Mouldi C. und die AG BIRGIT – Gefährder in Deutschland

Unter dem Artikel Ein Tag im Leben eines Terror-Verdächtigen wies Koloradokäfer auf den Artikel Leben ohne Aussicht im Magazin der Süddeutschen hin.

Das Äquivalent zu den britischen "Control Orders" ist in Deutschland das Label "Gefährder".

Kein Handy, kein Internet, keine Reisen: Seit drei Jahren isoliert der
Staat den Tunesier Mouldi C. im bayerischen Hinterland, ohne dass ihm
je ein Strafprozess gemacht worden wäre. Er soll – möglicherweise –
Terroristen unterstützt haben. Erwiesen aber ist nichts. Die Geschichte
eines Mannes, für den gilt: Im Zweifel gegen den Angeklagten.

Mutiger Artikel, gut recherchiert, gut geschrieben.

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Interview bei Radio Netwatcher vom 26. Juni

Und gleich noch ein Audio-Interview.

Radio Netwatcher, eine wöchentliche Sendung des Freien Radio Orange 94.0 aus Wien, hat am Freitag ein Interview ausgestrahlt, dass sie mit mir im Dezember beim 25c3, dem 25. Kongress des Chaos Computer Club, geführt haben. Die ganze Sendung dauert eine Stunde. Ich habe das Interview rausgeschnitten – wer die ganze Sendung hören möchte, bitte hier entlang.

Es geht um den Stand der Dinge des Verfahrens, darum, wie unsere Kinder das alles verkraften und auch um ähnliche Verfahren in Österreich und Frankreich (die mehrfache Erwähnung meines angeblich existierenden "Fan-Clubs" hätte von mir aus nicht sein müssen..)

http://noblogs.org/flash/mp3player/mp3player.swf
  mp3 (ca. 20 Min.)

Ein Tag im Leben eines Terror-Verdächtigen

Der Guardian erzählt die Geschichte von Mahmoud Abu Rideh, der seit 2005 mit einer Control Order lebt. Control Orders "beschützen die britische Öffentlichkeit vor dem Risiko des Terrorismus". Aktuell leben 20 Menschen in Großbritannien mit Control Orders.

Mahmoud Abu Rideh wurde 2001 festgenommen, war 23 Stunden täglich in Einzelhaft und wurde nach vier Jahren mit Control Order entlassen. Er hat bis heute nicht erfahren, was ihm vorgeworfen wird. Es gab keine Anklage, kein Verfahren und keine Akteneinsicht. Seit der Control Order vor vier Jahren darf er sich mit niemandem verabreden, darf weder Bankkonto noch Handy haben und darf nicht ins Internet. All dies betraf auch seine Frau und seine sechs Kinder, die ihn schließlich verlassen haben. Ein Ende ist sowenig absehbar wie er weiß, warum das alles passiert.

Mehrmals am Tag muss er zur Kontrolle die Polizei anrufen, das erste Mal um drei Uhr morgens. Es ist in dieser Situation unmöglich, einen Job zu finden. 

Er hat mehrmals versucht, sich umzubringen.

Ich bin allein. Ich habe keine Freunde. Alle haben Angst davor, mich zu treffen. Ich bin schon vorher der Folter entkommen, und jetzt werde ich von der britischen Regierung  gefoltert. Ich bin wie eine Maschine. Ich fühle nichts mehr. Ich bin schon tot.

„Bloggen gegen Überwachung“ in Bremen zum Hören

Der CCC Bremen, der mich vor zwei Wochen zu einer Veranstaltung eingeladen hatte, hat jetzt eine ungeschnittene Aufnahme ins Netz gestellt. Wer also eine aktuelle Variation von "Bloggen gegen Überwachung" hören möchte:

Die Veranstaltung komplett und ungeschnitten:

http://noblogs.org/flash/mp3player/mp3player.swf

mp3 | ogg

Zum Ton gehören eigentlich noch Bilder: es wird noch ein Video versprochen, bis dahin sind hier die Folien, die ich auch schon im Mai bei der SIGINT benutzt habe.

