Mouldi C. und die AG BIRGIT – Gefährder in Deutschland

Unter dem Artikel Ein Tag im Leben eines Terror-Verdächtigen wies Koloradokäfer auf den Artikel Leben ohne Aussicht im Magazin der Süddeutschen hin.

Das Äquivalent zu den britischen "Control Orders" ist in Deutschland das Label "Gefährder".

Kein Handy, kein Internet, keine Reisen: Seit drei Jahren isoliert der
Staat den Tunesier Mouldi C. im bayerischen Hinterland, ohne dass ihm
je ein Strafprozess gemacht worden wäre. Er soll – möglicherweise –
Terroristen unterstützt haben. Erwiesen aber ist nichts. Die Geschichte
eines Mannes, für den gilt: Im Zweifel gegen den Angeklagten.

Mutiger Artikel, gut recherchiert, gut geschrieben.

Mouldi C. hat anscheinend ziemlich viel mit Leuten zu tun gehabt, die in die Kategorie Terrorismus fallen, auch Geld gespendet. Allerdings hat es selbst in Bayern nie für eine Anklage gereicht. Seit 2005 ist er deswegen "Gefährder". Er wurde in Regensburg festgenommen, von seiner Familie getrennt und in ein Flüchtlingsheim in der Nähe von Passau gebracht (Bericht aus dem Flüchtlingsheim Hauzenberg).

Er darf weder Handy benutzen noch Internet
oder öffentliche Telefone. Er darf den Ort nur mit Erlaubnis verlassen.
Er muss jeden Morgen auf der Polizeiwache unterschreiben. Im neuen
Ausländerrecht, das seit 2004 gilt, heißt dies alles »Überwachung
ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit«.

Aber das Gesetz schweigt darüber, wann eine
solche Verbannung enden soll, was geschieht, wenn der Verdächtige nicht
zäh genug ist, um diese Härte zu ertragen, Tag für Tag, Jahr für Jahr. 

Seine Frau ist mit den Kindern in Regensburg
geblieben: zwei Töchter und zwei Söhne, zwischen fünf und zwölf Jahre
alt. Zweimal im Monat kommen sie ein Wochenende lang und schlafen im
Asylheim auf dem Boden.

Über den Sohn schreibt der Kinderarzt: »Er ist
durch die Trennung von seinem Vater massiv psychisch belastet. Es
begann vor fünf Jahren durch ein nächtliches gewaltsames Eindringen
mehrerer vermummter Polizisten in die Wohnung.«

Er ist inzwischen depressiv, hat mehrmals versucht, sich umzubringen. Selbst die manchmal notwendige schnelle Einweisung in die Psychiatrie führt zu einem zusätzlichen Bußgeldverfahren, weil am Wochenende die für die "Reise" in die Psychiatrie an einen anderen Ort notwendige Genehmigung nicht zu erreichen war.

Ein Richter, der mit dem Fall vertraut ist,
sagt: »Wer sollte denn davor Angst haben, dass der sich umbringt? Es
geht doch darum, dass wir nicht umgebracht werden.« 

Seit 2004 gibt es in Bayern die Arbeitsgruppe BIRGIT ("Beschleunigte
Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich des
islamistischen Terrorismus"), eingerichtet von Innenminister Beckstein. Aus dem letzten Arbeitsbericht:

Insgesamt wurden bis zum 01.04.2009 unter Koordination der Arbeitsgruppe 100 Ausweisungsbescheide erstellt. In 70 Fällen konnte die von den Betroffenen ausgehende Sicherheitsgefahr wirksam unterbunden werden. Hiervon wurde in 57 Fällen der Aufenthalt der islamistischen Gefährder beendet und deren Wiedereinreise untersagt, in 13 Fällen wurden Überwachungsmaßnahmen (§ 54a AufenthG) angeordnet. In den übrigen 30 Fällen ist die Sicherheitsgefahr noch nicht beendet oder das Ausweisungsverfahren noch nicht bestandskräftig abgeschlossen.

