Protest gegen polizeiliche DNA-Speicherung

Aus der Rubrik: wenn sich Menschen Mühe machen, gute Presseerklärungen zu schreiben, muss ich nicht dran rumfrickeln:

Protest gegen polizeiliche DNA-Speicherung
Sicherheitsbehörden überschreiten rechtliche Grenzen

Ein Jahr nach dem Startschuss der Kampagne „DNA-Sammelwut stoppen!“ macht das Gen-ethische Netzwerk am Tag des Grundgesetzes, dem 23. Mai, erneut auf die problematische Expansion polizeilicher DNA-Datensammlungen und die Übertretung rechtlicher Grenzen durch die Sicherheitsbehörden bei der biologischen Vorratsdatenspeicherung aufmerksam.

„Wir haben es heute mit einer enormen Expansion biologischer Vorratsdatenspeicherung zu tun“, so Alexander Schwerin vom Gen-ethischen Netzwerk. Diese werde leider in der Öffent­lichkeit viel zu wenig thematisiert – ein Grund, warum Staatsanwaltschaften und Polizeidienst­stellen auch „regelmäßig relativ dreist jenseits rechtlicher Grenzen operieren“.

Zum Startschuss der Kampagne DNA Sammelwut stoppen hatte das GeN im letzten Jahr am 23. Mai 2011 einen Offenen Brief an die Justizministerin übergeben, der von etlichen Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisationen unterzeichnet wurden war.

In diesem Jahr wird das GeN die inzwischen gesammelten individuellen Unterschriften unter den Offenen Brief in einer Protestaktion vor dem Bundesjustizministerium in Berlin verstreuen. Damit protestiert die Organisation dagegen, dass die sonst in Datenschutzfragen engagierte Justizministerin bisher keinerlei Schritte gegen die biologische Vorratsdatenspeicherung unternommen hat. Außerdem werden die Unterschriften auch formal als Liste an das Ministerium übergeben.

Mit von der Partie ist wie immer Willi Watte, ein überdimensioniertes Wattestäbchen, das die Kampagne als Maskottchen von Anfang an begleitet.

Ort: Bundesministerium der Justiz, Mohrenstr. 37, Berlin
Zeit: 13 Uhr

Zum Jahrestag der Kampagne veröffentlicht das GeN außerdem Fälle, in denen die Sicherheitsbehörden rechtlich gesetzte Grenzen gezielt überschritten haben. Die Beispiele zeigen erheblichen Hand­lungsbedarf bei der Kontrolle und rechtlichen Regelung von DNA-Sammlung und -Speicherung:

  1. Bei dem bundesweit bisher zweitgrößten Massengentest von 2009 bis 2010 in Gütersloh wurden über 11.000 DNA-Proben von einer nicht genauer definierten männlichen Bevölkerung genommen. Nur 27 Personen verweigerten sich dem offiziell freiwilligen Test. Dennoch galten sie von nun an als Tatverdächtige. Bei zehn von ihnen ordnete das Amtsgericht ohne weiteren Tatverdacht eine Zwangsentnahme des Speichels an. Schon die enorme Menge der gespeicherten Personen ohne genauere Vorgabe von Kriterien widerspricht der rechtlich vorgegebenen Verhältnismäßigkeit. Insbesondere aber die Tatsache, dass Personen verdächtigt wurden, die lediglich ihr Recht auf Datenschutz wahrnahmen, sprengt den rechtstaatlichen Rahmen. Dies sah das Landgericht Bielefeld auch so und erklärte die Zwangsmaßnahmen nach dem Widerspruch eines Betroffenen für rechtswidrig.
  2. Bei einem Einbruch in ein Büro der Stadtverwaltung in Erfurt im Jahr 2011, bei dem lediglich eine Sparbüchse mit 15 Euro entwendet wurde, forderte die Kripo alle Büroangestellten dazu auf, DNA-Speichelproben abzugeben. Sie drohte auch nachträglich noch telefonisch mit richterlichen Zwangsanordnungen, sollten einzelne die Teilnahme verweigern. Die Polizei begründete die Speichelproben mit einem Ausschlussverfahren, um so auf die DNA eines oder einer Tatverdächtigen zu schließen. Ein solches Verfahren ist vom Gesetz zur DNA-Datenspeicherung aber in keiner Weise gedeckt – DNA-Proben sind entweder bei Beschuldigten einer erheblichen Straftat rechtens – oder es muss bei einer DNA-Reihenuntersuchungen ein Kapitalverbrechen vorliegen Zudem deklarierte die Kripo diese Verfahren erst im Laufe der Kommunikation mit den Angestellten als „freiwillig“, informierte sie aber nicht von Anfang an über ihr Recht, sich gegen die Speichelprobe zu entscheiden. Einige Betroffene zeigten dennoch Zivilcourage und widersetzten sich dem Test.

