VS .. BND .. FBI .. DIA. Und ein Zeuge verbrennt sich aus Liebeskummer.

640px-Hn-gedenktafel-theresienwieseAm 16. September verbrannte auf einem Parkplatz in Stuttgart-Cannstatt ein Mann. Er hieß Florian H.

Weitere polizeiliche Ermittlungen haben ergeben, dass der junge Mann das Fahrzeug vermutlich selbst in Brand gesteckt hat. Die Hintergründe für den Suizid sollen in einer persönlichen Beziehung liegen. („LKA wollte 21-Jährigen befragen“, Stuttgarter Zeitung)

Als sich herausstellte, dass sich Florian H. im Ausstiegsprogramm „Big Rex“ für Rechtsextreme befand und auf dem Weg zum LKA in Stuttgart war, um dort Aussagen bei der Ermittlungsgruppe „Umfeld“ zu machen, tauchten Fragezeichen auf. „Umfeld“ ermittelt gegen die Nazi-Szene in Baden-Württemberg. Florian H. hatte schon im Januar 2012 Aussagen gemacht und

.. davon gesprochen, dass es in Baden-Württemberg eine Gruppe namens „Neoschutzstaffel“ (NSS) gebe. Diese NSS sei von H. als „zweite radikalste Gruppe“ neben dem NSU bezeichnet worden. Den Aussagen des Zeugen zufolge hätten sich auch Aktivisten beider Gruppierungen einmal in Öhringen, etwa 25 Kilometer östlich von Heilbronn gelegen, getroffen. („Wichtiger Zeuge im Auto verbrannt“, Berliner Zeitung)

Brisant ist das auch, weil in Heilbronn 2007 die Polizistin Michéle Kiesewetter erschossen worden war. Rund um diesen Mord sind mehr Fragen offen als beantwortet.

Auch der Untersuchungsausschuss (UA) zum NSU des Bundestags befasste sich mit dem Mord und stellte u.a. fest, dass

.. mindestens zwei Kollegen der PVB Kiesewetter der deutschen Sektion des „European White Knights of the Ku-Klux-Klan (EWK KKK) in Schwäbisch Hall angehört haben. Diese Sektion, der ein V-Mann angehörte, kam erst im Rahmen der NSU-Ermittlungen an die Öffentlichkeit. Einer der Kollegen, obwohl nicht der etatmäßige Vorgesetzte der PVB Kiesewetter, war ausgerechnet am Mordtag für PVB Kiesewetter und Herrn Arnold zuständig.

(…)
Obwohl im Nachhinein in Abstimmung mit dem Bundeskriminalamt (BKA) und dem Generalbundesanwalt (GBA) bisher keine Tatrelevanz festgestellt wurde, sind die Verbindungen zwischen Polizei, V-Männern und KKK äußerst besorgniserregend und ein weiterer Beweis dafür, dass PVB Kiesewetters Umfeld nur unzureichend untersucht wurde, insbesondere im Hinblick auf Rechtsextremismus. Dies ist auch deshalb erstaunlich, weil es bereits Nazimorde und Bedrohungen gegen Polizisten gegeben hatte (Abschlussbericht UA NSU, S. 989)

Sogar die Wattestäbchen, die uns schon soviel Freude bereitet haben, spielen eine Rolle.

Es konnte nachgewiesen werden, dass die im Rahmen der Spurensicherung an den Tatorten der vorgeblichen Spurfunde verwendeten Wattestäbchen die Spuren vortäuschten, da sie durch eine DNA-Antragung einer Mitarbeiterin des Herstellers verunreinigt waren. (s.o., S. 642)

Zurück zu Florian H. . Für seinen angeblichen Selbstmord aus Liebeskummer, wenige Stunden vor der Zeugenaussage zum NSU, suchte er sich einen ungewöhnlichen Ort:

Das Auto, in dem der junge Mann verbrannte, stand auf dem Cannstatter Wasen auf der Zufahrt zum dortigen Campingplatz – einem Ort, an dem sich die der Zwickauer Terrorzelle zugerechneten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aufgehalten hatten. („Ungeklärter Todesfall“, Kontext, via Wolf Wetzel)

Zum Tod von Florian H. gibt es noch jede Menge gute Fragen ohne Antworten, gestellt in Erst verbrennen Akten, dann Zeugen … von Wolf Wetzel.

