Urteile in Neuseelands erstem neuen Terrorismus-Verfahren

Terrorismus als Schreckgespenst ist schon wieder aus dem Bewusstsein gerutscht, aber die Folgen der neueren Anti-Terror-Gesetze sind gelegentlich spürbar. Auch Neuseeland hatte in der Folge des 11. September ein neues Anti-Terror-Gesetz beschlossen. 2007 wurde das erste Verfahren nach dem neuen Gesetz gestartet. Jetzt im Mai wurden die Urteile gesprochen, am Freitag die letzten Strafen festgelegt.

Von den ursprünglich 19 Beschuldigten waren zum Schluss vier übrig geblieben. Zwei Maori, Taame Iti und Rangi Kemara, die zu zwei Jahren Haft verurteilt wurden, die sie bereits absitzen, und zwei Weiße, Emily Bailey und Urs Signer, die am Freitag zu neun Monaten „Hausarrest“ verurteilt wurden. (Update: auch Emily ist Maori)

Urs Signer sagte dazu selbst im neuseeländischen Fernsehen am Freitag, dass das gesamte Verfahren durch und durch rassistisch gewesen sei (Video).

Haha / Regan Tanamui @ May Lane, St Peters – Sydney

Über die Vorgeschichte habe ich 2008 schon geschrieben: Nächster Schritt im neuseeländischen “Terror”-Verfahren . Hintergrund und Juristisches finden sich auf der Website der UnterstützerInnen der Urewera Four, October 15 Solidarity (auch bei Facebook).

Auch von den Durchsuchungen betroffen war Valerie Morse, die einen guten Artikel darüber geschrieben hat: Land of the Long White Lie: The New Zealand Terror Raids

In June of last year, I published a book detailing the New Zealand government’s involvement in the ‚war on terrorism.‘ In it, I suggested that both dissidents and Maori were targets of the war, along with refugees and migrants. It was not without a sense of bizarre irony and a certain grim satisfaction that I sat in my prison cell and congratulated myself on being right.

Ihr Buch Against Freedom. The war on terrorism in everyday NZ life als PDF.

Es gibt inzwischen einen Film darüber, Operation 8, den ich gern mal sehen würde. Falls also irgendwo ein Programm-Kino, ein Film-Festival, ein Kulturzentrum.. das Thema Terror-Verfahren gegen AktivistInnen wieder aufnehmen möchte und sich für diesen Film entscheidet, würde ich mich über eine Nachricht sehr freuen.

 

Das Verfahren in Neuseeland hat fast gleichzeitig zum Terrorismus-Verfahren gegen Andrej und die anderen Beschuldigten in Berlin begonnen. Für uns ist das lange vorbei. Alles Gute an Urs und Emily, Taame und Rangi und an alle anderen, die von diesem Verfahren betroffen sind.

Eveline Lubbers: Secret Manoeuvres in the Dark

No, it’s not OK for undercover cops to have sex with unsuspecting activists

Gut, dass das nochmal jemand festhält. Nötig war es kürzlich in Großbritannien, Anlass: Mark Kennedy, auch bekannt als Mark Stone, der sieben Jahre als Spitzel in sozialen Bewegungen eingesetzt war.

Passend dazu ist gerade ein Buch erschienen, dass ich Euch dringend ans Herz legen möchte. Eine ausführliche Recherche dazu, wie Polizeien im Auftrag ihrer und unserer jeweiligen Regierungen politische und soziale Bewegungen überwachen und manipulieren. Im Interesse privater Unternehmen. Und wie die Unternehmen selbst zu verhindern versuchen, dass AktivistInnen ihre schmutzige Wäsche auspacken.

Eveline Lubbers: Secret Manoeuvres in the Dark. Corporate and Police Spying on Activists

The set of secret units Kennedy worked for was founded explicitely to satisfy the needs of companies targeted by activists. …

The fact that none of the official reviews into the Kennedy case investigates the aspects of corporate spying underlines the urgent need for a book putting the spotlight on similar secret manoecvres in the dark. …

The Mark Kennedy case is more than a sensational scoop. The focus on his person and his personality obscures the underlyingdevelopment of corporate spying on activists. Secret Manoeuvres in the Dark aims to address this trend of conjunctions between the state and the corporate world aimed at suppressing the critical voices that are indespensable in a democratic society.

Eveline Lubbers hat 1985 das Büro Jansen & Jannssen in Amsterdam mitgegründet, das seinerseits seine Wurzeln in der Kraak-(Hausbesetzer-)Bewegung hat. Weswegen die Beschäftigung mit Polizei und Nachrichtendiensten und deren Überwachung von AktivistInnen auf der Hand lag. 2002 hat sie Battling Big Business. Countering Greenwash, Infiltration and other forms of corporate deception geschrieben, 2004 Spinwatch mitgegründet, Ziel: die Beobachtung von PR, Propaganda und Lobbyismus. Sie ist eine der Pionierinnen, die sich in der Schnittmenge zwischen Netzaktivismus und Überwachung bewegen.