Die Medien, die friedliche Revolution und die Pädophilen

Über die Berichterstattung über die Proteste im Iran habe ich mich das erste Mal gewundert, als ich in irgendwelchen Fernsehnachrichten (Tagesthemen?) zu Bildern von brennenden Autos (sic) und sich mit Polizisten prügelnden Demonstranten einen Kommentar hörte, der die "friedliche Revolution" pries. Na gut, nicht wirklich gewundert. Aber das Wort "friedlich" war schon ungewöhnlich in dem Kontext.

Dazu gibt es einen Artikel von Jens Scholz "Der Freiheitskämpfer im Ausland ist der Terrorist im Inland", der das vergleicht mit der Berichterstattung über unsere hiesigen AktivistInnen im Netz:

Die Leute, die da gerade für ihr Engagement bejubelt werden weil es für
sie eine völlige Selbstverständlichkeit ist, die Informationsfreiheit
dort zu ermöglichen, wo sie staatlich beschnitten und unterdrückt wird,
die Leute werden hier von unserem Wirtschaftsminister als
Pädokriminelle bezeichnet, das sind "diese…
Internetcommunitybenutzer", das sind diese amokgefährdeten
Killerspieler, das sind diese Schäubleschen "Störer" (deren TOR-Server
Anlass für Hausdurchsuchungen sind) …

Ich breche das Zitat mal an der Stelle ab, wo es gleich um Bombenbauanleitungen geht, das scheint mir denn doch heikel – die BKA-Anmerkung dazu, warum ich das wohl eingebaut hätte, kann ich mir in etwa vorstellen. Immerhin bin ich ja deutsche Netzbewohnerin (und im Vergleich bin ich nicht mal besonders unglücklich darüber, trotz allen Ärgers, den das mit sich bringt).

Die Erklärung, warum das so ist, schön zusammengefasst:

Es geht gar nicht um ein paar DNS-Sperren. Es geht auch nicht um
Kinderpornografie und um angeblich rechtsfreie Räume für ein paar
Musikdownloads oder einen Filmstream, den ich mir im Kino ohnehin nie
angesehen hätte. Es geht um die Angst eines Staates vor
Kontrollverlust.

So sehr unsere Politiker über die Findigkeit und
Kreativität jubeln, mit der im Moment iranischen Menschen geholfen
wird, auf ihre Situation aufmerksam zu machen so sehr werden sie auch
daran erinnert, daß die selbe Transparenz ihnen hier ihr schönes System
aus sorgfältig und teuer aufgebauten Lobbysatelliten (wie z.B. die
Deutsche Kinderhilfe) ans Licht zerrt.

Daß ihnen ihre manipulativen
Umfragen, mit denen Sie Jahrzehnte lang mit ihrem repräsentativen und
unabhängigen Anstrich den Schein erweckten, die Wähler seien mit ihrer
Arbeit einverstanden, nun die Ohren fliegen, weil sie schon am selben
Tag im Netz komplett durchanalysiert und entlarvt werden.

Berlin ist nicht Iran.

Wenn ein Zivilpolizist die Waffe zieht, damit er in Ruhe jemanden festnehmen kann, wenn Clowns und Samba-Band festgenommen werden, weil angekündigt ein eingezäunte Grünfläche betreten werden sollte, dann sind wir in Berlin.

Digitale Sicherheit für AktivistInnen

Riseup Zine Cover
Riseup, das in jeder Hinsicht empfehlenswerte Technik-Kollektiv aus Seattle und anderswo, hat nach einem Jahr Vorbereitung ein ‚Zine‘ mit dem Titel "Digital Security for Activists" herausgegeben.

Darin auch ein Artikel von mir, den ich später auch hier verewigt habe (Blogging against Surveillance). Das hat sein Weilchen gedauert – wohl weil immer anderes wichtig war. Leider ist es auch eine grässliche Bleiwüste geworden. Aber nun ist es fertig undzu finden unter der praktischen Adresse http://zine.riseup.net.

Themen u.a.:

  • Warum ist Sicherheit wichtig? 
  • Wenn Bewegungen nichts zu verbergen haben
  • Gute Passwörter
  • E-Mail ist eine Postkarte
  • Gefahren für Bewegungen im Netz
  • Bloggen mit verschiedenen Identitäten

Und interessante Gedanken dazu, wie sicherer Umgang mit Netz im Alltag so aussehen kann, das er praktikabel ist.

 

CFP 2009 #2: Panoptikum – Podium zum Erleben von Überwachung

The one thing you never want to be called by your government, esp. if it’s the Department of Justice: a person of interest.