Ganz bizarr wird es, wenn auch noch der US-amerikanische Geheimdienst ins Spiel kommt – und der taucht in den aktuellen Artikeln zum Kiesewetter-Mord nicht mehr auf. Sicher auch, weil es seit zwei Jahren vor allem um die Rolle des Verfassungsschutzes geht.

Der Stern zitierte im November 2011 einen Bericht des US-Militärgeheimdienstes DIA. Danach

.. observierte am 25.April 2007 eine Spezialeinheit des US-Militärgeheimdienstes DIA, das „SIT Stuttgart“ (Special Investigation Team) zwei Personen, die in einer Bank in der Innenstadt von Heilbronn „2,3 Mil. EURO(S)“ einzahlten („DEPOSITED“). An der Observation sollen laut US-Bericht auch zwei Verfassungsschützer aus Baden-Württemberg oder Bayern („LfV BW OR BAVARIA“) beteiligt gewesen sein. („Waren Verfassungsschützer Zeuge beim Mord an Michèle Kiesewetter?“, Stern.de)

Die waren da, weil sie Mevlüt Kar observierten, Stichwort: Sauerland-Gruppe.

Der in dem DIA-Bericht erwähnte Kar galt nicht nur als fünfter Mann der sogenannten Sauerland-Zelle, einer islamistischen deutschen Terrorgruppe, die im Sommer 2007 zerschlagen wurde. Kar soll auch seit 2004 V-Mann des türkischen Geheimdienstes MIT sein. („Von Agenten und einem Polizistenmord“, Berliner Zeitung)

Auch dies war Thema des NSU-Untersuchungsausschusses und beschäftige BKA und Generalbundesanwalt (GBA), diverse Behörden in Baden-Württemberg und US-Geheimdienste. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass alles erfunden sei – zumindest sei unwahrscheinlich, dass US-Dienste beteiligt gewesen seien (Abschlussbericht NSU-UA, ab S. 705).

Der Spiegel wies 2012 noch auf mögliche Beteiligungen von FBI und BND hin:

Laut den Vermerken hatte ein Verbindungsbeamter der US-Nachrichtendienste am 2. Dezember 2011 mit einem BND-Mitarbeiter telefoniert. In dem Gespräch habe der amerikanische Beamte geäußert, man habe „auf US-Seite Hinweise darauf, dass möglicherweise das FBI im Rahmen einer Operation auf deutschem Boden zwei Mitarbeiter nach Deutschland habe reisen lassen und diese nach dem Vorfall in Heilbronn wieder zurückbeordert habe“. („Bundesanwaltschaft beendet Spekulationen um FBI-Operation“)

Der GBA erklärte dann, dass es keine Belege gebe und daher an den den Vermutungen nichts dran sei.

Am 24. August berichtete die Heilbronner Stimme

Am Tag des Mordes an Polizistin Michèle Kiesewetter auf der Heilbronner Theresienwiese gab es doch eine Aktion des Landesverfassungsschutzes in Heilbronn. Ein Mitarbeiter war in der Neckarstadt, geht aus vertraulichen Dokumenten hervor, die unserer Zeitung vorliegen. Nach denen habe sich der Geheimdienstler an jenem 25. April 2007 mit einem Islamisten treffen wollen, um diesen als Informanten für den Dienst zu gewinnen. („Polizistenmord: Geheimdienst war in Heilbronn“, Heilbronner Stimme)

Es klingt alles ein bisschen wie manche TV-Krimis, in denen die guten Ermittler_innen wirklich großen politischen Schweinereien auf der Spur sind, aber leider nicht weiterermitteln dürfen.

Die Heilbronner DGB-Sekretärin Silke Ortwein jedenfalls fragt

.. warum Baden-Württemberg (außer Mecklenburg-Vorpommern) das einzige Land unter den von NSU-Morden betroffenen Ländern ist, das keinen Untersuchungsausschuss auf Landesebene einberufen hat, obwohl es vom Bundesausschuss deutlich gerügt wurde und der Heilbronner Polizistinnenmord der rätselhafteste der NSU-Mordserie ist. („Nach Selbsttötung wird ein Untersuchungsausschuss gefordert“, Rhein-Neckar-Zeitung)


Warum eigentlich?