Wenn Ihr sonst nichts lest: lest dieses Buch.

Innenminister Friedrich möchte wieder Grenzkontrollen in der EU

Wer erinnert sich noch an die Einführung des Schengener Abkommens? Gegen Ende meines Studiums habe ich mir die ‚Freude‘ gegönnt, es mal zu lesen. (Beschlossen wurde es ’85, dazu kam ’90 das sog. Durchführungsübereinkommen, und ’95 wurde das Schengener Abkommen in Kraft gesetzt).

Im Grunde ist es banal: Ziel des Schengener Abkommens war (und ist), die innereuropäischen Grenzkontrollen abzubauen (Europa hier = EU). Feine Sache, an sich.

Aaaaaaber.. dann können sich ja die gefährlichen Ausländer (je Land andere) völlig frei bewegen, das geht ja nicht. Der Kriminalität wären Tür und Tor geöffnet. Deswegen mussten die Ausgleichsmaßnahmen her, im Durchführungsübereinkommen beschrieben.

Der Teil des Schengener Abkommens, der den Abbau der Kontrollen und mehr Freizügigkeit beschreibt, ist weniger als eine Seite lang. Die Ausgleichsmaßnahmen brauchten, wenn ich mich richtig erinnere, in der damaligen Fassung ca. 30 Seiten.

Die EU-Website fasst es ganz übersichtlich zusammen:

Zu den wesentlichen Maßnahmen, die im Rahmen von Schengen beschlossen wurden, gehören:

  • die Abschaffung von Personenkontrollen an den Binnengrenzen;
  • ein gemeinsames Regelwerk für Personen, die die Außengrenzen der EU-Mitgliedstaaten überschreiten;
  • die Angleichung der Einreisebedingungen und der Visa-Bestimmungen für Kurzaufenthalte;
  • die Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit (einschließlich eines grenzüberschreitenden Beschattungs- und Verfolgungsrechts);
  • die Stärkung der justiziellen Zusammenarbeit durch eine Regelung für eine raschere Auslieferung und durch die Übertragung der Vollstreckung von Strafurteilen;
  • die Einrichtung und Entwicklung des Schengener Informationssystems (SIS).

Allgemeinverständlich bedeutet das, dass zum Ausgleich die Polizeikooperation, Überwachung und Kontrolle massiv ausgebaut wurden, außerdem wurden die Außengrenzen enorm verstärkt. Frontex ist ein Ergebnis davon, genauso wie die zu hunderten im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlinge, für die wir die Verantwortung gern anderen überlassen. Und ganz reale Mauern.

Ende letzter Woche kroch eine kleine Meldung durch die Nachrichten:

Innenminister der EU einigen sich auf Notfall-Grenzkontrollen  Das gab es bisher immer mal an bestimmten Grenzen, etwa wenn große Gipfelproteste zu erwarten waren oder auch bei Sportereignissen. Aber nicht dauerhaft. Jetzt

soll ein „Notfallmechanismus“ eingeführt werden, wonach einzelne Mitgliedstaaten als „letzten Ausweg“ ihre Grenzen dichtmachen können, falls ein anderer EU-Staat seine Außengrenzen nicht verlässlich kontrolliert. Diese Maßnahme sollen Mitgliedsstaaten maximal zwei Jahren anwenden können. (Süddeutsche)

Entweder wird der Grund für mehr Kontrolle und Überwachung – der Abbau der Grenzkontrollen – nicht mehr gebraucht, weil die Innenminister meinen, das Ausmaß an Überwachung wäre ausreichend – unwahrscheinlich. Oder aber sie denken, dass sich an den ursprünglich vorgeschobenen Grund inzwischen eh niemand mehr erinnert und sie deswegen die polizeilich ausgesprochen nützlichen Kontrollen an jeder Grenze jetzt deswegen wieder einführen können.

Anlass sind übrigens die vielen Flüchtlinge aus Nordafrika während des Arabischen Frühlings. Demokratie gern, aber bitte nicht hier!

Bei EU-Themen wird gern vermittelt, dass sie irgendwie in einem undurchschaubaren Dschungel entstehen. In aller Regel, und auch diesmal, spielt Deutschland im EU-Dschungel die entscheidende Rolle: EU-Länder lassen Brüssel eiskalt abblitzen

Ein Meilenstein der europäischen Integration hat am Donnerstag leichte Risse bekommen. Unter dem Eindruck anschwellender Flüchtlingsströme brachten die EU-Innenminister in Luxemburg ihre umstrittene Neufassung des Schengen-Abkommens auf den Weg: Dem Entwurf nach dürften die Mitgliedstaaten weiter eigenmächtig über die Wiedereinführung von Grenzkontrollen entscheiden und sich künftig auch bei löchrigen EU-Außengrenzen notfalls abschotten. Die EU-Kommission ist brüskiert, das Europäische Parlament empört – und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hochzufrieden.

