Gedanken zu Ägypten 2.0 – This revolution will be televised

(..wobei es ja anscheinend gerade für die ägyptische Revolution nicht so gut aussieht.)

Ich verfolge krankheitsbedingt die Ereignisse in Ägypten nur ausschnittsweise. Aber was anderes als Momentaufnahmen ist mit Sicherheit auch für die nicht möglich, die rund um die Uhr online sind.

Wie schon bei den Aufständen in Tunesien ist es gut, über die verschiedenen Social-Media-Kanäle viele ganz unterschiedliche Dinge über Ägypten zu sehen und zu lesen. Feedreader, Chat, Twitter, Facebook, Mail: Ägypten. Als Internet und Mobilfunknetze abgeschaltet wurden, war live zu beobachten, wie sich Leute koordinierten, um Alternativen zu schaffen und dazu gegen die Unternehmen zu protestieren, die verwickelt waren.

Phasenweise kam es mir vor wie die Globalisierungsproteste des vergangenen Jahrzehnts. Die wurden nicht nur groß, weil viele auf die Straße gingen, sondern auch, weil es erstmals zeitnah andere Informationen gab: über Indymedia. Bilder und Timelines noch am gleichen Tag, die die konventionellen Medien Lügen straften. In unschlagbarem Tempo, einfach weil niemand sonst soviele KorrespondentInnen vor Ort hatte. Weil es erstmals möglich war, etwas online zu veröffentlichen, ohne selbst eine Website zu haben, und zu kommentieren, was andere schrieben – um einer Perspektive auf ein Ereignis eine andere hinzuzufügen. Heute ist nichts selbstverständlicher als das, aber vor zehn Jahren gab es das sonst nirgends.

Die unabhängigen Medienzentren (Independent Media Center, Indymedia) sammelten unzählige Berichte, Bilder, Videoclips, verglichen sie mit dem, was per Telefon reinkam und schrieben es thematisch und chronologisch sortiert zusammen. Sie wussten vorher, was wann wo passiert und hatte Leute vor Ort, entsprechend schnell kamen die Informationen zurück. Dazu wurden zig andere Quellen ausgewertet. Ich habe das selbst oft miterlebt, manchmal war ich selber dabei und manchmal war ich zuhause und habe Texte übersetzt und Chronologien zusammengeschrieben. Ich habe von Berlin aus daran mitgearbeitet, die englischsprachige Website zum G8-Gipfel 2006 in St.Petersburg zu aktualisieren, weil die wenigen russischen MedienaktivistInnen schon kaum nachkamen, den russischen Teil zu schaffen und mir, mit Baby, die Konfrontation mit der russischen Polizei viel zu gefährlich schien. In diesen Tagen gab es in Russland Telefonnummern, die zum Ortstarif angerufen werden konnten und mit denen die Nachrichten-Koordination in Irgendwo erreicht wurde.

Ein bisschen also erinnert mich das Web 2.0 gerade an all das. Alle (naja, viele) suchen nach Informationen, Videos, Twitter-Accounts in und über Ägypten. Großartig, in gewisser Weise hat sich Indymedia überlebt, nicht erst seit gestern und aus verschiedenen Gründen (wobei ich bis heute auf vielen Indymedia-Websites Sachen finde, die sonst nirgends stehen).

Allerdings fehlt mir gerade auch etwas: das koordinierte Zusammentragen der Berichte. Wenn ich nicht ununterbrochen online bin, ist es reiner Zufall, welche Details ich erfahre. Fürs große Ganze halten dann doch wieder die ‚alten Medien‘ her. Eine Mischung aus Informationen des Auswärtigen Amts, verklausuliertem Al Jazeera und dem zufällig Erlebten des Korrespondenten. Hm. Dann haben wir noch die Blogs in der Bandbreite vom Kommentar verschiedener Ägypten-KennerInnen (unbenommen) über Fotosammlungen bis zu Websites mit News-Charakter, unabhängig. Alles wunderbar und mit Herzblut entstanden, aber nichts vermittelt mir den Eindruck zu wissen, was passiert. Dazwischen spamartige Fluten: Die Tagesschau vermeldet, das geplündert werde: Auf allen Kanälen Links zu Plünderungen.

