Ketten bilden gegen den BND

Leaving the Democratic SectorGestern fand ein kleiner Protest gegen den BND in Berlin statt. Etwa 150 Menschen wollten eigentlich eine Kette um den BND bilden, es wurde dann eine Kette vor dem BND.

Ich hatte die Gelegenheit, etwas zum BND und dem Untersuchungsausschuss zu sagen:

Wir stehen heute vor dem neuen Gebäude des BND. Der Bundesnachrichtendienst, der deutsche Auslandsgeheimdienst, demonstriert mit seinem Gebäude seine Bedeutung: er ist groß und mächtig, und auch sehr zentral. Geheimdienste waren lange geheim und unsichtbar: diese Epoche ist jetzt – wieder – beendet.

Ich bin seit ziemlich genau einem Jahr Referentin im sogenannten NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Der Ausschuss hat den Auftrag, die Überwachung der Five Eyes, also der Geheimdienste der USA, von Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland in Deutschland zu untersuchen, und auch die Rolle der deutschen Geheimdienste dabei. Auslöser waren die Veröffentlichungen, die auf den Dokumenten der NSA basierten, die Edward Snowden im Sommer 2013 geleakt hat.

Mit NSA und GCHQ, dem britischen Geheimdienst, haben wir uns bisher kaum beschäftigt. Dafür gibt es verschiedene Gründe: ein wesentlicher ist, dass die Regierungen der USA und Großbritanniens dem Ausschuss wenig Informationen über ihre Geheimdienstaktivitäten geben, und die deutsche Regierung behauptet, sie könne dem Ausschuss ohne Erlaubnis der anderen Regierungen nichts geben. Sie hält also die nicht-öffentlichen Vereinbarungen der Geheimdienste für wichtiger als den für die Untersuchung dieser Praktiken durch das Parlament eingesetzten Ausschuss. Wer kontrolliert eigentlich wen?

Ein anderer Grund ist, dass der Ausschuss sich vor über einem Jahr als erstes Thema die Zusammenarbeit von BND und NSA vorgenommen hat. Sie sollte der Einstieg sein, um dann zu den anderen Kooperationen zu kommen.

Inzwischen hätten wir den Ausschuss längst in BND-Untersuchungsausschuss umbenennen müssen. Was das letzte Jahr zutage gefördert hat, hatte kaum wer erwartet.
Wir erleben, wie Bundesregierung und Vertreter_innen des BND beständig erklären, dass alles nach Recht und Gesetz zugehe. Aber beim genauen Hinsehen ist deutlich geworden, dass der BND die Gesetze sehr freizügig interpretiert. Mehrere Verfassungsrechtler haben als Sachverständige einmütig erklärt, dass die geltende Sicht, dass der Schutz nach Artikel 10 des Grundgesetzes natürlich nicht nur für Deutsche gilt, weil Grundrechte nicht teilbar sind. Dieser Artikel sagt:

„Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich“

Das dazugehörige Gesetz heißt G10-Gesetz und regelt, unter welchen Umständen Artikel 10 verletzt werden darf. Nach Auffassung des BND gilt dieser Schutz aber nur für Deutsche, d.h. alle anderen dürfen ohne Einschränkung abgehört werden. Wie gesagt, selbst der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichts, der als CSU-Mitglied von der Union als Sachverständiger benannt worden war, hält diese Interpretation für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Die Bundesregierung ficht das nicht an – es geht alles weiter, wie gehabt.
Dies ist ein Indiz neben vielen anderen, dass es der Bundesregierung vor allem anderen darum geht, dass die Geheimdienste ungehindert machen können, was sie wollen.

Wir haben von der Operation Eikonal erfahren, bei der der BND in Deutschland Daten aus Kabeln der Telekom erfasst und an die NSA weitergegeben hat. Als dass der Telekom unheimlich wurde, bekam sie einen Brief des Kanzleramts, in dem stand, dass das schon ok sei. Eine gesetzliche Grundlage? War nicht nötig, da waren sich alle Beteiligten irgendwie einig und hofften, dass es nie jemand erfahren würde. Wenn aber doch, dann waren die jeweils anderen Schuld.

Als Hans de With, der ehemalige Vorsitzende der G10-Kommission, die solche Eingriffe genehmigt, durch den Untersuchungsausschuss von den Details der Operation erfuhr, war er entsetzt. Er sagte, dass die Kommission diese Eingriffe nie genehmigt hätte, wenn ihr die Details bekannt gewesen wären.

