Schreibtischtäter

Eine grausige Dokumentation, die diese Woche spätabends in der ARD gezeigt wurde. Über Alltag in Deutschland.

Wadim – Tod nach Abschiebung

 

Auch in der ARD-Mediathek.

Hier ist eine Petition zu einer jungen Frau, die ebenfalls zum 18. Geburtstag ihre Ausreiseaufforderung bekam:

Bleiberecht für Leyla

Über „Wadim – Tod nach Abschiebung“

Wadim K. ist in Deutschland aufgewachsen. Er ist hier zur Schule, zum Sport und in die Ministrantengruppe gegangen. Er sprach Deutsch, er hatte deutsche Freunde, er fühlte sich als Deutscher. Doch einen deutschen Pass hat Wadim nie erhalten, weil er mit seiner Familie 1992 als Flüchtling nach Hamburg kam.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fühlten sich Wadims russischstämmige Eltern in Lettland nicht mehr sicher. Doch in Deutschland wurde ihr Asylantrag abgelehnt. Es folgten 13 Jahre in Deutschland zwischen Duldungen, Sammelunterkünften und Arbeitsverbot. Die Eltern sind unter dem Druck zusammengebrochen, erkrankten an Depressionen und Psychosen.

Die Kinder waren mehr und mehr auf sich gestellt.
2005 versuchte die Ausländerbehörde, die Familie abzuschieben. Der nächtliche Einsatz endete im Desaster: Die Mutter schnitt sich die Pulsadern auf, der Vater kam in Haft. Wadim wurde im Alter von 18 Jahren allein nach Lettland abgeschoben – in ein Land, an das er sich kaum erinnern konnte. Fünf Jahre kämpfte er um eine neue Existenz: Erst in Riga, später irrte er durch Frankreich, Belgien und die Schweiz, wurde erneut nach Lettland deportiert. Bei seinem letzten, illegalen Besuch in Hamburg, im Januar 2010, nahm Wadim sich das Leben. Er wurde 23 Jahre alt.

Dieser Dokumentarfilm setzt das Mosaik eines kurzen Lebens zusammen. Es steht für knapp 90.000 andere Menschen, die mit einer Duldung in Deutschland leben. Über Fotos und sehr persönliche Videos aus dem Familienbesitz sowie über Interviews mit Wadims Eltern, Freunden, seiner Jugendliebe und anderen Zeitzeugen kann man sich ein eigenes Bild davon machen, wie die Familie zerbrach und sich der Junge veränderte: von einem fröhlichen Kind, das ein Gymnasium besuchte und Fagott spielte, hin zu einem Getriebenen, der sein Zuhause verlor, der in einem lettischen Obdachlosenheim landete und am Ende den eigenen Sorgen und Ängsten nicht mehr standhalten konnte.

Der Film zeigt eindringlich, wie Menschen kämpfen müssen, um in diesem Land einen Platz für sich zu finden.
Ein halbes Jahr lang begleiteten die Autoren Wadims Eltern, die in teils beklemmender Offenheit von ihren Hoffnungen, Träumen und ihrem Scheitern berichteten. Dabei hinterfragt der Dokumentarfilm auch das starre Gerüst von Aufenthaltsrecht und Bürokratie insgesamt, in dem der Einzelne nichts zählt. Er stößt Gedanken an, die angesichts der Integrationsdebatte in Deutschland hochaktuell sind: Wo gehört ein Mensch hin? Was ist Heimat? Und darf man sie jemandem per Gesetz wegnehmen?

Film von Hauke Wendler und Carsten Rau