Aus dem Bericht der AG BIRGIT des bayr. Innenministeriums

Diese Arbeitsgruppe hat die Aufgabe, islamistische Extremisten
konsequent zur Ausreise zu bringen – oder, wenn eine Ausreise
tatsächlich nicht durchsetzbar ist, den Handlungs- spielraum der
Gefährder so weit wie möglich einzuschränken (z. B.
Überwachungsmaßnahmen). Damit wird auch möglichen Sympathisanten
signalisiert, dass Extremismus oder die Unterstützung terroristischer
Aktivitäten in Bayern nicht geduldet wird. (Website d. bayr. Innenministeriums)

20 Gedanken zu „Mouldi C. und die AG BIRGIT – Gefährder in Deutschland

  1. Bei Namen wie BIRGIT (oder halt ELSTER) denke ich mir immer, dass der, der sich den Namen ausgedacht hat, nen Heidenspaß dabei hatte.
    Wir nehmen irgendeinen Frauennamen und denken uns dazu was nettes aus. Bestimmt gibts irgendwann auch ne YVONNE oder einen KARL-THEODOR.

    Wie sieht das eigentlich mit dem Rechtsstaat aus bei solchen Leuten? Das Gesetz sollte doch eigentlich gegen sowas wie… Menschenwürde verstoßen. Oder?

  2. Genau betrachtet weisst du nicht, ob sie spionieren; und dieser Pixel sieht exakt genau so aus wie ein Spionagepixel — jedem deiner Leser wird knallhart eine ID zugewiesen, der es der VG-Wort ohne weiteres ermöglicht ein Profil über den Leser zu erstellen (wohlgemerkt NICHT über das Blog, sondern über den LESER; der Cookie folgt dir von Seite zu Seite, Blog zu Blog, etc).

    Zum Zählen der Zugriffe ist das schlicht und ergreifend nicht notwendig. Die VG-Wort will halt auch mal Datenkrake spielen. Der Cookie bleibt übrigens 2 Jahre gültig und wird regelmässig verlängert.

    Nichts gegen dich, ich lese deine Beiträge gerne und wünsche dir auch viel Erfolg bei der Ausschüttung. Ganz unrecht hat Tony aber nicht. Mich stören seitenfremde, sinnlose Datensammler-Cookies ebenfalls.

  3. Wie ist so etwas rechtskonform ohne Anklage?

    Das ein Staat aktiv ein Leben ruinieren kann ohne das es zu einem Prozess kommt. Alleine einem Menschen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung abzusprechen wollen ist mehr als nur problematisch, ganz abgesehen davon das diese Ermittlungen Steuergeld kosten.

    Vielleicht sollte man einmal die Frage stellen wie weit die Befugnisse solcher „Behörden“ gehen – erinnert mich an eine GESTAPO.

  4. Pingback: Info-Netz-Düsseldorf

  5. Die VG Wort ist an Zugriffen interessiert.
    1×1 Pixel, http://vg07.met.vgwort.de/…459b8b409d4bbc9f13e2m
    Interessant, vielen Dank für den Hinweis, der Filter „http://*vgwort.de/*“ ist gerade in den AdBlock+ gewandert.

  6. … die diversen Zählpixel und stat-Tools (VerbrecherGesellschaft Wort, Addthis, Blogoscoop, Technorati). Es ist der Punkt, dass die weiß auf weiß sind.
    Das ist wie mit dem Low-Junction-Detector: ohne das Teil findet man die Mikrofone unter der Tapete nie. Genauso kann man Annalist nur mit Script-Blocker und Ghostery besuchen.
    Ich finde es schade, dass gerade Anne so viele derartige Sachen eingebaut hat, wo Lifetype von Haus aus schon eigentlich genug speichert. Das ist mit der Anti-Überwachungs-Linie nicht ganz deckungsgleich.