Kontakte zu Betroffenen und weitere Informationen stellt das Gen-ethische Netzwerk gerne zur Verfügung.

Das GeN ruft Betroffene polizeilicher DNA-Sammelwut dazu auf, sich gegen solche übergriffigen Maßnahmen zur Wehr zu setzen und die bürgerrechtlich dazu aktiven Organisationen wie das Gen-ethische Netzwerk in Berlin oder Institutionen wie die Datenschutzbeauftragten der Länder darüber zu informieren.

Weitere Informationen

www.fingerwegvonmeinerDNA.de

Kontakt

Uta Wagenmann: 01525 3166698

 

Ägypten? Nein, Deutschland: Proteste gegen Finanzkrise verboten

Die realexistierende Demokratie zeigt sich von ihrer besten Seite. Vom 16.-19. Mai sollen in Frankfurt/Main die „Europäischen Aktionstage Blockupy Frankfurt“ stattfinden, „gegen das Krisenregime der Europäischen Union“. Und was macht die Stadt Frankfurt? Verbietet die Demonstrationen.

Bitte?

Interview mit dem Ordnungsdezernenten von Frankfurt/Main:

Herr Frank, Sie verbieten die geplanten Blockupy-Proteste ab 16. Mai …

Erst einmal will ich feststellen: Wir als Ordnungsbehörde nehmen das Demonstrationsrecht sehr ernst. Es ist ein hohes Gut. Im Regelfall unterstützen wir Leute bei der Organisation gewaltfreier Demonstrationen. Im Fall von Blockupy ist es leider so, dass es im Internet Hinweise gibt, dass es sich nicht um eine normale, friedfertige Demonstration handelt.

Sondern?

Hier soll unsere Stadt über mehrere Tage lahmgelegt, blockiert werden. Das können wir nicht hinnehmen.

Abgesehen von den, sagen wir mal, problematischen Aspekten für die Demokratie an sich, ist es ja auch nicht so, dass sowas gut funktioniert. Ich erinnere an den G8-Gipfel 2007 – die Mobilisierung lief zwei Monate vorher ziemlich schleppend, und dann wurde verboten, was ging. Plus ein paar Hausdurchsuchungen, und zack: der Protest wurde ein voller Erfolg. Die Verbote wurden hinterher vom Verfassungsgericht als illegal erklärt. Aber was schert das die hessischen Beamten.

Es sieht auch jetzt nicht so aus, als ob alle zuhause bleiben würden, die nicht in Ordnung finden, dass uns hier Wachstum und Aufschwung (wessen?) suggeriert werden, während Deutschland maßgeblich mit dafür verantwortlich ist, dass rund um uns rum die Leute verarmen und verhungern und ihre Kinder weggeben müssen, weil sie sie nicht mehr ernähren können.

Von Pax Christi bis zur Antifa gibt es Protesterklärungen, und der aktuelle Stand scheint zu sein, dass nicht mehr alles, aber doch alles, was für Donnerstag und Freitag geplant ist, verboten ist. Zwischendurch war auch mal versucht worden, bestimmten Leuten den gesamten Aufenthalt in Frankfurt zu verbieten. Nicht zwei oder drei, sondern gleich mal 400. Weil die im März schonmal wegen der Finanzkrise demonstriert hatten. Wenn sie das in Ägypten…

In Frankfurt gibt es diese Pikanterie, dass die Stadt schwarz-grün regiert wird. Die Grünen demontieren die Grundrechte also recht aktiv mit, dafür gehört auf der anderen Seite die Grüne Jugend (Bundesverband) mit zum aufrufenden Bündnis. Die haben sicher unterhaltsame Debatten untereinander, könnte ich mir vorstellen.

