Die Parteien und die Netzpolitik

Samstag lief wie immer um 14 Uhr bei Deutschlandradio Kultur die Sendung Breitband. Weil parallel die Demo ‚Freiheit statt Angst‘ stattfand, wurde bereits am Freitag eine Stunde dafür aufgezeichnet, zum Them Das Internet Deiner Wahl. Beteiligt waren neben Redaktion und Vera Linß und Markus Richter (Moderation) Steffen Wenzel von politik-digital und ich. Es ging um die Positionen der Parteien zu Überwachung und Datenschutz, zu Netzneutralität und Netzausbau, Urheberrecht und Leistungsschutzrecht und schließlich Open Data.

Zum Nachhören

Oder als mp3 (50mb).

Als Vorbereitung hatte ich gefragt, wo es schon Übersichten, Artikel oder Wahlprüfsteine gibt und da kam eine ganze Menge zusammen. Wenn Ihr also wissen wollt, wie sich die Parteien im Bereich Netzpolitik voneinander unterscheiden, könnt Ihr eine ganze Menge finden:

Zwei Wahlomaten gibt es auch:

  • Netz-Radar, vom Internet & Gesellschaft Co-Laboratory (Google)
  • Wahlcheck, vom Verbraucherzentrale Bundesverband

 

Netzpolitik und Frauen passen einfach nicht zusammen

The internet is a series of tubesDer Eindruck drängt sich jedenfalls ziemlich auf, nachdem bei netzpolitik.org zu lesen stand, dass nur 8% der LeserInnen dort Frauen sind. Die Redaktion fragte sich dann:

Wie kann der Anteil weiblicher Leserinnen gesteigert werden? Netzpolitik sollte keine Männersache sein und geht alle an.

In den Kommentaren entspann sich ein buntes Treiben, um dessen Moderation ich niemanden beneide. Mein Verdacht war, dass die Frage dort das richtige Publikum gar nicht erreicht, denn erklärtermaßen lesen die Frauen, die nicht netzpolitik.org lesen, netzpolitik.org ja nicht. Über den Umweg einer Facebook-Gruppe, die leider das derzeit größte mir bekannte Forum von Bloggerinnen und sonst netzaffinen Frauen ist, das ich kenne, entstand ein Blogpost von Claudia Kilian: Netzpolitik ist weiblich. Auch dort wurde viel diskutiert.

Für mich riecht das Blog Netzpolitik männlich. – Ich bin nicht gut im erklären, aber für mich ist der vorherige Satz, genau die Erklärung, die ich mir selbst geben würde. Das ganze Blog besitzt eine durch und durch männliche Ausstrahlung und wenn ich die Zahl der Mitschreiberinnen hätte schätzen sollen, dann hätte ich sie bei der Prozentzahl geschätzt, bei denen die Leserinnen liegen: jedenfalls eindeutig im einstelligen Bereich. (Claudia Kilian, Sammelmappe)

Und ungefähr hier fangen dann die kulturellen Differenzen an, die vielleicht mit zu den Ursachen gehören, warum sowenig Frauen netzpolitik.org lesen. Im Text und in den Kommentaren ging es um:

Bunter, kreativer, abwechslungsreicher, nicht immer zu ernst – muss ja nicht gleich in Klamauk ausarten – und ganz wichtig: einen Bezug zum Alltag herstellen.

Zu viel Technik, Gesetz und Recht, Staatsmacht, zu wenig Reflektion über Beziehungen, Kultur, Was kann ich machen? Und auch zu viel klare Positionierung, mich interessiert eher das Diskutieren von offenen Fragestellungen.

Ich kann das “Stallgeruch” Phänomen spontan gut nachempfinden. Die Erklärungen hinsichtlich mangelnder soz. Reflexion/ pers. Bezugs finde ich insofern plausibel, als sie sich schon darin zeigen, dass hier darüber diskutiert wird, statt auf Netzpolitik.org (die ja explizit Kommentare dazu wollten).

Ich empfand die Diskussionskultur dort als wenig inspirierend, besserwisserisch, teilweise arg trollig. Die Netzpolitik-Diskussionen führe ich (bisher) fast ausschließlich offline unter Freund*innen und Kolleg*innen.

Ich stehe meist mit einem Bein in der netzpolitisch-hacktivistischem Community mit den gefühlt 92% Männern und mit dem anderen in der feministischen Community, die manchmal, aber selten, netzpolitisch und häufig sehr netzaffin ist. Und das seit gut zehn Jahren. Beide leben unabhängig und in weitgehender Ignoranz voneinander. Etwas von der einen in die anderen zu übertragen hat große Ähnlichkeiten mit dem Übersetzen von Sprachen. Es ist nicht bloß das Vokabular, das unterschiedlich ist, sondern auch die Art und Weise, wie Phänomene wahrgenommen und beschrieben werden.