Das G10-Gesetz schreibt glasklar vor, dass der BND, wenn er Telefonate und Internetverkehr abhören will, nur maximal 20% des Inhalts eines vorher definierten Glasfaserkabels erfassen darf. Die restlichen 80% müssen gelöscht werden, und zwar muss das der erste Schritt bei der Erfassung sein. Vor etwa zehn Jahren wurde die Telekommunkation in Deutschland von analog auf digital umgestellt. Das bedeutet, dass keine vollständigen Telefonate durch ein Kabel transportiert werden, sondern viele kleine Datenpakete. Wenn der BND 20% dieser paketvermittelten Kommunikation erfasst, kann er damit nichts anfangen.

Das ist seit 10 Jahren so. Hat der BND protestiert? Die Regierung aufgefordert, etwas zu ändern? Nein. Der BND hat gemacht, was er immer macht: er hat das Gesetz ignoriert. Bemerkt hat das niemand. Eine tatsächliche Kontrolle seiner Arbeit gibt es nicht.

Wir haben erfahren, dass das BSI, dass die Geräte und die Software zertifiziert, die der BND von der NSA bekommt und hier benutzt, gar nicht wirklich prüft. Geprüft werden lediglich die Beschreibungen von Hard- und Software – ob die dann wirklich tun, was dort steht, weiß nur die NSA.

Der BND behauptet, das Metadaten keine personenbezogenen Daten seien. In Pakistan und Jemen werden Menschen mit Drohnen umgebracht. Diese Menschen müssen vorher geortet werden, sonst können die Drohnen sie nicht finden. Der BND erzählt uns, dass Menschen mit den Daten ihrer Handys dort nicht geortet werden können und gibt solche Daten an die NSA.

Im Frühjahr wurde dann bekannt, dass der BND für die NSA deutsche und europäische Unternehmen und Politiker_innen ausspioniert: das Auftragsprofil des BND ist so geheim, dass es nicht mal der Untersuchungsausschuss kennt, aber das gehört wohl ganz sicher nicht dazu. Die Bundesregierung, die für den BND verantwortlich ist und ihn beaufsichtigt, hat alles versucht, um die Details dieser Selektoren geheim zu halten. Sie gesteht nur ein, was absolut nicht mehr unter der Decke zu halten ist und argumentiert auch hier damit, dass die US-Regierung ihr verbiete, dem Parlament darüber zu berichten.

Es sieht so aus, als sei auch das gelogen gewesen.

Die Bunderegierung ist an Aufklärung nicht interessiert. Das sehen wir bei jedem Skandal, den dieses Thema seit Snowden produziert hat – und das waren nicht wenige.
Die parlamentarische Kontrolle findet faktisch nicht statt, weil die Kontrollgremien nichts können, als dem BND seine Märchen zu glauben – oder auch nicht. Aber sie haben keine Möglichkeit, irgendetwas zu prüfen. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern, wenn die Bundesregierung nach dem Ausschuss noch ein paar mehr Leute in die Kontrollgremien setzt.

Deswegen ist es wichtig, dass wir heute hier sind, um BND und Bundesregierung zu zeigen, dass sie so nicht einfach weiter machen können.

Der BND ist nicht kontrollierbar!

Mit einer Demokratie ist diese geheime Parallelwelt nicht vereinbar.

Die Geheimdienste müssen abgeschafft werden!

Das klingt vollkommen utopisch, und manchen vielleicht auch gefährlich. Aber: Als Ende der 80er Jahre das Atomkraftwerk in Tschernobyl in die Luft flog, hatte sich schon lange Menschen gegen Atomkraft engagiert.

Atomkraft ist unsichtbar, sie tut nicht weh und sie schien lange absolut unverzichtbar. Genau wie die Überwachung. „Wollt Ihr wieder mit Kerzen leuchten?“ sind wir gefragt worten. Es hat noch Jahrzehnte gedauert, aber der Kampf hat sich gelohnt.  Wir werden die Geheimdienste nicht in ein oder zwei Jahren abschaffen, aber wir dürfen nicht aufgeben!