Bei den Banken ist der Ärger angekommen: die EZB hat eine Sitzung vorverlegt, manche Banken montieren lieber die Schilder ab, andere empfehlen ihren Angestellten, sich zu de-uniformieren.

Mittwoch mittag geht’s los. Donnerstag werden Plätze besetzt, Freitag die EZB blockiert und Samstag wird eine große, internationale Demonstration stattfinden. Daran wird das Verbot nicht viel ändern, aber es wird kein Ruhmesblatt auf die lupenreinen Demokraten werfen.

Hier kann gegen das Verbot unterschrieben werden.

Wem das alles zu kompliziert ist: hier folgen Twitter | Facebook

Eine Frage des Überlebens

Ausnahmsweise pure Buchwerbung. Ich habe es noch nicht gelesen, aber ich bin sicher, es lohnt sich.

Eine Frage des Überlebens
Stanislaw Markelow
über Rechtsstaat und Rechtsbruch, Nationalismus und Neonazismus und soziale Bewegungen in Russland

Herausgegeben von Ute Weinmann und dem Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung e.V. in Kooperation mit Deutsch-Russischer Austausch e.V.

Den russischen Anwalt Stanislaw Markelow nahm in Deutschland eine bereitere Öffentlichkeit erst nach seinem Tod wahr. Er und die Journalistin Anastasia Baburowa wurden im Januar 2009 im Moskau auf offener Straße ermordet. Die Mörder stammen aus der russischen Neonaziszene und sind inzwischen verurteilt, die Spur hätte aber genauso gut woanders hinführen können, beispielsweise in die russische Kaukasusrepublik Tschetschenien. Dort gelang Stanislaw Markelow in einem spektakulären Prozess erstmals die Verurteilung eines Angehörigen der Russischen Föderalen Streitkräfte aufgrund der Beteiligung am „Verschwinden“ eines Bewohners der Tschetschenischen Republik.

Stanislaw Markelow hat als Anwalt hervorragendes geleistet, aber er beschränkte sich nicht nur auf seine Berufsausübung, sondern engagierte sich darüber hinaus in den sozialen Bewegungen und beteiligte sich an Umweltprotesten. Theoretische Reflexionen und historische Bezüge waren für ihn eng mit seiner Praxis als Anwalt und politischer Aktivist verknüpft. Diese Vielschichtigkeit seiner Persönlichkeit geht aus seinen zahlreichen Publikationen hervor, darunter Kommentare, Reden, Streitschriften und für diverse Zeitschriften verfasste Beiträge. Der Großteil fand Eingang in das Buch „Stanislaw Markelow: Nikto krome menja“ („Niemand außer mir selbst“), einer im Jahr 2010 in Moskau herausgegebenen Textsammlung, die darüber hinaus eine ganze Reihe biografischer Notizen von Freunden und Bekannten enthält.

Das Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung e.V. veröffentlicht nun gemeinsam mit dem Deutsch-Russischen Austausch e.V. erstmals eine Auswahl an Publikationen von Stanislaw Markelow in deutscher Sprache.

Das Buch kann beim Bildungswerk unter der Mailadresse info@bildungswerk-boell.de kostenlos angefordert werden.

Für den 15. Juni ist eine Buchpräsentation in Berlin geplant.

Protest digital

http://images.zeit.de/bilder/titelseiten_zeit/2012/icon_010_001.jpgNächstes Wochenende rede ich bei der Tagung der Urbanauten „Revolution im Zwischenraum“ über Digitalen Protest. Konkret über „Urbaner Protest im öffentlichen Raum in Zeiten der digitalisierten Stadt von 2012 bis 2048„. Mit Piraten, Guttenberg und ACTA wieder sehr en vogue (und das ist ja auch gut so).

