Schäuble 2.0 und das Menschenrecht auf Sicherheit

Es gibt Dinge, denen ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Bundesinnenminister Schäuble und US-Heimatschutzminister Chertoff diese Woche im Spiegel-Interview:

"Guantanamo ist nur ein Symbol" 

Spiegel: (…) Können Sie sich wenigstens dazu durchringen, dass Guantanamo keine Lösung ist?

Schäuble: Jeder in Europa stimmt zu, dass Guantanamo nicht die Lösung sein kann. Da gibt es für mich kein Augenzwinkern. Gegen Guantanamo zu sein ist einfach, die Entwicklung konstruktiver Vorschläge ungleich schwieriger. Aber all das führt uns doch dazu, dass wir offen darüber nachdenken müsen, was die Alternativen sein können. Das tun wir.

Spiegel: Her Chertoff, sind Sie bereit, Guantanamo zu schließen?

Chertoff: Präsident George W. Bush hat es so gesagt: Es wäre wunderbar, wenn wir Guantanamo schließen könnten. Aber darum geht es nicht. (…)

(…)

Chertoff: Zu Einzelfällen möchte ich mich nicht äußern, aber hier ist das Problem: Im amerikanischen Gerichtssaal unter amerikanischem Recht müssen wir Beweise in einer für alle Parteien nachprüfbaren Weise sammeln und Zeugen präsentieren. Wir können doch nicht in Afghanistan rumlaufen und die Taliban bitten, uns in Ruhe Tatortfotos schießen zu lassen.

Spiegel: Was ist denn mit den Berichten über die Misshandlungen von Gefangenen durch das sogenannte Waterboarding etwa, bei derm der Häftling fürchten muss zu ertrinken? Das ist doch der wahre Grund, warum Sie die Gerichte scheuen.

Chertoff: Nein. Für uns ist zum Beispiel schwierig, dass jeder Verdächtige in amerikanischen Verfahren das Recht auf einen Anwalt und Aussageverweigerung hat. (…)

Spiegel: Mit Verlaub, aber das Recht auf einen Anwalt ist eine der fundamentalen Errungenschaften des Rechtsstaats.

Chertoff: Nicht im Krieg. (…)

Spiegel: Herr Schäuble, fürchten Sie nicht, dass der Kollateralschaden für den Rechtsstaat durch diese Praxis gewaltig ist?

Schäuble: Wir haben uns ja genau deshalb zusammengesetzt und ringen um Lösungen, um das zu verhindern. Sie sehen doch an diesem Gespräch: Es ist schwierig und genau deshalb werde ich keine Denkverbote akzeptieren.

(…)

Spiegel: Wie definieren Sie die derzeitige Situation? Bekämpfen wir den Terrorismus – oder befinden wir uns in einem Krieg gegen den Terrorismus, wie es die amerikanische Regierung seit Jahren behauptet?

Schäuble: Das ist doch eine Frage der Semantik. Die Vereinten Nationen haben den USA jedenfalls das Recht zugesprochen, sich gegen einen bewaffneten Angriff zu verteidigen.

(…)

Spiegel: Können Sie denn zumindest die Sorge nachvollziehen, dass, während Sie noch nach Regeln suchen, die Menschenrechte verlorengehen?

Schäuble: Ja, aber ich glaube, wir bemühen uns alle, dass genau das nicht geschieht. Und ich will daran erinnern, dass eines der fundamentalen Menschenrechte auch das Recht auf Sicherheit ist.

(…)

 Der Spiegel, 50/ 2007, S. 27

19 Gedanken zu „Schäuble 2.0 und das Menschenrecht auf Sicherheit

  1. Will Schäuble sagen, daß die Frage, ob wir uns in einem Krieg befinden oder nicht, nur eine Formfrage ist? (Oder was meint er sonst mit Semantik?)

    Und will uns Chertoff sagen, daß deshalb das Recht auf einen Anwalt verweigert wird, weil man meint, sich im Krieg zu befinden?

    Zusammengenommen also: Der Unterschied zwischen Krieg und Frieden wird als Formalie vernachlässigt, ist aber trotzdem der Grund für Grundrechteinschränkungen?

    Ich habe nur diese Ausschnitte gelesen, vielleicht kommt es ja noch, aber ansonsten es ist beschämend für den Journalismus, wenn solche Widersprüche im Interview nicht thematisiert werden.