Ich fand schade, dass wir so wenige waren. Es gibt verschiedene Gründe dafür: Einige fanden 12 Uhr am Samstag zu früh, aber das war sicher nicht entscheidend. Viele sind gerade mit der Unterstützung der ankommenden Geflüchteten beschäftigt und das ist auch wirklich gut so. Shit happens. Kette

Die Mobilisierung wurde von mehreren NGOs getragen: Amnesty International, Humanistische Union, Reporter ohne Grenzen, Digitalcourage, Whistleblower-Netzwerk und vor allem von #wastun gegen Überwachung, einer Initiative, deren Start ich selbst vor anderthalb Jahren mit angeschoben habe. Nicht sichtbar beteiligt waren einige relevante netzpolitische Gruppen: CCC, Digitale Gesellschaft, netzpolitik.org, AK Vorrat fallen mir vor allem ein. Am Tag vorher hatten Konferenz und Party zum 11. Geburtstag von netzpolitik.org stattgefunden und waren gut besucht. Beim Camp des CCC war mehr als deutlich, dass Interesse und Engagement zum Thema Überwachung nicht nachgelassen haben.

Mir haben hinterher einige erzählt, dass sie von der Mobilisieurung zu diesem Protest überhaupt nichts wussten: da kann also sicher noch einiges verbessert werden. Das ist nicht als Vorwurf gemeint, ich bin ja selber etwa vor einem Jahr aus der sich entwickelnden -Initiative sang- und klanglos in den Untersuchungsausschuss verschwunden, der mich seitdem mehr oder weniger komplett ‚auffrisst‘.

Vielleicht wäre es an der Zeit, sich mal wieder zusammenzuraufen und ab und zu gemeinsam an einem Tisch zu überlegen, wie Protest jenseits von Artikeln, Konferenzen und Partys stattfinden kann. Sonst müssen wir uns nämlich alle fragen, wie wir später unseren Kindern erklären, was wir eigentlich gemacht haben, als die Demokratie abgeschafft wurde.

VS .. BND .. FBI .. DIA. Und ein Zeuge verbrennt sich aus Liebeskummer.

640px-Hn-gedenktafel-theresienwieseAm 16. September verbrannte auf einem Parkplatz in Stuttgart-Cannstatt ein Mann. Er hieß Florian H.

Weitere polizeiliche Ermittlungen haben ergeben, dass der junge Mann das Fahrzeug vermutlich selbst in Brand gesteckt hat. Die Hintergründe für den Suizid sollen in einer persönlichen Beziehung liegen. („LKA wollte 21-Jährigen befragen“, Stuttgarter Zeitung)

Als sich herausstellte, dass sich Florian H. im Ausstiegsprogramm „Big Rex“ für Rechtsextreme befand und auf dem Weg zum LKA in Stuttgart war, um dort Aussagen bei der Ermittlungsgruppe „Umfeld“ zu machen, tauchten Fragezeichen auf. „Umfeld“ ermittelt gegen die Nazi-Szene in Baden-Württemberg. Florian H. hatte schon im Januar 2012 Aussagen gemacht und

.. davon gesprochen, dass es in Baden-Württemberg eine Gruppe namens „Neoschutzstaffel“ (NSS) gebe. Diese NSS sei von H. als „zweite radikalste Gruppe“ neben dem NSU bezeichnet worden. Den Aussagen des Zeugen zufolge hätten sich auch Aktivisten beider Gruppierungen einmal in Öhringen, etwa 25 Kilometer östlich von Heilbronn gelegen, getroffen. („Wichtiger Zeuge im Auto verbrannt“, Berliner Zeitung)

Brisant ist das auch, weil in Heilbronn 2007 die Polizistin Michéle Kiesewetter erschossen worden war. Rund um diesen Mord sind mehr Fragen offen als beantwortet.

Auch der Untersuchungsausschuss (UA) zum NSU des Bundestags befasste sich mit dem Mord und stellte u.a. fest, dass

.. mindestens zwei Kollegen der PVB Kiesewetter der deutschen Sektion des „European White Knights of the Ku-Klux-Klan (EWK KKK) in Schwäbisch Hall angehört haben. Diese Sektion, der ein V-Mann angehörte, kam erst im Rahmen der NSU-Ermittlungen an die Öffentlichkeit. Einer der Kollegen, obwohl nicht der etatmäßige Vorgesetzte der PVB Kiesewetter, war ausgerechnet am Mordtag für PVB Kiesewetter und Herrn Arnold zuständig.

