Freiheit statt Angst – die Rede

Es war eine sehr schöne Demo, die Sonne schien wie bestellt und es sind viele gekommen. Details in allen Medien. Einen Pressespiegel gibt es beim AK Vorrat, Fotos bei Flickr.

Eingeschränkt wird diese Wahrnehmung von einer mir noch unklaren Zahl von Festnahmen und offenbar eher beliebigem Geprügel seitens der Berliner Polizei. Eine Festnahme soll mit Vermummung begründet worden sein. Dann allerdings verstehe ich nicht, warum nicht Hunderte festgenommen wurden – das Tragen von Masken aller Art gehört bei dieser Demo ja zum guten Ton. Ein Video zur Polizei-Brutalität bei Netzpolitik – bei YouTube gibt es das nur nach Anmeldung. Der CCC ruft ZeugInnen auf, sich unter mail@ccc.de zu melden. Fefe stellt verschiedene Formate des Videos zur Verfügung.

Meine Rede ist wenige Stunden später schon bei YouTube und also auch hier:

Der Text zum Nachlesen:

Im Unterschied zu den meisten hier weiß ich, dass ich überwacht werde. Mehr als durch Vorratsdatenspeicherung, Videokameras, Payback-Karten oder alleserfassende Datensammlungen. Seit 2006 wird gegen meinen Freund Andrej Holm ermittelt – erst wurde er zum Terroristen gemacht, nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft soll er nur noch Teil der kriminellen Vereinigung ‚militante gruppe‘ gewesen sein und ihre Texte geschrieben haben. Drei Jahre später gibt es keine neuen Erkenntnisse, aber die Ermittlung dauert an. Zur  Überwachung gehört, oder gehörte – das wissen wir nicht – Überwachung von Telefonen und Handys, stille SMS zur Ortung, Videokameras vor und hinter dem Haus, GPS-Peilsender an Autos, Überwachung von E-Mails und angesurften Internetseiten, kleine Lauschangriffe, verdeckte Ermittler.

Ich kenne aber auch das unangenehme Gefühl der Unsicherheit, ob ich überwacht werde. Ich bin seit vielen Jahren politisch aktiv und die Frage, was das Knacken im Telefon zu bedeuten hat, ist bei über einer Million überwachter Telefonate in Berlin 2008 nicht abwegig. Auch das macht Angst.
Inzwischen habe ich einige Abhörprotokolle des BKA gelesen, selbst zu Telefonaten mit meiner Mutter über das Fernsehprogramm.

Ich kenne den körperlichen Ekel, den es auslöst, wenn ich weiß, dass sie da sind. Dass sie meine Mails lesen, immer zuhören, beobachten. Alles kommentieren und unser Leben in einer Weise interpretieren, wie wir es nicht leben.

Beides macht Angst. Es macht Angst, darüber nachzudenken, ob ich diese Website aufrufe oder auf jene Demo gehe. Und es macht Angst darüber nachzudenken, wie sie es bewerten, dass wir über irgendwas gerade geredet haben. Oder über irgendwas gerade nicht geredet haben. Es lähmt.
Wir haben gelernt, dass wir die Freiheit haben, uns von dieser Angst nicht fressen zu lassen. Das hat uns geholfen, nicht still abzuwarten, ob der Sturm vorüberzieht, und uns nicht mit dem Gefühl einzuigeln, dass „sowas eben passieren kann“, wenn man den Mund aufmacht.
Freiheit statt Angst kann auch heißen, sich die Freiheit zu nehmen, mit der Angst fertig zu werden. Es ist kein Entweder-Oder.

Wir haben und die Freiheit genommen, alles öffentlich zu machen und uns so zu wehren. Andrej redet und schreibt mehr denn je über Gentrifizierung. Ich schreibe über das Verfahren gegen ihn und die gegen viele andere, denen ähnliches passiert. Zum Beispiel auch über die drei, die wohl diesen Monat noch als angebliche Mitglieder der ‚militanten gruppe‘ in Berlin verurteilt werden, obwohl der Prozess gegen sie so abstrus und voller schräger Geschichten ist wie die Ermittlung gegen Andrej Holm.

Alleine hätten wir das nicht geschafft. Uns haben sehr viele geholfen, bei denen wir uns heute nochmal bedanken wollen. Ganz unterschiedliche Leute, Gruppen und Netzwerke, die das nicht nur gemacht haben, um uns zu helfen, sondern weil sie wussten, dass ihre eigene Freiheit in Gefahr ist, wenn Überwachung und Terrorismus-Prozesse ohne Widerspruch hingenommen werden. Wir werden nur weiterkommen, wenn sich viele gemeinsam für Freiheit statt Angst einsetzen. Und dazu ist diese Demonstration ein wichtiger Schritt.

Die Freiheit gibt es nicht geschenkt.
Freiheit gibt es auch nicht allein durch ein Kreuz auf dem Wahlzettel.
Die Freiheit werden wir uns nehmen.

 Und schließlich gibt’s noch ein paar von mir gemachte Fotos dazu.

4 Gedanken zu „Freiheit statt Angst – die Rede

  1. weia…

    und was wird den „Überwachung?-Mir-doch-egal-hab-nix-zu-verbergen“-Klienten das Polizisten-Prügelvideo sagen?
    Na also, Videoüberwachung bringt also doch was. q.e.d.

  2. schön die rede doch mit zu bekommen. im livestream von der demo wurde zu einem interview umgeschaltet, als du deine ersten sätze gesagt hattest.

  3. Hallo Anne,
    Du hast eine tolle Rede gehalten. Ich habe den „Krach“ vorher ertragen und gewartet bis Du dran warst.

    Und Tim Videoüberwachung ist nicht gleich Videoüberwachung.

    Einen schönen Sonntag auch noch

  4. Pingback: Zivilschein

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