Aus diesem Anlaß befragte mich jetzt.de (Süddeutsche). Normalerweise würde ich das hier verlinken, weil aber die Website von jetzt.de die interessante Macke hat, dass anstelle des Artikels gern „Fehler: Das Dokument wurde nicht gefunden“ erscheint, erlaube ich mir, meine (redaktionell aufgepeppten) Worte auch hier vollständig wiederzugeben:

„Die Menschen wollen sich nicht abspeisen lassen“

Plagiatsjagd, Anti-ACTA-Kampagnen, Occupy – das Netz hat das Zeug dazu, die politische Kultur grundsätzlich zu verändern. Anne Roth ist seit 2001 als Aktivistin im Netz unterwegs und hat diesen Wandel beobachtet.

Die Berlinerin Anne Roth ist Politikwissenschaftlerin, Mutter, Bloggerin. „Netz- und Medienaktivistin“, wie sie selbst sagt. 2001 hat sie den deutschen Ableger des globalisierungskritischen Nachrichtenportals Indymedia mitbegründet – die erste Seite in Deutschland, auf der jeder Nutzer Inhalte im Netz veröffentlichen und andere Beiträge kommentieren konnte. Kommende Woche spricht sie auf dem Kongress „Revolution im Zwischenraum in der evangelischen Akademie Tutzing. Vorab ein Gespräch über den Verdruss an der Politik und Chancen für Politiker.

jetzt.de: Das Internet ist zweifellos eine technologische Revolution. Kann es auch politische Revolutionen auslösen?
Anne Roth: Damit aus einer politischen Bewegung eine Revolution werden kann, sind andere Dinge nötig als das Internet. Deswegen würde ich den Arabischen Frühling auch nie als Facebook- oder Twitter-Revolution bezeichnen. Aber seit Guttenberg und spätestens seit den Anti-Acta-Protesten ist klar: Im Netz sind nicht nur Menschen unterwegs, die irgendwie vor sich hinwursteln, sondern dort kann politischer Aktivismus eine Kraft entfalten, die stark genug ist, die ganz reale Politik zu verändern. Mittlerweile erkennen auch immer mehr Politiker, dass sie die Entwicklungen im Internet nicht versäumen dürfen, wenn sie weiter Politiker bleiben wollen.

Welche Entwicklungen sind das?
Transparenz und Partizipation werden immer wichtiger. Die Menschen wollen sich nicht mehr mit fadenscheinigen Erklärungen abspeisen lassen. Vor ein paar Jahren zum Beispiel wäre Karl-Theodor zu Guttenberg mit seiner Plagiatsaffäre noch durchgekommen. Doch so haben ihn die Leute durch ihr eigenes Engagement zu Fall gebracht. Daran zeigt sich: Die Menschen sind nicht von der Politik verdrossen, sondern von ihrer Form. Auch deswegen haben die Piraten so einen großen Erfolg. Da bricht sich ein breites Bedürfnis nach Teilhabe und Transparenz Bahn.

Macht es das Netz also politischen Parteien und Bewegungen leichter, Menschen zu begeistern?
Klar erlauben „neue Informations- und Kommunikationstechnologien“ – wie es altmodisch heißt – einerseits, sehr viele Menschen zu informieren, ohne auf die herkömmlichen Medien angewiesen zu sein: durch Posts, Mailinglisten oder Twitter. Andererseits können sich Gruppen so viel leichter organisieren und untereinander kommunizieren. Aber natürlich müssen sich die Menschen, die informiert werden sollen, auch interessieren. Um den Protest aus dem Netz auf die Straße zu bringen, braucht es eine ganz reale Unzufriedenheit.

Die Stadt Schwäbisch Gmünd hat nach einer riesigen Aktion im Netz ihr Schwimmbad nach Bud Spencer benannt. Fehlt Kampagnen im Netz manchmal der nötige politische Ernst?
Ich finde es gut, wenn politischer Protest auch spaßig und dabei souverän ist. Auf einer Freiheit-statt-Angst-Demo in Berlin zum Beispiel hatte jemand ein Banner dabei, auf dem stand „Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen“. Ein ironischer, witziger Unterton muss einer Sache nicht schaden.