(…)
Obwohl im Nachhinein in Abstimmung mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem Generalbundesanwalt (GBA) bisher keine Tatrelevanz festgestellt wurde, sind die Verbindungen zwischen Polizei, V-Männern und KKK äußerst besorgniserregend und ein weiterer Beweis dafür, dass PVB Kiesewetters Umfeld nur unzureichend untersucht wurde, insbesondere im Hinblick auf Rechtsextremismus. Dies ist auch deshalb erstaunlich, weil es bereits Nazimorde und Bedrohungen gegen Polizisten gegeben hatte (Abschlussbericht UA NSU, S. 989)

Sogar die Wattestäbchen, die uns schon soviel Freude bereitet haben, spielen eine Rolle.

Es konnte nachgewiesen werden, dass die im Rahmen der Spurensicherung an den Tatorten der vorgeblichen Spurfunde verwendeten Wattestäbchen die Spuren vortäuschten, da sie durch eine DNA-Antragung einer Mitarbeiterin des Herstellers verunreinigt waren. (s.o., S. 642)

Zurück zu Florian H. . Für seinen angeblichen Selbstmord aus Liebeskummer, wenige Stunden vor der Zeugenaussage zum NSU, suchte er sich einen ungewöhnlichen Ort:

Das Auto, in dem der junge Mann verbrannte, stand auf dem Cannstatter Wasen auf der Zufahrt zum dortigen Campingplatz – einem Ort, an dem sich die der Zwickauer Terrorzelle zugerechneten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aufgehalten hatten. („Ungeklärter Todesfall“, Kontext, via Wolf Wetzel)

Zum Tod von Florian H. gibt es noch jede Menge gute Fragen ohne Antworten, gestellt in Erst verbrennen Akten, dann Zeugen … von Wolf Wetzel.

Ganz bizarr wird es, wenn auch noch der US-amerikanische Geheimdienst ins Spiel kommt – und der taucht in den aktuellen Artikeln zum Kiesewetter-Mord nicht mehr auf. Sicher auch, weil es seit zwei Jahren vor allem um die Rolle des Verfassungsschutzes geht.

Der Stern zitierte im November 2011 einen Bericht des US-Militärgeheimdienstes DIA. Danach

.. observierte am 25.April 2007 eine Spezialeinheit des US-Militärgeheimdienstes DIA, das „SIT Stuttgart“ (Special Investigation Team) zwei Personen, die in einer Bank in der Innenstadt von Heilbronn „2,3 Mil. EURO(S)“ einzahlten („DEPOSITED“). An der Observation sollen laut US-Bericht auch zwei Verfassungsschützer aus Baden-Württemberg oder Bayern („LfV BW OR BAVARIA“) beteiligt gewesen sein. („Waren Verfassungsschützer Zeuge beim Mord an Michèle Kiesewetter?“, Stern.de)

Die waren da, weil sie Mevlüt Kar observierten, Stichwort: Sauerland-Gruppe.

Der in dem DIA-Bericht erwähnte Kar galt nicht nur als fünfter Mann der sogenannten Sauerland-Zelle, einer islamistischen deutschen Terrorgruppe, die im Sommer 2007 zerschlagen wurde. Kar soll auch seit 2004 V-Mann des türkischen Geheimdienstes MIT sein. („Von Agenten und einem Polizistenmord“, Berliner Zeitung)

Auch dies war Thema des NSU-Untersuchungsausschusses und beschäftige BKA und Generalbundesanwalt (GBA), diverse Behörden in Baden-Württemberg und US-Geheimdienste. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass alles erfunden sei – zumindest sei unwahrscheinlich, dass US-Dienste beteiligt gewesen seien (Abschlussbericht NSU-UA, ab S. 705).

Der Spiegel wies 2012 noch auf mögliche Beteiligungen von FBI und BND hin:

Laut den Vermerken hatte ein Verbindungsbeamter der US-Nachrichtendienste am 2. Dezember 2011 mit einem BND-Mitarbeiter telefoniert. In dem Gespräch habe der amerikanische Beamte geäußert, man habe „auf US-Seite Hinweise darauf, dass möglicherweise das FBI im Rahmen einer Operation auf deutschem Boden zwei Mitarbeiter nach Deutschland habe reisen lassen und diese nach dem Vorfall in Heilbronn wieder zurückbeordert habe“. („Bundesanwaltschaft beendet Spekulationen um FBI-Operation“)

Der GBA erklärte dann, dass es keine Belege gebe und daher an den den Vermutungen nichts dran sei.