  7. ..ich knobele auch seit einer Weile daran herum, was davon ich nun eigentlich sinnvoll finde.

    Auf Blogoscoop und Technorati kann ich gut verzichten. Wobei Technorati nur sammelt, wer hierher verlinkt, dachte ich?

    Was LifeType angeht, habe ich mich bisher auf noblogs.org/autistici.org verlassen und die schwören Stein auf Bein, dass nur das absolute Minimum gespeichert wird. Wenn Du andere Informationen hast, wäre ich sehr daran interessiert.

    Und würde gern die Debatte eröffnen: ist Addthis für die LeserInnen von annalist eher praktisch oder eher störend?

    Sollte ich eher auf das Geld der VG Wort verzichten, weil es viele hier wirklich stört? Obwohl LeserInnen von annalist vielleicht sowieso von wesentlich unfreundlicheren Behörden beobachtet werden als von der VG Wort?

  8. der terror geht ganz gewiss vom staate aus.
    und für einen „ossi“ wie mich ist es keine frage, dass es einen „tipping point“ in jedem system gibt, wo sich die bevölkerung insgesamt nicht länger von den gefährdern in den staatsparteien einschüchtern lässt.
    übrigens: BIRGIT ist eine dumme schlampe

  9. Also ich möchte einfach nur mal wissen, was der Herr Gefährder denn getan hat – ich kann mir mit der Schilderung überhaupt kein Bild machen darüber. Es ist zwar grundsätzlich abzulehen, dass in unserem Staat Menschen so behandelt werden – insbesondere ohne Prozess – aber was genau führte denn zu dieser Behandlung? Kann man das bitte auch mal genau so detailliert aufarbeiten? Was hat er genau Illegales gemacht?
    Danke!

  10. hallo,

    ist irgendetwas an mir vorbeigelaufen, ohne, dass ich das gemerkt hab? oder diskutiert Ihr hier wirklich in einem artikel, in dem es um die zerstörung eines lebens (und dem seiner gesamten familie) geht darüber, ob die vgwort nun mit 1x1px spioniert und Euch das stört, oder nicht; oder wie man aus dem verein noch kohle pressen kann? meinen kommentar zum thema spare ich mir nach der ernüchterung.

    die welt zu verändern fängt im eigenen kopp an – und hört dort offenbar in der regel auch ganz ganz schnell wieder auf…

    grüße an den stammtisch, ein vollkommen versehentlich vorbeigelaufener.

  11. Der Hinweis auf die Datenerhebung durch die VG Wort gehört nach den allgemeinen Datenschutzrichtlinien in das Impressum oder in die Datenschutzerklärung.

