kürzlich in den ‚wikio-Politik-Blogs
aufgetaucht, die mich anfangs gar nicht wahrgenommen hatten, dafür aber
zig parteipolitische
Lokalgruppenseiten, die vor Monaten das letzte Mal aktualisiert wurden. Wie einige von denen zum Kriterium ‚Blog‘ kommen, wüsste ich gern. Die grüne Jugend Gelsenkirchen liegt nur
noch sieben Punkte vor mir (das ist nicht persönlich gemeint, ich weiß nichts über die grüne Jugend Gelsenkirchen).

Es ist mir sehr rätselhaft, wie (und warum) andere
Leute schaffen, in dem Wust an Bewertungs- und Social-Networkingseiten
a) den Durchblick zu behalten, b) sich da jeweils einzuschreiben, das
entsprechende Icon (Mini-Bildchen) auf der eigenen Seite einzubinden
und c) selbst dort dann so aktiv zu sein, dass der Wert der eigenen
Seite relevant steigt. Und mehr noch, warum Leute ständig neue
erfinden. Nachdem es definitiv nicht möglich ist, von alldem zu leben
und kein wirklich idealistisches Motiv erkennbar ist: wozu das Ganze?
Es kommt mir ein bisschen so vor wie die Unübersichtlichkeit des
sozialen wirklichen Lebens, das mich in Verzweiflung stürzte, als ich
so etwa 13, 14 Jahre alt war und auch immer nicht begriffen habe,
welche Band gerade angesagt war (und warum). Gelernt habe ich dabei
glücklicherweise, dass das Leben wirklich schöner ist, wenn man das
alles ignoriert. Was sich, zugegeben, leichter sagen lässt, wenn man
genug FreundInnen hat und ich will mich hier jetzt nicht über mangelnde
Aufmerksamkeit beschweren.

Ich sacke also mit Würde und
Gelassenheit ab, bedanke mich nochmal bei dem nicht mehr zeitgemäßen
Kompliment der Zeit und biete allen an, die der Blogosphäre mit noch mehr
Ratlosigkeit gegenüberstehen, mein karges Wissen mit ihnen zu
teilen. Mehr gute Blogs wären auf jeden Fall was Feines.

 

*omg: Oh my god – eine von vielen vor allem in Chats benutzen seltsamen Abkürzungen

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8 Gedanken zu „Zeitlose Top 100

  1. Wichtig ist nicht, dass Du in der Liste der 100, 20 oder 10 coolsten Blogs stehst. Wichtig ist, dass das, was Dir, Euch passiert ist, oeffentlich gemacht wurde und oeffentlich bleibt. Und wer auf annalist verlinken wollte, der hat das schon lange getan – das ist aber ueberhaupt keine Aussage darueber, wieviele Leute Dein blog weiterhin noch regelmaessig lesen (und dafuer ist der Technokrati-Index auch nicht aussagekraeftig).
    Und natuerlich passiert in einem Verfahren, das vor sich hin duempelt, nicht so viel Spannendes wie in einer Phase, in der alle paar Wochen Maskierte die Wohnung stuermen – aber ich glaube, auf lange Sicht ist dann das Rumduempeln noch attraktiver als diese Ueberfaelle.

  2. Die Antwort lautet: weil mein E-Penis größer ist als deiner, und mit Technorati kann ich das allen zeigen.

    „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“
    [Kierkegaard]

  3. ständig neue toplisten etc gibt es wohl vor allem deshalb, weil die betreiber dieser listen dann selbst relativ weit oben einsteigen können 🙂
    im übrigen muss ich sagen, dass ich nahezu keines der auf der ZEIT-karte genannten blogs kenne, abgesehen von einer hand voll erscheinen sie mir auch nichtmal ansatzweise relevant — kein wunder, es gibt ja eine bestimmte obere grenzfrequenz für posts (außer natürlich man generiert sie automatisch, was ich bei einigen ernsthaft verdächtige), und wenn man 95% der zeit damit beschäftigt ist, den aktuellen trend durchs dorf zu treiben um die statistik aufzubessern (immerhin bekommt man so ein paar trackbacks auf höherwertige blogs etc), kann nicht viel interessantes neues mehr herauskommen…
    also würde ich ein fallendes ranking eher als ehre ansehen, das zeigt, dass ein blog das boulevardeske (was die deutsche „blogosphäre“ ja so liebt) hinter sich gelassen hat. bedenklich wird es eher, wenn plötzlich blogbar mit einem einverstanden ist, oder so 🙂

  4. Ranking hin oder her, wichtig ist, dass Dich und das Blog die Leute kennen, die mit der Materie zu tun haben und Interesse am Thema haben. Damit das so bleibt, kommtste nun auch in meine Blogroll.

    Ich finde Dein Blog wichtig, denn es zeigt recht gut das repressive Vorgehen des Staates, den manche noch für ach wie demokratisch halten.

  5. „Alexa Kauhhof“ sagt es. Die Kunst, in Ranking oben zu bleiben, ist die Kunst, mit der Herde zu blöken und möglichst viel „Netz über Netz“-Blödsinn abzusondern. Forget it! Annalist hat einen Platz auf meiner Blogroll, weil es wichtig ist. Ich nehme an, die Leser meines völlig irrelevanten Blogs sehen das genau so. Popstar ist etwas anderes 😉

  6. Diese Ranking Geschichten sind kein Merkmal wirklicher Solidarität. Wenn Du etwas bewegen willst, zählt nur das, was Du tatsächlich machst. Und in dem Feld gibt es unzählige Sprücheklopfer. „Die Blogger haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“

  7. Hallo Anne!
    Der letzte Kommentar verweist, wenn mich meine bescheidenen Japanischkenntnisse nicht täuschen auf Dating-Seiten, die laut dieses Kommentars kostenlos (無料) sein sollen.
    kankei-taisetu heißt Bindung-wichtig…
    sugu au heißt „jetzt gleich (jn.?) treffen“

    Sehr schön treffende Erwiderung mit der Angstmacherei. 🙁

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