Im Grunde eigne ich mich schlecht dafür, hier Ursachenforschung zu betreiben, weil ich selber gern und viel netzpolitik.org lese und auch andere Nachrichten-Websites mit netzpolitischen Inhalten. Warum andere Frauen das nicht machen, kann ich also auch nur raten. Ich habe trotzdem versucht zu übersetzen:

Ich glaube, dass mit dem Bezug zum Alltag, zum eigenen Leben, der ‘Reflektion zum eigenen Leben’ gemeint ist, offene Fragen auch mal offen stehen lassen zu können. Lasse ich mir beim Schreiben in die Karten gucken? Lasse ich erkennbar werden, wo ich selbst nicht genau weiß, was ich politisch für richtig halte? Will ich dazu eine Diskussion mit den LeserInnen? Das ist unter Männern, oder in männlich geprägten Umgebungen schwieriger, weil da jede gezeigte Schwäche für einen Angriff gut ist. Die Kommentare lassen da keinen Zweifel. Wenn ich so schreibe, dass keine Frage offen bleibt und ich deutlich signalisiere, dass ich genau weiß, wo es lang geht, puste ich ordentlich die Backen auf, oder die Schultern, je nachdem. Ein typisch männliches Bild, nicht umsonst. Das, was als deutsche Blogosphäre gilt und ja sehr männlich ist (allein der Personen wegen, die da als relevant gelten), lässt wenig Alternativen zu: gut ist, wer cool ist, wer erfolgreich ist, wer die Backen ordentlich aufpustet. Und sagt, wo’s lang geht.

Bei Sammelmappe habe ich versucht, ein bisschen genauer zu beschreiben, was den Zugang zu netzpolitischen Themen vielleicht attraktiver machen könnte:

Viel vom bis hier Gesagten würde erklären, warum sich Frauen ™ nicht für Nachrichten, Zeitungen, Themen interessieren. Das kommt mir ein bisschen zu einfach vor. Dass das vielen Frauen so geht, kann ich nicht von der Hand weisen, aber wenn das der Hauptgrund wäre, dann müsste viel weniger Journalistinnen geben (zum Beispiel). Und da ist der Unterschied ja nicht annähernd so eklatant. Nun gehört zum guten Journalismus in der Regel auch ein bisschen Story, also die eine oder andere Person, deren Geschichte verdeutlicht, warum XY ein Problem ist.

Helga Hansen hat gleich zweimal gebloggt und noch andere Aspekte genannt:

Immer wieder habe ich bisher die Angst gehört „nachher sage ich was falsches und alle halten mich für blöd“ (im schlimmsten Fall wird daraus die Sippenhaft „alle Frauen sind so blöd“). Auch hier greift das alte Problem, dass Frauen ihre Kenntnisse oft deutlich unterschätzen und im schlimmsten Fall die Brötchen für die Demo schmieren, statt eine Rede zu halten.

Warum sollte es im Netz anders sein als im sonstigen Leben: das jeweilige Redeverhalten spielt eine Rolle. Männer neigen dazu, alles zu kommentieren, Argumente anderer als die eigenen darzustellen und dabei schon Gesagtes zigmal zu wiederholen. Und sich immer wieder aufeinander zu beziehen – die berühmten Seilschaften. In der Blogosphäre wird genau das belohnt: je mehr Bezüge untereinander, desto wichtiger (Code is law, und wer macht den?). Frauen finden das entweder langweilig und uninspirierend oder aber lassen sich von dem Bluff so beeindrucken, dass sie den Eindruck haben, nichts Wichtiges zum Thema sagen zu können. Und gehen.

Nochmal Helga, ein paar Tage später:

Außerdem reizt alleine die Aussicht, netzpolitik.org könne sich ändern, die Kommentatoren. Da wird dem Blog zusgeschrieben, nüchtern, sachlich, themenbezogen und unaufgeregt zu sein. Und all das in Gefahr gesehen. Denn Frauen sind anscheinend das Gegenteil von Männern und damit unvernünftig, emotional, aufgeregt und bestimmt auch irgendwie unsachlich.

Dass illustriert vielleicht am besten, was Claudia Kilian mit dem „männlichen Stallgeruch“ meint. Frauen müssen beweisen, dass sie entgegen dem Stereotyp unaufgeregt und sachlich sind, um mitreden zu können und ernst genommen zu werden. Am besten jede einzeln für sich, während jedes „Versagen“ für das ganze Geschlecht gezählt wird. Eine im Zweifelsfall unlösbare Aufgabe. Es gibt kein Diplom in Sachlichkeit, keinen Messbecher für Aufregung.

Sie hat auch ein paar ganz praktische Veränderungsvorschläge gemacht, nachzulesen bei den Femgeeks.

