15 Minuten

medium_5094796158Ich bin gerade in Warschau bei der Konferenz Censorship, Democracy, Gender. Feminist critiques and resistances und habe heute vormittag an einem Panel über Feministische Medien und Zensur teilngenommen (danke nochmal für die vielen Reaktionen auf meine Bitte, Beispiele und Kommentare zu meinen Thesen zu schicken).

Auf dem Podium saß auch Roman Kurkiewicz, polnischer Journalist, der eine hübsche Geschichte erzählt hat: Er hat 2009 in seiner Sendung „Kurkiewy“ bei Radío Tok FM nur Frauen als Gesprächspartnerinnen eingeladen – als Expertinnen zu allen möglichen Themen, nicht etwa bloß zu ‚Frauenthemen‘.

Und beschrieb, was dabei schwierig war: eine Frau einzuladen, dauert zusätzliche 15 Minuten. Denn die meisten Frauen sind der Meinung, dass sie zu dem konkreten Thema nicht wirklich kompetent sind, nicht gern sprechen wollen, und ob nicht vielleicht besser der Chef/Professor kommen soll? Das darauf folgende Gespräch, sie zu überzeugen, dass sie auf jeden Fall selbst kommen soll, dauert im Schnitt 15 Minuten.

Und ich muss sagen, dass ich das als Schwierigkeit schon von vielen gehört habe, die versuchen, Frauen zu irgendwas einzuladen. Nicht schön, aber wegreden hilft auch nicht. Roman Kurkiewicz sagt dazu: einen Mann einzuladen, dauert genauso lange wie die Frage dauert, dann kommt nur noch die Rückfrage: „Wann soll ich kommen?“ – maximal zwei Minuten.

Die Sendung gab es 10 Monate, dann wurde sie aus Gründen eingestellt, die nichts damit zu tun hatten, wer eingeladen wurde. Großartiges Beispiel, finde ich. Hat sowas in Deutschland schonmal jemand probiert?

Ich habe ihn nach den Reaktionen auf das Sendekonzept gefragt und es gab zwei: eine bezog sich darauf, dass er beim Sprechen teilweise ‚gendert‘, also also etwa „Direktorin“ statt Direktor“ sagt (dyrektor – dyrektorka), was auf Polnisch gemacht werden kann, aber nicht muss – ähnlich wie im Deutschen. Die Reaktion wie gehabt: er verhunze die polnische Sprache.

Die andere typische Reaktion warf ihm vor, Männer zu benachteiligen.

Gab es so einen Versuch eigentlich in unserem so viel fortschrittlicheren Land schonmal? Möchte nicht mal jemand? Mehr Aufmerksamkeit gibt’s dafür garantiert. (Dauert halt ein bisschen länger in der Vorbereitung.)

 

 

Foto: World Bank Photo Collection, via photopin, CC-BY-NC-ND-Lizenz

Feminismus und Zensur: Beispiele gesucht

Pussy_Riot_284_190Ich würde gern einen Beitrag zu einer Konferenz crowdsourcen, bei der ich nächste Woche in Warschau bin: Censorship, Democracy, Gender. Feminist critiques and resistances. Mit Pussy Riot und vielen anderen spannenden Leuten, die ich noch kennenlernen muss.

Eine großartige Themen-Kombination. Ich sitze auf einem Panel konkret zu Zensur, Politik und Medien und suche jetzt nach guten Beispielen für Fälle, bei denen feministischen Medien, Blogs, Zeitschriften, Fernseh- oder Radiosendungen von Zensur betroffen waren (oder sind).

Zensur ist ja bekanntlich mehr als das grobe staatliche Verbieten von irgendwas (aber das auch). Meine unspektakuläre These wäre, dass Zensur von feministischen Medien oft subtiler daher kommt und ich bin sicher, dass es dafür gute Beispiele gibt: kennt Ihr welche? Bitte schreibt sie in die Kommentare, ein einfacher Link reicht auch. Oder per Mail an annalist (bei) riseup (pkt) net.

Genauso interessieren mich Texte über das Phänomen, von theoretisch-akademisch bis ganz deskriptiv.

Oder Filme, Podcasts… wenn es welche gibt? Sehr gern auch aus dem nicht-deutschsprachigen Raum.

Worüber ich schon länger immer mal rede und schreibe ist die Frage, wie es kommt, dass die bekannten und ‚wichtigen‘ Blogger hierzulande ausnahmslos Männer sind. Mit der Abnahme der medialen Bedeutung der Blogs an sich spielt das nicht mehr so die Rolle, wird aber natürlich weiter tradiert und bewegt sich als Bild im Grunde nicht mehr groß.

Und hier hätte ich eine Frage an die Blogger und Bloggerinnen der ersten Stunde: wie kam es eigentlich dazu, dass die Bedeutung von Blogs in der Menge der Verlinkungen untereinander gemessen wurde?

Das war bspw. zentrales Kriterium für die Deutschen Blogcharts, aber auch Rivva oder Technorati, wenn ich mich richtig erinnere. Ein scheinbar neutral-technischer Maßstab – nur dass Technik immer ausgedacht wird und in diesem Fall ja auch andere Kriterien möglich gewesen wären. Wenig überraschend ist meine These, dass diese Form, Bedeutung zu messen, das Äquivalent zu den althergebrachten Seilschaften ist. Wer erinnert sich daran, wie es dazu kam? Standen anfangs Alternativen im Raum? Ich glaube nicht, dass diese (technische) Struktur absichtlich mit dem Ziel des Ausschlusses von irgendwem entwickelt wurde. Aber umso interessanter ist doch, wie es dazu kam.