Esther Bejarano, Überlebende des Mädchenorchesters: „Wir wünschen uns, dass Ihr Widerstand leistet“

Esther Bejarano, Überlebende des Mädchenorchesters von Auschwitz, 88 Jahre, warnte bei der Demo zum Auftakt des NSU-Prozesses am 13. April in München davor, die heutigen Nazis zu unterschätzen. In einer sehr bewegenden Grußbotschaft appellierte sie an „die gesamte deutsche Jugend“:

Was von Euren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde, das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.

Der Nazi-Hölle entronnen, dem sogenannten tausendjährigen Reich, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war. Jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Wir wünschen uns, dass Ihr, weil es ja so bitter nötig ist, in Zukunft Widerstand leistet, wie damals die Widerstandskämpfer gegen den Hitlerfaschismus.

Für ein Leben in Frieden und Freiheit für alle Menschen auf dieser Welt. Ich glaube an Euch.

Die ganze Grußbotschaft bei der Auftaktkundgebung der Demo zum NSU-Prozess in München:

Nach Esther Bejarano sprach und performte Kutlu Yurtseven, Rapper und Bewohner der Kölner Keupstraße zum Zeitpunkt des NSU-Anschlags dort 2004. Beide treten gemeinsam häufig auf – ein Interview über diese ungewöhnliche Kooperation gibt es bei Publikative: Esther Bejarano meets Microphone Mafia

Die vollständige Grußbotschaft von Esther Bejarano, die selbst nicht kommen konnte und die deswegen als Aufnahme abgespielt wurde:

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ihr auf den Plätzen und Straßen, Ihr auf den Blockaden, Ihr, die ihr diese Stadt – keinen Fußbreit dieser Stadt-, den Neonazis überlassen wollt: Ich grüße Euch.

In Zeiten, in denen hierzulande mindestens zehn Menschen von einer rechten Terrorbande ermordet wurden, weil sie türkische oder griechische Namen trugen, und diese Neonazis mindestens 13 Jahre lang offensichtlich unter rechts zugedrückten Augen der Polizei, der Justiz und des Verfassungsschutzes wüteten. In Zeiten, in denen die NPD und neofaschistische Kameradschaften ganze Regionen zu national befreiten Zonen erklären und die NPD immer noch nicht verboten ist, müssen wir alle uns einmischen und von der Regierung fordern, endlich zu handeln.

Wer nicht durch die Hölle von Auschwitz gegangen ist, kann es schwer erahnen, was es für uns bedeutet, wenn Nazi-Banden in allen Städten marschieren dürfen.

Das trifft uns so sehr, weil damit bewiesen wird, dass es keine oder wenig Aufklärung über die damaligen Verbrechen gegeben hat. Es wurde ein Mantel des Schweigens über die zahllosen Morde und Erniedrigungen von Menschen gelegt.

Darum sagen wir, die letzten Überlebenden, die letzten Zeugen des faschistischen Terrors, aus der Erfahrung unseres Lebens: Nie mehr Schweigen, Wegsehen, wie und wo auch immer Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit hervortreten.

Erinnern heißt handeln. Und hier möchte ich einen Appell an die gesamte deutsche Jugend richten. Was von Euren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde, das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.

Der Nazi-Hölle entronnen, dem sogenannten tausendjährigen Reich, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war. Jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Wir wünschen uns, dass Ihr, weil es ja so bitter nötig ist, in Zukunft Widerstand leistet, wie damals die Widerstandskämpfer gegen den Hitlerfaschismus. Für ein Leben in Frieden und Freiheit für alle Menschen auf dieser Welt. Ich glaube an Euch.

Ich habe die Aufnahme aus einem Beitrag von Radio Dreyeckland geschnitten, in dem später auch Teile meines Redebeitrags zum Verfassungsschutz zu hören sind: „Der Verfassungsschutz schützt die Verfassung wie Zitronenfalter Zitronen falten

Ab Juni gibt es „Mut zum Leben – Die Botschaft der Überlebenden von Auschwitz“ mit Esther Bejarano, Eva Fahidi und Yehuda Bacon:

Es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass das nicht mehr passiert.

Niemand braucht die Spitzel des Verfassungsschutzes. Außer den Nazis.