Am 24. August berichtete die Heilbronner Stimme

Am Tag des Mordes an Polizistin Michèle Kiesewetter auf der Heilbronner Theresienwiese gab es doch eine Aktion des Landesverfassungsschutzes in Heilbronn. Ein Mitarbeiter war in der Neckarstadt, geht aus vertraulichen Dokumenten hervor, die unserer Zeitung vorliegen. Nach denen habe sich der Geheimdienstler an jenem 25. April 2007 mit einem Islamisten treffen wollen, um diesen als Informanten für den Dienst zu gewinnen. („Polizistenmord: Geheimdienst war in Heilbronn“, Heilbronner Stimme)

Es klingt alles ein bisschen wie manche TV-Krimis, in denen die guten Ermittler_innen wirklich großen politischen Schweinereien auf der Spur sind, aber leider nicht weiterermitteln dürfen.

Die Heilbronner DGB-Sekretärin Silke Ortwein jedenfalls fragt

.. warum Baden-Württemberg (außer Mecklenburg-Vorpommern) das einzige Land unter den von NSU-Morden betroffenen Ländern ist, das keinen Untersuchungsausschuss auf Landesebene einberufen hat, obwohl es vom Bundesausschuss deutlich gerügt wurde und der Heilbronner Polizistinnenmord der rätselhafteste der NSU-Mordserie ist. („Nach Selbsttötung wird ein Untersuchungsausschuss gefordert“, Rhein-Neckar-Zeitung)


Warum eigentlich?

Wer braucht den BND?

(Mit Update)

Für die Auflösung des Verfassungsschutzes gibt es soviele Gründe, dass sich die Forderung danach in den progressiven Teilen der Gesellschaft inzwischen durchgesetzt hat. Wer noch Argumente braucht, findet die zum Beispiel hier oder in meinem Best of …-Talk beim CCC-Kongress.

Die Aufmerksamkeit hat sich im letzten halben Jahr durch die Leaks von Edward Snowden verschoben: jetzt geht es um einen anderen Geheimdienst, den BND. Ich diskutiere deswegen  zunehmend über die Frage, ob ’nur‘ der Verfassungsschutz oder generell alle (deutschen) Geheimdienste abgeschafft werden sollten und bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher. Ich weiß nicht viel über den BND und neige dazu zu denken, dass es für eine Demokratie immer problematisch ist, wenn ein in sich abgeschlossener Apparat quasi unkontrolliert agiert. Ob der wirklich nützlich ist, lässt sich entsprechend schwer sagen.

Aktuell erfahren wir jeden Tag ein bisschen. Der BND – zuständig für alles außerhalb Deutschlands – zapft deutsche Provider an. Überhaupt gibt es keinen Grund anzunehmen, er wäre besser als NSA und GCHQ. Leider fehlt hierzulande noch ein Whistleblower oder eine Whistleblowerin wie Edward Snowden.

Mich interessieren also (begründete) Meinungen, Materialien und Positionen dazu, ob der BND nötig ist oder nicht. Gern per Mail oder als Kommentar hier.

Als Einstieg zur Meinungsbildung fand ich „Nazis im BND – Neuer Dienst und alte Kameraden“ hilfreich. Die Doku lief Montag in der ARD

Die Dokumentation schildert, wie Männer von SS und Gestapo den Geheimdienst in den ersten Jahren der Bundesrepublik prägten. Von 1946 bis 1968, das waren die Jahre, in denen Reinhard Gehlen, Hitlers Chefaufklärer Richtung Osten, den Geheimdienst im westlichen Nachkriegsdeutschland aufbaute und den „Dienst“ der jungen Bundesrepublik Deutschland führte. Er holte vor allem alte Kameraden aus der Abteilung „Fremde Heere Ost“ in den neuen Dienst. (Arte)

Logbuch Netzpolitik zu OHM, Noisy Square, NSA, Snowden und dem Wahlkampf

Es ist NSA, und bei annalist steht .. nichts. Eigentlich müsste ich wohl täglich zweimal bloggen, wenn doch Überwachung eins der zentralen Themen dieses Blogs ist und ein Leak nach dem anderen Geschichte macht.

Ich war im Urlaub, in zwei Camps und dann.. hatte ich erstmal das Gefühl, dass die Neuigkeiten ja auf den relevanten Newswebsites standen. Es liegt mir nicht, überall meinen Senf dazu zu geben nur um auch was zu sagen. Oder jedenfalls nicht in dem Ausmaß, wie  es rundrum schon reichlich zu beobachten war. Und präsent ist es ja wirklich ausreichend.