  12. Ein Kommentar in sz artikel enthält noch mehr infos, die etwas mehr darüber „aufklären“, wer das eigentlich ist, aber bei weitem nicht ausreichend, um sich ein Urteil zu bilden über die Sache. Ich halte es für extrem problematisch, hier ohne exakte Betrachtung aller Details pauschal von Staatsterror zu reden – es gibt wirklich genug Fälle, bei denen eine Beurteilung der Lage wesentlich einfacher ist. Es gibt nunmal tatsächlich durchgeknallte Extremisten, die mit Gewalt Ihre Weltsicht durchsetzen wollen – dass der „internationale Terrorismus“ als Blankoscheck für Staatsterror dient, macht die Sache nicht unkomplizierter. Ich habe gar kein Verständnis für Beamte, die auf wehrlose Dmeonstranten einknüppeln – aber man muss auch sehen, dass es eine sehr schwere Aufgabe ist, konspirative Netzwerke von ideologischen Amokläufern in den Griff zu bekommen und Straftaten oder gar Opfer zu verhindern. Die Tatsache, dass hier nicht ein einzelner Mufti über den Lauf der Dinge entscheidet, sondern Richter und Ärzte ihren Teil beitragen, zeigt, dass es kein gutes Beispiel von „Staatsterror“ ist. Es sind Leute wegen läppischerer Dinge schon in die Mühlen der Justiz geraten. Solange die vorliegenden Akten nicht veröffentlicht werden, kann man dazu gar nix sagen, dass müssen auch jene sehen, welche hier vor allem ein Leben zerstört sehen, ohne die Gründe zu beachten. Die Berichterstattung von Focus zu dem Fall ist allerdings ein gutes Beispiel für rechtsradikale Volksverhetzung. Wenn wir diesen Fall weiter aufklären, mehr Fakten dazu ans Tageslicht zerren und auf alle Beteiligten mehr Druck ausüben, die Dinge neu zu bewerten, kann es ein gutes Beispiel dafür werden, wie „wir“ Bürger einen in Teilen amoklaufenden Beamtenapparat in seine Schranken verweisen bzw. Legitimität und Rechtsstaatlichkeit einfordern. Wenn wir noch weiter gehen und auf die vermeintlich gefährlichen Extremisten zugehen und die Vorzüge unserer Lebensform darstellen, wäre es ein gutes Beispiel dafür, dass wir diese Problematik nicht nur den Behörden überlassen… Meine eigenen Erfahrungen genau darin lassen mir aber wenig Spielraum für Naivität – es gibt leider wirklich eine ernsthafte Gefahr im religiösen Extremismus und ich beneide keinen Richter und keinen Beamten, der im Kreuzfeuer dieser gesellschaftluichen und kulturellen Problematik seinen Job machen muss – extrem anstrengend und sehr schwierig, da ausgewogen zu bleiben. Die Leute, die sich mit schwarz gekleideten Kindern auf Demos befassen, haben dagegen wirklich einen pipi-job.

  13. Es gibt nunmal tatsächlich durchgeknallte Extremisten, die mit Gewalt Ihre Weltsicht durchsetzen wollen

    Du meinst damit jetzt die CDU/CSU, richtig?

  14. > Es gibt nunmal tatsächlich durchgeknallte
    > Extremisten, die mit Gewalt Ihre Weltsicht
    > durchsetzen wollen

    Du meinst damit jetzt die CDU/CSU, richtig?

  15. Haha, jetzt lesen Angestellte staatlicher Behörden hier nicht mehr nur mit, sondern schreiben anscheinend sogar? Wie seltsam ist das denn bitte, Dr. Seltsam?

  16. Ich finde, Markus hat recht und die Debatte zu Zählpixeln etc. passt hier nicht gut hin. Deswegen ist sie umgezogen nach hier: http://annalist.noblogs.org/…schutz-bei-annalist

    Bitte kommentiert zu dem Thema dort, nicht hier.

  17. in berlin gab es auch einen fall der in diese richtung geht. im april 2006 wurde eine allein erziehende zum islam konvertierte frau festgenommen, ihr kind wurde ihr auf richterliche anordnung genommen und sie selbst in die psychiatrie eingewiesen. da die behandelnden ärzte das spiel aber nicht mitmachten und die frau wieder entließen wurde sie fortan unter polizeiliche manndeckung gestellt. bis zum erscheinen des grundrechte-report (juni) 2007 dauerte der rechtstreit an. in den kapitel „tag und nacht überwacht“ beschreibt sönke hilbrans zu welcher entartung „der kampf gegen den terrorismus“ geführt hat.

  18. Die vier Buchstaben ACAB kennen Sie sicher, Herr Dr. Seltsam. Ihre Propaganda ist billig und leicht zu durchschauen, wie so ziemlich alles, was Sie und Ihre Kollegen an Lügen fabrizieren. Ich sehne mich nach dem fernen Tage, an dem Sie und Ihre Herrchen und Frauchen zur Verantwortung gezogen werden. Und wenn ich bis zum jüngsten Gericht warten muß, aber ich werde dabei sein und den Daumen nach unten strecken. Schämen Sie sich, Sie arbeiten für die Bösen, Dummen und Korrupten!

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