Vor elf Jahren haben Sie Indymedia Deutschland mit ins Leben gerufen, ein globalisierungskritisches Nachrichtenportal, bei dem sich jeder beteiligen kann. Das war damals schon ziemlich revolutionär, oder?
Web 2.0 existierte nicht, wer im Internet veröffentlichen wollte, musste schon html beherrschen. Mit Indymedia wollten wir Kritik üben, an politischen Inhalten und an den etablierten Medien. Wir haben die mediale Begleitung der gleichzeitig entstehenden Anti-Globalisierungsbewegung, die gerade entstand, lieber selbst in die Hand genommen und damit zu ihrer weltweiten Vernetzung beigetragen. Es gab ein Formular, über das jeder posten und kommentieren konnte, das war total neu. Die Skepsis am Anfang war gewaltig.

Wer waren Ihre Kritiker?
Die kamen aus dem gesamten politischen Spektrum, und aus den Medien: Wie, da kann jeder schreiben? Das war ja völlig neu. Es war großartig, bei diesem Projekt dabei zu sein – aber auch sehr anstrengend. Wir haben intern viel diskutiert.

Worüber denn?
Wo ist die Grenze, wenn sich die Nutzer unter einem Post gegenseitig beschimpfen? Wie wird die Transparenz gewahrt bleiben, wenn die Kommentare unübersichtlich werden? Gibt es Dinge, die man gar nicht auf der Seite haben will? Was ist das Ziel von Kommunikation? Das sind Diskussionen, die immer noch wichtig sind und immer noch geführt werden. Ich frage mich, ob zum Beispiel ein Livestream von jeder Piraten-Parteiversammlung wirklich für Transparenz sorgt, oder nicht eher denen die Teilnahme erschwert, die nicht die Zeit haben, sich das alles anzugucken.

Für die meisten von uns ist das Web 2.0 Alltag, wir verbringen viel Zeit auf Twitter oder Facebook. Dahinter stehen riesige Konzerne mit sehr großer Macht. Ist das die richtige Infrastruktur für politischen Protest?
Nein. Auf diese Problematik müssen wir immer wieder hinweisen und Alternativen aufzeigen. Aber ohne diese Netzwerke geht es auch nicht. Bei einer politischen Kampagne will ich ja nicht nur ein paar Leute erreichen, sondern alle. Und alle sind nun mal bei Facebook. Auf Art und Zweck der Kommunikation kommt es an. So sollte sich ein Betriebsrat besser bei Diaspora oder einem anderen Netzwerk organisieren, das großen Wert auf Datenschutz legt. Die Ergebnisse seiner Arbeit kann er dann aber über Facebook verbreiten. Das ist kein Widerspruch.

Sind wir ausreichend dafür gerüstet, uns politisch im Internet zu betätigen?
Wir brauchen alle noch viel mehr Medienkompetenz. Vor allem natürlich die, für die das Internet nicht selbstverständlicher Teil ihres Alltags ist. Alle müssen bereit sein, sich mit neuen Formen von Politik und Mediennutzung auseinanderzusetzen. Und wir brauchen einen bewussteren Umgang mit Informationen über uns und andere. Welches Netzwerk nutze ich wofür und mit wem? Vor allem in den Schulen muss da noch sehr viel passieren. Für viele Lehrer ist das Internet nach wie vor unbekanntes Terrain. Das ist aber auch teilweise ein Generationenproblem; in den nächsten 20 Jahren wird da sehr viel passieren.

(Lena Jakat)

«Protest zwischen legitimer Aktion und illegitimer Repression»

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat das Video des Abschluss-Panels des IL-Kongresses zum Zivlen Ungehorsam fertig. Am Anfang sind ein paar ‚Highlights‘ rausgeschnitten, danach kommt dann die komplette Aufzeichnung.

Es reden miteinander: Martin Kaul, die tageszeitung, Bodo Ramelow, MdL DIE LINKE, Corinna Genschel, Komitee für Grundrechte und Demokratie, Prof. Andreas Fisahn, Uni Bielefeld, Alexander Schneider Sächsische Zeitung und ich.