  2. Stimme dem zu.
    Aber um das und das restliche Interview beurteilen zu können, würden mich persönlich auch noch der Rest in den (…) interessieren.
    Gerade bei „Nicht im Krieg“ wären die weiteren Ausführungen Chertoff interessant gewesen. So wirkt das ganze ein wenig polemisch und zurechtgestutzt alla „Man hört/liest nur das was man hören/lesen soll“

  3. Horray!!!

    Jedes mal, wenn ich Stellungnahmen und Interviews von Schäuble lese frage ich mich, was der wärend seines Jurastudiums gemacht hat. Meine Vermutung: Zumindest die Staatsrechtsvorlesungen (Insbesondere den Teil mit den Grundrechten) hat er verschlafen oder einfach nicht besucht. Inkompetenz bezüglich unserer Verfassung hat er zumindest bis jetzt zur genüge bewiesen…

  4. Die Sicherheit ist mir schnurtsegal,wer achtet denn eigentlich noch auf die freie Entfaltung eines jedem Einzelnem(Grundgesetz),oder auf die Menschenwürde(Grundgesetz).Alles wird verletzt ob Menschen oder Grundgesetz, wenn es um das liebe Geld geht.

  5. Unter Verweis auf irgendeine Gefahr werden Grundrechte abgebaut. Ist dies nicht eine viel grössere Gefahr?

    Und – wenn die meisten zu diesem Schluss kommen, warum arbeiten Politiker gegen die Wähler?

  6. Laut Bundesregierung befindet sich Deutschland im Krieg. Es findet ein bewaffneter Angriff auf das Staatsgebiet der USA statt, der eine Beistandspflicht nach Art 5. NATO begründet.

    Und ja, Schäuble ist entweder dauerhaft merkbefreit oder er handelt vorsätzlich. Ich tippe auf Letzteres.

  7. Wieder mal der Schäuble… Achtung – ganz böse Theorie:
    Sobald sich der Peak Oil nicht mehr weglügen läßt und der Realwirtschaft der Schmierstoff ausgeht, werden all die schönen bunten Seifenblasen, in denen es sich die „westliche“ Zivilisation gemütlich gemacht hat, gleichzeitig platzen. Es geht nicht bloß um billig Autofahren, es geht um alles.

    Irgendwann, und das kann übermorgen sein, müssen die Saudis zugeben,daß sie ihre Reserven mit Phantasiezahlen angegeben haben.
    Ob das Öl alle ist oder nur unbezahlbar, kommt für arme Leute auf’s Gleiche raus.
    Denke dir das Öl weg, und dein Fahrrad steht ohne Reifen da. Hoffentlich hat es einen Ledersattel.

    Was macht dann der Landwirt? Er muß erstens ohne Kunstdünger auskommen,und er muß zweitens die Hälfte seines Ackers mit Hanf und Raps bepflanzen, damit der Traktor läuft.
    Und dann wird ein Sack Kartoffeln wertvoller als alle Aktien der Welt.
    Ohne das sensationell günstige Kosten – Nutzen – Verhältnis, mit dem uns die Petrochemie verwöhnt hat, ist eben mal die Ernährungssicherheit in Frage gestellt.

    Tja, und darum gehts. Die angeblichen Terroristen sind vorgeschoben.

    Wenn die Gesellschaft zerbricht und Millionen panisch werden, will Herr Schäuble schon die großen Knüppel in Stellung haben.

    Das ist natürlich nur Polemik. Die Renten sind sicher.

  8. @ Martin Schröder: Wo findet gerade ein bewaffneter Angriff auf das Staatsgebiet der USA statt? Hab ich irgendwas verpasst?

    @nhm: Ernährungssicherheit? Vergiss nicht: Wer die Nahrung in der Hand hat, hat die Bevölkerung in der Hand. Und da sind die Chemie- und Pharma-Firmen und die Genmanipulierer ganz vorne.
    Guckst Du hier
    http://video.google.de/…cid=-5266884912495233634
    und hier http://www.globalresearch.ca/…xt=va&aid=7529
    Bei letzterem Link bin ich mir allerdings nicht sicher, ob das alles so sein kann, gerade die Stellen über Eugenik sind dermaßen bodenlos, dass ich hoffe, dass das nicht wahr ist.
    Sehr interessant sind auch Film und Buch „we feed the world“.