„Wenn die Sicherheit in Europa insgesamt in Gefahr ist, sind wir handlungsfähig“, sagte der CSU-Politiker nach dem Treffen mit seinen Ressortkollegen.

Die Rhetorik kennen wir ja zur Genüge.

Grafik: Wikipedia

Samstag ist internationaler Aktionstag gegen ACTA

Die Google-Karte mit den geplanten Protesten und der Aufruf für die Demo in Berlin, Samstag um 12 Uhr an der Oberbaumbrücke (Kreuzberg).

Wer nicht kann oder noch mehr machen möchte: hier gibt es eine Auswahl deutscher EU-Abgeordneter, die für ACTA sind oder sich noch immer nicht entschieden haben, wie sie abstimmen wollen. Es sind für fast alle welche dabei: CSU, CDU, FDP, SPD und Grüne Abgeordnete können direkt kontaktiert werden – vielleicht hilft das ja.

Zugegeben, ACTA zu erklären ist nicht ganz einfach.

Was ist das Problem?

  • ACTA umgeht demokratische Prozesse und fördert eine Privatisierung von Rechtsdurchsetzung fern rechtsstaatlicher Kontrolle.
  • ACTA fordert unverhältnismäßige Strafen und ist zudem noch vage formuliert.
  • ACTA kann Internet-Provider zu einer privaten Urheberrechtspolizei mit gefährlichen Auswirkungen auf Meinungsfreiheit und Datenschutz machen.
  • ACTA ist eine Richtungsentscheidung. Das alte Urheberrecht wird damit weiter zementiert, anstatt über eine Reform zu diskutieren.

Auch dazu mehr bei acta.digitalegesellschaft.de

Und wenn die Polizei kommt..?

Die Electronic Frontier Foundation EFF hat mal wieder nachgefragt, wie sich Unternehmen verhalten, wenn Behörden Daten ihrer NutzerInnen haben wollen. Es sieht erwartungsgemäß düster aus. Es gibt auch einen ausführlichen Bericht mit Links zu den Dokumenten der jeweiligen Unternehmen.

Dies bezieht sich im übrigen auf die USA – ob sich dieselben Unternehmen in Deutschland genauso verhalten, ist offen. Wäre aber mal interessant zu erfahren.

10 Jahre KAOS – 10 Jahre Medienaktivismus und Hacking

Ein Buch, das ich gern lesen würde, aber leider nicht kann, weil es italienisch geschrieben und die Aussicht auf Übersetzung eher gering ist: +kaos – 10 anni di mediattivismo e hacking.

Das Technik-Kollektiv hinter noblogs.org und damit annalist hat ein Buch über die 10 Jahre seit seiner Gründung geschrieben (und annalist ist sogar darin erwähnt, hach).

„L’esperienza collettiva di un gruppo di ragazze e ragazzi appassionati di tecnologia e comunicazione che hanno fatto proprio il motto di Primo Moroni “Condividere saperi, senza fondare poteri”.“

(Die gemeinsame Erfahrung einer Gruppe von Männern und Frauen, die sich für Technik und Kommunikation begeistern und sich das Motto von Primo Moroni zu eigen gemacht haben „Wissen teilen, ohne die Grundlage für Macht zu schaffen“)

Ihr könnt es vollständig runterladen als PDF, mobi oder ePub.

Für alle, die italienisch können und auch nur den kleinsten Faible für Hacker-Bewegungen und/oder Medienaktivismus seit 2001 haben, lohnt es sich bestimmt.

Beschrieben werden in eigenen Kapiteln der Vorlauf, also die Jahre 1990 – 2001. (2001 war mit dem G8-Gipfel in Genua eine Zäsur, die wahrscheinlich ihre Spuren bei allen Bewegunen in Italien hinterlassen hat). Hacktivismus gab es aber auch schon vorher. Dann die Jahre 2001 – 2006 mit dem bewussten G8-Gipfel, aber auch dem Europäischen Sozialforum, Problemen mit der Justiz und schließlich dem Start der Blog-Plattform Noblogs. Im dritten Teil geht es um die Jahre 2006 – 2011, wie die vorigen eingeteilt in die politische Einordnung und die Beschreibung der hacktivistischen Aktivitäten.

Im Unterschied zur eher engen Definition des Hacking in Deutschland gibt es in Italien eine breitere Interpretation. Was hier inzwischen langsam als ‚Politik-‚ bzw. ‚Gesellschafts-Hacking‘ akzeptiert wird, gehört dort schon immer selbstverständlich dazu. Hacken ist die intensive Beschäftigung mit allem Möglichen mit dem Ziel, es zu verstehen, auseinanderzunehmen und anders wieder zusammenzusetzen. Oder sich zumindest dazu in die Lage zu versetzen. Das hat eine ziemlich stabile Grundlage für Kooperation zwischen Techies und politischen und sozialen Bewegungen geschaffen, mit einem sehr stabilen queer-feministischen Standbein. Ein bisschen mehr davon würde ich mir hier auch wünschen.

Vielleicht gibt es ja doch mal eine Übersetzung.