Gestern gab es bei Report Mainz einen Beitrag über V-Leute des Verfassungsschutzes (VS), der gut zusammenfasst, warum sie ein Problem sind. Samt Zitat des Bundesinnenministers, der selbstverständlich möchte, dass alles so bleibt, wie es ist.

»Es ist unstreitig, dass so etwas notwendig ist, wenn wir nicht wirklich blind werden wollen als Staat und damit auch wehrlos. Wir brauchen V-Leute.« (Innenminister Friedrich bei Report Mainz)

 

Im Raum steht weiter die Frage, warum die Volksparteien am System des Verfassungsschutzes festhalten, obwohl alle Fakten dagegen sprechen:

  • 12 von 50 V-Leuten in der Nazi-Szene haben während ihrer Zeit beim VS Straftaten begangen: Nötigung, Körperverletzung, Aufruf zum Mord, Waffenhandel, Bombenbau, Sprengstoff und Brandanschläge
  • mindestens sechs wurden vom Verfassungsschutz vor Strafverfolgung gewarnt
  • 15 der 50 haben fünf- bis sechsstelliges Honorare bekommen, das höchste 180.000€
  • mindestens sechs waren im Umfeld des NSU unterwegs (und haben nichts verhindert)
  • der Verfassungsschutz zahlte die Anwälte eines V-Manns in Thüringen. Alle 35 Verfahren gegen ihn wurden eingestellt
  • mindestens einem V-Mann wurde eine Waffe gezahlt

(Alles Report Mainz, pdf)

Vor der Kamera sagte der ehemalige Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Ridder:

Ich bin wirklich verwundert, dass im politischen Raum bisher nicht ganz anders auf eine solche Perversion eines V-Mann-Systems reagiert wird.

Petra Pau twitterte später allerdings genervt, dass ein Statement mit ihr von Report aufgezeichnet wurde, in dem sie die Abschaffung der V-Leute fordert und das dann aber nicht in den Beitrag aufgenommen wurde.

Andreas Förster schreibt heute in der Berliner Zeitung, dass im Umfeld des NSU sogar mindestens 24 Spitzel unterwegs gewesen seien. Und schlüsselt übersichtlich nach Decknamen und Behörden auf, wer wer war.

..sie spitzelten für das Bundesamt (BfV) und die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV), für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und das Berliner Landeskriminalamt (LKA). Vor dem Beginn des Prozesses gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche NSU-Unterstützer in München stellt sich daher einmal mehr die Frage, warum Geheimdienste und Polizei dennoch nie auf die Spur des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ kamen.

Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, das beizubehalten.

 

Deswegen:

Demo gegen Nazi-Terror und Verfassungsschutz

Demo: Greift ein gegen Naziterror, staatlichen und alltäglichen Rassismus – Verfassungsschutz abschaffen!

Zum Auftakt des NSU-Prozesses gibt es nächste Woche, am Samstag den 13.4., eine Demo in München und ich hoffe, dass wir viele sein werden.

Neben dem Aufruf des Demo-Bündnisses rufen auch das Grundrechtekomitee, der Republikanische Anwältinnen- und Anwältevereins, die Liga für Menschenrechte, die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen und PRO ASYL zur Teilnahme auf.

Neue kleine Ausrutscher bei den Sicherheitsbehörden

Eine neue Folge von: Auf die deutschen Sicherheitsbehörden können wir vertrauen.

320px-BND_Logo.svgIm aktuellen Spiegel wird berichtet, dass es ein Verfahren gegen einen hohen Beamten des BND gebe:

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg ermittelt nach Informationen des SPIEGEL gegen den Leiter der geheimen „Verbindungsstelle 61“ des BND in Mainz. Joachim von S. steht unter dem Verdacht der Bildung einer bewaffneten Gruppe und des Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Sportlich. Geheime bewaffnete Gruppen im Auslandsgeheimdienst? Sicherlich ein Einzelfall. Außerdem wurde das Verfahren wieder eingestellt. Nichts zu sehen. Gehen Sie weiter.

 

Neues vom Verfassungsschutz

Der NSU-Untersuchungsausschuss förderte zutage, dass es einen V-Mann des Verfassungsschutzes gab, Thomas R., oder auch „Corelli“, staatlich finanziert von 1997 bis 2007, der nebenbei mit einem weiteren V-Mann, Achim S., eine Ku-Klux-Klan-Gruppe in Schwäbisch-Hall mit aufgebaut hat.