  9. Ist das aus dem Spiegel abgetippt oder irgendwo online verfügbar?
    Ansonsten würde ich einen Link auf die Quelle vorziehen, bzw sogar das Zitat des kompletten Interviews.
    Warum? Weil ich in letzter Zeit vermehrt bemerke, dass (gerade im Rahmen der Sicherheit vs. Freiheit-Debatte) immer wieder Bruchstücke aus Interviews mit Herrn Schäuble u.a. verbreitet werden, die sich vorzüglich dazu eigenen, diesen Mann als verfassungsfeindlichen Menschen mit faschistoiden Neigungen darzustellen.
    Diese „Brandmarkung“ ähnelt in einem gewissen Maß die Art und Weise, wie Menschen durch aus dem Zusammenhang gerissene Zitate in der Bildzeitung gezielt zur öffentlichen Zielscheibe gemacht werden.

    Die Sicherheitsdebatte ist eine Diskussion, der wir uns stellen müssen und es reicht nicht aus, sich auf Stammtischparolen einzuschießen und mit zerstückelten Worthülsen aufeinander zu schießen- dies gilt sowohl für die wortführenden Politiker als auch für ihre Kritiker.
    Stellt man alleine die verfassungsfeindlich erscheinenden Aussprüche kommentarlos in den Raum, kann der Eindruck entstehen, wir haben es hier mit einem überdrehten, paranoiden Menschen zu tun. Und sowenig ich von Herrn Schäuble und seinen Ansichten halte (und das ist wirklich sehr wenig!), für dumm sollte man ihn nicht halten.

    Sicher liegt es jedem offen, sich über diese Zitate hinaus zu informieren- aber das tun grad im Bereich der Blogosphäre immer weniger Leser, wie mir manche Kommentare (nicht unbedingt nur hier) offenbaren.

  10. Ich will ja niemandem zu nahe treten:

    In letzter Zeit lese ich immer wieder bzw. habe ich den Eindruck, dass es kein Menschenrecht auf Sicherheit gibt. Aus reiner Neugier war ich gerade eben bei ai und habe mir mal die 30 Artikel der Menschenrechte durchgelesen. Gleich in Artikel 3 steht:

    „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“

    Missverstehe ich da irgendwas?

    Ich persönlich bin gegen den Überwachungsstaat der uns blüht und den Abbau unserer wichtigeren Grundrechte, aber zumindest sollten die Argumente dagegen auch der Wahrheit entsprechen. Schäuble mit falschen Anschuldigungen in Misskredit zu bringen, kann auch nicht der richtige Weg sein.

  11. Mir waere es jetzt sehr neu, dass jemals ein direkter Angriff aus dem Irak oder dem Iran kam. Das Flugzeug, welches ins WTC flog, wurde wohl kaum von irakischen oder iranischen Militaers besetzt, sondern von Mitgliedern einer Terroristengruppe, naeher al-Qaida. So, in Guantanamo sitzen Iraker ohne Verhandlung, da sie vermutlich „Informationen“ haben, die die Weltpolizei ja so dringend benoetigt. Und wie gelangen sie an die Informationen? Indem sie Foltern – Folter waere ja in einem wahren Kriegszustand vielleicht in den abartigsten Faellen, wie etwa einem Weltkrieg, ja noch irgendwie akzeptabel, aber was da passiert war und weiterhin passiert ist ein Gemetzel.

    Desweiteren darf ein Recht auf Sicherheit nicht das Recht auf Freiheit einschraenken – ansonsten verletzt man wiederum ein anderes Menschenrecht. Und was Schaeubleone mit seiner Ueberwachung plant … das beschraenkt die Meinungsfreiheit.

  12. Guantanamo ist Symbol für das Versagen der westlichen Werteordnung.
    Die Politikerkaste hat die Menschenrechte, die unveräußerlichen, zum Abschuss freigegeben.

    Die so genannte freiheitlich demokratische Grundordnung wird an ihrer eigenen Verlogenheit und Unredlichkeit zugrunde gehen.

    Wie der Herr, so’s Gescherr!