Ja, es ist schön, dass Social Media vielen ermöglicht, zu kommunizieren und zu publizieren. Aber ich vermisse ein bisschen die Leute (ja, Menschen, nicht Algorithmen), die sortieren und nicht dpa sind. Es wäre unsinnig, an eine Zentralisierung der wild kreuzenden Informationen auch nur zu denken, aber ein bisschen Durchblick wäre schon schön und ein bisschen weniger Rauschen hilfreich.

Ach ja:

The Egyptian Revolution Will not Be Tweeted: A First-Hand Report from Cairo. Most of the people tweeting about Egypt aren’t on the scene.

15 Gedanken zu „Gedanken zu Ägypten 2.0 – This revolution will be televised

  1. Aber das machen wir doch auf twitter alle andauernd, daß wir sortieren. Alles lesen, im Kopf ein Bild daraus zusammensetzen, dann das rt-en, worin dieses Bild sich am besten konzentriert. Leuten folgen, deren gute Gedanken/Meldungen einem auffallen, Leute entfolgen, die nichts Wesentliches beitragen …

  2. Pingback: Die Politik » Gedanken zu Ägypten 2.0 – This revolution will be televised

  3. Hat Indymedia schonmal drüber nachgedacht, sowas wie einen News-Aggregator für Web2.0 zu erstellen? Wäre sicherlich spannend, wenns so ne Art Redaktionsverfahren (vll. auch crowdsourced) zu bestimmten Themen gäbe, in dem relevante Beiträge zusammengetragen und zusammengesammelt würden… So ne Art Indy-Mediafilter.

    Kam mir nur grad so, der Gedanke. 🙂

  4. Twitterlisten sind ziemlich hiflreich finde ich. Und das ist das erste mal, dass ich die hilfreich finde. Bisher haben die mich eher genervt. Z.B. die hier: http://twitter.com/#!/JacobPark/tweeting-from-egypt

    Das generelle Problem, was Du ansprichst, besteht natürlich weiterhin. Das Problem ist ja, dass man Leute braucht, die vor Ort sind _und_ zumindest grob die eigenen Einschätzungen teilen, denn nur mit einer solchen Übereinstimmung sind sie in der Lage das rauszusuchen, was mich interessiert. Ich würde mal prognostizieren, wenn es das in jedem Land der Welt gibt, dann sind wir ein unglaublich riesiges Stück weiter.

  5. Es wäre in der Tat schön, wenn es eine Ordnung der Geschehnisse gäbe. Ich denke aber, oft es ist einfach dem Chaos geschuldet und viele Details, geben aber am Ende auch einen Überblick. Es ist nur leider ziemlich zeitintensiv…

    Manchmal findet man aber auch Zusammenstellungen auf privaten blogs. Hier z.B. aggregiert jemand interessante Textstellen:

    Kleine Presseschau: Was kommt nach Mubarak?
    http://egonon.wordpress.com/2011/01/30/kleine-presseschau-was-kommt-nach-mubarak/

  6. Ich schätze das Guardian Liveblog sehr, dort sind auch Links zu ausführlichen Analysen. Al Jazeera hat auch ein Liveblog.

    • Das war dann wohl ein Missverständnis. Mir mangelt es nicht an Informationen aus erster Hand – die gibt es ja durchaus reichlich. Mir fehlt(e) der Überblick. Wo du den Eindruck her hast, ich könnte irgendwen mit Geld versorgen, ist mir ein Rätsel.

  7. @anne Verzeih mir, das war nicht allein an Dich gerichtet, sondern war allgemein gemeint.

    Wer Informationen braucht, der oder die geht am Besten direkt dorthin. Ansonsten muss wohl irgendwelchen Leuten von dort vertraut werden oder andere Menschen stellvertreten dorthin geschickt werden.

  8. Sie sollten sich unbedingt diese Analyse anschauen. “ Die Analyse der Social Media Revolution in der Arabischen Welt. (Ägypten, Tunesien, Web 2.0) http://bit.ly/fHwHo7 . Sehr interessante Ergebnisse.

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