Ich fand das Podium ein bisschen ungleichmäßig besetzt: vier Leute, die ‚den Protest‘ vertraten ‚gegen‘ einen Redakteur der Sächsischen Zeitung, der gewissenmaßen als Vertreter Sachsens da saß und sich ziemlich tapfer geschlagen hat. Um die Rolle habe ich ihn nicht beneidet. Insgesamt war es aber ganz informativ, hoffe ich.

Auch Sitzblockaden stehen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit

„Auch Sitzblockaden stehen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit“ – zentraler Satz im heute vormittag vorgestellten Bericht der Untersuchungskommission 19-2. Denn: Der Freistaat Sachsen sieht das anders und nimmt daher die Stzblockaden zum Vorwand, den wohl unbestritten dringend nötigen Protest gegen Nazi-Aufmärsche jedes Jahr im Februar in Dresden in Grund und Boden zu kriminalisieren.

Heute vormittag hat die Untersuchungskommission 19-2, die sich mit den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Dresden am 19.Februar 2011 und dem Verhalten der sächsischen Polizei und Justiz beschäftigt hat, einen Bericht mit ihren Ergebnissen vorgestellt. Weil es schneller geht und weil die Kommission sich damit auch Mühe gemacht hat, schreibe ich die Pressemitteilung dazu nicht um. Der komplette Bericht steht als PDF unten drunter.

Versammlungsfreiheit – ausschlaggebende Grundlage der Verfassung

Die „Untersuchungskommission 19. Februar“ hat heute in Berlin die Ergebnisse ihrer Recherchen zum sächsischen Umgang mit den Demonstrationen und Gegendemonstrationen im Februar 2011 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Verfasser hoben zusammenfassend hervor:

  • Entgegen den polizeilichen und regierungspolitisch geschürten Darstellungen war Dresden im Februar 2011 nicht von Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten aus den Gegendemonstrationen gekennzeichnet. Im Gegenteil:
    Dresden zeichnete sich dadurch aus, dass Zehntausende Bürger und Bürgerinnen ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit „gewaltfrei und ohne Waffen“ in ihre Hände nahmen. Sie waren auf der Straße, um gegen die braunen,  nationalistischen und rassistischen Bestrebungen ein deutliches Zeichen zu setzen.
  • Das Trennungskonzept der Polizei, das den Gegendemonstrierenden von vorneherein und systematisch ihr Recht auf Versammlungsfreiheit verweigerte, erzeugte fast zwangsläufig Konfrontationen. Nicht die Versammlungsbehörde, sondern die Bürger und Bürgerinnen müssen entscheiden können, wo und wann sie demonstrieren. Die Aufgabe der Polizei muss es sein, dies absichernd zu unterstützen. Auch Sitzblockaden stehen unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit.
  • Überwachungen und Datenerfassungen im Kontext dieser Demonstrationen überschreiten jedes demokratisch erträgliche Maß. Mit Verfahren nach § 129 StGB (Kriminelle Vereinigung) wurden Bürger und Bürgerinnen, die die Proteste vorbereiteten, schon im Vorhinein kriminalisiert. Die willkürliche Verdachtskonstruktion eröffnet der Polizei vor allem Eingriffs- und Überwachungsrechte. Interessierte und engagierte Bürger muss solches Vorgehen davor abschrecken, sich politisch zu beteiligen. Auch mit der Kriminalisierung der Beteiligten nach Versammlungsgesetz und nach § 125 StGB (schwerem Landfriedensbruch) soll vor allem von politischer Teilhabe abgeschreckt werden. Das aber gefährdet die Demokratie in ihren Fundamenten. Mit der Funkzellenabfrage, die einmal zur Abwehr terroristischer Angriffe gedacht war, ist jedes rechtsstaatliche Maß überschritten worden.