Unter den 20 bis 30 Mitgliedern aus ganz Deutschland waren neben Neonaziaktivisten auch ein American-Football-Spieler und zwei Polizisten der Bereitschaftspolizei Böblingen, die später zugaben, mit ihrem Blut dem Klan die Treue geschworen zu haben. Beide Polizisten sind bis heute im Dienst. (taz)

Ebenfalls in der taz steht zu lesen, dass einmal Polizisten, die einen Schwarzen festgenommen hatten, ihn in weißer KKK-Bekleidung in seiner Zelle aufgesucht hatten.

Das Landesinnenministerium verwies auf Nachfrage auf einen Bericht vom letzten Jahr, der „keiner weiteren Ergänzung“ bedürfe. Darin waren lediglich die zwei Polizisten als Klan-Mitglieder genannt worden.

Ich würde ja denken, dass sich das Land Baden-Württemberg bei dem Betroffenen mindestens entschuldigen und eine Entschädigung zahlen sollte.

 

Polizei + Nazis gegen Linke

Im März 2012 wurde in München ein Nazi-Info-Stand überfallen. Letzte Woche fand ein Prozess gegen fünf Linke statt, denen der Überfall vorgeworfen wurde. Sie wurden freigesprochen. Pikantes Details: die ‚Beweise‘, die die Linken überführen sollten, hatte der bayrische Staatsschutz von den Nazis.

Polizei und Staatsanwaltschaft stützen sich vor allem auf die Angaben der Neonazis. Denen aber wurden Fotos möglicher Angreifer erst einige Monate später vorgelegt. Wie gut ist die Erinnerung dann noch? Überhaupt, wie glaubwürdig sind Zeugen, die mit ihrer Aussage dem politischen Gegner eins auswischen können? Ein Angeklagter fragt einen Staatsschützer, ob dieser wisse, was die Anti-Antifa ist. Nein, sagt der Polizist, der sich beruflich mit Extremisten beschäftigt. (Sueddeutsche.de)

 

Kann ja mal vorkommen.

20 Jahre Lichtenhagen – Der Film über das Pogrom 1992

Diese Woche wird viel über Rostock gesprochen werden.

Zwischen dem 22. und dem 26. August attackierte ein deutscher Mob ein mehrheitlich von Vietnamesen bewohntes Haus in Rostock-Lichtenhagen.
Dieses tagelange Pogrom wurde von einer applaudierenden Menge begleitet, die sich in einer volksfestähnlichen Stimmung befand. Dies waren die heftigsten rassistischen Ausschreitungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte und zugleich ein Ausdruck der Stimmung in Deutschland nach der Wiedervereinigung.

Die Videoproduktion „The Truth lies in Rostock“ entstand 1993 unter maßgeblicher Beteiligung von Menschen, die sich zum Zeitpunkt der Geschehnisse im attackierten Wohnheim befanden. Deshalb zeichnet sich die Produktion nicht nur durch einen authentischen Charakter aus, sondern versteht sich auch Jahre danach als schonungslose Kritik an einer Grundstimmung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die Pogrome gegen Migranten oder einfach nur „anders aussehende“ überhaupt erst möglich macht.

Eine Montage von Videomaterial, gedreht aus den angegriffenen Häusern heraus, Interviews mit Anti-FaschistInnen, den vietnamesischen VertragsarbeiterInnen, der Polizei, mit Bürokraten, Neonazis und Anwohnern. Eine Dokumentation über das heimliche Einverständnis der Politik und über die verbreitete Angst.

Von: Jakot@
Der Film sagt alles Nötige dazu.

Die Gewöhnung an den täglichen Geheimdienst-Skandal

Ich könnte mich ja jetzt bestätigt fühlen. Täglich ein neuer Skandal zum Verfassungsschutz von einem Kaliber, das anderswo Regierungen zum Wanken brächte. Bei uns kann der CSU-Innenminister mit gewichtigem Ton ankündigen, den Verfassungsschutz radikal reformieren zu wollen und weiter passiert .. nichts. Ich wette, dass er mit der radikalen Reform die Ausweitung der Kompetenzen des Verfassungsschutzes meint und bisher hält niemand dagegen. (Noch) Mehr Kooperation zwischen Geheimdienst und Polizei steht als Lösung im Raum, obwohl die bewusst nach dem letzten deutschen Faschismus getrennt wurden.