  13. @maniacator

    Nun …

    „Gegen Guantanamo zu sein ist einfach, die Entwicklung konstruktiver Vorschläge ungleich schwieriger.“

    … dem stimme ich zu, denn nach Guantanamo käme eine art „Arbeitslager“ … ist Konzentrationslager noch ein Begriff ?
    Genau das ist das Problem das Schäuble hat, deswegen

    „Aber all das führt uns doch dazu, dass wir offen darüber nachdenken müsen, was die Alternativen sein können. Das tun wir.“

    Nun, wie bringt man es als Innenpolitiker seinem Volk bei, das man solche Lager (mit den Rechtslichen Begriffen/Rahmen von 1933) wieder haben möchte ?
    Lager, in denen man als „Herr“ bzw. „Elite“ alles, aber absolut alles zur Wahrheitsfindung (auch in Forschung und Wissenschaft, Dr. Mengele war da so ein Forscher …) machen darf, wäre doch zum Wohle aller, nicht ?
    Dr. Schäuble braucht Ideen

    „Sie sehen doch an diesem Gespräch: Es ist schwierig und genau deshalb werde ich keine Denkverbote akzeptieren.“

    er weiß also nicht wie er es dem Deutschen Volk beibringen soll … frische Ideen Bitte !

    Aber was stelle ich hier absolut absurde Behauptungen auf, Zitieren wir Hr. Dr. Schäuble doch mal persönlich :

    „Ein stabilitätsgefährdendes Vakuum, ein Zwischen-Europa darf es nicht wieder geben.
    Ohne eine solche Weiterentwicklung der (west-)europäischen Integration könnte Deutschland aufgefordert werden oder aus eigenen Sicherheitszwängen versucht sein, die Stabilisierung des östlichen Europa alleine und in der traditionellen Weise zu bewerkstelligen. Das aber würde seine Kräfte bei weitem überfordern und zugleich zu
    einer Erosion des Zusammenhalts der Europäischen Union führen, zumal die geschichtliche Erinnerung daran, daß die Ostpolitik Deutschlands in der Geschichte im wesentlichen im Zusammenwirken mit Rußland auf Kosten der dazwischen liegenden Länder bestand, noch allenthalben lebendig ist. Deutschland hat also ein fundamentales Interesse an der Osterweiterung der Union; aber ein ebensolches an ihrer vertiefenden Verfestigung, weil erst diese die Voraussetzung für die Erweiterung schafft.“

    Qelle: http://www.wolfgang-schaeuble.de/…lelamers94.pdf

    Ja‘ Schei…benkleister aber auch !

    Dr. Schäuble und seine „Denke“ bzw. Gedanken zur „Osterweiterung“ von 1994 … jetzt haben wir Schengen … eine gute „Pufferzone zum „Bösen“, alles Klar ?
    Nicht Braun genug ? Aber hallo … vor allem aber … was meinte er mit „Traditionell“ ?

    Oder dieses Zitat von Hr. Chertoff „Für uns ist zum Beispiel schwierig, dass jeder Verdächtige in amerikanischen Verfahren das Recht auf einen Anwalt und Aussageverweigerung hat.“
    Ich stelle mir da die Frage, was an 5 Jahre alten Informationen Wertvoll sein soll ?
    Sollte wirklich ein Topterrorist in Guan einsitzen, dann ist er mit der Verhaftung schon Wertlos geworden … mehr ist dem nicht hinzuzufügen.

    Schäuble: „Und ich will daran erinnern, dass eines der fundamentalen Menschenrechte auch das Recht auf Sicherheit ist.“

    … ein Recht wäre Einklagbar … können wir Sicherheit einklagen ?
    Wo ist der gesetzliche Passus ? Genau, es gibt keinen … nirgendwo …

    … und maniacator, Schäuble lässt eine Studie anfertigen, die zu dem Ergebnis kommt, das die Muslimen hier in Deutschland genauso bzw. sogar weniger gewaltbereit sind, als die Braunen Landser (die unter Beobachtung bzw. Kontrolle des Verfassungsschutzes [außer NRW, da sind sie aufgeflogen] stehen) hier in der Bundesrepublik und Bayern.
    Dr. Schäuble schnappt sich die Teile die Ihm und seiner Politik genehm sind und stellt ein Szenario dar, das man mit den Propagandaausführungen eines Hr. Goebbels vergleichen könnte …

    Starker Tobak, ich weiß …

  14. Das Perfide: im Grundgesetz erwähntes Recht auf Sicherheit bedeutet Sicherheit VOR dem Staat und eben nicht DURCH den Staat. Schäuble definiert dieses bürgerliche Abwehrrecht GEGEN den Staat um in ein patronisierendes Staatsverständnis, das zur Gewährleistung eines schwammigen Sicherheitsgefühls tief in die Grundrechte eingreift.

Kommentare sind geschlossen.