Rechtsanwalt Peer Stolle vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein gab zu bedenken: „Der Bericht ist erst der Anfang einer langwierigen und umfangreichen Aufarbeitung.“

Ringo Bischoff, Bundesjugendsekretär der ver.di jugend erklärte: „Der Umgang der sächsischen Behörden mit dem Versammlungsrecht sowie die Kriminalisierung von zivilgesellschaftlichem Engagement zeugt von einem vordemokratischen Zustand in diesem Bundesland.“

Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr vom Komitee für Grundrechte und Demokratie betonte abschließend: „Eine der vornehmsten demokratischen Praktiken besteht im demonstrativen Handeln. Wer dieses gefährdet – wie es die sächsische Regierung und „ihre“ Polizei getan haben – gefährdet  eine der ausschlaggebenden Grundlagen der Verfassung.“

Der „Untersuchungskommission 19. Februar“ gehören an:

  • Friedemann Bringt (Koordinator BAG Kirche & Rechtsextremismus)
  • Sabine Friedel (SPD, MdL Sachsen)
  • Corinna Genschel (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
  • Kerstin Harzendorf (Beraterin für Rechtspolitik der grünen Landtagsfraktion)
  • Kampagne Sachsens Demokratie
  • Kerstin Köditz (Die Linke, MdL Sachsen)
  • Katharina König (JG-Soligruppe, Die Linke, MdL Thüringen),
  • Stefan Lange (Büroleiter Bundesvorstand Bündnis 90/DIE Grünen bei Astrid Rothe-Beinlich)
  • Johannes Lichdi (Bündnis 90/Die Grünen, MdL Sachsen),
  • Albrecht Maurer (BT Linke)
  • Wolf-Dieter Narr (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
  • Thomas Ott (Aktionsnetz Jena, Legalteam, Rechtsanwalt)
  • Kristin Pietrzyk (Rechtsanwältin, Jena, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein)
  • Michael Plöse (akj-berlin)
  • Wolfhard Pröhl (Bündnis Dresden-Nazifrei)
  • Martina Renner (Die Linke, MdL Thüringen)
  • Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis 90/Die Grünen, Bundesvorstand, MdL Thüringen und Vize-Präsidentin des Thüringer Landtags)
  • Christine Schickert (Bündnis 90/Die Grünen, Dresden)
  • Elke Steven (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
  • Danilo Starosta (Kulturbüro Sachsen e.V.)
  • Peer Stolle (Rechtsanwalt, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein)

Der komplette Bericht der Untersuchungskommission 19-2 als PDF-Datei

Ein Jahr danach: Arabischer Frühling – Montag in Berlin

Ich bin, wie beschrieben, gerade in Dresden bei einem Kongress, der Zivilen Ungehorsam als Thema hat. Heute abend gab es dort die Veranstaltung Arab Revolt: Opportunities and Limits of Civil Disobedience, die mich beeindruckt hat.

Auf dem Podium saßen neben dem Moderator der Syrer Aktham Abazzid und die Ägypterin Ola Shahba, die sehr viel sehr Konkretes darüber erzählt haben, was sich in beiden Ländern abspielt. Welche Rolle Ägypten für die arabische Welt hat, wie man sich mit Plastikflaschen gegen steinewerfende Freunde des Regimes schützt, welche Aufgabe die „Hunter“ (Jäger) bei den Demonstrationen in Ägyypten haben oder warum die Menschen, die den Aufstand in Syrien am Leben halten, keine Militärintervention haben wollen. Und wie sie sich den Wechsel stattdessen vorstellen. Oder wie herauskam, dass nicht die Demonstrierenden vom Tahrir die alte Bibliothek in Kairo angesteckt haben. Es wird später ein Video geben, aber was noch viel besser ist (für BerlinerInnen jedenfalls): es gibt am Montag in Berlin eine Wiederholung.

Update: Sonntag 19-21 Uhr gibt’s den Mitschnitt bei Coloradio, den Freien Radio in Dresden. Stream: stream.coloradio.org

Und hier ist die Aufnahme.

Was bleibt vom erhofften Umbruch?

Ein Jahr nach dem Beginn der „Arabellion“ wollen wir Aktivist_innen aus Ägypten und Syrien einladen, um ihnen ein Forum zu geben und zu erfahren, welche Ursachen die Proteste haben und welche Erfahrungen die Aktivist_innen beim Kampf gegen die Regime gemacht haben.

Wir wollen diskutieren, welche Selbstermächtigungsprozesse in den Bewegungen entstanden sind, aber auch welche Niederlagen zu verzeichnen sind.