CFP Logo

Mit diesen Worten hat Lillie Coney, EPIC (Electronic Privacy Information Center), das Abschlusspodium der CFP 2009 eingeführt, an dem ich beteiligt war. Auch davon gibt es eine Aufnahme, Dauer 1:45 Std, meine 10 Min. 0:30 – 0:40. 

Thema war das Erleben von Überwachung "Panoptikum: die Verinnerlichung des fremden Blicks". Neben mir waren vier US-AmerikanerInnen beteiligt, die ziemlich spannende Geschichten zu erzählen hatten:

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Obamas Internet-Beauftragte: This is the „Why not?“ generation

Schon wieder eine Woche her, dass meine Air France-Maschine heile in Berlin gelandet ist. Ich war fünf Tage in Washington – ökologisch und physiologisch eine Katastrophe, aber eine ungeheuer interessante Konferenz. Von der ich vorher noch nie gehört hatte. CFP 2009, oder Computers, Freedom and Privacy Conference 2009, war eine wirklich interessante Mischung aus Datenschutz, Web2.0, Freiheit vs. Sicherheit und mehr.

Mit sehr netten Leuten, aber vor allem auch wirklich interessanten Leuten. Bruce Schneier, der Sicherheit/Terrorismus/Tech-Guru der USA, war nicht nur da, sondern an diversen Podien und Workshops beteiligt. (Und folgt jetzt meinem Twitterfeed – das *musste* ich einfach mal sagen).

Susan Crawford, Special Assistant to the President for Science, Technology, and Innovation Policy
Schon der Auftakt nahm mir kurzfristig den Atem. In Washington ist die Nähe zum Weißen Haus ja quasi natürlich. Ich fand allein die Tatsache, dass Obama eine extra "Beauftragte für Wissenschaft, Technologie und Innovation", vulgo Internetbeauftragte hat, nicht völlig selbstverständlich. Dass die dann bei so einer Konferenz auftaucht und kurz mal erläutert, wie Amerika das mit dem Internet jetzt anders machen wird, gefiel mir.

Es gibt eine Aufnahme von diesem ersten Panel Computers, Freedom and the Obama Administration mit Susan Crawford, auch gewesene ICANN-Kodirektorin und erklärtermaßen Vertreterin von Netzneutralität. Ziemlich lang: ab Minute 0:40 geht’s los mit Obamas Internet (bis ca. 1:04). Sie sagte Sätze wie:

"Tech policy is at the heart of this administrations plans for the future."

"The president understands the vital role technology will play in our short term economic recovery. … He’s not the first president to understand the importance of technology to the nation. But he has the kind of mind that sees the connections between technology, freedom, democracy, economic growth and a long-term prosperous future for the country."

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Soziologe in Mexiko zum Terroristen gemacht

Soziologen leben weiter gefährlich.

Miguel Angel Beltrán VillegasAm 22. Mai wurde in Mexiko der kolumbianische Soziologe Miguel Angel Beltrán Villegas festgenommen und als angeblicher FARC-Terrorist nach Kolumbien abgeschoben. Soweit das bisher nachzuvollziehen ist, sind die "Beweise" für sein terroristisches Agieren Hinweise auf einem letztes Jahr von der Armee gefundenen Computer. Forensiker von Interpol allerdings geben darauf nichts, weil die Daten auf dem Rechner offenbar manipuliert wurden (Telepolis: Sprengstoff aus dem Laptop, Juni ’08; Interpol-Bericht).

Es gibt inzwischen eine Kampagne vor allem mexikanischer AkademikerInnen, die die Freilassung von Miguel Angel Beltrán Villegas fordern (Spendenkonto). Das meiste Material zum Fall ist spanisch. "The political kidnapping of Dr Miguel Angel Beltrán in Mexico" erklärt einige Details und enthält Informationen darüber, wer Miguel Angel Beltrán Villegas ist.

El Pensamiento critica no es terrorismo Andrés Hernández Vásquez, Anwalt und Doktorand an der Uni Mainz, vergleicht den Fall mit der Festnahme von Andrej Holm und schrieb den Artikel "Guantánamo in Kolumbien", angelehnt an "Guantánamo in Germany" von Saskia Sassen und Richard Sennett, im August ’07 im Guardian veröffentlicht.