Und da setzt jetzt, nach dem Ende meines persönlichen Sommerlochs, allmählich das Bedürfnis ein, doch was dazu zu sagen. Schalten Sie also wieder ein, hier gibt’s demnächst wieder mehr zu sehen.

Ich war gestern Gast im ‚Logbuch Netzpolitik‘, einem Podcast von Linus Neumann und Tim Pritlove‘ und weil der über zwei Stunden lang ist, hatte ich Gelegenheit, alles zu besprechen, was mich in den letzten zwei Wochen beschäftigt hat. Es ging um

  • das Hackercamp OHM in den Niederlanden und die Konflikte, die sich daraus ergaben, dass einer der Hauptsponsoren Überwachungstechnologie produziert und exportiert,
  • ein sehr sympathisches neues Netzwerk aus vielen Organisationen, die ein Camp im Camp gebildet haben (das Noisy Square) und die verbindet, auf unterschiedliche Weise Technologie für ‚den guten Zweck‘ zu entwickeln oder bekannt zu machen. U.a. waren das EFF, IMMI, Torservers, Riseup, Fairphone, Bits of Freedom, Tactical Tech und viele andere.
  • das Neueste vom NSA, Snowden und Lavabit und das Glas eigentlich halbleer oder halbvoll ist, wenn sich in Deutschland kaum wer aufregt, aber in den anderen Ländern überhaupt nicht darüber geredet wird
  • und wie die Parteien im Wahlkampf um das Thema herumtänzeln

Hören könnt Ihr das hier Politische Reise nach Jerusalem,

Als Download gibt es das in 5 Formaten (u.a. m4a, mp3, ogg)

 

Überhaupt nicht geht es darin übrigens um Feminismus und so. Das freut auch einen Kommentator sehr

Okay, bei den Themen kann Anne ja hoffentlich nicht von Quoten, Gender und Patriarchat anfangen. 🙂

und damit haben wir sogar was gemeinsam. Ich rede nämlich auch viel lieber über andere Sachen, bloß leider ist die Lage ja meistens so, dass es nicht anders geht.

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Wer gern noch mehr von mir hören will, kann Interview mit dem WDR hören, dass ich letzte Woche zu unserer Überwachung und XKeyScore hatte:

WDR 2: Beobachtet und belauscht

 

Nächste Woche geht’s dann weiter mit dem ‚Marktplatz‘ im Deutschlandfunk zum Thema „Das digitale Zuhause schützen„, und vielleicht noch einem Podcast.

 

 

 

Neue kleine Ausrutscher bei den Sicherheitsbehörden

Eine neue Folge von: Auf die deutschen Sicherheitsbehörden können wir vertrauen.

320px-BND_Logo.svgIm aktuellen Spiegel wird berichtet, dass es ein Verfahren gegen einen hohen Beamten des BND gebe:

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg ermittelt nach Informationen des SPIEGEL gegen den Leiter der geheimen „Verbindungsstelle 61“ des BND in Mainz. Joachim von S. steht unter dem Verdacht der Bildung einer bewaffneten Gruppe und des Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Sportlich. Geheime bewaffnete Gruppen im Auslandsgeheimdienst? Sicherlich ein Einzelfall. Außerdem wurde das Verfahren wieder eingestellt. Nichts zu sehen. Gehen Sie weiter.

 

Neues vom Verfassungsschutz

Der NSU-Untersuchungsausschuss förderte zutage, dass es einen V-Mann des Verfassungsschutzes gab, Thomas R., oder auch „Corelli“, staatlich finanziert von 1997 bis 2007, der nebenbei mit einem weiteren V-Mann, Achim S., eine Ku-Klux-Klan-Gruppe in Schwäbisch-Hall mit aufgebaut hat.

Unter den 20 bis 30 Mitgliedern aus ganz Deutschland waren neben Neonaziaktivisten auch ein American-Football-Spieler und zwei Polizisten der Bereitschaftspolizei Böblingen, die später zugaben, mit ihrem Blut dem Klan die Treue geschworen zu haben. Beide Polizisten sind bis heute im Dienst. (taz)

Ebenfalls in der taz steht zu lesen, dass einmal Polizisten, die einen Schwarzen festgenommen hatten, ihn in weißer KKK-Bekleidung in seiner Zelle aufgesucht hatten.