Ich glaube, eine Rubrik Feuilleton täte netzpolitik.org gut. Die Möglichkeit, etwa die Frage auch mal im Raum stehen lassen zu können, ob Anonymität wirklich immer für alle das Beste ist, wäre ein Gewinn. Ich verstehe die Vorbehalte, warum die Frage unmöglich öffentlich gestellt werden kann. Die Headline „Beckedahl jetzt für Klarnamenzwang“ will auch niemand. Andererseits ist Anonymität ein Problem für Frauen, die von Stalkern bedroht werden. Eng verwandt ist z.B. die Impressumspflicht mit Wohnadresse: ein Riesenproblem vor allem für Frauen, die von gewalttätigen Ex-Männern bedroht werden oder anonyme Vergewaltigungsdrohungen bekommen (aber nicht nur für die). Leider ein völlig vernachlässigtes netzpolitisches Thema. Sowas könnte im „Feuilleton“ aber ganz in Ruhe besprochen werden, ohne gleich die (absolut nötige) politische Klarheit ins Wanken zu bringen.

Da könnte dann auch gleich mal wieder die Frage gestellt werden, wie die Kommentare zu moderieren sind: alles stehen lassen, was nicht strafbar ist, führt dazu, dass ganz viele nicht mehr mitlesen, denen die Schlammschlachten der Couchpotatoes den letzten Spaß verderben. Müssen Kommentare ein pädagogisches Projekt werden, oder müssen sie „zensiert“ werden, oder gehört eine große Warnung oben drüber, dass ab hier das Heise-Forum beginnt, weil alles stehen bleibt?

So, wie es jetzt ist, kommen viele Frauen (und sicher Männer) einmal vorbei und danach nie wieder. Da kann man dann 5x sagen, dass das doch nur die Kommentare sind, aber wer im Netz nicht des Jobs oder der Reputation wegen unterwegs ist, hat wenig Motivation, Websites öfters zu besuchen, die ein unangenehmes Klima verbreiten. Aus „Offen für alle“ wird so klammheimlich „Offen für Nervbacken“ – wieviel psychologisches Gespür dafür nötig ist, wissen inzwischen Millionen von Community-ManagerInnen.

Für andere ist das Problem nicht der aggressive Tonfall, sondern vielleicht der Insider-Jargon. Wenn viel Wissen vorausgesetzt wird, ist es für ‚Neue‘ nicht einfach, einen Zugang zu finden.

Bei netzpolitik.org gab es dann einen Folge-Artikel: Wie kann Netzpolitik für Frauen interessanter werden? – Vorläufiges Resümee. Andrea Jonjic versucht ein bisschen zusammenzufassen, was es für Reaktionen gab. Sie teilt das in Layout, Inhaltliches, Kommentarkultur, Sichtbarkeit der Autorinnen und Kooperationen mit anderen Blogs ein und schreibt: Es

.. handelt sich hier nicht um einen Austausch a la “Was ist das Problem? Aha. Ok, gefixt” (auch wenn das so rübergekommen sein mag), sondern um einen Prozess.

Gut, dass es ihn gibt. Ich bin sehr neugierig, wie sich das weiter entwickelt.

Letzten Samstag habe ich dazu kurz was bei Radio Trackback gesagt (mp3, 56mb, ab Minute 21:45), leider war die Zeit echt ein bisschen zu knapp – einer der Gründe, warum ich mich jetzt hier nochmal so ausbreite.

Im übrigen hat das Thema noch zwei Grundprobleme: die Umfrage war nicht repräsentativ, d.h. niemand weiß, wie hoch der Prozentsatz wirklich ist – kann ja auch sein, dass sich prozentual viel mehr Männer an der Umfrage beteiligt haben. Und: weil wir nicht wissen, wer nicht liest, können wir nur vermuten, warum das so ist. Und natürlich haben alle unterschiedliche Vermutungen.

Insofern sind also die Kommentatorinnen bei Sammelmappe eine Goldgrube, weil sie erklären, warum sie nicht lesen bzw. sich nicht für Netzpolitik interessieren. Und mich würde weiterhin sehr interessieren, warum Ihr

  • netzpolitik.org nicht lest oder
  • Euch nicht für Netzpolitik interessiert

Vor allem, wenn Ihr Frauen seid. Erklärungen von anderen, warum Frauen Netzpolitik nicht mögen, gibt es ja schon genug.

 

 

Disclaimer: Wie immer sind mit „Männern“ nicht alle, sondern die meisten Männer und mit „Frauen“ nicht alle, sondern die meisten Frauen gemeint. Inklusive aller, die sich mit den jeweiligen Beschreibungen am besten getroffen fühlen.

Disclaimer 2: Ich bin theoretisch auch netzpolitik.org-Autorin, habe bisher vor allem aus Zeitmangel aber nur einen einzigen Artikel geschafft.

Das Bild ist von Yarnivore / Flickr und hat eine CC-BY-NC-SA-Lizenz