Es kippte bisher: der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Verfassungsschutzes von Thüringen, von Sachsen. Das grün-rote Baden-Württemberg verweigert dem Untersuchungsausschuss Akten. In Hessen ist ein Mord kein Grund, den anwesenden VS’ler befragen zu können. Wie man in Thüringen überhaupt Chef des VS wird, weiß keiner so recht. Ich versuche mir vorzustellen, welche Empörung vorgetragen würde, wenn sowas in, sagen wir, Westafrika vorkäme. Oder einem osteuropäischen Staat, der gern Mitglied der EU wäre.

Das schöne an der Demokratie ist, dass wir (fast) alles sagen und schreiben dürfen. Es wird geschrieben und gesagt, was das Zeug hält. An kritischer Öffentlichkeit mangelt es ausnahmsweise überhaupt nicht. Das beeinflusst aber das Regierungshandeln offenbar kein Stück. Die Regierung sitzt … das … aus. Sie muss ja auch nicht befürchten, dass hier wer wegen sowas auf die Straße ginge. Und wenn, wären das doch diese Schmuddelkinder Extremisten.

Fundstücke der letzten Tage:

Wir sahen von der Zuschauergalerie hinunter auf den BKA-Chef und sahen die Wut in ihm hochsteigen und hörten ihn brüllen: „So können Sie nicht mit mir verfahren!“ Er wurde freundlich, aber sehr bestimmt darauf verwiesen, dass er hier als Zeuge befragt werde, dass er antworten müsse. Mit einer bloßen Stellungnahme sei es nicht getan. „Wir fragen Sie, und Sie antworten, und wenn wir noch einmal fragen, dann antworten Sie wieder.“ (…)

Der Chef des Bundeskriminalamtes, einer der wichtigsten der für die Sicherheit des demokratischen Staates verantwortlichen Männer, hatte ganz offensichtlich nicht verstanden, wo er sich befand. …  Er hat die parlamentarische Ordnung, die zu verteidigen sein Amt ist, nicht verstanden. Der Mann – er heißt Jörg Ziercke – hat auf diesem Posten nichts verloren. Das konnten alle sehen, die in dieser Sitzung des NSU-Ausschusses saßen. (Arno Widmann, FR)

Mely Kiyak denkt schon mal weiter:

Neun Monate sind vergangen, und ich kann nicht sehen, dass der Nationalsozialistische Untergrund, sofern es ihn gibt und er so heißt, ergründet wird. Offenbar geht man davon aus, dass mit der Verhaftung Beate Zschäpes und dem Tod ihrer Komplizen sich das Problem des Rassismus, Rechtsextremismus, Rechtsradikalismus und Rechtsterrorismus erledigt hätte. Die „Aufklärung um die Mordserie“ dient der Rekonstruktion. Doch ist der sogenannte NSU eine museale, historische Begebenheit, bei der es lediglich herauszufinden gilt, ob und inwiefern Innenministerium, Polizei, Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst involviert waren?

Lieber NSU-Ausschuss Teil 1 / Teil 2 / Teil 3

Vielleicht hat sie ja die Fragen von Lorenz Matzat gelesen.

Erstaunlich ist, dass nach wie vor offenbar ohne großen Zweifel den Verlautbarungen der diversen Behörden Glauben geschenkt wird. Deren Mitarbeiter in Vergangenheit immer wieder bewusst gelogen und vertuscht haben. Offizielle – oft nicht zweifelsfrei belegte – Narrative werden als Fakten akzeptiert. Doch was ist beispielsweise mit diesen Fragen: Wie das war mit dem Selbstmord der zwei NSU Mitglieder; dass es nur drei NSU Mitglieder gäbe; wer rief Zschäpe von einer Behördentelefonnummer aus dem sächsischen Innenministerium am 4.11.2011 an; warum wurden die Videos verschickt, wenn eigentlich alle Spuren durch den Brand im Wohnhaus der Zelle vernichtet werden sollten; ist Fromm aus freien Stücken als VS-Chef zurückgetreten oder kam er einer Entlassung durch Friedrich zuvor; usw. usf.