Das Landesinnenministerium verwies auf Nachfrage auf einen Bericht vom letzten Jahr, der „keiner weiteren Ergänzung“ bedürfe. Darin waren lediglich die zwei Polizisten als Klan-Mitglieder genannt worden.

Ich würde ja denken, dass sich das Land Baden-Württemberg bei dem Betroffenen mindestens entschuldigen und eine Entschädigung zahlen sollte.

 

Polizei + Nazis gegen Linke

Im März 2012 wurde in München ein Nazi-Info-Stand überfallen. Letzte Woche fand ein Prozess gegen fünf Linke statt, denen der Überfall vorgeworfen wurde. Sie wurden freigesprochen. Pikantes Details: die ‚Beweise‘, die die Linken überführen sollten, hatte der bayrische Staatsschutz von den Nazis.

Polizei und Staatsanwaltschaft stützen sich vor allem auf die Angaben der Neonazis. Denen aber wurden Fotos möglicher Angreifer erst einige Monate später vorgelegt. Wie gut ist die Erinnerung dann noch? Überhaupt, wie glaubwürdig sind Zeugen, die mit ihrer Aussage dem politischen Gegner eins auswischen können? Ein Angeklagter fragt einen Staatsschützer, ob dieser wisse, was die Anti-Antifa ist. Nein, sagt der Polizist, der sich beruflich mit Extremisten beschäftigt. (Sueddeutsche.de)

 

Kann ja mal vorkommen.

2010 wurden in Deutschland 37 Mio. E-Mails überwacht

So eine Überschrift gibt’s in der ‚Bild‚ ja auch nicht alle Tage. Sprich, wenn sogar die das bemerkenswert finden, muss es ernst sein.

Hintergrund ist ein Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG), das theroretisch die Geheimdienste überwacht. Weil die sonst von überhaupt niemandem kontrolliert werden, im Unterschied etwa zu BKA und der Polizei im Allgemeinen, die im Vergleich zum PKG ein Hort der Transparenz sind. Hier entsteht die Pikanterie im Kontext Linkspartei, dass die Linke per PKG den Verfassungsschutz überwacht, der seinerseits die Linke überwacht. So oder so ist das alles aber so geheim, dass die, die kontrollieren, all ihr Wissen für sich behalten und mit ins Grab nehmen müssen. Demokratie eben.

Im Bericht (PDF)

geht es um Auskunftsverlangen bei Telekommunikationsunternehmen und den Einsatz des IMSI-Catchers zur Ermittlung des Standortes von Mobilfunkgeräten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD).

.. für das Jahr 2010. Digitale Linke hat die Details. Es steht erwartungsgemäß nicht soo viel drin, außer dass der Verfassungsschutz deutlich mehr Abhörmaßnahmen dokumentiert als die beiden Auslandsgeheimdienste BND und MAD. Warum, werden wir wohl nie erfahren.

Interessant wäre, woher die ‚Bild‘ die Zahl der 37 Mio. überwachten E-Mails hat, die steht nämlich nicht im Bericht. Auch nicht, wie das genau passiert und nach welchen Schlagworten gesucht wird.

Im Jahr 2010 wurden danach 37.292.862 Emails und Datenverbindungen überprüft, weil darin bestimmte Schlagwörter (z.B. Bombe, Atom, Rakete usw.) vorkamen. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr mehr als verfünffacht. 2009 waren 6,8 Mio. Internet-Kommunikationen überprüft worden.

Aber vielleicht weiß ja Twitter-Star Peter Altmaier (CDU) mehr? Der war 2010 der  Vorsitzende des PKG und hat den Bericht unterschrieben.

Update: Verschwörungstheorie zurück, es gibt eine einfache Erklärung: Es gibt zwei Berichte

  • Den G-10-Bericht 2010 – Bericht gemäß § 14 Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – G 10) (Drucksachen-Nummer 17/8639, veröffentlicht am 10.2.12)
  • Den TBG-Bericht 2010 – Bericht zu den Maßnahmen nach dem Terrorismusbekämpfungsgesetz (Drucksachen-Nummer 17/8639, veröffentlicht am 10.2.12)

Die Zahlen der überwachten E-Mails etc. stehen im G10-Bericht, allerdings auch da nicht die Suchworte, die bei BILD genannt werden. Vielleicht lohnt es sich, beim Parlamentarischen Kontrollgremium selbst genauer nachzusehen, aber ich ahne, dass das da auch nicht steht.