Es gibt verschiedene von vielen vor allem lateinamerikanischen AkademikerInnen unterschriebene Protestschreiben: Wir sind alle Miguel Angel Beltrán Villegas. Offener Brief an die Regierungen von Mexiko und Kolumbien; Erklärung des Netzwerks der Künstler und Intellektuellen für die Menschlichkeit; Erklärung der DozentInnen des Instituts für Soziologie der Nationalen Universität von Kolumbien und noch weitere. Ich hoffe sehr, dass es bald Offene Briefe gibt, die online unterschrieben werden können.

Andrej hat diesen Text zur Unterstützung geschrieben:

Dr. Miguel Ángel Beltrán Villegas, Soziologe an der UNAM in Mexiko
wurde am 22. Mai mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der
kolumbianischen Guerilla FARC nach Kolumbien abgeschoben und dort
inhaftiert. Die wenigen Informationen, die in Deutschland zu diesem
Fall bekannt geworden sind, zeigen eine weitere skandalöse
Kriminalisierung von kritischen Wissenschaftler/innen im Namen des
angeblichen "Kampfes gegen den Terrorismus".

Die Abschiebung und Verhaftung von Dr. Miguel Angel Beltran erfolgte
auf der Basis einer selbst von internationalen Polizeibehörden
umstrittenen Auswertung von Computerdaten, die einem FARC-Kommandanten
zugeschrieben werden.
Der konkrete Vorwurf gegen ihn ist die angebliche Infiltration
akademischer Zirkel in Lateinamerika, um diese unter die Führung der
FARC zu stellen. Dass dabei seine wissenschaftlichen Arbeiten zu einem
halben Jahrhundert Bürgerkrieg in Kolumbien als Indizien herbeigezogen
werden, zeigt, dass hier eine kritische und für den Staat unliebsame
Forschungsarbeit kriminalisiert werden soll. Ich unterstütze die
Forderung nach einer sofortigen Freilassung von Dr. Miguel Angel
Beltran.

Auch in Europa wurden in den vergangenen Jahren mehrere
Wissenschaftler wegen des Verdachts terroristischer Aktivitäten
festgenommen. Im Mai 2008 wurden zwei Wissenschaftler der Universität
Nottingham
unter Anwendung des britischen "Terrorism Act" festgenommen
und mit Abschiebung bedroht. Anlaß war der Ausdruck von legal
erhältlichem Material für die Forschung über Al-Quaida.
Im November 2008 wurden im französischen Tarnac 10 Personen im Rahmen
von sogenannten Anti-Terrorermittlungen festgenommen. Unter ihnen der
Philosoph Julien Coupat, der über 6 Monate in Untersuchungshaft
festgehalten
wurde. Begründung in seinem Fall unter anderem eine
vermutete Herausgeberschaft eines als linksextremistisch eingeschätzten
Buches "L"insurrection qui vient" (Der kommende Aufstand) sowie die
nicht bewiesenen Beteiligung an einer Unterbrechung des
Schienenverkehrs.
Julien Coupat musste inzwischen wegen Mangels an Beweisen freigelassen
werden. Ich selbst wurde im Juli 2007 als angeblich "intellektueller
Kopf" einer terroristischen Vereinigung festgenommen. Indizien auch
hier meine wissenschaftlichen Veröffentlichungen sowie eine nie
verborgenen linke Gesinnung
. Der Bundesgerichtshof hat den Haftbefehl gegen mich inzwischen aufgehoben und den ‚dringenden Tatverdacht‘ verneint.

In all diesen Verfahren gerieten Wissenschaftler/innen und ihre
Arbeitsweisen in den Fokus polizeilicher Ermittlungen. Kritische
Wissenschaft darf nicht auf dem Altar des internationalen "War on
Terror" geopfert werden.

Die von der mexikanischen Regierung vollzogene Abschiebung in das
immer noch von Menschenrechtsverletzungen geprägte Kolumbien erfolgte
ohne jede Rechtsgrundlage. Ich protestiere gegen diese illegale
Abschiebung durch die mexikanische Regierung und fordere die
unverzügliche und unversehrte Rückkehr von Dr. Miguel Angel Beltran
nach Mexiko.

Dr. Andrej Holm
Institut für Humangeographie
Universität Frankfurt am Main