Mit:
Ola Shahba, Youth for Justice and Freedom (Kairo)
Aktham Abazzid (Syrischer Aktivist, LIEN e.V.)
Moderation Elias Perabo (adopt a Revolution)

Montag, 30.1.12, 19:30 im Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Straße 134

 

Im übrigen gibt es noch eine gute Sache, die ich gern bewerben würde:

www.syrischer-fruehling.de – adopt a revolution – den syrischen Frühlung unterstützen.

Adopt a Revolution

„Täglich riskieren tausende Menschen in Syrien ihr Leben, um für Demokratie und Menschenrechte zu demonstrieren.

Sie organisieren sich in Bürgerkomitees, die den Protest koordinieren. Nach Monaten des friedlichen Protests sind die finanziellen Mittel der Komitees erschöpft. Die junge syrische Demokratiebewegung ist deshalb dringend auf finanzielle Hilfe angewiesen – damit der unbewaffnete Widerstand fortgesetzt werden kann“

Hier könnt Ihr sehr konkret die Menschen in Syrien unterstützen. Die Initiatve wird u.a. von Medico International, der FrieKo und dem Komitee für Grundrechte unterstützt und hat damit ausreichend Gütesiegel, denke ich.

 

logo

 

 

Der Kongress .. ist ungehorsam

Ich bin Samstag und Sonntag bei einem sehr hübschen Kongress in Dresden. Falls Ihr zufällig in der Nähe sein solltet und zufällig noch nichts davon gehört hattet, würde ich Euch den gern ans Herz legen. Idee ist, sich mit Zivilem Ungehorsam in verschiedenen Ländern zu beschäftigen.

Auf dem Kongress in der TU Dresden wollen wir – pünktlich zum Jahrestag der Tahrir-Platzbesetzung in Kairo und, mit Blick auf den Dresdener Nazi-Aufmarsch, zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus –  (…) Möglichkeiten zum internationalen Austausch und zur Vernetzung bieten. (…)

Referent_innen aus über zehn Ländern werden von ihren Erfahrungen bei der Parlamentsbesetzung von Wisconsin, den Protesten auf dem Tahrir Platz, den Anti-Nazi-Protesten in Dresden oder Occupy Wall Street und vielen weiteren Aktionen berichten.

Details im Programm. Zwischen den Zeilen steht ziemlich deutlich, dass gut wäre, wenn in Sachsen zur Kenntnis genommen würde, dass nicht überall Blockaden als Verbrechen gewertet werden.

Um der Frage vorzubeugen: ich weiß nicht, ob gestreamt wird, zur Zeit sieht es eher nicht so aus. Ich hoffe, dass aufgezeichnet wird, aber ich weiß auch das nicht. Ich werde sicherlich twittern, vielleicht mit dem Hashtag #ungehorsam, oder gibt es einen anderen? Analog findet der Kongress im Hörsaalzentrum der TU Dresden statt.

Aufruf zu neuen Straftaten in Dresden

Und wieder rufen die SympathisantInnen der illegalen Straftaten zu weiteren Gesetzesbrüchen in Dresden auf. Als ob die Stadt nicht schon genug gelitten hätte.

Seit 2010 wird mit dem bundesweiten Bündnis „DRESDEN NAZIFREI“ dem Aufmarsch der Neonazis in Dresden ein effektiver und eindeutiger Widerstand entgegengesetzt.
Faktisch von Beginn an ist das Bündnis von Antifaschist_innen verschiedener gesellschaftlicher Schichten und unterschiedlicher Ansichten der Diffamierung, Isolierung und Kriminalisierung sächsischer Justiz und Politik ausgesetzt.

Mit Hilfe des Paragraphen 129 „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ wird mittlerweile gegen ca. 35 Personen strafrechtlich ermittelt.

Die Folgen für die Betroffenen sind nicht abzusehen.

Abzusehen ist jedoch, dass dieser Versuch der schweren Kriminalisierung bürgerschaftlichen Engagements einzig dem Ziel dient, den Widerstand gegen den Naziaufmarsch in Dresden zu spalten, zu schwächen und zu brechen.

Diesem Versuch treten wir mit unserem Videoclip entgegen.

JG-Stadtmitte / Aktionsnetzwerk Jena