Der außerdem kurz anreißt, welche einfachen Möglichkeiten des Einsatzes von Online-Medien gerade verpasst werden.

Ganz abgesehen davon, dass keine Redaktion ein dezidiertes Blog oder zumindest ab und zu etwa rund um Untersuchungsausschusstermine “live“ bloggt  – es wäre doch eigentlich nahliegend, eine Plattform oder eben Datenbank aufzubauen, die prozesshaft in Text-, Bild-, Audio- und interaktiven Grafikformaten sammelt, was Kenntnisstand ist …

Wäre es. Das Gute liegt so nah. Immerhin gibt es jetzt eine Möglichkeit, unveröffentlichte Behörden-Dokumente zum Thema bekannt zu machen: NSU-Leaks.

Der Presseclub debattierte letzte Woche auch dazu, wer Mely Kiyak mal ausführlicher erleben möchte: Auf dem rechten Auge blind?

Sehr ausführlich beschäftigt sich Wolf Wetzel mit dem Thema (lasst Euch vom etwas anstrengenden Layout nicht abschrecken, es lohnt sich wirklich): Der staatliche Rettungschirm für die neonazistische Mordserie des ›Nationalsozialistischen Untergrundes‹. Hier beschäftigt er sich u.a. mit der bizarren Geschichte in Hessen, als ein V-Mann namens „Klein-Adolf“ zwar direkt daneben stand, als einer der NSU-Morde geschah, aber, vom hessischen Innenminister gedeckt, dazu nicht befragt werden durfte.

Ein §129-Verfahren gegen Antifas in Sachsen eingestellt

Und sonst? Wurde in Sachsen gerade eins der diversen §129-Verfahren eingestellt, dass im Kontext der – Überraschung – Proteste gegen Nazis gegen Antifas begonnen wurde. Das Bündnis ‚Nazifrei! – Dresden stellt sich quer‘ dazu (pdf):

Die Verfahren wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB gegen am 19. Februar 2011 im Haus der Begegnung Dresden in Gewahrsam genommene Personen wurden eingestellt. … Zuvor hatten mehrere Betroffene über ihre Anwält_innen Verzögerungsrüge aufgrund des nunmehr seit sechzehn Monaten andauernden Ermittlungsverfahrens ausgesprochen. (…)

Wir halten auch diese Verfahren lediglich für ein Konstrukt, das gezielt entwickelt wurde, um umfangreiche Strukturermittlungen gegen Linke vornehmen zu können. Schließlich wird den Ermittlungsbehörden mit dem Paragraphen 129 ein umfangreiches Repertoire an Methoden zur Seite gestellt, das sowohl Telefonüberwachung, Internetüberwachung als auch flächendeckende Observationen und Rasterfahndung ermöglicht.“ Das Bündnis “Nazifrei! – Dresden stellt sich quer“ fordert vor diesem Hintergrund die sofortige Einstellung sämtlicher Ermittlungsverfahren.

Die sog. Vereinigungsparagraphen (§129/a/b) sind genau die Paragraphen des Strafgesetzbuches, mit denen auch Gruppen wie der NSU beschuldigt würden.

Haltlose Ermittlungen Dresden stellt Verfahren gegen Nazigegner ein – viele fragen sich, warum überhaupt damit begonnen wurde (ND)

Wie gesagt: hier waren dieselbe Staatsanwaltschaft, dasselber LKA, derselbe Landes-VS am Werk wie beim NSU. In diesem LKA gab es jemand, der eine Telefonnummer von Beate Zschäpe hatte und sie anrief, während sie jahrelang ungestört im Untergrund in Sachsen lebte. Diese selben Ämter hatten aber kein Problem, Funkzellenabfragen gegen eine halbe Stadt, umfassende Überwachung, Durchsuchungen und Verfahren gegen Antifas einzuleiten und auszuwerten. Es ist auch erst eins dieser Verfahren eingestellt – in den anderen Fällen wird munter weiter überwacht. Von Beamten, die offenbar der Meinung sind, es sei kein Problem, das VS-Desaster mit Alkohol oder Vergesslichkeit zu erklären.