Falls diese Überlegung auch auf die Welt jenseits der Blogosphäre übertragbar wäre: umso besser.

Aber erstmal reichen auch die Geschichten.

Danke!

 

Foto: Denis Bochkarev Creative Commons Licence 3.0

EM in Polen – da bleibt kein Überwachungswunsch offen

Polens Polizei will nach FOCUS-Informationen während der Fußball-Europameisterschaft Hooligans mit Hightech in Schach halten. Handy-Ortung, Datenaustausch und Überwachungssysteme sollen Sicherheit in den Stadien garantieren. (Focus)

Das ungeschriebene Handbuch für InnenpolitikerInnen „Wie verkaufe ich dem Volk neue Überwachungsmethoden“, Untertitel „Was die Sicherheits-Industrie sich als Nächstes wünscht“ ist eigentlich ganz einfach aufgebaut:

In regelmäßigem Wechsel braucht es eine neue Bedrohung, jeweils so beschrieben, dass es a) schön gruselig und b) keine Gefahr besteht, dass sieh zuviele ordentlich unbescholtene Bürger mit den Überwachungsobjekten Gefährdern identifizieren.

Als da wären: Drogenhändler, Organisierte Kriminalität, Russenmafia, Frauenhändler (besonders geeignet, weil noch das Moment der beschützenswerten Opfer dazukommt), Terroristen, Hooligans. Wenn alle durch sind: von vorne anfangen.Demnächst sicher auch Hacker.

Große Sportereignisse (hat sich schonmal wer gefragt, warum immer die Innenminister auch für Sport zuständig sind?) bieten dafür jede Menge Vorteile: Viel Publikum, viel nationale Begeisterung = viel Zusammengehörigkeitsgefühl, viel Chaos = offensichtliche Notwendigkeit für Sicherheitsmaßnahmen, viel Bereitschaft, Maßnahmen zu akzeptieren um bloß ja dabeisein zu können.

Vor uns liegt also die Europameisterschaft.

Verdächtige Personen könnten bei Bedarf bereits ab dem Grenzübertritt überwacht werden, sagte ein Polizei-Sprecher zu FOCUS. Zu den geplanten Maßnahmen gehörten zudem Handy-Ortung sowie der Datenaustausch mit nationalen Polizei-Datenbanken.

Testweise soll auch das umstrittene intelligente Überwachungssystem Indect zum Einsatz kommen, das unter anderem digitalisierte Bilder der Überwachungskameras mit Informationen aus sozialen Netzwerken verknüpfen kann.

Hallo? INDECT? Das hier? Kai Biermann schrieb dazu schon 2009: Indect – der Traum der EU vom Polizeistaat.
Das eigens eingerichtete Sicherheits-Headquarter in Warschau, das mit Europol und Interpol vernetzt ist, soll nach Polizeiangaben präventive offene und verdeckte Überwachung während des Turniers sowie enge Kooperation mit internationalen Sicherheitsexperten gewährleisten. (alles Focus)
Außerdem: Scharfschützen, Schnellgerichte, Spezialscanner für radioaktives und pyrotechnisches Material, von der polnischen Militärakademie entwickelte Lasergeräte.
Es bleibt kein Wunsch offen.

Und wir dürfen uns sicher sein, dass all dies nach erfolgreichem Einsatz in Polen neue Anwendungsfelder finden wird.

Lügendetektoren zur Flüchtlingsabwehr

Schlimmer geht immer.

Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche ist ein Team des National Center for Border Security and Immigration Research der University of Arizona in Polen, um dort den Grenzpolizeien der 27 EU-Länder sein ‚Flagschiff-Forschungsprojekt‘ vorzustellen: Einen Lügendetektor, der Frontex bei der Suche nach ‚illegalen‘ Flüchtlingen helfen soll. (Arizona Daily Star, 14.9.10)

Dass es quasi gar nicht mehr möglich ist, als Flüchtling legal einzureisen, interessiert dabei naturgemäß überhaupt nicht.

Praktisch soll das so aussehen: ein Avatar mit integrierter Software (Intelligenter Agent) stellt Fragen und dabei werden verschiedene Instrumente z.B. Puls, Blutdruck, Zucken der Augenlider und Augenbewegungen überwachen und auswerten. Die ForscherInnen haben mehr als 300 Reaktionsformen getestet, darunter Stimme, Sprache, Herz- und Augenreaktionen, Veränderungen der Körpertemperatur. Programmmanager Riley McIsaac würde den ‚Avatar Kiosk‘ gern schon nächstes Jahr in Flughäfen und Häfen testen.

Das ‚Nationale Grenzschutz- und Einwanderungsforschungszentrum‘ der Uni Arizona gibt es seit 2008. Gemeinsam mit der Partner-Universität El Paso/Texas leitet es ein Konsortium von 14 Forschungseinrichtungen, die über sechs Jahre insg. 16 Mio. US-Dollar vom Dept. of Homeland Security für die Forschung bekommen.

Das Grenschutzzentrum ist Finalist in der Ausschreibung ‚Innovator des Jahres‘ in der Kagegorie ‚Wissenschaft‘ des Governors von Arizona.