Es ist übrigens in deutschen Gerichten vollkommen üblich und akzeptiert, wenn anonyme VS-Figuren behaupten, dass Linke dies und jenes getan oder gesagt hätten und sicher zu dieser oder jender linksextremistischen Gruppierung gehören. Da muss nichts begründet werden und es kann auch nicht gefragt werden, woher die Annahme stammt. Aus diesen Hinweisen werden dann die Verfahren entwickelt, mit denen ganze Szenen jahrelang überwacht werden. Ganz demokratisch.

Dresden bleibt nazifrei

Publikative hat dankenswerterweise alles Nötige:

In Dresden planen heute Tausende Menschen Proteste gegen den jährlichen Aufzug von Neonazis. Die Rechtsextremen wollen ab 18.00 Uhr mit Fackeln durch die Stadt ziehen. Hier die wichtigsten Links zu dem Tag in Dresden.

Hier der Demoticker sowie der Ticker von Dresden nazifrei. Dort gibt es auch einen mobilen und einen Twitter-Kanal:

http://ticker.dresden-nazifrei.com
http://wap.dresden-nazifrei.com
Twitter-Kanal

Infotelefon:
0351 – 418 88 922

Coloradio Frq: 98.4 & 99.3
13. Februar ab 18 Uhr
18. Februar ab 12 Uhr

Ermittlungsausschuss
0351 – 899 60 456
Ausschließlich Melden von Festnahmen!

Demo-Sanis
0177 – 621 82 42

Alle weiteren Informationen finden sich auf der Seite “Block Dresden 2012“. Dort werden auch Karten für die Proteste am 13. und 18. Februar bereitgestellt.

Wer wissen möchte, was die Nazis vorhaben, der kann die  Infotelefone der Berufsopfer anrufen: 0174/7842672 und 0152/59533896 (ACHTUNG: Infotelefon der Nazis!!!) 

NS-Propaganda und selektive Wahrnehmung

Hier ein Gespräch mit Henning Fischer über den Ursprung und Wandel des “Mythos Dresden” auf Publikative.org.

Am 18. Februar planen die Rechtsextremen einen großen Aufmarsch, dieser soll erneut blockiert werden.

„Dieser Sicherheitsapparat bekommt, was er sich immer gewünscht hat“

Danke Isabel Schayani für Klartext zur Neonazi-Datei gestern in den Tagesthemen

http://www.youtube.com/watch?v=bpZ_-rHaTIw

Innenminister Friedrich hat die Neonazi-Datei als wichtigen Meilenstein im Kampf gegen rechte Gewalt bezeichnet. Das ist aber kein Meilenstein, das ist höchstens Schotter, oder Streusalz für die Augen. Ich sag ihnen auch warum.

Da leben drei braune Terroristen jahrelang gleich nebenan im Untergrund. Umgeben von Neonazi-Größen und vor allem von V-Leuten. Waren polizeilich bekannt und gegen sie wurde ermittelt. Also alles andere als Schläfer. Und was passiert jetzt? Wir bekommen eine Neonazi-Datei.

Da ziehen Jahr um Jahr mindestens zwei braune Terroristen durchs Land und bringen eine Polizistin und einen Einwanderer nach dem anderen um. Zehn Menschenleben waren das und was passiert nun? Es werden mehr Daten ausgetauscht. Und da erkennen Polizei und Verfassungsschutz bei diesen zehn Morden keine Serie, geschweige denn dass sie einen der Mörder festnehmen. Und was passiert?

Dieser Sicherheitsapparat – eben noch versagt – bekommt das, was er sich immer gewünscht hat: noch mehr Vorratsdatenspeicherung.

Irgendwelche Rücktritte? Nö.

Nennenswerte personelle Konsequenzen? Nö.

Wurden Landesämter für Verfassungsschutz geschlossen oder reformiert? Nö.

Wenn die Sicherheitsbehörden ihr rechtsextremes Problem nicht richtig lösen, dann produziert das System wieder denselben Fehler. Und vor Ort, z.B. in Berlin-Schöneweide, müssen sie viel genauer hinschauen. Die Neonazis direkt ansprechen. Sonst wissen die Rechtsextremen, dass nichts passiert. Und sie breiten sich aus. Und dann setzen sie die Meilensteine.